Bottom-Up oder Top-Down: die Crux der Generalisierung
7. Januar 2016 von Thomas Hartung
Langsam schälen sich nicht nur die Argumentationsmuster deutlich heraus, mit denen uns der ebenso undifferenzierte wie grundgesetzwidrige Flüchtlingszustrom verdaulich gemacht werden soll, sondern auch die Vorwürfe, die an die Kritiker desselben gerichtet werden. Und hier zeigt sich spätestens seit Köln: die beiden unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmuster des Menschen für Informationen dürfen nicht mehr koexistieren.
Nein, das eine Muster wird gar als falsch verdammt und das andere als einzig richtiges verabsolutiert. Dumm nur, dass gerade die Staaten, die das „falsche“ als handlungsleitend favorisieren, gegenwärtig das Asylchaos am erfolgreichsten bewältigen – die Ostdeutschen gehörten dazu, hätten sie in der Krise etwas zu bestellen. Und dumm erst recht, dass eben jetzt auch Westdeutsche und darunter vor allem Frauen zu ahnen beginnen, was für Psychoexperimente da jahrzehntlang mit ihnen veranstaltet wurden, um ihnen den gesunden Menschenverstand auszutreiben.
Worum geht es? Die Psychologie kennt zwei Muster der Informationsverarbeitung: Bottom-Up und Top-Down. Beim ersten, eher wahrnehmungspsychologischen Ansatz wird die Informationsaufnahme und –verarbeitung als „reizgesteuert“ bezeichnet: als von außen (exogen) initiiert und determiniert; d.h. es sind rein stimulusgetriebene Prozesse. Ich sehe ein gelb-schwarz gestreiftes, fliegendes summendes Insekt, das mir gefällt und nach dem ich – weil ich noch kein anderes Insekt dieser Art kenne – greife. Resultat: ich lerne – natürlich in Verbindung mit anderen kognitiven Prozessen – dass es sich um eine Biene (oder Wespe oder Hummel oder Hornisse…) handelt, die mir die schmerzhafte Lektion erteilt, sie in Ruhe fliegen zu lassen.
Beim zweiten, eher kognitionspsychologischen Ansatz wird die Informationsaufnahme und –verarbeitung als „wissensgesteuert“ bezeichnet: als von innen (endogen) initiiert und willensdeterminiert. Ich sehe ein Rudel schwarzgelber Insekten, etwa einen Wespenschwarm, und suche eingedenk meiner schmerzhaft erlernten Erfahrung das Weite. Die kommunikations- und auch werbepsychologische Entsprechung ist der Primacy-Recency-Effekt als psychologisches Gedächtnisphänomen, das dazu führt, dass entweder die früher erfasste Information gegenüber der späteren (Primäreffekt) oder umgekehrt die später erfasste Information gegenüber der früher eingegangenen (Rezenzeffekt) bevorteilt wird. Die Effekte sind für unterschiedliche Beurteilungsobjekte in unterschiedlicher Intensität nachgewiesen.
Den erstgenannten Ansatz nenne ich subjektivistisch: jeder Mensch macht seine spezifischen Erfahrungen und sieht Phänomene der Realität anders: als Einzelfälle. Im Normalfall schält sich mit dem Lebensalter und den erworbenen (angelesenen, anerlebten, eben gemachten) Erfahrungen ein Weltbild heraus, ein System, in das man die Phänomene der Realität, diese „Einzelfälle“ einordnet. Dabei kommt es zu Adaptionen und Modifikationen, aber nicht zu einer grundlegenden Systemänderung – denn andere Menschen scheinen ja auch diesem System zu folgen und darin problemlos zu leben. Solange also diese Einordnung funktioniert, solange ist das System gültig und hat Regel-, ja Gesetzeskraft, zumal als Naturgesetz (bspw. „schwarz-gelb ist gefährlich“ :-D).
Den zweiten Ansatz nenne ich systemisch: die erworbenen Erfahrungen geben der Informationsaufnahme und –verarbeitung eine Richtung vor, um diese Informationen in das System einzuordnen und handhabbar zu machen, d.h. adäquat zu handeln. Zu einer Systemänderung kommt es erst, wenn zu viele neue Informationen mit der alten Regel nicht mehr handelbar sind und eine neue aufgestellt werden muss. Und dieser Ansatz nun ist es, der schon früher, aber jetzt explizit mit Blick auf das Flüchtlingschaos als falsch, ja ideologisch remotiviert als „populistisch“ bis „nazistisch“ diffamiert wird mit den Wortkeulen „Pauschalisierung“, „Generalisierung“, „Verallgemeinerung“ und dergleichen mehr.
Nehmen wir ein weiteres Beispiel aus dem Tierreich. Ich lerne als Kind den Löwen als fleischfressende, jagende Großkatze kennen und erfahre rasch, dass meine an der Hauskatze erlernten Bewältigungsstrategien (Zureden, Streicheln, Füttern…) bei einer eventuellen Begegnung falsch wären: durch Erzählungen, Filme, Bilder, Zoobesuche, Afrikareisen etc. werde ich mich als Systemiker zuerst für die Flucht oder, je nach Situation, sogar für die präventive Verteidigung mit einer Waffe entscheiden. Der Subjektivist wird diesen Ansatz sofort verdammen und mir vorhalten, dass der jeweils individuelle Löwe doch gezähmt, satt oder auch krank sein könnte, mithin immer erst die konkrete Gefahrensituation abzuwarten sei, bevor man reagiert. Und wenn sich ein satt geglaubter Löwe doch als hungrig entpuppen und mich vertilgen sollte, dann hätte ich halt Pech gehabt.
Diese hanebüchenen Mechanismen werden jetzt in Merkels gesinnungsethisches System des Moralimperativismus auf Flüchtlinge übertragen. So darf ein katholischer Philosoph uneingeordnet fabulieren, dass „eine feste Meinung zu haben ja in vielen Fällen eigentlich nur zeigt, dass man nicht ausreichend informiert ist.“ Selbstverständlich waren dann Galilei, Newton und Einstein auch nicht ausreichend informiert – komisch, dass dann ihre Postulate heute noch gelten.
Aber lassen wir Merkel doch selbst sprechen:„Wir sind alle der Überzeugung, dass wir alle, die wir nicht kennen, auch respektieren“ soll sie am Dienstag gesagt und dabei auf das Grundgesetz verwiesen haben, nach dem die Würde des Menschen unantastbar ist: „Das gilt nicht nur für die Deutschen, sondern das gilt für alle Menschen.“
Da ist es wieder, dieses unsägliche Changieren zwischen einem quasidemokratischen „Ich spreche für mein Volk“ und einem monarchischen Pluralis majestatis – Kohler schrieb in der FAZ von der Paarung von Naivität mit Allmachtsphantasien. Welchem Grundgesetz folgen denn die Ankömmlinge, haben sie ein eigenes und/oder kennen sie unseres? Diese unreife, nachgeradezu naive Übertragung des eigenen Menschenbilds auf das der Fremden, als säßen wir alle im selben Sandkasten, hat Safranski jüngst als „moralistische Infantilisierung“ gegeißelt. Zudem beklagt er, dass Merkel einfach nicht das demokratische Mandat habe, ein Land so zu verändern, wie das der Fall ist, wenn binnen kurzem Abermillionen islamische Einwanderer im Land sind. Immerhin habe sie sich beim Amtseid verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk abzuwehren. Und weiter:
„Menschenwürde fällt nicht vom Himmel, sondern setzt einen funktionierenden Staat voraus, der sie in seinen Grenzen garantieren kann. Und dann muss man sich die Frage stellen: Wie kann man dieses Staatsgebilde erhalten? Das gelingt nur mit sehr strikten Regeln, sonst verliert der Staat seine integrierende, die Menschenrechte garantierende Kraft. Ich habe große Befürchtungen, dass unser Staat diese Kraft verliert, wenn wir in bestimmten Teilen der Gesellschaft eine islamische Mehrheit mit einer völlig anderen Wertvorstellung haben. Kurz: Man muss die gesellschaftliche Kohärenz stabil halten, damit der Staat die Menschenrechte garantieren kann. Wenn man sich das nicht klarmacht, so ist das verantwortungslos: Man will helfen und schwächt dabei die Institutionen, die überhaupt helfen können.“
Das weiß aber eben nicht nur Safranski, das wissen auch viele andere Menschen – und eben nicht nur Politiker – die über einen Bildungs-, Erfahrungs- und Kenntnishorizont verfügen, der unserer gegenwärtigen politmedialen Kaste in ihrer Berufslosigkeit und Berliner Scheinrealität offenbar völlig abgeht. Aber Merkel setzt noch eins drauf und beweist ihren kindlichen Subjektivismus mit Sätzen wie
„Das heißt, ich muss erst einmal offen sein, mir etwas Neues anzuschauen, einen Menschen, einen Gegenstand. Und wenn ich einen Menschen anschaue, dann muss ich bereit sein, dass ich mich überraschen lasse. Dass ich etwas entdecke, was ich bisher noch nicht gekannt habe.“
Entsprechend sekundiert Thomas de Maizière, der „schlechteste aller schlechten Innenminister“, dass auch die offensichtliche Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund an den Taten nicht dazu führen dürfe, dass nun Flüchtlinge gleich welcher Herkunft, die bei uns Schutz vor Verfolgung suchen, unter einen Generalverdacht gestellt werden. Nikolaus Fest ärgert sich weiter:
„Natürlich, DAS ist die Hauptsorge. Denn hier läge die wahre Sprengkraft der Debatte: Ob nämlich ein Generalverdacht gegenüber Leuten aus einem Kulturkreis, in dem Frauen und ‚Ungläubige’ bestenfalls als zweitrangig gelten, nicht gerechtfertigt wäre – und was das für die ‚Flüchtlings’-Politik bedeutet. Kaum notwendig zu erwähnen: Auch bei dieser Debatte versagen bisher die Medien. Am meisten aber deprimiert, dass all diese Entwicklungen so vorhersehbar waren. Schon vor Monaten schrieb ich an dieser Stelle, dass sich hinter dem ‚Flüchtling’ auch ein Vergewaltiger als Aleppo, hinter dem ‚Schutzsuchenden’ ein Kinderschänder aus Lagos verbergen könne. Das scheint sich nun zu bestätigen.“
Es ist genau dieses systemische Denken, das bislang alles, was AfD, Pegida & Co. prophezeiten, eintreffen ließ – aufgrund eben jener Bildungs-, Erfahrungs- und Kenntnisstände, deren Existenz von den bildungsfernen Erfahrungslosen abgesprochen wird – die überdies mehrheitlich aus den alten Ländern kommen, was Bände über deren Bildungsstand spricht! Wenn bspw. von 10, bestenfalls 15 % Zuzüglern auszugehen ist, die uns im wahrsten Wortsinn bereichern können, interessiert – um in Safranskis Logik zu bleiben – die moralisch sicher hochstehende Minderheit, die im Einzelfall sogar Kant, Fichte oder Hegel kennen mag, für ein funktionierendes Gemeinwesen nicht im Geringsten. Es interessieren dagegen die mindestens 85 %, die uns eben nicht be-, sondern im wahrsten (finanziellen) Wortsinn entreichern und deren Bildungs- sowie Moralstandards mit unseren inkompatibel sind. In dieser Situation, da eine Regierung nicht mehr individuell gesinnungs-, sondern kollektiv verantwortungsethisch zu handeln hat, ist systemische Abstraktion, sind Generalisierung und Pauschalisierung nicht nur statthaft, sondern dringend nötig!!! Jedes Curriculum verallgemeinert Bildungsfähigkeiten, jede Krankenkasse Erkrankungen, jeder Versicherer Versicherungsfälle, das ist ein völlig normaler Vorgang! So hält selbst der Ex-Justizminister Niedersachsen, Christian Pfeiffer (SPD!), eine
„Gruppenbezeichnung für sinnvoll, dass es Männer sind, die stark von Machokultur geprägt sind, die Übergriffe für etwas völlig Normales und ihnen Zustehendes halten, gerade wenn sie angetrunken sind, wenn sie in der Gruppe agieren und dann die Hemmungen sich noch stärker abbauen. Und bisher war zu hören, dass es sich um Männer gehandelt hat, die wohl aus Nordafrika oder aus arabischen Ländern stammen von ihrem Aussehen her oder davon, wie sie sich miteinander verständigt haben“.
Deshalb muss ganz klar gesagt werden: Wer davor warnt, ist nicht ausländerfeindlich, sondern rechtsstaatsbewusst! Genau das hatte Björn Höcke umgetrieben, als er vor wenigen Wochen vor einer Zunahme von sexuellen Übergriffen gegen Frauen in Folge der laufenden Welle irregulärer Zuwanderung warnte. Die für die Zuwanderung Verantwortlichen reagierten
„…noch mit einer Mischung aus Leugnung und Denunziation des Warnenden. Allen voran versuchte Bundesjustizminister Heiko Maas, Höckes Warnungen als „widerlich“ und als „Beispiel für rhetorische Brandstiftung“ abzutun. Die ARD behauptete flankierend dazu, Berichte über sexuelle Gewalt von Migranten seien „einfach erfunden“.“
Und diese Warnungen entfalten ihr antizipatorisches Potential vor allem, wenn jetzt bspw. auf einer muslimischen Facebookseite solcherart „Statement“ zu den Vorgängen von Köln abgegeben wird:
„Generell trägt die Frau aufgrund ihrer Beschaffenheit eine Verantwortung, wenn sie sich aus dem Haus begibt. Man kann nicht vor einem Löwen eine nackte Antilope werfen und erwarten, dass bei dem Löwen sich nichts regt. Es ist erstaunlich, dass im Biologieunterricht so viel über das Paarungs- und Sexualverhalten der Lebewesen unterrichtet wird, aber diese Regeln im Alltag komplett missachtet werden.“
Abgesehen von der Ambivalenz sächlicher „Beschaffenheit“ und naturalistischer Antilopenmetapher sprechen hier das maskuline Löwenverständnis und die implizierte animalische Sexualität (die auch noch mit dem weiteren Primärbedürfnis „Hunger“ in eins gesetzt wird – Stichwort „Einverleibung“, aber das führt hier zu weit) Bände – nicht unser Menschenbild ist es, dass das Handeln der Flüchtlinge bestimmt, sondern ihres, das mit unserem bestenfalls erklärbar, aber keinesfalls akzeptabel ist. Dieses Statement im Hinterkopf, muss man sich folgende Aussage eines Sascha Lobo im Großhirn zergehen lassen:
„Differenzierung ist Zivilisation. Zivilisiert zu sein bedeutet, nacheinander neun Schwarzhaarigen zu begegnen, die sich alle als Arschlöcher erweisen, und trotzdem dem zehnten Schwarzhaarigen nicht deshalb in die Fresse zu hauen.“
Aha. Wenn ich also neunmal von „schwarzhaarigen Löwen“ vergewaltigt wurde, kann ich ja immer noch darauf hoffen, dass der zehnte kein „Arschloch“ ist. Rechnet man die Relation auf die obige Verteilung von Be- und Entreicherern herunter, könnte das sogar stimmen. Vorausgesetzt, man hat zuvor die neun ohne bleibende Schäden überstanden, ja wenigstens überlebt.
„Durch Vernunft, nicht durch Gewalt soll man Menschen zur Wahrheit führen“, wusste schon Denis Diderot. Ein Land, das nur noch durch Schmerzen lernen kann, ist rettungslos verloren.
Edit 20.12 Uhr: laut MoPo 24 habe sich Merkel HEUTE (07.01.2015) positioniert und erklärt, dass sich aus den Geschehnissen einige sehr ernsthafte Fragen ergäben, die über Köln hinausgingen. Es stelle sich etwa die Frage nach Verbindungen, Verhaltensmustern und danach, ob es „in Teilen von Gruppen“ Frauenverachtung gebe. Dem sei mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. „Denn ich glaube nicht, dass es nur Einzelfälle sind.“
Soso.
Edit 08.01.2016, 07.50 Uhr: Nicolaus Fest hat angesichts der sowohl formal als auch inhaltlich fragwürdigen Berichterstattung der BZ nochmals nachgelegt und Pfeiffers „Gruppierungsthese“ unterstützt:
„Wenn, wie überall zu lesen und von der Polizei bestätigt, die Täter aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum stammen, handelt es sich in jedem Fall um Migranten. Und genau das ist das entscheidende Faktum. Ob sie hingegen irgendeinen Flüchtlings- oder Asylstatus hatten oder erst vor kurzem eingewandert sind, spielt keine Rolle. Sollten die Täter schon länger in Köln leben, wäre das eher ein Grund zu noch größerer Beunruhigung.“
Edit 09.01.2016, 09.50 Uhr: Hamed Abdel-Samad, gefragter ägyptischer Politikwissenschaftler, Historiker und Autor, hat jetzt auf den religiösen Zusammenhang der Kölner Taten hingewiesen:
Die junge Generation in der islamischen Welt ist in einer Dualität aufgewachsen. Zuhause und in der Moschee wird sie moralisch streng erzogen. Männer und Frauen haben kaum eine Chance, eine gesunde, symmetrische Beziehung zueinander aufzubauen. Im Internet dagegen erleben sie eine Welt, in der es keine Grenzen zwischen Mann und Frau, in der es keine festgeschriebene Moral gibt. Islamische Länder sind beim Konsum von Porno-Videos ganz oben auf der Liste. Diese Dualität schafft ein gestörtes Verhältnis der Männer zu Frauen. Von dieser Dualität sind auch viele junge Muslime betroffen, die in geschlossenen Communities in Europa leben und dennoch den Verführungen einer offenen Gesellschaft ausgesetzt sind.“