Gut, nicht von mir, sondern von Christian Schüle, erklärt zum Mainzer Mediendisput 2008. Aber es tut sehr, sehr gut zu erleben, wie auch andere – konsternierte bis kotzende Kollegen – über das Niveau dieser „Erregungsgesellschaft“ reflektieren. Schüle, preisgekrönt (u.a. „Zeit“, „National Geographic“, „mare“), giftet in 10 Thesen über die allgegenwärtige Boulevardisierung des deutschen Journalismus, die als Trias mit Trivialisierung und Infantilisierung zur Atomisierung des Weltbilds geführt habe. Seine Kernsätze finden sich in der 6. These:
Der Boulevard ist eine perfekt entworfene und stets bestens gewartete Hysterie- und Trivialisierungsmaschinerie der Republik. Er ist die postmoderne Heldenschmiede einer heldensüchtigen Gesellschaft in ihrer ganzen unheroischen Gleichgültigkeit. Mehr noch: der Boulevard ist die psychohygienische Reinigungsindustrie der Erregungsgesellschaft mit garantierter Romantikgrundversorgung.
Das bedeutet zweierlei. Zum ersten: die durchboulevardisierte Gesellschaft ist eine Gesellschaft in Zeitnot: sie wird durch gewollte Impulsüberflutung am Räsonnement gehindert. Griechische Zustände werden bei uns noch lange auf sich warten lassen. Zum zweiten, und das finde ich erheblicher, werden dadurch Nebensächlichkeiten atemlos geadelt, Banalität moralisch hochgerüstet, und daraus resultiere die organisierte Entpolitisierung einer Gesellschaft. Das betriebene Verschwinden des Politischen durch die Kriterienlosigkeit, die Auflösung von Öffentlichkeit und Privatheit, durch die Promotion des Kitsches und Klischees: die Beiläufigkeit alles Scheinbaren wird zum maßgeblichen Kriterium.
Das mag man gut oder abscheulich finden (ich neige zu letzterem), aber es tangiert eigentlich „nur“ die Informationsproduzenten, Meinungsproduzenten, Unterhaltungsproduzenten…
Diesem Pol ist natürlich gegenüber zu stellen der Pol der Rezipienten. Und dem widmet sich (gemeinsam mit Markus Metz) in 780seitiger Ausführlichkeit einer der kenntnisreichsten deutschen Feuilletonisten: Georg Seeßlen. Titel des verdummungskritischen Manifests: „Blödmaschinen: Die Fabrikation der Stupidität“. Ich bin begeistert, zunächst. Eine engagiertere Analyse der kulturellen Dynamik des Neoliberalismus las ich nie: „Wenn man an die Kraft der Kritik glaubt, sind es immer noch Bücher wie dieses, die die Verhältnisse zum Tanzen bringen.“ (Nils Markwardt, Literaturen 04/2011). Die Kernsätze finden sich hier bereits im Klappentext:
„Diese Gesellschaft verwandelt sich von einem System, das von sich selbst nichts wissen kann, über ein System, das von sich selbst nichts wissen darf, in ein System, das von sich selbst nichts wissen will.“
Das ist das eine. Das andere ist des Autorenduos ebenso messerscharfe wie deprimierende Analyse ebenjener durchboulevardisierten Erregungsgesellschaft, ihrer Impulsgesten, ihrer sozialen Wettkämpfe, ihrer strategischen, überflußgeborenen Verblödung; gipfelnd in der Dualität der glücklichen Dummheit und leidenden Klugheit, die sie selbst als „mythisches Bild“ ansehen: „Jedes soziale System … wird am Ende an den nützlichen Idioten zugrunde gehen, die es produziert.“
Und eben an dieser Stelle kippt meine Begeisterung. Wie käme ich dazu, wegen zu vieler „nützlicher Idioten“ unterzugehen? Wie käme ich dazu, die Angriffe der Infantilität, der Obszönität und der hemmungslosen Regression kampflos zu erdulden? Wie käme ich dazu, Dummheit zu akzeptieren, weil sich in ihr die Frage nach dem Sinn nicht mehr stellt?
„Wir sind gar nicht gegen den Kapitalismus, wir haben ihn nur satt“ (S. 186) ist ein logisches Statement. Aber wofür sind wir dann???