Sänk ju, Karlheinz!
16. Dezember 2016 von Thomas Hartung
Die Duplizität der Ereignisse mit 24-Stunden-Frist ist ungewollt: einerseits bringt die AfD einen Antrag auf Verfassungsänderung in den Sächsischen Landtag ein, in dem die deutsche Sprache als Kulturgut verankert werden soll. Andererseits verleugnet VW seine Geschichte und Identität, in dem es ab 2021 Englisch als verbindliche Unternehmenssprache mit der Begründung einführen will, attraktiver für internationale Top-Manager zu werden. Warum ist das falsch und muss dringend überdacht werden?
Da Humor ist, wenn man trotzdem lacht, freue ich mich zunächst darüber, dass diese Ankündigung von Personalvorstand Karlheinz Blessing schon mal alle Integrationsbemühungen konterkariert, unseren vielen zugewanderten Fachkräften Deutsch beizubringen. Dann freue ich mich auf „Folk-Car“ oder „People-Wagon“. Und ich freue mich auch, dass amerikanische Ermittler dann die konzerninternen Emails nicht mal mehr übersetzen lassen müssen. Und was sagt eigentlich der Anteilseigner Niedersachsen dazu? Wird demnächst im niedersächsischen Landtag auch Englisch gesprochen?
Spass beiseite: Vorbei die Zeiten, da 2010 die Leser der Zeitschrift „Deutsche Sprachwelt“ eine Porsche AG noch zum „Sprachwahrer des Jahres“ wählten. Unternehmensberater und Angewandte Linguisten erklären ständig, dass der konsequente Einsatz des Deutschen als Unternehmenssprache aus vielen Gründen ein Erfolgsfaktor ist. Deutsch ist detailgenauer: unter ‚error‘ könnte sich Qualitätsmangel, Versehen oder Fehlplanung verbergen. Daneben benachteiligt Englisch automatisch alle, für die es nicht die Muttersprache ist. Gerade in den Entwicklungsabteilungen geht es um Vorstellungskraft, Denkschärfe und um reibungslose Verständigung: der Einfallsreichtum der Ingenieure ist in ihrer Muttersprache am größten. Der Trend zur englischen Sprache ist auch aus Imagegründen eher schädlich, denn ‚Made in Germany‘ ist nach wie vor ein Verkaufsgarant.
Und vor allem entwickelt sich in Firmen im Vergleich zum normalen Englisch meist ein sogenanntes Bad Simple English (BSE) – ein einfacheres, oft fehlerhaftes Englisch, dass die Gefahr von Missverständnissen mit fatalen Folgen birgt. Schneider warnte 2013, dass die Internationalisierung zur Infantilisierung werden könne. Für Kaehlbrandt 2015 ist die Ursache dieser Entwicklung ein Drang nach wirtschaftlicher Effizienz durch kulturelle Vereinheitlichung und Vereinfachung hin zu einer niedrigschwelligen Massengesellschaft. Und dieser Drang führt leider dazu, dass entscheidende gesellschaftliche Bereiche wie Wissenschaft, Politik und eben auch Wirtschaft aus eigener Initiative zunehmend ans Englische abgegeben werden. Die Forderung von Alexander Graf Lambsdorff (FDP) nach Englisch als weiterer deutscher Amtssprache ist ebenso Indiz wie der Plan des Münchner TU-Präsidenten Wolfgang A. Herrmann, alle Masterstudiengänge auf Englisch umzustellen.
Hinzu tritt, dass viele deutsche Geschäftsleute und Betriebe den Internationalitätsgrad der deutschen Sprache als ausgesprochen gering veranschlagen (vgl. Ammon 2015:427). Als wesentliches Indiz sieht Ammon die – nicht nur wirtschaftskommunikativ beobachtbare – Anbiederung an den internationalen Konsumenten als „Fremdsprachennachteil“ – eine Perspektive, die also vom prinzipiell „schwächeren“ Deutsch ausgeht, und das ist das eigentlich Tragische jener Sprache, die Goethe, Novalis oder Rilke sprachen…
„Warum in der modernen Warenwirtschaft Anbieter sich sprachlich eher an Abnehmer anpassen als umgekehrt, erklärt sich einerseits aus der Marktstruktur, aufgrund deren sich erstere um letztere mehr bemühen müssen, und andererseits aus den Mühen des Fremdsprachengebrauchs und -erlernens, die der schwächere Kommunikationspartner auf sich nehmen muss, um sie dem stärkeren zu ersparen“ (ebd.:425).
Insgesamt, bilanziert Ammon in seiner lesenswerten, faktenreichen Untersuchung, könnten Unternehmen aus 37 Staaten mit deutschen Unternehmen auf Deutsch korrespondieren (ebd.:433). Diese Zahl habe sich seit 1989 zwar um zehn erhöht, was allerdings ausschließlich auf die Entstehung neuer Staaten in Ost- und Südosteuropa zurückzuführen sei, die früher Teil der UdSSR, Jugoslawiens oder der Tschechoslowakei waren: „In Wirklichkeit ist der Anwendungsbereich von Deutsch eher geschrumpft, da Island, Israel und die Türkei weggefallen sind“ (ebd.). Allerdings rangiert Deutsch damit immer noch auf Platz drei hinter Englisch (137 Staaten) und Französisch (58 Staaten) noch vor Spanisch (28), Russisch (23) und Arabisch (17) (ebd.:438).
Und diesen Schrumpfungsprozess befeuert nach Daimler, Siemens oder BASF nun auch VW. Daneben fürchte ich, dass es zu einer Trennung zwischen den oberen und unteren Unternehmensebenen kommen wird: nach und nach werden die Motivation der eigenen Mitarbeiter und in der Folge dann auch die Kunden ausbleiben. Es ist zum Haareraufen.