So geht Sprache
11. August 2013 von Thomas Hartung
Dieser Tage ist die neue, von Ketchum Pleon kreierte Imagekampagne Sachsens unter dem Slogan „So geht sächsisch“ gestartet. Nicht zuletzt auch in sozialen Netzwerken hatte sich schon im Mai eine mehr oder weniger sachliche Diskussion mit negativem Grundtenor zum Teil um mehr als nur um Sinn und Unsinn des Slogans entsponnen. Der war sogar der „taz“ ein – nennen wir es mal – Themenfeature wert, in dem auch kritische Stimmen aus der Dresdner Koalition zitiert wurden. Die folgende linguistische Analyse prüft, worin diese Negativität begründet ist. Ich hatte sie bereits vor Wochen geschrieben und noch ein wenig ergänzt.
Schon syntaktisch scheint mit dem 3-Wort-Satz etwas nicht zu stimmen. Der Punkt am Ende deutet auf einen Aussagesatz. Aussagen nun werden im Deutschen mehrheitlich in der Bauform Subjekt – Prädikat – Objekt (SPO) getätigt: „Ich liebe dich“. Aus der Schulgrammatik wissen wir: Subjekt ist, was mit einer „Wer (oder was)“-Frage erfragt bzw. durch das Fragewort „Wer“ ersetzt werden kann (falls eine Person bezeichnet wird). Bei „wer/was geht sächsisch?“ trifft das auf „so“ nicht zu. Mit der grammatischen fast untrennbar verbunden ist die semantische Rolle als Agens, die einen bewusst handelnden „Verursacher“ in der vom Verb bezeichneten Situation, in der Regel eine Handlung, kennzeichnet. „So“ als Agens aber kann eine Handlung wie „gehen“ nicht verursachen. Hinzu kommt, dass das Verb im Präsens Aktiv etwas Andauerndes, Geschehendes („Gehendes“) ausdrückt, aber der Modus uneindeutig bleibt: der Punkt legt den Indikativ nahe – aber ein auch mögliches Ausrufezeichen führte zum Imperativ.
Damit korreliert das Prinzip des Satzgegenstands und der Satzaussage, die einen Kommentar über den Gegenstand und damit in der Regel die neue Information liefert. Dieser Zusammenhang, dass die neue Information typischerweise am Satzende steht, ist im Deutschen jedoch schwach ausgeprägt: es besitzt so viel Wortstellungsfreiheit, dass nahezu jedes Satzglied an den Satzanfang geholt werden kann. Das hat zunächst damit zu tun, dass deutsche Sätze verschiedene „Felder“ aufweisen, die unterschiedlich „bestellt“ (sprich besetzt) sein können und durch eine „Verbklammer“ eingerahmt werden: Vorfeld, linke Klammer (finites Verb, Hilfsverb), Mittelfeld, rechte Klammer (infinites Verb, Präfix), Nachfeld. Im Aussagesatz „Darum ׀ könnte ׀ das den Sachsen ׀ gelingen ׀ in dieser hektischen Zeit.“ sind alle Felder besetzt, die Stellung der finiten Verbform (an zweiter Stelle) deutet auf einen Kernsatz. Diese Deutung legt auch „So geht sächsisch“ nahe – mit einem entscheidenden Unterschied. Im Vorfeld kann fakultativ beliebiges Material platziert werden, das entweder als gegebene Information aus dem Kontext aufgenommen (ein sogenanntes Topik) oder als Kontrast hervorgehoben werden soll. Diese Voranstellung, die Besetzung des Vorfelds durch ein Satzteil wird (etwas ungenau) auch als „Topikalisierung“ dieses Satzteils bezeichnet. Außer dem finiten Verb können fast alle Arten von Satzteilen dafür verwendet werden, vor allem Lokal-, Temporal-, Modal- oder Kausal-Angaben. Es gibt aber auch Sätze, in denen sich im Vorfeld ein sogenanntes Expletivum befindet, das eine reine „Lückenbüßer-Funktion“ hat: „Gestern war Peter in Dresden. Es begegnete ihm niemand.“ Unser „so“ scheint irgendwie dazwischen zu liegen. Es ist zwar mehr als ein Lückenbüßer, aber auch weniger als eine Modalangabe, wie etwas zu tun sei; es ist eine wenig gebräuchliche Modifikativangabe, die daher umso mehr auffällt.
Die Topikalisierung nun beinhaltet neben ihrer (semantischen) Informations- auch eine syntaktische (Test)Funktion: die der Feststellung von innerhalb eines Satzes zusammenhängenden Wortgruppen. Man spricht von der Verschiebeprobe (Permutationstest). Wörter, die zusammen umgestellt werden können, ohne dass der Satz ungrammatisch wird, sind in der Regel Satzglieder. Unsere Permutationen lauten „Geht sächsisch so.“ bzw. „Geht so sächsisch.“. Auch das ist nichts Halbes und nichts Ganzes: jedes Wort ein Satzglied, nicht völlig ungrammatisch, aber die Permutationen changieren zwischen abstrakter Frage und vager Aussage, und vor allem scheinen sie ambivalent, ja negativ konnotiert (dazu gleich mehr).
Und spätestens an dieser Stelle drängen sich Überlegungen auf, wie denn nun „Sächsisch“ aufzufassen ist. Lexikalisch als Adjektiv – aber semantisch also als Eigenschaftswort? Sächsisch zu komparieren kommt sicher niemandem in den Sinn – ist Leipzig sächsischer als Dresden, und Chemnitz am sächsischsten? Was also bezeichnet eine Eigenschaft „sächsisch“? Die ersten Flutkampagnen-Plakate gaben die lapidare Auskunft „Zupacken ohne zögern“. Bayern, Bremer und Berliner machen das nicht?
Oder ist das Adjektiv syntaktisch als Objekt, als Satzergänzung anzusehen – aber als unflektiertes Objekt? Denn fragen wir jetzt ernsthaft „wer/was geht (so)?“, kann die Antwort nur lauten: Sächsisch. Damit würde das Adjektiv an letzter Stelle plötzlich zum Subjekt (im Nominativ)! Dann aber wäre „Sächsisch“ ein Abstraktum, ein „Ding“ und also substantivisch gebraucht, denn: Substantive sind Dinge, Verben dagegen die davon/damit gemachten Dinge. Nicht nur, dass es dann großgeschrieben werden muss (der Slogan wäre also orthographisch falsch). Nein, an dieser Stelle schließt sich nun der Kreis zum „so“: dieses Wörtchen konkurriert mit „sächsisch“ indirekt um die grammatische Rolle als Subjekt. Und dieser Streit wird im Slogan nicht entschieden.
Die Permutationen führen uns zum weiteren syntaktischen Aspekt der Vollständigkeit. Unser Slogan ist rasch als Ellipse zu identifizieren. Ellipsen bezeichnen das Auslassen von Satzteilen, aber auch Sätze mit Auslassungen, die sich mit Hilfe von sprachlichem oder situativem Kontext rekonstruieren lassen. Wir haben es hier mit einer situativen Ellipse zu tun, aber: während das Flutmotiv eine solche Situation wenigstens als komplementäres Bildmotiv anbietet, ist die spätestens in den Juli-Motiven (vier Landschaften, was dem Eigenschaftswort eine primär regionale Bedeutung unterstellt) nicht nur unrekonstruierbar (alle Motive sind frei von Menschen!), sondern auch beliebig. Wenn aber Rekonstruktionen zu keinem eindeutigen Ergebnis führen oder sie willkürlich oder gezwungen wirken, bleibt Unbehagen.
Die Uneindeutigkeit hat vor allem zu tun mit der Semantik des starken Verbs „gehen“ (im Gegensatz zu einem schwachen wie „bewegen“). Die primären, durchaus auch metaphorischen Bedeutungen kreisen um ein assoziatives Feld mit Konnotationen wie „sich schreitend, schrittweise fortbewegen“, „in eine veränderte Lebenssituation eintreten“, „einen Ort oder eine Zusammenkunft verlassen“, „einen anderen Ort aufsuchen, um dort eine mit einem anderen Verb beschriebene Handlung auszuführen“, „sich mit Ortsergänzung (durch eine Menge oder einen Körper) wellenartig fortpflanzen“ usw. usf. Linguistisch: „gehen“ ist primär ein Verb mit einer Direktiv-Ergänzung, und diese Verben geben eine Ortsveränderung von A nach B an (auch eilen, fliegen, laufen, springen…) Das Fragewort zu diesen Verben lautet gemeinhin „Wohin“.
Danach aber funktioniert unser „geht“ weder mit „so“ noch mit „sächsisch“. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen beruht es auf den sekundären, tertiären… Bedeutungen von „gehen“. Das Verb meint weiter – und das ist keine vollständige Auflistung – „funktionieren / funktionsfähig sein“, „viel gekauft werden“, „sich räumlich erstrecken“, „irgendwohin führen“, „im Gange sein, dauern“, „sich in der Ruhephase beim Gärprozess befinden, aufgehen, gären“, „akzeptabel sein, erlaubt sein, einen Rahmen einhalten“, „machbar sein“, „Aussage treffen über das Wohlbefinden oder den Gesundheitszustand“, „eine Beschäftigung oder Stelle aufgeben, kündigen“, „(planmäßig) abfahren, ablegen, abfliegen“, „eine partnerschaftliche Beziehung beenden“… Diese Vielheit wird im Slogan weder simplifiziert noch semantisiert – er bleibt unbestimmt. Bildsprachlich tritt hinzu, dass drei der vier Motive Wasser und Wasserfahrzeuge abbilden. Mit Dampfern und Booten aber „fährt“ man. Die Modifikativangabe legt mit dem Fragewort „wie“ sekundär eine modale Bedeutung nahe, bspw. langsam oder schnell. Auch hier gibt „so“ keine befriedigende Antwort.
Zum anderen beruht die Dysfunktionalität auf den verschiedenen Wortarten des Worts „so“. Es kann einerseits als Bindewort, Konjunktion identifiziert werden; aber andererseits auch als Adverb. Diese Nutzung ist hier favorisiert – semantisch allerdings wiederum nicht eindeutig:
– „So“ könnte eine durch Kontext oder Situation näher bestimmte Art, Weise eines Vorgangs, Zustands o.ä. kennzeichnen – aber diese Situation gibt es nicht. Es sei denn, der „Traumurlaub“ in vier verschiedenen Regionen rings um Dresden stellt ergänzend zum Slogan diese Situation her; aber das ist kaum die erste Assoziation, zumal zuvor „zupacken“ gelernt wurde.
– „So“ könnte ein durch Kontext oder Situation näher bestimmtes, verstärktes „Maß“ bezeichnen, in dem eine Eigenschaft, ein Zustand… vorhanden, gegeben ist. Aber „in welchem Maß“ geht sächsisch?
– „So“ könnte als Korrelat zu den Vergleichspartikeln „wie“ oder „als“ eine Entsprechung kennzeichnen. Aber womit ist „sächsisch“ vergleichbar?
In isolierter Stellung am Satzanfang (aber auch allein stehend) könnte „so“
– signalisieren, dass eine Handlung, Rede o. Ä. abgeschlossen ist oder als abgeschlossen erachtet wird, und den Auftakt zu einer resümierenden Feststellung oder zu einer Ankündigung bilden – die aber ausbleibt.
– Erklärung Erstaunen, Zweifel… als Antwort auf eine Ankündigung ausdrücken – diese Ankündigung aber ist ebenfalls ausgeblieben.
Zu diesen semantisch-lexikalischen Aspekten gesellen sich mindestens drei weitere. Zum ersten die publizistisch (vgl. den taz-Link) mitkommunizierten Negativabgrenzungen der Kampagne wie „Elbphilharmonie ohne Verstimmung“ (das auf Hamburg anspielte – immerhin Dresdens Partnerstadt!), aber auch „Madonna ohne Skandale“ oder „Baden ohne Württemberg“: der Slogan liefert keinen positiven Gegenentwurf. Diese „Disserei auf niedrigstem Niveau“ hart an der Grenze zur Arroganz ist zum Glück vom Tisch. Übrig geblieben ist online beim Motiv des Cospudener Sees das Wortspiel „Morgens shoppen, dann … mal Seen“. Nun ja.
Zum zweiten Assoziationen zu Unbestimmtheitssignalen wie „so so“, „so lala“, „sogenannt“… Und zum dritten, auf semiotischer Ebene, noch die Vielzahl weiterer, auch publizistischer Slogans nach diesem „Strickmuster“, die mal mehr, mal weniger bekannt sind und neben „gehen“ auch noch andere Verben wie in „So muss Technik“ (Media Markt) ausbeuten. Zu den bekannteren gehören sicher
„So geht Bank heute“ (Targobank 2013) „So geht Frauenquote“ (Andrea Nahles 2012) „So geht Energiewende“ (Fraktion Bündnis 90/Grüne 2013)Auffallend häufig wird dieses Muster ökonomisch („So geht Geld“, „So geht Geldanlage“ und „So geht verkaufen“) und vor allem religiös anverwandelt:
„So geht entscheiden“ (Jesuiten, App 2010) „So geht katholisch“ (Bistum Fulda 2008) „So geht Glaube“ (katholisch.de 2013) „So geht Segen“ (Predigt, ERF-Medien 2009)Vor allem mit „Macher“-Erfolgskonnotationen wie „So geht schlank“ (privater Blog) wird das Muster unter Marketing- und publizistischen Aspekten oft genutzt:
So geht einfach (Kramp GmbH) So geht schweißen (Lorch Schweißtechnik GmbH) So geht Kuba (Arno Frank Eser, Buchtitel, Reiseführer)… So geht Altersvorsorge (STERN) So geht Frühling (Hamburger Abendblatt) So geht Webvideo (WDR)…
Fazit: Desubjektivierung, Topikalisierung, modifikatives Expletivum, dekonstruktive Situationssellipse, fehlende Direktiv-Ergänzung, duale Wortart-Semantik, vage bis negative Multikonnotationen… und dazu die semiotische Sättigung mit Slogans dieses Bauprinzips, das vorgibt, eine einfache, konkrete Aussage entstehen zu lassen, in Wirklichkeit aber eine unscharfe Allerweltsfloskel produziert – all das führt zu multiplen Ambivalenzen und damit jenem Unbehagen, das der Slogan „So geht sächsisch“ sprachpsychologisch beim nach Klarheit und Eindeutigkeit strebenden Homo sapiens auslöst. Hinzu zu addieren ist das semiostilistische Faktum, dass Imagekampagnen speziell der ostdeutschen Länder in der Vergangenheit stets umstritten waren (vgl. „Wir stehen früher auf“/Sachsen-Anhalt) und für Spott sorgten. Das betraf Sachsen bereits vor sieben Jahren selbst, als die Kampagne „Sachsen. Ein Land von Welt“ (Agentur Lowe, Hamburg) ausgesetzt wurde wegen der Aussage „Man sagt, die Einwohner des Erzgebirges seien echte Holzköpfe“: gemeint waren erzgebirgische Nussknacker.
An dem Slogan „So geht sächsisch“ ist systemtheoretisch schlüssig nachzuweisen, dass das Ganze eben nicht nur die Summe seiner Teile ist, sondern auch die Summe der Attribute dieser Teile – und daher emergente Wirkungen entfaltet. Und zu viele sprachliche Gestaltungsmittel führen nicht nur zu semantischen Unschärfen, sondern schlagen irgendwann ins Gegenteil dessen um, was ihre Urheber intendierten. Insofern bin ich, einerseits, ganz bei den Kritikern dieses Slogans, die die 32 Millionen Euro, die die Kampagne kosten soll, in Kommunen oder beim Straßenbau besser angelegt sähen. Andererseits finde ich es ebenso bedenkenswert wie bedenklich, dass keine sächsische Agentur imstande war, ein tragfähiges kreatives Konzept vorzulegen, um „Sachsen“ gelungen zu kommunizieren. Obwohl gerüchteweise kolportiert wird, dass als Subauftragnehmer von Ketchum Pleon durchaus sächsische Agenturen tätig sind, denen nicht unbedingt Politikferne nachgesagt werden kann…
Nachtrag 07.09.: Das offensichtliche Scheitern der Kampagne wird kaschiert – womit auch sonst – mit „User Generated Content“. Ich bekam beim „Tag der Sachsen“ eine in ihrer Größe in keinem Verhältnis zu ihrem Inhalt stehende Tüte überreicht, in der sich eine Klappkarte befand. Darauf wurden die Adressaten zum Agieren animiert: „Wer wüsste besser, wie sächsisch geht, als Sie? Deshalb möchten wir gerne von Ihnen hören, wie sächsisch für Sie geht. Schreiben Sie hier in einem Satz (oder gern auch in zwei), was SO GEHT SÄCHSISCH für Sie bedeutet. Oder erzählen Sie uns eine kurze Geschichte, die zeigt, wie wir Sachsen sind. Wie wir Dinge angepackt und gemeistert haben. Und wer weiß, vielleicht ist Ihr Satz, ist Ihre Geschichte ja schon bald im Rahmen der Kampagne für Sachsen zu sehen.“ Die Bürger sollen dem Auftraggeber erklären, was er denn gemeint habe??? Das ist mehr als ein Armutszeugnis. Darüber kann auch die neue Unterzeile „Nicht lang reden. Machen“ nicht hinwegtäuschen.
Hallo Herr Hartung,
ich bin zufällig über diesen Artikel gestolpert. Leider bin ich nach der Hälfte ausgestiegen, weil für mich nicht mehr nachvollziehbar. Es drängt mich jedoch, etwas dazu zu sagen.
Ich bin Werbetexter und finde den Slogan „So geht sächsisch“ sehr gelungen. Und im Zusammenhang mit den jeweiligen Motiven sehr treffend, vielseitig verwendbar, langfristig anwendbar.
Sie sezieren die drei Worte sprachwissenschaftlich bis in letzte Detail. Und das mag ja vielleicht auch alles stimmen, ABER unter werblichen Aspekten, passt das gar nicht zusammen.
Werbung bzw. Werbetext darf und muss ein wenig aus der Reihe tanzen. Der Satz ist umgangsprachlich völlig in Ordnung. So spricht das Volk: „So geht das.“ Und so geht eben auch sächsisch. Da kann man sich etwas darunter vorstellen. Und das ist wichtig: Das die Botschaft ankommt. Nicht immer sind dabei alle Mittel heilig, aber diesem Fall sind die Mittel bzw. die Worte richtig gewählt.
Jürgen Schrödl