Schwere oder erschwerte Bildung? Das Dilemma „Leichter“ Sprache
3. Februar 2012 von Thomas Hartung
Nach Urlaub und Ankunft im neuen Jahr besteht an diversen politischen Wirrnis-Themen kein Mangel. Das beginnt nicht erst bei bundespräsidialem Gefälligkeitsregieren und endet auch nicht bei verfassungszerschützendem Abgeordnetenwatch (Dschungelcamp, FDP-Postengeschacher oder Menschenrecht auf Rendite fallen da laut Nachrichtenwerttheorie schon durch). In mir hat sich seit dieser Woche aber etwas anderes als Ärgernis breitgemacht. Etwas, das zugegebenermaßen unter dem Aspekt von „political correctness“ nicht ganz einfach zu diskutieren ist. Vielleicht bin ich da besonders hellsichtig, was bestimmt Entwicklungen angeht – aber ich empfinde da einen gefährlichen Trend.
Was ist gemeint? Jenes Phänomen namens „Leichte Sprache“. Es geht zurück auf ein 2006 gegründetes Netzwerk, dem u.a. die Bundesvereinigung Lebenshilfe oder die AWO angehören. In ihrem Selbstverständnis ist Leichte Sprache eine „besonders leicht verständliche sprachliche Ausdrucksweise“, die „vor allem Menschen mit geringen sprachlichen Fähigkeiten das Verständnis von Texten erleichtern“ soll und „damit eine Form der Barrierefreiheit“ darstellt. Laut Internetpräsenz ist Leichte Sprache „besonders wichtig für Menschen mit Lernschwierigkeiten“, aber auch gut für alle anderen Menschen, etwa „Für Menschen, die nicht so gut lesen können. Für Menschen, die nicht so gut Deutsch können.“
So weit so gut. Oder so schlecht? Dass man dem Volk aufs Maul schauen solle (Luther), dass Sätze gut seien, wenn sie in der Bibel, bei Brecht und in der Bild stünden (Schneider), dass… derlei Verdikte gibt es viele. Das primäre Problem, für Menschen mit Lern-, Sprach- oder sonstigen kommunikativen Handicaps soziale Teilhabe zu bieten, und das sekundäre, Beamtendeutsch, Fachchinesisch oder Marketingdenglisch einzudämmen, finde ich durchaus zur Lösung anstehend.
Aber wo heute Probleme zur Lösung anstehen, werden sie meist durch andere ersetzt: Emergenz ist ein wesentlicher Aspekt postmoderner Systemtheorie. Und eins dieser neuen Probleme tut sich für mich auf bei der Drucksache 17/8485 – einem SPD-Bundestagsantrag vom 24. 01. 2012.
Der Antrag selbst – es geht um „Kultur für alle – Für einen gleichberechtigten Zugang von Menschen mit Behinderung zu Kultur, Information und Kommunikation“ – soll hier nicht diskutiert werden. Wohl aber, dass nach den 5 Seiten sich 27 (!) weitere anschließen, in denen dieser Antrag in Leichter Sprache abgefasst ist. Dabei sind u.a. Sätze zu lesen sowie Bilder zu sehen wie diese:
Wo soll das nun hinführen? Was heute als gutgemeinte Erleichterung für die Teilhabe von Menschen mit kognitiven Handicaps gedacht ist – wird morgen zum Standard für die Teilhabenden an der Bildungsmisere, die für die Aufnahme anspruchsvoller, komplexer „Infos“ nicht mehr befähigt sind? Welche parallelen Sprach- und Bildungswelten werden hier zementiert? Wo liegt die Grenze zwischen Handicap und Faulheit bzw. Lernunwilligkeit? Was hier aufscheint, untersetzt einmal mehr jenen „Kulturkampf“, den schon Schiller in seiner „Schaubühnenschrift“ auf den Punkt brachte: begibt man sich auf die Ebene seiner Konsumenten herab, um deren Geschmack zu bedienen; oder versucht man umgekehrt, sie auf seine zu heben? Für mich ist dieser Antrag, so sehr er vielleicht von Behindertenverbänden gefeiert wird, ein weiterer gefährlicher Schritt hin zu einer Bildungsbequemlichkeit, die Wissens- und Kompetenzunterschiede nicht beseitigen will, sondern auf anderem Niveau nur befestigt.