Fack ju Schbrache
8. Dezember 2013 von Thomas Hartung
Ich bestreite es ja gar nicht. „Fack ju Göhte“ ist, nein, nicht der beste, wohl aber der erfolgreichste Film des Jahres. Ob oder wegen Aussagen wie diesen, sei zunächst dahin gestellt:
„Gib zwei Euro. Ich muss Guthaben kaufen.“
„Ey, red ma’ höflich, du Opfer.“
„Heb dir das Gelutsche für die Kundschaft auf. Wo ist die Kohle?“
„Halt Fresse und gib mir den Nagellack.“
„Geh putzen, und danach kannst du mir einen blasen.“
Die Handlung ist ein „routiniert gebauter Schwachsinn“ (v. Uslar), mit einem Kommentator: „Ein proletarisches Fusselhirn allererster Güte und eine an ihr pädagogischen Ethos gebundene Heulboje auf Liebesentzug schweißen eine Klasse asozialer Arschlochkinder zusammen und erkennen dabei, was wirklich zählt im Leben.“ Dafür können die Schauspieler nichts, allen voran Karoline Herfurth, mit der ich auch mal spielen würde…
Nun gut. Was ist das Problem? Für mich ist es der Umgang mit der Sprache, damit der Kultur – Sprachkultur, Schulkultur, Schülerkultur… – der hier in einer Weise ad absurdum geführt wird, die jedem halbwegs kulturvollen Zeitgenossen erst die Schames- und dann die Zornesröte ins Gesicht treiben muss. Und nicht nur mir, auch anderen Kommentatoren, die ich in gewohnter Weise einarbeite.
Nach Ansicht Moritz von Uslars in der ZEIT geht es den Autoren des Films darum, beim jugendlichen Zuschauer mit der denkbar brachialsten Sprache um Vertrauen zu werben: „Wir kennen dich. Wir wissen, wie du und deine Freunde miteinander reden, und wir sprechen dieselbe Sprache. Also lehn dich zurück, und genieß diesen Film.“ Das ist genau dieses sozialarbeiterische Dogma (oder Credo): „Wir holen dich dort ab, wo du bist; um Himmels beweg dich nicht, es könnte ja die falsche Richtung sein.“ Also am untersten Sprachniveau ansetzen, ein grammatisch sehr entspanntes Idiom sprechen und damit dem großen Trend der Vereinfachung folgen: Artikel werden weggelassen, Fallendungen abgeschliffen, der Konjunktiv wird gar nicht, Präpositionen beliebig verwendet.
Was soll das? Deutsch ist zu vernachlässigen, wir verstehen uns schon irgendwie? Sprachlevels und Sprachkulturen benötigt man angesichts jenes Einheitsbreis, der politisch in Berlin schon lange angerührt wurde und jetzt offizialisiert wird, sowieso nicht mehr? Entweder bin ich Babo und fordere Geld, Sex oder sonstige Dienstleistungen (wenn ich sie mir nicht einfach nehme) oder ich bin Opfer und muss dieselben liefern? Was spiegelt dieser Film für einen Trend – und ich nehme mal nur „meine“ Branche?
Vor 2 Jahren ergab die Umfrage „Kommunikationsbranche 2010 – Fakten, Erwartungen und Trends“, für die die Wirtschaftspsychologische Gesellschaft München 477 Unternehmen befragte, dass auf einer Liste mit 17 Indikatoren für „Mitarbeiter-Auswahlkriterien“ die Kriterien „Studium“ und „Abschlussnoten“ gerade noch auf den Plätzen 12 und 13 landeten (22.03.2013). „Deutschkenntnisse“ dagegen rangieren nach „Leidenschaft“ an zweiter Stelle, gefolgt u.a. von Sozialkompetenz und Kreativität. „Deutschkenntnisse der Bewerber sind von herausragender Bedeutung für die Entscheider. Das deckt sich mit den Meldungen aus anderen Branchen, die ebenfalls desaströse Deutschmängel bei Bewerbern beklagen“ (ebd.)
Im Oktober 2012 schreckte ein „SPIEGEL“-Interview mit dem Bayreuther Altphilologen Gerhard Wolf nicht nur die Kommunikationsabteilungen deutscher Unternehmen auf. Wolf hatte andere Professoren zur Studierfähigkeit ihrer Studenten befragt – und von 70 Kollegen vernichtende Urteile wie die folgenden erhalten:
– „Die mangelnde Studierfähigkeit zeigt sich vor allem in der stark unterentwickelten Fähigkeit, kompetent und souverän mit der (deutschen) Sprache umzugehen.“
– „Konjunktive schwinden aus den schriftlichen Arbeiten ebenso wie zunehmend alle Zeitformen jenseits des Präsens.“
– „Der aktive Wortschatz schrumpft auf wenige hundert Ausdrücke, die penetrant wiederholt werden.“ (18.03.2013)
Zuletzt bekräftigte die „GWA-Studie zum Agenturnachwuchs“ im Januar 2013 einen Schwund an Textkompetenz: „Gerade in den Bereichen Strategie, Online und Text haben die Agenturen Schwierigkeiten, Nachwuchs mit gewünschtem Qualifikationsniveau zu rekrutieren.“ (22.03.2013)
Nach einer teilweise noch unveröffentlichten Studie der Universität Duisburg-Essen betrifft das inzwischen sogar Lehramtsstudenten „Deutsch“. Die Forscher haben Lehramtsstudenten dreier nordrhein-westfälischer Hochschulen jeweils zwei verschiedenen Tests unterzogen. Mit dem ersten wurden die allgemeinen Sprach- und Rechtschreibfähigkeiten von fast 2900 Studenten geprüft. Dabei erwies sich jeder fünfte angehende Lehrer als stark oder sehr stark förderbedürftig. Im zweiten Test, an dem fast 300 Studenten teilnahmen, sollte ein Zeitungsartikel mit eigenen Worten zusammengefasst werden. Jeder achte künftige Pädagoge gebrauchte dabei vielfach Wörter im falschen Sinnzusammenhang, mehr als jeder dritte machte häufig Grammatikfehler. Studierende mit Migrationshintergrund, die noch schlechter abschnitten, sind dabei nicht mitgerechnet. „Der Test war leichter als eine Abituraufgabe“, sagt Studienautor Dirk Scholten-Akoun (vgl. SPIEGEL, 49/2013).
Uslar ficht das alles nicht an – ich behaupte, er kennt diese Befunde gar nicht. Entsprechend würdigt er die Autorität des Aushilfslehrers, der nur bis zur achten Klasse zur Schule ging („Das war meine Crackphase“), deswegen, weil er,
„wenn die Konflikte hart auf hart kommen, die härtere, bösere, asozialere, verbotenere Sprache spricht als die Schüler selbst. Die Maßregelung eines Krawallbruders lautet: „Achte auf deine Ausdrucksweise, du Wichser.“ Einer pubertären Schülerin empfiehlt er: „Friss nicht so viel. Oder willst du als Jungfrau sterben?“ Der Lehrer, der kein Lehrer ist, sagt seiner Schulklasse: „Ihr seid Abschaum. Und jetzt Fresse halten und sitzen bleiben, bis es vorbei ist.“
Vollends vorgeführt wird das Ideal zivilisierten pädagogischen Umgangs, wenn der Lehrer mit einer Paintball-Kanone auf seine Schüler schießt: „Durchsetzen kann sich in dieser Welt der deutschen Problemschule nur der, der über die schwerste sprachliche Schusswaffe verfügt und nicht zögert, sie einzusetzen.“
EBEN NICHT!!! Mit der Paintball-Kanone ist eine Grenze überschritten, die ein Kommentator auf „moviepilot.de“ auf den Punkt bringt: „Es ist unlustig für einen aktiven Paintballer, wenn man mit ansehen muss, wie verharmlosend damit umgegangen wird. Es war sowieso sehr schwer, dass dieses Spiel in Deutschland anerkannt wird und ein Schuss direkt ins Gesicht ist alles Andere als lustig! Es gibt genug hirnlose Jugendliche, die so etwas dann nachmachen wollen und die Folgen bei einem Fehltreffer sind sehr schwerwiegend. Deshalb finde ich das sehr verantwortungslos – auch wenn ich jetzt dadurch als Nörgler angeschaut werde oder mit Dreck beworfen werde.“ Durchsetzen kann sich also nur der mit den besseren Waffen, die – wenn es halt Worte nicht mehr bringen – nur noch verletzende „Taten“ sein können?
Dazu kommt: das Lehrerbild, das ebenfalls ein moviepilot-Kommentator auf den Punkt bringt „… einer der undankbarsten Jobs überhaupt. Stress ohne Ende, täglich mit zu vielen Kindern pro Klasse einen viel zu vollen Lehrplan abarbeiten, dabei über Provokationen hinwegsehen, Probleme der Schüler erkennen, sie erziehen, bilden, individuell fördern. Und das alles, während in der Öffentlichkeit ein Bild gezeichnet wird von verklemmten, stur nach Schema F vorgehenden Korinthenkackern mit Stock im Arsch, die auch noch viel zu viel Freizeit haben (Stichwort: nur vormittags arbeiten und dann auch noch ständig Ferien), eher weltfremd sind und dafür zu viel verdienen.“
Mag sein, dass der Film nicht den Anspruch hat, ein realistisches Bild eines Lehrers zu zeigen. Aber ich halte es für mehr als ärgerlich, wenn dadurch impliziert wird, jeder dahergelaufene Idiot könne Lehrer werden, wenn er nur cool genug ist oder Vorgaben missachtet – das ist die Bestätigung des neoliberalen Politikerbilds, bspw. ungelernte Hilfsarbeiter zu Staatssekretären mutieren zu lassen.
Natürlich ist ein Draht zu den Schülern wichtig – aber wie im Film gezeigt, nur noch traurig. Überhaupt gibt es keinen einzigen normalen Menschen in diesem Film. Zeki ist ein Betrüger, der – brutal, eklig – mit allem durchkommt. Die Schüler sind entweder die größten Assis aller Zeiten oder so süße kleine Engelchen, dass, wenn man sie aufschlagen würde, nur noch Schleim aus ihnen trieft. Alles ist so vollgepackt, so sehr übertrieben, bunt, laut, schrill und eklig, dass man sich irgendwann nur noch abwenden kann.
Der erfolgreichste deutsche Film…
„…die darüber lachen, besuchen vermutlich genau so eine Schule oder lachen, wie sie es auch tun, wenn sie eine Affenhorde im Zoo sehen, die Unfug macht.“