Der folgende Text – geschrieben als Reaktion auf einen BILD-Bericht, der mir wieder mal Gesprächswert sicherte – kann als Lehrstück dafür gelten, wie selbstherrlich die rotgrünrotorange Mehrheit in Dresden inzwischen selbst auf Ortsbeiratsebene agiert, ja (durch)regiert, und wie dafür sämtliche Historizität (um nicht Tradition zu schreiben), sämtlicher politischer Anstand und sämtlicher Sachverstand zugunsten von schierer Machtdemonstration auf der Strecke bleiben. Eingearbeitet sind wörtliche Passagen der Protokolle der Ortsbeiratssitzungen, die ich nicht gesondert ausweise.
Das Vermessungsamt der Landeshauptstadt Dresden hatte das Ortsamt Pieschen im Rahmen einer Ortsbeiratssitzung letztes Jahr gebeten, Namensvorschläge für die geplante Verbindung vom Konkordienplatz bis zur Moritzburger Straße sowie für zwei Wege innerhalb des Baugebiets „Pieschener Melodien“ vorzuschlagen. Dazu wurde den Ortsbeiräten eine Liste aller im Ortsamt eingegangenen Namensvorschläge einschließlich der beigefügten Biografien überreicht und darauf verwiesen, dass vorrangig bei der Straßenbenennung Frauennamen bekannter Persönlichkeiten berücksichtigt werden sollen.
Schon gegen diesen – für Dresden leider bereits beschlossenen – Gender-Unsinn ging ich dadurch vor, dass ich auf Anregung unseres Pieschener Urgesteins Martin Lenkeit den Namen Hans Fromm vorschlagen wollte. Der gebürtige Augsburger war über 20 Jahre Kantor in der St.-Markus-Kirche und wohnte von 1961 bis kurz vor seinem Tod 1982 in Pieschen auf der Mohnstraße. Der Vorschlag sollte nicht nur dem Namen des Baugebiets Rechnung tragen, sondern vor allem einen Mann würdigen, der bereits mit 25 Jahren Dozent an der Landes-Kirchenmusikschule Dresden sowie mit der Vertretung von Kreuzorganist Herbert Collum an der Dresdner Kreuzkirche betraut wurde, als dessen Nachfolger er quasi feststand. Dass er daneben ein gefragter Organist und Cembalist bei Aufführungen des Dresdner Kreuzchores unter Rudolf Mauersberger und Martin Flämig sowie bei der Dresdner Philharmonie war, sei nur am Rande erwähnt. Lokal verwurzelt, verdient um Dresdens Musikszene, ja international beachtet – man mag den Vorschlag durchaus gut finden können.
Nur nebenbei: auch die „Sächsische Zeitung“ hatte einen Aufruf zur Namensfindung gestartet, an dem sich immerhin 608 Leser beteiligten. Eine knappe Mehrheit von 42,27 Prozent (entspricht 257 Lesern) entschied sich dafür, eine Straße oder einen Weg nach Hedwig Langner zu benennen. Die tüchtige Geschäftsfrau gründete 1894 auf der Bürgerstraße das Geschäft „Puppen Langner“, in dem sie auch eine Puppenklinik betrieb und das vor wenigen Wochen schließen musste. Diesen Vorschlag brachten übrigens die Freien Bürger ein, auch ihn kann man gut finden.
Auf der Ortsbeiratssitzung im Dezember 2014 nun kaprizierte sich die Linke zunächst auf ihren Vorschlag „Rosa Steinhart“, der in der SZ-Umfrage 41,45 Prozent erreichte. Die Jüdin lebte in der Trachenberger Straße, wo ihr Mann mit einem Geschäftspartner ein Spezialgeschäft für Küchen- und Haushaltsgeräte betrieb. Während der Nazi-Diktatur wurde das Paar zunächst im „Judenhaus“ in der Bautzner Straße, später im „Judenlager Hellerberg“ zwangseinquartiert und 1943 im Konzentrationslager Ausschwitz-Birkenau ermordet.
Zweifellos ist das Schicksal der Frau tragisch. Aber allein aufgrund eines Schicksals, also eines „Seins“, mit einer Straße gewürdigt zu werden finde ich angesichts der Verdienste der anderen potentiellen Namenspatrone und -patroninnen, also Vertreter eines „Tuns“, gelinde geschrieben sehr problematisch. Darunter waren bspw. Frauenrechtlerinnen wie Marie Stritt oder Amely Bölte, aber auch die erste in Dresden promovierte Architektin Marie Frommer: eine Jüdin (!!!), die tatsächlich Dinge „erschuf“, 1936 emigrierte und als Architektin des Staates New York in den USA sehr erfolgreich wurde. Aber eine überlebende und beruflich erfolgreiche Jüdin passt sicher nicht so recht in ein Schwarz-Weiß-Konzept, das eine Kaufmannsfrau zur Heldin stilisieren will…
Um dem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, stellt Maurice Devantier dann tatsächlich den Antrag, bei der Namensvergabe auf der Folgesitzung im Januar auf Männernamen zu verzichten. Dieser Antrag, eine Hälfte der Dresdner Bevölkerung per se zu quotieren, ging mehrheitlich durch! Damit blieben 16 Vorschläge auf der Liste. Im Januar nun übergab Ortsamtsleiter Christian Wintrich diesen Abstimmungszettel, aus dem zunächst drei Namen ausgewählt werden sollten. Aus diesen drei mehrheitlich am häufigsten gewählten sollten sich dann in Form einer Stichwahl der Straßenname und die zwei Wegenamen heraus stellen.
Und wieder grätschte Maurice Devantier dazwischen: mit dem Antrag, die Namensfindung nach einem anderen Verfahren durchzuführen. „Wir haben da schon mal was vorbereitet…“ Hinterzimmerpolitik vom Feinsten! Der Ortsbeirat wurde also aufgefordert, über die zwei unterschiedlichen Wahlverfahren zur Namensfindung abzustimmen. Das Abstimmungsergebnis war erwartbar: mit 7 Ja- gegen 8 Nein-Stimmen bei 3 Enthaltungen wurde das vom Vorsitzenden vorgeschlagene Auswahlverfahren mehrheitlich abgelehnt. Das nenne ich eine klassische Gremien-Spaltung!!! Übrig blieben nach dem Willen der neuen SED: Rosa-Steinhart-Straße, Hedwig-Langner-Weg und Neudorfer Weg.
Der Gipfel der Unverfrorenheit des Gymnasiallehrers (!!!) Devantier war nun die Begründung, die er auf der Dezembersitzung ähnlich schon mal andeutete: ein Zeichen zu setzen angesichts des Klimas in der Stadt, das ähnlich sei wie das von 1933!!! Die Ungeheuerlichkeit dieses Vergleichs macht einfach nur sprachlos – zumal die Ortsbeiratssitzung einen Tag nach jenem PEGIDA-Spaziergang stattfand, der mit nach Veranstalterzählung 36 900 (laut Polizei 25 000) Protestbürgern, unter denen auch ich war, seinen Höhepunkt erreichte! Nach dieser linken „Logik“ gelten dann die Spaziergänger als SS-Rotten, die nichts anderes im Kopf hätten als Juden zu deportieren und ins Gas zu schicken??? Oder meinte der Herr Gymnasiallehrer gar, mit der Angst vor islamistischer Gewalt vieler Spaziergänger kann nur eine Ablehnung aller Muslime gemeint sein, die dann also als schützenswerte „neue Juden“ gelten müssten? Geht’s noch?
Diese kindische, von keinerlei politischem Horizont oder gar historischer Bewusstheit getragene dumpfe Kurzschlüssigkeit entfaltet ihren perfiden Charakter vor allem, wenn man sich drei Phänomene vergegenwärtigt, die hier nur plakativ angerissen sein sollen:
I) Das Verhältnis von Islam und Judentum. Abgesehen davon, dass Henryk M. Broder mit dem von Gesine Schwan aufgebrachten „gefährlichen Geplapper“ schon gründlich abrechnete – entscheidend ist folgender Zusammenhang, auf den Thorsten Hinz aufmerksam machte:
„Wenn erst einmal das Prinzip der Äquivalenz von Judäophobie und Islamophobie durchgesetzt ist, kann man auch das Prinzip der Entsorgung angehen: eine subtile, aber effektive Methode der symbolischen Enteignung. Jetzt sind wir an der Reihe, sagen die Fundamentalisten. Auf diese Art kann sich der Islam als Gläubiger der gesamten Menschheit präsentieren: Wir sind ihm etwas schuldig für die erlittenen Qualen seit den Kreuzzügen, die Erniedrigung des Kolonialismus, die Besetzung Palästinas durch die Zionisten und schließlich für das schlechte Image, unter dem die Religion des Propheten leidet. Bei ihm müssen wir die moralische Schuld abtragen, die wir bis dahin den Juden erbracht haben.“
Dabei soll nur erwähnt sein, dass es eben keine deutschen Mitbürger sind, die gegenwärtig Judenfeindlichkeit demonstrieren:
„Es ist nicht der „häßliche Deutsche“, der dafür verantwortlich ist, daß jüdische Schulen und Synagogen von der Polizei bewacht werden müssen. Es sind keine „Nazis“ oder „Rechtsextremisten“, die Juden auf offener Straße bespucken und attackieren oder „Juden ins Gas“ skandieren. Es sind die radikalisierten Anhänger jener Religion, die aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Werte und ihrer Herkunft eben nicht zu Deutschland gehört: der Islam. Sie sind es, die dafür sorgen, daß in Braunschweig ein Karnevalsumzug abgesagt werden muss.“
II) Das Verhältnis der Linken zum Judentum, das von Anbeginn nur als „Hassliebe“ zu charakterisieren ist: was hätte denn Fraktionschef Gregor Gysi dem Journalisten sagen können, der ihn da im November bis auf die Bundestags-Toilette verfolgte und rief: „Bin ich ein Antisemit?“ Die Antwort wäre nicht so leicht gewesen: Der Mann lebt in Israel, wirft aber Land und Regierung Rassismus vor, der letztlich nicht besser sei als jener der Nazis.
Ein kurzer Blick in die Geschichte klärt auf: 1945 scheint zumindest im Westen klar zu sein, dass Linke und überlebende Juden zusammengehören. Beide verbindet der Antifaschismus, beide leiden an einer Gesellschaft, die verdrängen und vergessen will, beide kämpfen gegen alte Nazis, die in der neuen Bundesrepublik wieder zu Amt und Würden kommen. In der DDR ist da schon das Verhältnis ambivalent: Als NS-Opfer und Beweis, dass im Osten das bessere Deutschland lebt, sind Juden willkommen – als Zionisten sind sie Handlanger der imperialistischen USA. Der Bruch kommt mit dem Sechstagekrieg, in dem sich Israel nicht mehr als das kleine, bedrohte Land, sondern als Besatzungsmacht entpuppt und damit nach Meinung der 68er seine imperialistische Fratze zeigt: Juden sind in Israel faschistisch und rassistisch, gestützt von den amerikanischen Kapitalisten.
Aus der einstigen Nähe also wurde gegenseitige Ablehnung – noch stärker bei der westdeutschen Linken als bei der ostdeutschen, deren Antizionismus 1989 den Rang der Staatsräson verlor. Der damalige taz-Redakteur Philipp Gessler hat das einmal so zusammengefasst: Es sei die „Identifikation ,der Juden‘ mit Geld, modernisiert durch das Vokabular der Globalisierungskritik“, das „Konstrukt einer globalen Verschwörung“ und die „erinnerungsabwehrende Haltung“, bei der Nazis und Juden gleichgesetzt würden.
Matthias Drobinski schloss seine lesenswerte Betrachtung dazu mit den Worten „Vielleicht war es wirklich am besten, dass Gregor Gysi nicht auf die Antisemitismus- Frage antwortete und einfach die Toilettentür schloss.“
III) Das Verhältnis der Dresdner (nicht nur der Linken) zum Benennen von Straßen. Was nach 1945 in Dresden an Namen verschwand und durch neue ersetzt wurde, soll hier nicht thematisiert werden. Dass da manch ideologischer Unfug betrieben wurde, ist ebenso klar wie die Tatsache, dass da eben nicht nur Unfug im Spiel war. Wahllose Beispiele:
- Julius Fučíks „Reportage unter dem Strang geschrieben“ ist das meistübersetzte Werk tschechischer Sprache (in fast 90 Sprachen mit rund 300 Auflagen) – der Kommunist wurde 1943 in Plötzensee ermordet.
- Elsa Fenske war Kommunistin und erste Dresdner Sozialdezernentin, sie starb 1946 bei einem Unfall.
- Otto Buchwitz war Kommunist und sächsischer Landtagspräsident und ist bis heute Ehrenbürger Dresdens.
Man bedenke kurz, was geschehen wäre, hätte sich jemand bis 1989 erdreistet, diese Namensgebungen aus ideologischen Gründen zu kritisieren? Und jetzt, 25 Jahre danach, sind wir wieder so weit???
Die Pikanterie wird noch dadurch gesteigert, dass diese Namen ab 1991 tatsächlich verschwanden und wir jetzt wieder einen Straßburger Platz, eine Theaterstraße und eine Königsbrücker Straße haben!!! Erst recht gesteigert wird sie dadurch, dass mit Fritz Meinhardt ein arbeitsloser jüdischer Kommunist ohne Parteifunktion, der 1943 unter ungeklärten Umständen auf der Schießgasse ums Leben kam, seiner Straße ebenfalls schon 1991 verlustig gehen sollte, es diese aber bis heute gibt! Wie schizophren kann eine Stadt eigentlich noch sein?
So entschied sich der Ortsbeirat Pieschen leider mehrheitlich gegen jeden Anstand und Verstand, dem diktatorischen Devantier-Vorschlag zu folgen, der dann so abgestimmt wurde:
Planweg A = Hedwig-Langner-Weg 18 Ja-Stimmen, 0 Nein-Stimmen, 0 Enthaltungen. Dieser Vorschlag war konsensfähig.
Planweg B = Neudorfer Weg 17 Ja-Stimmen, 0 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung. Dieser Vorschlag auch, aber hier enthielt ich mich aus Prinzip.
Planstraße = Rosa-Steinhart-Straße 16 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen. Eine davon kam von mir, jedes andere Stimmverhalten – wie es etwa auch die CDU an den Tag legte – hätte ich als Verrat empfunden, einer Ideologie zur Durchsetzung zu verhelfen, die nicht meine ist.
Die Stadtratsfraktion prüft inzwischen anhand meines Protokolls und meiner mündlichen Begründung alle möglichen und nötigen Schritte, um diesen Namen zu verhindern. Als eins dieser Protokolle von einem linken Onlinemedium „gewürdigt“ wurde, kam dann mit mehrwöchiger Verspätung die Zeitung mit den vier großen Buchstaben darauf, wieder mal gegen mich zu hetzen.
Der Ortsbeirat der NPD war ob dieses Vorgehens (und natürlich des Ergebnisses) offenbar noch saurer als ich und beantragte auf der Märzsitzung, aufgrund mehrerer Form- und Verfahrensfehler das Abstimmungsergebnis zu annullieren und eine Neuabstimmung vorzunehmen per Stimmzettel, wie das bereits am 13.01.2015 geplant war. In der Begründung des Antrages führte er u.a. aus, dass das Verfahren, wie es zur Wahl der Namensfindung kam, weder vorgetragen noch dem Ortsbeirat erläutert wurde. Der Ortsamtsleiter stellte diesen Antrag zur Abstimmung mit dem Ergebnis: 2 Ja-Stimmen, 15 Nein-Stimmungen, 1 Enthaltung. Damit war eine formale Neuabstimmung, unter anderem wieder gegen meine Stimme, gescheitert.
Aber es stimmt hoffnungsvoll, dass aus der CDU jetzt wenigstens eine Enthaltung kam.
Super – alles der Wahrheit entsprechend und sehr lesenswert Thomas!