„Das Leben lieben und den Tod nicht fürchten“
31. Juli 2011 von Thomas Hartung
Schon das zweite Posting hintereinander anlässlich eines Todesfalls – die Abschiede werden mehr und überwiegen die Ankünfte… Aber anders als mit Amy Winehouse‘ Musik verbinde ich mit Michael Cacoyannis viel mehr: einen der besten Filme aller Zeiten, mit einigen der besten Schauspieler aller Zeiten, eine kongeniale literarische Vorlage, eine grandiose Musik, dazu Reisen, Landschaften – und nicht zuletzt Lehrveranstaltungen. Das klingt chaotisch und will enträtselt sein.
Wenn ich eine Weile die Topmeldungen der Leitmedien nicht verfolge, ist manchmal sogar das Internet langsam: ich bekam die Nachricht vom Tod des sehr zu Unrecht vergessenen Filmemachers erst gestern mit – und konnte nicht anders, als mir prompt „Alexis Sorbas“ in den DVD-Rekorder zu legen. Ich hatte zuerst Nikos Kazantzakis‘ Buch gelesen, das in der DDR in gediegener Ausstattung erschienen war und sehr lange mein Griechenlandbild prägte. Dann, irgendwann, ich weiß nicht mehr unter welchen Umständen, der Film, den ich seither mehrfach gesehen habe. Intellektueller und Lebenskünstler, Geist und Körper, so intensiv, so kraftvoll: „Du willst keine Schererei? Was willst du denn sonst? Das ganze Leben ist eine Schererei, der Tod ist es nicht.“ Die Steinigungsszene, mit der geheimnisvollen Irene Papas. Die Seilbahneinsturzszene, mit dem bemitleidenswerten Alan Bates. Und natürlich die Schlusszene am Meer, mit dem unvergleichlichen Anthony Quinn – die Essenz eines Dramas von 142 Minuten in einem Glücksmoment. Und dazu jene Musik von Mikis Theodorakis zu jenem Tanz, den Cacoyannis eigens für den Film erfand, weil Quinn zu faul war, die komplizierten nativen Tänze zu lernen…
Zunächst zur Musik: Cacoyannis „Hauskomponist“ Mikis Theodorakis wurde in der DDR leider instrumentalisiert; vor allem 1981 die Berliner Welt-Uraufführung seines „Canto General“ (Text: Pablo Neruda). Ich erfuhr erst später, dass er auch die Musik für Filme wie „Z“ und „Serpico“ schrieb; viel früher dagegen lernte ich, dass es eine Zeit in seiner Heimat hab, in der man für das Singen seiner Lieder mit Gefängnis bestraft wurde. Und obwohl seine „Zorbas“-Musik sicher unerreicht bleiben wird, gab es zwei mutige Nachahmer: das gleichnamige Broadway-Musical von John Kander (ja, das war der, der auch „Cabaret“ schrieb), und 2010 wurde in Ingolstadt ein weiteres mit der Musik von Konstantin Wecker aufgeführt.
Der Stoff – als Film, als Buch, als Musik… – war immer präsent in mir; warum, ist wohl eine Frage, die eher Psychologen enträtseln können. Ich war 1998 erstmals in Griechenland (seitdem noch viermal), ich liebe Imiglykos und Souflaki. Ich habe 1999 Zypern besucht, auch Limassol, fand aber weder Cacoyannis Geburtshaus noch ihn selbst… Ich hatte inzwischen auch „Electra“, „Iphigenie“ (beide mit Irene Papas) und „Die Troerinnen“ (mit Katharine Hepburn und Vanessa Redgrave) gesehen. Was für ein malerisches Landschafts- und Raumgefühl! Wie konnte der Mann inszenieren! Unvergesslich, wie die Papas als Electra ihre langen schwarzen Haare mit einem Messer abschneidet und zum Zeichen der Rache für ihren ermordeten Vater Agamemnon vor den Tempel wirft! Den Geist der griechischen Tragödien hat wohl kaum jemand in der modernen Zeit so kongenial filmsprachlich umgesetzt.
Aber trotz diverser Nominierungen – oscarprämiert wurde nur „Sorbas“. Doch von den drei (! das hat kein Grieche vor oder nach ihm geschafft) Goldmännern bekam Cacoyannis selbst keinen. Auch nicht Anthony Quinn. Den bewunderte ich seit meiner Jugend, denn Filme wie „La Strada“ oder erst recht „Der Glöckner von Notre-Dame“ wurden auch in der DDR gezeigt. Einen bekommen hat dagegen (neben „Szenenbild“ und “beste Nebendarstellerin“) der 1926 in Berlin geborene Walter Lassaly: für die Kameraführung! Und genau diese Kameraführung war für mich so beispielhaft, dass ich nicht anders konnte als sie – vor allem die Fahrten – für meine Magdeburger Studenten in der Vorlesung zur Bewegtbildästhtetik als leuchtendes Beispiel zu analysieren. Ende der 90er hat sich Lasally dann an dem Ort niedergelassen, dem er seinen größten Triumph verdankt: in Stavros auf Kreta. Hier wurde die Tanzszene gedreht, am Fuß des Sorbas-Berges, und in der Hauptstadt Heraklion (womit sich der Kreis schließt) blickt das Grab des literarischen Vaters der unsterblichen Figur, Nikos Kazantzakis, zugleich nach Norden, Richtung Meer, und Süden, Richtung Berge. Ich war (erst) im Sommer 2009 auf Kreta und habe beide Stätten besucht.
In einer Zeit, da der Ruf Griechenlands wie noch nie in der neueren Geschichte auf dem Spiel steht, soll die Erinnerung an den nun 89jährig verstorbenen Filmemacher wenigstens auf diesen kleinen von vielen einzigartigen Beiträgen der „Wiege der Demokratie“ zur modernen europäischen Kultur verweisen. RIP.