„Fortschritt kommt nur durch Widerstand“ (Willi Brandt)
12. Mai 2011 von Thomas Hartung
Langsam frage ich mich, welches Meinungsklima in dieser Republik um sich greift. Ein Klima, dem man widerstehen muss und das mich zwingt, den Dresdner FDP-Kreisvorsitzenden Johannes Lohmeyer juristisch zu belangen.
Wie das? Folgende Geschichte:
Da poste ich als Privatier auf Facebook einen Link zu einem „Welt“-Artikel, in dem Helmut Schmidt über Politiker ohne Beruf lästert. Das schien mir, wie schon mehrfach in diesem Blog bekundet und auch im Facebook-Kommentar erwähnt, mindestens auf bestimmte Personen in der sächsischen FDP zuzutreffen, die für mich immer mehr zu einer Bübchenpartei verkommt – und zu einer Partei, über deren gegenwärtigen Wert oder Unwert trefflich gestritten werden kann, schickt sie sich doch gerade an zu implodieren. Sendungsbewusst, wie ein Dozent und langjähriger Journalist nun mal ist, tue ich das in der Hoffnung, manche meiner „Freunde“ und Leser zu ein wenig Reflexion anzuregen. Wenn ein Neuparteichef Philipp Rösler verkündet „Wir müssen uns wieder mehr um die Lebenswirklichkeit der Menschen kümmern“, oder eine inzwischen von allen Ämtern zurückgetretene Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin (der die Uni Heidelberg gerade ihren Dr.-Titel aberkennen will) mahnt, dass ihre Partei stärker auf die Verbindung zwischen Politik und Lebenswirklichkeit setzen müsse, weil beides nicht auseinanderklaffen dürfe, und auch Ex-Fraktionschefin Homburger dieselbe Vokabel nutzt… dann muss man sich öffentlich fragen dürfen, was für eine mindestens unwirkliche, also lebensferne, irreale… und nicht zuletzt unglaubwürdige Klientel-Politik diese Partei in diesem Land bis dato machte.
Ich hatte bereits Sloterdijks Anmerkungen zum Liberalismus kommentiert, muss aber offenbar noch einen Schritt weiter gehen. Der Karlsruher Philosophieprofessor meinte (professoralen Tonfalls), Liberale müssten „von der Erkenntnis ausgehen, dass Menschen nicht nur habenwollende, giergetriebene, süchtige und brauchende Wesen sind, die freie Bahn für ihre Mangelgefühle und ihren Machthunger fordern. Sie tragen ebenso das Potenzial zu gebenwollendem, großzügigem und souveränem Verhalten in sich.“ Das ist wohl ein Wunschbild, eine Eutopie. Mir scheint eher, als habe sich das Kreatürlich-Wesenhafte verschärft: Menschen lügen für ihren Vorteil, boxen ihre Interessen auf Teufel komm raus durch, sind selbstsüchtig, kaltblütig, hinterlistig – eine Bande von Moralverbrechern. Und sogenannte (Geschäfts- und andere) Führer, Parteifunktionäre zumal, fühlen sich nicht (mehr) der Wahrheit, nicht der Organisation, den Mitarbeitern, Parteimitgliedern, Wählern … verpflichtet, sondern nur dem Erhalt ihrer Macht und ihres Selbstbildes. Deshalb zünden sie Nebelkerzen und lassen eine Kluft zwischen Schein und Sein entstehen, die sich wie eine ansteckende Krankheit auf die ganze Organisation übertragen kann, bis vom Mitglied bis zum Sympathisanten alle abspringen und die Motivation aller erlischt. Der Horizont solcher Menschen reicht nicht weiter als der Stadtbus fährt, wie es in einem „Spiegel“-Kommentar hieß.
Für mich dagegen liegen die Zusammenhänge klar auf Hand: die Politik – leider nicht nur der (sächsischen) FDP – ist auch und vor allem deshalb lebensfern, weil die politische Klasse, wie der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt bereits im Sommer 2010 nachwies, aus Netzwerkern besteht, „die außer dem politischen Handwerk und seinen Begleitdisziplinen wenig gelernt haben. Seelisch wie materiell leben sie ganz von der Politik. Ohne ihre politischen Ämter sind sie nicht viel…“ Und diese Lebensferne wurde mit verursacht, für mich sogar sehr erheblich, von der Lebensunerfahrenheit dieser Generation. Eine Politikergeneration, die Heiner Geißler, 81, im „Playboy“ (!) als „zu viele betriebswirtschaftlich desorientierte Yuppies“ charakterisierte: früher habe es in der Politik „mehr gebündelte Intelligenz“ gegeben, kreative, soziale, ethische Intelligenz. Selbst der „Spiegel“ hat sich jetzt unter der bezeichnenden Schlagzeile „Jugend trainiert für Merkel“ dieses Problems angenommen und ein „Kabinett der Leichtgewichte“ konstatiert: in den zugehörigen Facebook-Kommentaren finden sich prompt Äußerungen wie „kompetenzlos“, „aalglatte Karrieristen“ oder „Ämterhopping“.
Und eine Konsequenz daraus ist, dass in vielen Parteien jene Politiker ihr Comeback feiern, die ein Leben mitbringen und nicht nur eine Karriere, die gestalten und nicht verwalten, und die, wie ich kürzlich las, „im Gegensatz zu kurzlebigen Verführern oder Aufplusterern zeigen, dass es ohne gewisse Seriosität auf Dauer nicht geht“. Nebenbei: schon Georg Milbradt hatte vor Jahren den Begriff der „liberalen Spaßtruppe“ geprägt – und damit Recht behalten: selbst ein 30jähriger drogensüchtiger Krimineller, jetzt rechtskräftig verurteilt, saß für die FDP im Stadtbezirksbeirat Leipzig-Nordwest.
Fast marginal muss man sich angesichts dessen ebenfalls fragen dürfen, ob eine FDP-Politik realer wird, wenn diese Partei in Sachen „Atom“ oder „Mindestlohn“ jene Parteien grüner bzw. linker überholt, die bislang diese Themen besetzten. Sind wir ein Volk, das sich auf so plumpe Weise in so viele Sackgassen regieren lässt? Wir brauchen heute weniger einen verantwortungsvolleren Umgang der Politiker mit dem Volk, sondern vor allem des Volkes mit der Politik, war jüngst zu lesen Das hat in Sachsen übrigens Tradition: schon das Glaubensverständnis der Herrnhuter, wie es Zinzendorf formulierte, hatte viel mit eigenen Erfahrungen zu tun. „Die Herren Theologi haben sich müde geredet“, schrieb er. Jetzt sei die Zeit der Laien gekommen: der Pfarrer sei keine unanfechtbare Autorität. Nebenbei – das BVerfG meint: „Meinungen sind Ergebnisse rational wertender Denkvorgänge ohne Rücksicht auf die Qualität des Denkvorgangs.“
Was aber begibt sich? Da nimmt einer, der ebendiese Partei als Arbeitgeber hat, die Wertigkeit des Postings als Staatsaffäre und lenkt ebenso detailverliebt wie rhetorisch schlecht ab, sekundiert von Johannes Lohmeyer, dem Dresdner Kreischef eben jener Partei, der schließlich mangels Argumenten erst selbstgerecht abwiegelt, dann um sich beißt und verschwindet. Getroffene Hunde bellen heute nicht mehr nur.
Abgesehen davon, dass solches Verhalten das des gewesenen Bundeschefs imitiert (laut Christian Hacke agiere Westerwelle zugleich selbstgerecht auftrumpfend und feige wegduckend; er sei der bornierteste Außenminister seit von Ribbentrop) – was für ein Verständnis von Meinungsfreiheit, demokratischer Kultur und Umgang mit kritischen Publizisten scheint hier auf, ja was für eine realitätsferne Borniertheit gegenüber den Wählern? Oder noch schärfer: was für eine dünkelhafte Besatzermentalität gegenüber kritischen Stimmen aus Ostdeutschland kommt hier im Jahre 21 nach der Wiedervereinigung zum Vorschein? Wie viel Angst hat da jemand, selbst in einem publizistisch nicht professionellen „Social Medium“? Und vor allem: wie selbstgerecht muss jemand sein, der auf seiner Website beansprucht, nur Kommentare zuzulassen, die „auf Beschimpfungen und persönliche Angriffe verzichten“, aber selbst genau diese kommunikativen Mittel nutzt?
Muss man sich nun als promovierter Germanist, Autor mehrerer wissenschaftlicher Aufsätze und diverser Lehrmaterialien sowie als Betreuer von über 70 Diplomanden von einem Hotelier als „pseudointellektueller Dummschwätzer“ diffamieren – und von diversen Personen darauf ansprechen lassen?
Muss man sich als Publizist, der seit 28 Semestern am Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden Fernsehjournalismus lehrt (von den anderen Hochschulen und journalistischen Fächern gar nicht zu reden) und dessen Studenten heute vom MDR über den RBB oder das ZDF bis hin zu n-tv arbeiten, von einem lokalen Parteifunktionär als „zweitklassiger Gossenjournalist“ beschimpfen – und von diversen Personen darauf ansprechen lassen?
Und muss man sich als Gründungsredakteur von zwei Radiosendern, als CvD eines Fernsehsenders, als Studioleiter eines Fernsehausbildungsstudios sowie als Produzent des ersten ostdeutschen Universitätsfernsehens und des ersten deutschen Fernsehmagazins in obersorbischer Sprache mit insgesamt vier Fernsehpreisen von einem Lokalpolitiker als „Versager“ verhöhnen – und von diversen Personen darauf ansprechen lassen?
Schon Lasalle erkannte, dass alle politische Kleingeisterei im Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist, besteht. Und durch Güte ist Recht nicht herzustellen. Also klage ich, dankenswerterweise mit Unterstützung des DJV, dem am Image seiner Mitglieder gelegen ist, gegen diese Äußerungen auf Unterlassung. Über das Resultat informiere ich hier.
Ok, da sich offenbar niemand bereit erklärt, Herrn Dr. H.’s Blogeintrag zu kommentieren, während man diesen Vorgang u.a. auf flurfunk oder auf meinem facebook-Profil kräftig diskutiert, poste ich hier doch einen Kommentar zu Herrn Dr. H’s Blog (den ich allerdings nicht gelesen habe, da ich Augenkrebs für eine durauchs ernstzunehmende Krankheit halte). Demzufolge begnüge ich mich mit dem O-Ton, den ich flurfunk gegeben habe. Mehr Zeit sollte man verkrachten Existenzen auch nicht widmen, dafür ist das Leben einfach zu kurz. Also hier mein O-Ton zu obigem Geschwurbel: “Texte dieser länge lese ich nur, wenn sie entweder einen gewissen Erkenntnisgewinn versprechen oder zumindest einen gewissen Unterhaltungswert haben. Bei diesem Blogeintrag wurde mir nach dem Lesen der ersten drei Sätze allerdings klar, dass keines der beiden Kriterien erfüllt werden würde. Vielmehr musste ich das in letzter Zeit sehr häufig anzutreffende medizinische Phänomen wahrnehmen, dass beim Verfasser während des Schreibvorgangs offenbar die Galle die Funktion des Gehirns übernommen hat. Sich in solche Machwerke zu vertiefen, bedeutet in letzter Konsequenz eine einzige Zeitverschwendung. Der angekündigten Klage sehe ich mit der dementsprechenden Gelassenheit entgegen.”
Was für ein offensichtlicher Widerspruch: nach Selbstkundgabe so routiniert als „Dozent – Trainer – Journalist“ – auftreten und dann diese Worte veröffentlichen: „… Da poste ich als Privatier auf Facebook …“.
Das hinterlässt bei mir – unterstützt durch all die Verweise auf vergangene Erfolge, durchs Verstecken hinter Zitaten historischer Größen – den bitteren Eindruck des bellenden (weil getroffenen) Hundes.
Wieso ist das ein Widerspruch? Was ich hier auf meiner „offiziellen“ Seite blogge, kann mit meinen privaten Facebook-Aktivitäten zu tun haben, muss aber nicht. Zu den Problemen „FDP“, Parteiendemokratie etc. habe ich mich hier genug geäußert; es wäre den Liberalen zu viel der Ehre.
Und die Verweise – nebst der Zitate, die man wissenschaftlich übrigens zur Bestätigung, Konterkarierung, Exemplifizierung usw. der eigenen Ansichten bemüht, nicht aber zum Verstecken hinter denselben – sollen nur die Armseligkeit der Lohmeyerschen Diffamierungen unterstreichen. So ist die FDP inzwischen auch als Partei der Titelerschwindler enttarnt. Wenn jetzt ungestraft als „Versager“ genannt werden darf, der KEINE kriminelle Energie auf seinen Titel und sein Fortkommen verwendet hat, dann sind ja wohl sämtliche Relationen außer Kraft gesetzt.
[…] ein sehr lesenswerter Artikel über politische Glaubwürdigkeit. Sendungsbewusstsein attestiert sich der Dozent da zu Recht. Er […]
Guten Tag Herr Dr. Hartung,
auch wenn wir bezüglich der Kausalität in dieser Sache vermutlich immer noch unterschiedlicher Meinung sind – ich bin froh, dass wir uns heute vor Gericht so geeinigt haben, dass wir beide ohne Gesichtsverlust damit leben können.
Ich für meinen Teil nehme aus der Geschichte die Erkenntnis mit, dass man lieber aus einer Diskusssion aussteigt, die weitgehend sinnlos ist, ehe man sich zur persönlichen Herabwürdigung des Gegenübers verleiten lässt.
In diesem Sinne: Ihnen alles Gute und beste Grüße.
Johannes Lohmeyer
[…] ein sehr lesenswerter Artikel über politische Glaubwürdigkeit. Sendungsbewusstsein attestiert sich der Dozent da zu Recht. Er […]