Keine Satire: „Karrierekiller Bundestag“
1. April 2014 von Thomas Hartung
Da ist wieder mal eine Studie erschienen, deren publizistische Verwertung durch den SPIEGEL an manipulativer Scheinheiligkeit nicht zu überbieten ist. Der Fakt: Kienbaum hat unsere Ex-Bundestagsabgeordneten nach ihrer „Anschlussverwendung“ befragt, 47 antworteten. Wesentliches Ergebnis: Knapp 15 Prozent waren fünf Monate nach der Bundestagswahl 2013 noch arbeitslos. Leider wird dabei nicht nach den Ursprungsberufen und der Parteizugehörigkeit differenziert, was den wissenschaftlichen Aussagewert durchaus schmälert. Aber die Tendenz ist mehr als deutlich.
Schon ein Satz bei der Vorstellung der Studienergebnisse lässt aufhorchen: Thorsten Alsleben, der Hauptstadt-Repräsentant von Kienbaum, „forderte die Fraktionen und die Bundestagsverwaltung auf, sich besser um die Berufsperspektive von Ex-Abgeordneten zu kümmern.“ Aha. Endlich ist der Bundestag, wofür wir ihn schon immer halten sollten: eine Institution wie viele andere auch, mit Neueinstellungen, aber auch Entlassungen. Und um diese Entlassenen solle man sich doch bitte sorgen. Darauf haben alle, die in der freien Wirtschaft ihren Job verloren, in den Jobcentern schließlich ebenso Anspruch: auf Beratung, Trainingsmaßnahmen, Umschulungen, Bewerbungskontrolle…
Die Perfidie dieser Forderung liegt nicht nur darin, dass das Übergangsgeld für Abgeordnete über 7000 € monatlich beträgt und zu Rentenbeginn nach bspw. 7 Jahren Bundestag ein Betrag über 1600 € lockt. Die Perfidie liegt aktuell auch darin, dass sich die Abgeordneten kürzlich eine Diätenerhöhung von 10% mit der Begründung genehmigten, dies müsse sein, weil die Abgeordneten sonst in die freie Wirtschaft wechseln. Wie die Studie zeigt, ist das Gegenteil richtig: die freie Wirtschaft kann mit Abgeordneten gar nichts anfangen.
Autor Alexander Neubacher nun nahm die Studie zum Anlass für eine Geschichte unter dem Titel „Karrierekiller Bundestag“. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wenn also Fachkräfte wie der ungelernte Hilfsarbeiter Jan Mücke (FDP) in den Bundestag gelangen und danach als vorgeblich selbständiger Immobilienverwalter arbeiten, dann ist der Bundestag ein Karrierekiller?
Mit keinem Wort wird hier thematisiert, dass im gegenwärtigen Politikzirkus das Leistungsprinzip ausgehebelt ist. Darum hüten sich ebenso gut ausgebildete wie intelligente Menschen in großer Mehrheit, sich diesen Zirkus freiwillig zu geben. Sie aber hätten die größten Chancen, nach einer politischen Auszeit wieder tätig zu werden. Wer dagegen von vornherein nur als schlecht oder gar nicht ausgebildeter „Parteisoldat“ in die Politik geht, muss natürlich damit rechnen, am Ende der Politik schlechte Voraussetzungen für einen neuen Anfang zu haben – aber genau diese Parteisoldaten sind es, die gegenwärtig an den Hebeln der Macht sitzen. Ein Bewerbungstraining für einen Jan Mücke hätte eben darum keinerlei Effekt, weil es keine Substanz gibt, die man trainieren könnte. Vor 12 Jahren sah das dasselbe Medium noch selbst ein: „Vielen Hinterbänklern mangelt es erschreckend an Fachkompetenz.“ Das Problem ist nur, dass Mücke parlamentarischer Staatssekretär war…
Die eigentliche Frage muss also lauten: wie können solche Personen überhaupt in den Bundestag gelangen, der sich dann zwar nicht als Karriereturbo, wohl aber als Geldvermehrungsturbo erweist? Und also muss die nächste Frage lauten, wie eine solche Überschrift zustande kommt, obwohl es in Wirklichkeit um die Betrachtung von Personen geht, die das verflossene Mandat dann als Geldvermehrungskiller ansehen? 70 Prozent der Befragten haben durch den Mandatsverlust Einbußen zu verkraften, so Kienbaum. Jeder Fünfte verdiene jetzt weniger als 30 000 Euro im Jahr – angeblich das deutsche Durchschnittsbrutto für Vollzeitbeschäftigte. Aber solche Fragen zu stellen ist ja verpönt, abgesehen davon, dass ich als promovierter Dozent auch gern mal 30 000 Euro im Jahr verdient hätte…
Da wundert allerdings auch nicht, dass die Mehrheit der Befragten auf den Politbetrieb nicht gut zu sprechen ist. Drastisch und medienwirksam hatte das seit 2006 die Ex-SPD-Abgeordnete Lilo Friedrich thematisiert, die nach rund 100 fehlgeschlagenen Bewerbungen in die Selbstständigkeit als „Putzfee“ ging:
„Ich habe Hartz IV mitentschieden. Aber wir müssen viel genauer hinsehen, wen es trifft und wie. Denn es ist ja keine Arbeit da, in die man die Leute bringen könnte.“
Eben. * Ein Diplom-Medizinpädagoge wie Jens Ackermann (FDP), immerhin im Gesundheitsausschuss des Bundestags, hat tatsächlich eine Stelle gefunden, die seiner Qualifikation entspricht: als Notfallsanitäter. * (Ironiemodus aus) Nicht in seiner eigenen Firma auf dem freien Markt, den die Liberallala ja nicht aufhört zu beschwören, dem auszusetzen sie sich aber wenn irgendmöglich verweigert. Nein, in der Firma seines Vaters. Soviel zum Fachkräftemangel in diesem Land. Aber immerhin: ein Taxifahrer ohne Schulabschluss konnte nach seiner Entlassung als Minister sogar Professor in Princeton werden – ganz ohne dass sich jemand um ihn kümmern musste…