Dort, wo sich Meer und Himmel immer finden…
8. April 2012 von Thomas Hartung
Ich hätte es ahnen können… Natürlich ist es, wieder mal, ein Tod, der mich nachdenken lässt. Der Tod von einem, den ich einfach vergessen hatte. Klar, dass er das nicht wollte. Klar, es ist ihm gelungen.
Ich habe Heinz Kahlau nie persönlich getroffen. Sein Leben vor allem bis Mitte der sechziger Jahre gab dazu auch nicht unbedingt Anlass: Stasi-IM, Mauerbau bejaht… Aber: der Mann war ein Dichter im „Disneyland der Paranoia“ (Chris Lunch), oder eher „Neverland der Leichtigkeit“. Ein Dichter im besten Wortsinn, mit über 20 Bänden Lyrik.
Und: er war Texter. Wohl kaum gab es Dichter in der DDR, die nicht auch – gewollt oder ungewollt – für Rockgruppen schrieben. War es der Potenzierungswunsch von Wirkung? Viele davon sind heute unaufgearbeitet. Kurt Demmler († 2009) etwa, der ca. 10 000 Texte (manchmal drei täglich) für fast alles geliefert haben soll, was in der DDR ein Instrument in der Hand halten konnte; der mit den „Liedern des kleinen Prinzen“ eine der besten deutschsprachigen Platten aller Zeiten machte und – der mit unausgeräumter Pädophilen-Anklage im Gefängnis Selbstmord beging. Andere, ebenso unaufgearbeitete, teils noch lebende, sind auch noch, aber anders präsent: die leise Hildegard Maria Rauchfuß († 2000), die die Vorlage für „Am Fenster“ (City) lieferte, der intellektuelle Werner Karma, ohne den Silly einst und jetzt nicht denkbar ist, oder die geltungsstrebige Gisela Steineckert, die mit „Als ich fortging“ (Karussell/Dirk Michaelis) das Liebeslied in der DDR und zugleich das Wendelied der DDR schrieb.
Und Heinz Kahlau. Ich musste gestern, als Hans-Eckardt Wenzel bei FB die traurige Nachricht postete, sofort an Bayon denken. Nicht nur, dass diese deutsch-thailändische Gruppe aus Weimar so ziemlich das Exotischste bot, was sich der DDR-Rock leistete (und was als Musik letztlich auch im Oscar-prämierten „Das Leben der Anderen“ einfloss), nein, sie bot auch lyrische Lieder, die man einfach nur anhören und sich dabei wegträumen konnte. Und eins davon war ein „Kahlau“:
VERMISCHUNGEN (1977)
Da sind sie aufeinander zu gekommen,
wie Meer und Himmel, die der Sturmwind jagt.
In ihrer Brandung sind sie hingeschwommen
und haben nicht nach Ort und Zeit gefragt.
Sie waren ganz in ihrem Kuss vergangen,
so, dass der eine auch der andere war.
Sie war in ihm und er in ihr gefangen.
Sie wurden eine Haut, ein Herz, ein Haar.
Dort, wo sich Meer und Himmel immer finden,
ist die Vermischung laut und voll Gewalt.
Doch in den höchsten Höhen, tiefsten Gründen,
sind Meer und Himmel weiter still und kalt.
Schlicht. Romantisch. Berührend. Heute dagegen… wem fällt en passant der Name eines reflektierten deutschsprachigen – und wirkungsmächtigen Texters ein? Grönemeyer, ok, Judith Holofernes, ok, Maffay mit Abstrichen… und dann? Es ist Beliebigkeit für mich; einerlei, ob Zweiraumwohnung, Peter Fox, Fanta 4… es bleibt alles Ufer und wird nicht mehr.
Er textete nicht so viel weiter, der Heinz Kahlau, Bayon natürlich, Karat, Übersetzungen von Bergendy… Aber es war ein Zauber um diese Texte, seine, und die der anderen. Sie waren echt. Tief. Authentisch. Sie waren manchmal auch herausfordernd, metapherndurchströmt, zensurantizipierend. Trotzdem: sie waren Verweigerungs-, Sehnsuchtsräume, die beim Suchen, Finden, Überstehen halfen. Die heute noch mein Herz umschmeicheln, trösten, von Heimat künden. Aber sie werden halt immer weniger, die Künder…
Weißt du?
Weißt du, dass Pfirsichblüten
innen traurig sind?
Sie haben nämlich in der Nacht
geweint,
weil sie so Sehnsucht hatten
nach dem Wind
und nach der Sonne,
die doch nachts nicht scheint.
Weißt du,
dass so auch deine Augen sind?
Ich hab dich sehr gern gelesen. Und gehört. Du hast mir geholfen. RIP.
„riskieren Sie mehr“. Mein Nachruf auf Heinz Kahlau. Er wurde zu meinem schärfsten Kritiker. http://www.christiandinse.de/blog/2012/04/09/riskieren-sie-mehr-nachruf-auf-heinz-kahlau/