Die AfD Dresden und Pegida
30. Juni 2016 von Thomas Hartung
Für alle Interessenten: das war mein Editorial aus dem ASA Nr. 20/2016 (Juni).
Wir müssen über unseren Umgang mit Pegida nachdenken. Auf einem Stammtisch in Dresden forderten jüngst 51 von 63 anwesenden Mitgliedern, dass der Kreisvorstand die Bundesvorstandsampfehlung dazu zurückweisen und den Bundesvorstand zum gemeinsamen Gespräch nach Dresden einladen soll, um sich ein Bild von Pegida und dem KV Dresden zu machen. Abgesehen von dem Fakt, dass zu unserem letzten Kreisparteitag die Anwesenden gerade mal an der „30“ kratzten: diese Zurückweisung halte ich aus folgenden Gründen für falsch.
1. Pegida starb langsam vor sich hin, HT. Tillschneider in Dresden (der damit unseren Landesvorstand und die Bundesvorsitzende gleichermaßen düpierte) und S. Däbritz in Erfurt wirkten wie ein Defibrillator. Diese Aufwertung eines heillos zerstrittenen und für mich politikunfähigen Haufens hatten wir gar nicht nötig. Selbst Werner Patzelt hat dem Orgateam in seinem jüngsten Buch fehlende politische Führungsfähigkeiten bescheinigt: die Bewegung sei „von politisch nicht sonderlich begabten Anführern in eine Sackgasse geführt worden“. Wir marschierten also von Anbeginn getrennt, aber in der Hauptsache vereint. Warum sollten wir das ohne Not anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl ändern? Es sei denn, man lebt in einer Parallelwelt, in der als veritable Politik gilt, monatelang einmal wöchentlich mehr oder weniger gehaltvolle Reden zu halten und durch eine Stadt zu spazieren ‐ übrigens monatelang auch ich; die Beweggründe sind hier unter dem Datum „17. Dezember 2014“ nachzulesen.
2. Politik ist selten eindimensional. Im Falle von Pegida gehören die Ebenen von Sach‐, Personal‐ und Parteipolitik dazu. Laut BuVo‐Beschluss sollen AfD-Mitglieder weder als Redner noch mit Parteisymbolen bei PEGIDA‐Veranstaltungen auftreten. Wer in diesen Satz ein Demoverbot von AfD‐Mitgliedern, gar eine inhaltliche Distanzierung von den PEGIDA‐Forderungen hinein interpretiert, will das interpretieren – es steht aber nicht da! Zur Erinnerung: nicht nur aufgrund der Mitgliedschaft des Dresdner Kreisvorstands Achim Exner waren PEGIDA‐Forderungen immer und von Anbeginn AfD‐Forderungen. Die zuletzt 19 Pegida‐Forderungen, wie im „Offenen Brief“ der Dresdner beklagt, standen nie zur Debatte. Es geht also nicht um Sachpolitik, sondern um Personalpolitik, denn was teilweise Festerling oder gar „der Franzose“ in verschiedenen Reden äußerten, zumal gegen die AfD, war mehr als grenzwertig. Von der Gegenkandidatur zu Stefan Vogel sowie den Phantastereien einer eigenen Partei, die die AfD „kontrollieren“ (!) wollte und jetzt gegründet werden soll, schweige ich; und Bachmanns Ego nebst seiner Zerstrittenheit mit seinen Vereinsmitgliedern und seinem Umgang mit Spenden ist auch kein Grund, aktiv den Kontakt mit einer Trümmertruppe zu suchen. Es sei denn, man lebt in einer Parallelwelt, in der ein kurzzeitiger Besitzer eines Balles wichtiger ist als Mannschaft, Spiel und Stadion.
3. Zur Personalpolitik gehört andererseits klar zu machen: die AfD ist eine Partei, bestehend aus 16 Landesverbänden. Die haben alle partikulare Interessen, klar, erst recht die einzelnen Landesfürsten, aber die politische Richtung muss stimmen. Und unsere heißt jetzt vor allem: Bundestagseinzug vorbereiten; das sah übrigens auch der Landesvorstand diese Woche so. Die Wahlen nächstes Jahr werden aber weder in Dresden noch Sachsen noch Mitteldeutschland entschieden. Also muss A. Poggenburg (der übrigens vom Ausflug seines Abgeordneten und Landesvorstands gar nichts wusste) und B. Höcke klar gemacht werden: es gibt neben euch noch 14 andere Landesverbände, also lasst eure Alleingänge. Es sei denn, man lebt in einer Parallelwelt, in der Teile des KV Dresden gemeinsam mit den Landesverbänden TH und SA die AfD bilden.
4. An dieser Stelle der Personal‐ spielt auch erstmals die Parteipolitik hinein. Bundestagseinzug sichern heißt Nichtwähler gewinnen und Wähler anderer Parteien umstimmen. Und hier brauchen wir nicht die Ränder, die uns sowieso wählen (Pegida zähle ich dazu), sondern die viel größere Gruppe der Unentschlossenen, die aufgrund fehlender und/oder Desinformation Pegida skeptisch gegenüberstehen – und die sich vor allem in den alten Ländern finden. Um die nicht zu verprellen, gehört ein bestimmtes Maß an Symbolpolitik dazu – der Beschluss ist ebenda einzuordnen. Übrigens genauso wie Marcus Pretzells Ausruf „Wir sind Pegida‐Partei“ in Essen. Dass Symbolpolitik ein Instrument der Konsensparteien in der Mediengesellschaft ist: geschenkt, wir leben alle in derselben Gesellschaft. Dass man damit einer bestimmten Zahl an Dresdner/sächsischen Mitgliedern gelinde geschrieben „vor den Koffer scheißt“, halte ich für völlig normal: allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Diesen politischen Weitblick unterstelle ich unserem Dresdner Kreisverband, und ich hoffe nicht, einem Trugschluss zu unterliegen. Die Wahlen werden im Westen gewonnen! Allein in NRW gibt es mit 13,8 Mio. mehr Wahlberechtigte als in den fünf NBL zusammen (11 Mio.). Eine Wahlbeteiligung von 100% unterstellt: Geben uns in Sachsen 10 % ihre Stimme, haben wir 340 000; tun das ebenso viele in NRW, haben wir 1.380 000. Selbst wenn uns in allen NBL 10 % wählen, sind das immer noch weniger als allein in NRW! Es sei denn, man lebt in einer Parallelwelt, in der in Sachsen 13,8 Mio. Wahlberechtigte leben und in NRW 3,4 Mio.
5. Zur Parteipolitik gehört aber neben der politischen auch die strukturelle Geschlossenheit (siehe Landesverbände). Basisdemokratie hat für mich nichts mit Anarchie zu tun. Wenn jetzt aber ein Kreisverband aufgrund minderheitlich empfundener basisdemokratischer Defizite des Bundes im Umgang mit Pegida Sonderparteitage, Resolutionen und ähnliche Dinge gegen Berlin ins Spiel bringt, können wir einpacken. Das schwächt nicht nur unsere Landesvorsitzende, ja zerstört sie auf Bundesebene (wenn die Dresdner Basisdemokraten ein wie auch immer geartetes „Zeichen“ wofür oder wogegen auch immer setzen wollten: das war der „Offene Brief“ in jedem Fall), sondern sendet Spaltungssignale und erfreut die Medien. Und das kann nicht das Ziel des größten sächsischen Kreisverbandes sein. Es sei denn, man lebt in einer Parallelwelt, in der Höcke und Poggenburg die sächsischen bzw. Bundesvorsitzenden sind und HT. Tillschneider Fraktionsmitglied in Sachsen.
Aber vielleicht lebe ja ich in der Parallelwelt?