Je kürzer, desto besser
10. September 2017 von Thomas Hartung
Der Psychoanalytiker Karl Abraham hat schon vor 100 Jahren behauptet, dass der Name oft zum Schicksal seiner Patienten passt. Da könnte was dran sein. So sorgte vor acht Jahren eine Studie der Uni Oldenburg für Aufsehen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass viele Grundschullehrer einen Jungen mit dem Namen Kevin als verhaltensauffällig abstempeln. Als eher freundlich und leistungsstark sahen die Lehrer hingegen Jungen mit den Namen Alexander, Maximilian, Simon, Lukas und Jakob. Positiv bewertete Mädchennamen waren Charlotte, Nele, Marie, Emma und Katharina. Auf der Negativliste standen Mandy, Chantal und Jaqueline. „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“, kommentierte ein teilnehmender Lehrer damals. Auch wenn die Nationalität nicht explizit angegeben ist, versteige ich mich gern zu der These, dass es mehrheitlich deutsche Lehrer waren, die Kindern mit deutschen Namen mehr Leistung unterstellten als solchen mit englischen.
Jetzt wurde im STERN-Auftrag untersucht, ob der Vorname mit dem Erfolg im Beruf zusammenhängt. Erwartbares Ergebnis: ja. Je kürzer der Vorname, desto mehr Geld und Erfolg habe der Arbeitnehmer im Job. Deutschlands Top-Verdiener heißen dem aktuellen Gehaltsranking zufolge „Dirk“ und „Sabine“: der Durchschnitts-Dirk kommt demnach auf 120.200 Euro im Jahr, die Durchschnitts-Sabine auf 83.638 Euro. Auch Rainer, Jürgen, Susanne und Claudia gehen als überdurchschnittlich gut bezahlte Arbeitskräfte aus dem Ranking der Jobsuchmaschine Adzuna hervor.
Insgesamt verdienen Mitarbeiter, deren Vorname nur eine Silbe hat, meist mehr als ihre Kollegen mit einem zwei- oder dreisilbigen Vornamen: Namen mit zwei Silben bringen acht Prozent, solche mir drei Silben sogar 18 Prozent weniger Gehalt ein. Ein Grund: ist ein Name leicht zu schreiben, bleibt er auch leicht in Erinnerung. Umgekehrt schließen offenbar viele Menschen von einem komplizierten Namen auf eine komplizierte Persönlichkeit. Bernd Samland von der Kölner Namensagentur „Endmark“: „Echte Karrierekiller sind auch Doppelvorname und Doppelnachname, z. B. Ann-Katrin Müller-Lüdenscheid.“
Angaben des Namenkundlichen Zentrums der Universität Leipzig zufolge ist aber eher der Gegentrend beobachtbar, greifen Eltern immer öfter zu unkonventionellen, längeren Vornamen. Eine dpa-Liste standesamtlich beurkundeter Jungen- und Mädchennamen liest sich geradezu wie eine Figurenliste aus einer Fantasy-Komödie: Don Armani Karl-Heinz, Camino Santiago Freigeist oder Eisi Faust Erik bei den Jungen; Ferrara Melody Maxima, Frangi-Pany oder Sueann-Presess bei den Mädchen. „Trotz des Traditionsbewusstseins wird die Bundesrepublik bei den Vornamen immer bunter”, sagt die Leipziger Namensforscherin Gabriele Rodriguez.
Nun aber kommts: ein kurzer deutscher Vorname, nämlich „Adolf“, ist jetzt politisch korrekt in absoluten Verruf geraten – wovon ein „betroffener“ Journalist in der FAZ berichtet. Der Name ist althochdeutsch und bedeutet Edelwolf. Das ist doch schön, wäre da nicht jener Adolf aus Braunau am Inn, der dem Namen die Unschuld geraubt hat und noch raubt (ebenso wie natürlich dessen in Israel verurteilter Vernichtungsbeamter). So kamen 2006 in Deutschland über 672.720 Babys zur Welt, nur ein einziges wurde (allerdings mit zweitem Vornamen) Adolf genannt. Noch Ende des 19. Jahrhunderts war Adolf sehr geläufig, besonders in Süd- und Westdeutschland. 1890 stand der Name an dreizehnter Stelle auf der Beliebtheitsskala aller männlichen Vornamen (hinter Fritz, Franz oder Emil).
Deutschland hat keine schwarze Liste
Vielleicht dachten Eltern an Adolf von Knigge, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts für Anstand und gutes Benehmen steht, oder an Gustav Adolf, den protestantischen König aus Schweden. Auch Adolph Kolping genoss hohen Respekt, vor allem bei Katholiken, die dem sozial engagierten Kirchenmann mit Achtung entgegentraten. „Solche Leitbilder wie Adolph Kolping brauchen wir für die Kirche von heute“, sagte Papst Johannes Paul II. 1991 bei der Seligsprechung, aber er hat damals vermutlich nicht an den kontaminierten Vornamen gedacht.
Die Vergabe dieses Vornamens ist jedoch in Deutschland nicht grundsätzlich verboten. Die Standesämter haben keine allgemeingültige schwarze Liste mit Namen, die sie auf jeden Fall ablehnen. Sie sind lediglich dazu angehalten, das Persönlichkeitsrecht des Kindes zu wahren. Der Säugling kann bei fragwürdigen Ideen seiner Eltern ja nicht intervenieren, diese Aufgabe müssen deshalb die Standesbeamten übernehmen, und die entscheiden individuell. Dabei müssen sie auf verschiedene Faktoren achten, vor allem: Namensgrundsatz, Geschlechtseindeutigkeit und „Anstößigkeit“.
Ob Adolf also eintragungsfähig ist, hänge von den Beweggründen der Eltern ab, erklärt N-tv bereits im März 2016. Bei einer eindeutig rechtsextremen Gesinnung der Eltern sei die Eintragung dieses Vornamens vom Standesamt abzulehnen; könnten die Eltern hingegen eine andere Motivation für die Vergabe des Vornamens Adolf glaubhaft machen, so sei er eintragungsfähig. Gesinnungsprüfung für die Namensgebung – wie soll das gehen? Dass jemals jemand um den Namen prozessiert hätte, ist bis dato nicht bekannt.
Kein Wunder. Mit Adolf Butenandt (Chemie-Nobelpreisträger 1939), Adolf „Adi“ Dassler (Gründer von Adidas), Adolf Fick (Entdecker der Diffusionsgesetze), Adolf Hennecke (DDR-Aktivist), Adolph Menzel (Maler), Adolf Merckle (Pharmazie-Unternehmer) oder Adolf Muschg (Schriftsteller, wenn auch aus der Schweiz, dennoch Bundesverdienstkreuzträger) gibt es genug Adolfe, die eine Normalisierung des Anthroponyms rechtfertigten. Denn was ist eigentlich mit Josef? Josef Mengele, Josef Stalin, Josef Goebbels …
Wobei: Josef ist harmlos, beginnt er doch mit „J“, einem völlig uninteressanten Buchstaben. Ganz anders sieht das aus mit dem „H“. Zum ersten mit Horst. Der Name sei während der Herrschaft des Naziregimes zum Ausweis einer regimetreuen Gesinnung geworden: „außergewöhnlich viele Eltern nutzten diese Gelegenheit, der Diktatur ihre Ergebenheit zu demonstrieren, indem sie ihre Kinder nach dem Heiligen der braunen Herren nannten“ – dem SA-Mann Horst Wessel, der am 14. Januar 1930 von einer Gruppe Kommunisten ermordet worden war und dessen Lied „Die Fahne hoch“ quasi zur zweiten Nationalhymne wurde. Vorausgesetzt die Korrelation stimmt: die Erklärung, warum die Beliebtheit des Namens seit 1941 abnahm, steht bis heute ebenso aus wie die, warum keiner der prominentesten Nazis eines seiner Kinder Horst taufte.
Aber es kommt noch besser: mit Verweis auf einen Namenserlass von Innenminister Hermann Göring vom 18. August 1938 (Kinder deutscher Staatsangehöriger sollten grundsätzlich nur deutsche Vornamen erhalten, weil dies der Förderung des Sippengedankens diene) seinen vor allem biblische Jungen- und christliche Heiligen- zugunsten germanischer Namen gewichen. Die Kinder Helga, Hildegard, Helmut, Holdine, Hedwig und Heidrun von Goebbels und seiner Frau Magda wären eine Referenz an, natürlich, Hitler gewesen, womit sich der Kreis zu „Adolf“ schließt.
Und nun? Ein namhafter DDR-Sportreporter verhalf einst dem deutschen Namen „Waldemar“ zu ungeahnter Karriere: angesichts des zweiten Olympiasiegs des Marathonläufers Waldemar Cierpinski 1980 in Moskau sprach Heinz Florian Oertel live die legendären Sätze „Liebe junge Väter oder angehende, haben Sie Mut! Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages ruhig Waldemar! Waldemar ist da!“. Zu solchem Aufruf versteige ich mich nicht.
Aber unseren deutschen Namen mit Respekt zu begegnen kann nicht schaden angesichts der Tatsache, dass auf der Gesamtliste mit allen Namen aus den 650 deutschen Standesämtern der islamisch geprägte Mohammed einen weiten Sprung nach vorne geschafft hat – von Platz 41 im Jahr 2015 auf Platz 26 im Jahre 2016. Dicht gefolgt von Ali und Yusuf. Dazu muss noch ergänzt werden, dass in Deutschland der Name „Mohammed“ prozentual weitaus häufiger für neu geborene Jungs gewählt wird als in der Hitliste der Vornamen in der Türkei. Unter den Namen, die 2016 um mehr als 100 Plätze gestiegen sind, waren die ersten sechs übrigens Samir, Leano, Ismail, Aras, Wilhelm und Amar. Ein Schelm, der jetzt von Islamisierung spricht.