Geschlossenheit als Signal? Ja, aber… Ein Kommentar
5. April 2015 von Thomas Hartung
„Die Aufgabe der Repräsentanten in der Demokratie ist es, den empirisch vorfindbaren Volkswillen zu veredeln.“ Ernst Fraenkel (1898-1975)
Der Parteitag von Weinböhla trainierte die Diskursfähigkeit der sächsischen und den aufrechten Gang der ostdeutschen AfD. Der Appell, der von ihm ausging, war wichtig und richtig, er konnte kantig sein und trotzdem glätten, vor allem kam er rechtzeitig. Er vermochte aber nicht, drei konflikthaltige Sachaspekte, die in der AfD weiter schwelen, tiefgründig zu verhandeln und sie einer mehrheitlichen Klärung zuzuführen.
Erstens: das Verhältnis unserer Partei, die primär eurokritisch gestartet war, zu jenen Themen, die darüber hinausweisen. Dass Funktionäre, aber auch Mitglieder zu diesen Themen, obwohl es noch keine programmatischen Aussagen auf Bundesebene gibt, individuelle Ansichten wiedergeben, die vor allem von ihren persönlichen Vorstellungen geprägt sind, entspricht gelebter Meinungsfreiheit. Der Appell nun erweitert das Eurothema um jene Primärthemen, die unter den mehr als 20 000 Mitgliedern unumstritten sein dürften (Familien-, Außen-, Einwanderungspolitik…). Jedoch spart er damit zugleich die umstrittenen Sekundär- und Tertiärthemen aus, die zur Bildung diverser Flügel überhaupt erst beitrugen und /oder von vielen Mitgliedern als nicht mehr AfD-relevant wahrgenommen wurden: neben den drei „I“ Identität, Islam, Inklusion auch Bildung, Sicherheit, GEZ…
Zweitens: das Verhältnis unserer Partei, die für direkte Demokratie programmatisch kämpft, zu jenen (auch Parteimitgliedern), die dafür auf der Straße kämpfen. Ich hatte das in die Metapher des Kopfes (meinethalben auch des – parlamentarischen – Armes) und der Füße gegossen, die noch keinen Organismus bilden. Das sind unnötige politische Reibungsverluste zweier Flügel, die so nur wenige wahrnehmen, die aber eben auch existieren und bei deren Flügelschlag auch schon Federn stoben. Was hindert uns daran (wie es etwa die Linke in Gestalt von Juliane Nagel in Leipzig vorlebt), neben der inner- auch eine außerparlamentarische Opposition zu etablieren? Hier hat die AfD viele Reserven.
Drittens, und jetzt wird es heikel: das Verhältnis unserer Partei, die innerhalb eines politischen Systems gestartet war, zu diesem System. Wolfgang Hübner brachte das letzte Woche auf die griffige Formel „Systemkonforme Parteialternative oder systemoppositionelle Alternativpartei“. Dieser Aspekt wirft vor allem zwei Fragen auf. Die eine: wie definieren wir eigentlich dieses System? Demokratietheoretisch hat bereits der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Lars Rohwer, der die Gespräche zwischen seiner Partei und Pegida koordiniert, vor Wochen erklärt, dass es diese Gruppe geschafft habe, die „Systemfrage wieder auf die Tagesordnung zu setzen“, wobei das „System“ für ihn das „Resultat der Kulturrevolte von 1968“ ist. Und sonst? Welche politische, ideologische, ökonomische, philosophische… Definition ist angemessen und hilfreich?
Die andere: wollen wir dieses System ändern; können, ja müssen wir das sogar? Konformismus schafft außer Wohlfühlkonsens durch Systemankunft wenig Weiteres. Wie aber ist ein System zu ändern, dessen Bestandteil man ist, in dem man agieren und mit dem man interagieren muss? Dadurch, dass man sich bewusst und generaloppositionell außerhalb des Systems stellt, sicher nicht – obwohl wir eigentlich jeden Dialog verweigern müssten, solange immer noch Russlandsanktionen in Kraft sind, immer noch über TTIP verhandelt wird oder immer noch eine Gender-Professorin im Amt ist (die Reihe kann, siehe erstens, beliebig erweitert werden). Dadurch, dass man sich an alle systemischen Spielregeln hält, aber auch nicht.
Die Antworten auf diese Fragen zu suchen ist schwierig und gleicht mehrfachen Gratwanderungen. Diese Wanderungen gemeinsam mit den vielen Ungeduldigen, Frustrierten, teilweise jahrzehntlang Enttäuschten jedoch eher vorgestern als gestern zu beginnen und die gangbaren Wege zu finden, das scheint mir die eigentliche Herausforderung der AfD jenseits aller ideologischen und/oder geographischen „Flügel“ zu sein.
Wir haben in Weinböhla Geschlossenheit demonstriert, ein schönes Osterpapier verabschiedet. Geduld wurde angemahnt. Was mir dabei fehlte, ist das Anpacken der wirklichen Hintergründe für die „Abspaltungen“, die für meine Begriffe gar keine wirklichen sind. Ist es nicht das Thema „Islamismus“, das wie ein Schwert über unseren Köpfen hängt? Nicht mal im geschlossenen Rahmen einer Parteiveranstaltung mag man bestimmte Dinge aussprechen, weil sofort der Hammer geschwungen wird. Ich denke dabei z.B. an Tillschneider, immerhin weiß er, wovon er spricht.
So wie ich sind viele 2013 Mitglied der AfD geworden in der Hoffnung,
etwas mit bewirken zu können. Viel ist seit dem geschehen, das Thema Euro hat uns überrollt, Entscheidungen, an denen wir nicht mitwirken konnten, wurden getroffen. Aber andere Parteien haben unsere Themen auch aufgegriffen, weil sie nicht drum herum kommen.
Was uns wirklich von der Basis her teilt, ist das Thema „Islam“. Ein großer Teil der Mitglieder sieht die Gefahr für uns Deutsche, für andere europäische Länder in der wachsenden Zahl der Menschen aus diesem Kulturkreis. Für uns selbst ist es vielleicht noch nicht so akut, wir denken aber auch an unsere Kinder und Enkel. Und genau dieses Thema, ruft bei den meisten Entscheidungsträgern unserer Partei Bauchschmerzen hervor. Jeder weiß, was passiert, wenn deutlich ausgesprochen wird, daß der Islam eben nicht zu Deutschland gehört usw. Diese Kritik, als rechts (sogar -extrem) dargestellt zu werden, schreckt so sehr ab, daß sie gar nicht erst aufkommen darf. Aber die Folge ist, daß sich Mitglieder, die sich dieser Ohnmacht nicht wortlos hingeben möchten, eben in Flügeln, Plattformen oder anderen Gesprächsrunden einfinden. Und die Sprachlosigkeit der Parteiführung (und das beginnt schon beim kleinen KV-Vorsitzenden) trägt eben nicht dazu bei, das man sich wirklich versteht.
Sie selbst haben in ähnlicher Hinsicht sehr schlechte Erfahrungen machen müssen. Und dabei hatten Sie mit Ihrer Kritik am autistischen Lehrer 100% recht. Wer hat damals wirklich hinter Ihnen gestanden? – die restlichen waren einfach feige.
Und nicht anders verläuft es heute. Ich habe öfters den Begriff gehört: „Laßt uns erst mal Wolf im Schafspelz sein“. Aber auch hier werden wir ganz schnell wieder überrollt sein……
Das sind schon kluge Fragen, aber so schnell lassen sich keine schlüssigen Antworten finden