Kann denn Döner Sünde sein?
20. September 2017 von Thomas Hartung
Ungeheuerliches ist geschehen. Bereits zwei AfD-Bundesvorstände haben zugegeben, dass sie Döner lieben. DÖNER! Wo kämen wir denn da hin, wenn die Spitze einer ach so homophoben Partei eine Muselspeise mag? Die mediale Aufregung war eine maßlose. Aber der Reihe nach.
Zuletzt legte Philip Manow dar, dass sich am Essen ebenso wie an der Kleidung unseres politischen Führungspersonals ablesen ließe, dass tendenziell alle Verhaltensweisen, die in der Lage sind, sozial eine Unterscheidung zu markieren, in der voll demokratisierten Gesellschaft politisch unter Verdacht geraten können: „In der Demokratie lässt sich keine Karriere auf Extravaganz gründen.“ Grund: jede soziale Distinktion sei ein potenzielles politisches Ausschließungskriterium, während der Repräsentationsanspruch in der Demokratie ja immer ein unbegrenzter sein müsse.
Bei den politischen Essgewohnheiten signalisiere folglich die erklärte Vorliebe für die einfache Küche Volksnähe und Bodenständigkeit, weshalb politisch die Landesküche und vergleichsweise rustikale Hausmannskost vorherrschten: „Regionale Gerichte bieten die Gelegenheit, mit einem zusätzlichen Bekenntnis zur jeweiligen Herkunft zu punkten“, meint Manow und nennt „Dicke Bohnen“ (Konrad Adenauer), „Pichelsteiner Eintopf“ (Ludwig Erhard) und natürlich den „Saumagen“ (Helmut Kohl).
So resümiert er:
„Die typische politische Klischeespeise ist also im Inland wie im Ausland eine glatte, gediegene Sache, die sich gut in eine Zeichenordnung des Soliden, Bewährten und Bescheidenen einfügt und damit auch eine Sehnsucht nach Herkunft und Identität erfüllt, auf ein nostalgisches Bedürfnis antwortet: sie soll zur Assoziation jeden und zur Dissoziation keinen Anlass bieten.“
Und obwohl er einräumt: „Das Essen ist immer politisch codiert, aber überall anders“, erklärt er nicht zuletzt mit Blick auf Barack Obama und dessen Burger-Vorliebe den „Schnellimbiss“ als besonders demokratiekompatibel.
Im Mai 2016 nun tauchte bei Twitter ein Foto auf, das Beatrix von Storch in einem solchen Schnellimbiss in Brüssel zeigt. Genauer: einem Döner-Imbiss. Für die Twitter-Community passte das nicht zusammen. Von Storch aber findet: Unbedingt. Dem „Tagesspiegel“ sagte sie: „Ich hab nichts gegen Döner, sondern gegen Scharia.“ Die AfD wende sich gegen den „gesellschaftsfeindlichen politischen Islam“, nicht aber gegen in der Gesellschaft integrierte Muslime: „Nur, wer das nicht differenzieren kann, hält es für skandalös, dass ich gerne Döner mit scharfer Soße mag.“
Die Belustigung um das Foto fasst der Tweet des Users James Hall wohl am besten zusammen: „Der Islam mag laut der AfD nicht zur BRD zu gehören, aber der Döner laut Beatrix von Storch sehr wohl!“ Die Tiefendimension, dass Migration solange unproblematisch ist, wie der Migrant das Risiko selbst trägt – in diesem Falle als freiwillig nach Deutschland eingewanderter Bürger türkischer/ muslimischer Herkunft, der ebenso freiwillig als Imbissunternehmer arbeitet – hat Hall nicht verstanden. Viele andere übrigens, darunter die diesen Schnappschuss skandalisierenden Medien, auch nicht.
„Frau Merkel isst ihren Döner immer so wie wir Türken ihn essen“
Nun war von Storch aber keineswegs die erste Politikerin, die diese Mahlzeit verspeiste. Keine Geringere als Angela Merkel soll während ihrer Zeit als CDU-Vorsitzende einmal pro Woche Döner gegessen haben. Und zwar im „Café Motiv“ in der Wilhelmstraße im Berliner Regierungsviertel. „Frau Merkel isst ihren Döner immer so wie wir Türken ihn essen – ohne Soße, nur mit Fleisch, Salat, Zwiebeln, Tomaten, Weiß- und Rotkraut“, hat der Chef des Cafés mal der „Berliner Zeitung“ gesagt. 2009 ließ sie sich bei einem Sommerfest der Union in Berlin gar am Stand eines Döner-Produzenten fotografieren – das Bild zierte später den Internet-Auftritt eines Odessaer Restaurants als Werbe-Trick, der den Betreibern zwar mehr Besucher bescherte („Alle wollen wissen, ob Merkel wirklich bei uns war“), aber auch diplomatischen und urheberrechtlichen Ärger.
Woher also die Aufregung um diesen Snack, den 1972 Kadir Nurman in der Berliner Hardenbergstraße als erster in der Bundesrepublik kreierte, mit Hackfleisch von Kalb und Rind, Zwiebeln und grünem Salat, und für 1,50 Mark verkaufte? Mit den Jahren ist eine Industrie gewachsen mit 16.000 Buden, 60.000 Mitarbeitern, die rund drei Millionen Döner täglich verkaufen, und 3,5 Milliarden Euro Jahresumsatz (2011). Versuche, den Döner „deutscher Art“ (tatsächlich wird dieser in China als deutsche Spezialität vermarktet!) mit ähnlichem Erfolg in der Türkei zu etablieren, sind dagegen lange gescheitert.
Als eine Erklärung muss die seit Jahren gebrauchte mediale Floskel herhalten, dass „Döner-Essen“ nicht Integration und /oder Integration mehr als „Döner-Essen“ sei. „Er sollte nicht auf die Idee kommen, in Schöneberg oder in Wedding einen Döner zu essen, um seine Bemühungen für Integration zu zeigen. Das wäre albern – und würde ihm kein Mensch abnehmen“, kommentierte ein Malik Fathi online beim „Tagesspiegel“ 2004 zum designierten Bundespräsidenten Horst Köhler.
Als weitere Erklärung muss die NPD herhalten. So wurde Safet Babic, ein Trierer NPD-Politiker mit Migrationshintergrund, im September 2015 beim Verdrücken dieser türkischsten aller germanischen Speisen ertappt. Der gebürtige Deutsche mit bosnischen Wurzeln verstieß damit gegen die deutschnationalen Speisegesetze, hatte doch die NPD Stuttgart ihre Mitglieder aufgefordert, „lieber kalte schwäbische Maultaschen als warmen Döner“ zu essen. Die anonyme Aktionskünstlerin „Barbara“ reimte darauf: „Islamophobie, das ist bekannt, endet oft hungrig am Dönerstand“. Aber auch „Deutschland ist schön doch noch viel schöner ist es mit Pizza, Sushi und Döner“ wird ihr zugeschrieben.
„Kartoffeln statt Döner“ stand auf einem Transparent, das ein Kögida-Demonstrant hochhielt. Prompt ließ sich nicht nur der Oldenburger Imbissbesitzer Hani Alhay, ein gebürtiger Libanese, zu einem „Kartoffeldöner“ inspirieren, den er sich beim Münchner Patentamt schützen ließ, sondern war auch „Nazis essen heimlich Döner“ in schwarzen Großbuchstaben auf einem Pappschild zu lesen, das zwei Aachener Studentinnen zur „Köln stellt sich quer“-Demo mitbrachten. Der Slogan wurde rasch zum Dauerbrenner, der unter anderem Basecaps und T-Shirts zierte, weil ihm ein bestimmter Symbolwert zugeschrieben werden konnte, der sich linksgrün bestens semantisieren ließ, sicher auch (mit) hervorgerufen durch die anfängliche Titulierung der NSU-Mordserie als „Döner-Morde“.
„Während täglich von besetzten Häusern Gewalttaten ausgehen, rückte der Staatsschutz zum Dönereinsatz aus.“
N-tv zitierte im April 2016 genüsslich ein Statement von Tilo Sarrazin:
„Ich habe in meinem Leben natürlich schon mal einen Döner gegessen. Aber seitdem ich 2011 von einem Mob aus einem türkischen Restaurant in Kreuzberg vertrieben wurde und mich der Besitzer weder schützen wollte noch konnte, sehe ich keinen Anlass, türkische Restaurants zu besuchen.“
Monate später rauscht dann die „rassistische“ Geschichte eines Berliner Busfahrers durch den Blätterwald, der nach mehrfacher Ermahnung ein dennoch weiter Döner essendes vierzehnjähriges Sarrazin’sches Kopftuchmädchen seines Busses verwies. Die junge Frau lamentierte nach ihrem Rauswurf an der Haltestelle, dies sei wegen ihres Kopftuchs geschehen.
Absurd allein die Vorstellung, ein Berliner Busfahrer, der täglich Hunderte von Kopftüchern transportiert, würde es – wenn überhaupt gewollt – wagen, so seinen Job zu gefährden. Diese Logik hinderte aber keineswegs einen guten Menschen daran, dem renitenten Kind zu glauben und Strafanzeige zu stellen. Tatsächlich, und das ist die eigentliche Botschaft, machte sich nicht die BvG oder die Polizei, sondern der Staatsschutz an die Arbeit. Konrad Kustos bilanzierte bitter:
„Während täglich von besetzten Häusern Gewalttaten ausgehen, während einheimische und eingewanderte Terroristen ihre Pläne schmieden, während radikale Ideologen an den Rändern der Gesellschaft oder in Regierungsverantwortung die Grundlagen unserer Gesellschaft und unserer Freiheit infrage stellen, rückte der Staatsschutz zum Dönereinsatz aus.“
Und nun, im Wahlkampfsommer 2017? Da wird Alice Weidels Profilseite im Absolventenbuch der Universität Bayreuth aus dem Jahr 2004 ausgegraben. Die frisch graduierten Diplom-Kaufleute und Volkswirte antworten dort unter anderem auf die Frage nach ihrem persönlich furchtbarsten Erlebnis während der Studienzeit. Mancher beichtet Prüfungsängste, andere geben die Trennung vom Ex oder peinliche Saufeskapaden preis. Alice Weidel aber hat einen anderen „furchtbarsten Tag“ in Erinnerung. Sie schreibt: „Dönerbude Istanbul geschlossen.“ Au weia.
Die „Wirtschaftswoche“ lässt sich zu dem Satz hinreißen
„Von der Spitzenkandidatin einer national gesinnten Partei, die im Bundestagswahlkampf auch mal vor ‚Grapsch-Migranten‘ warnt, würde man kein so sympathisches Bekenntnis zu der populären türkischen Grillspezialität erwarten, dem zwangsläufigen Grundnahrungsmittel vieler küchenscheuer Studenten und gestressten Arbeitnehmer.“
Aha. Was würde „man“ denn sonst erwarten? Ein Bekenntnis zum „Nudeln machen“, das für „küchenscheue“ Studenten auch „Kochen“ ist? Oder ein Bekenntnis zu Bockwurst, Brötchen und Senf, dem Drei-Gänge-Menü „gestresster Arbeitnehmer“?
In Nordrhein-Westfalen übrigens war die Landes-SPD in den Landtagswahlkampf 2012 mit dem Slogan „Currywurst ist NRW“ gestartet – gerade im Ruhrpott ein Symbol für besondere Volksnähe. Der Slogan ging als Sieger aus einem Wettbewerb hervor, zu dem die Partei im Internet aufgerufen hatte. In der Parteizentrale gab es damals Currywurst für alle. Gratis, versteht sich. Resultat: Hannelore Kraft gewann, und zwar haushoch.
Jetzt stelle man sich kurz eine AfD-Kampagne „Döner ist Deutschland“ vor. Auf Plakaten zeigt die Partei blonde Übermodels, darunter Heidi Klum, Eva Padberg und Tatjana Patitz, unter dem Motto „Döner macht schöner“. In den Wahlkampfspots lässt sie hunderte integrierte Dönerbudenbetreiber zur Hymne „Mit dem Döner in der Hand retten wir das Vaterland“ (Melodie und Text: Xavier Naidoo) durch Kreuzberg marschieren. Und ein bundesweiter Aktionstag „Döner essen gegen links“, weltweit live übertragen von Al Jazeera, vereint 28 000 Parteimitglieder zwischen Flensburg und Berchtesgaden. Beim Barte des Propheten: 51 % wären der Partei sicher gewesen.
P.S.: Aller guten Dinge sind drei. Ende August postete Jana Schneider, Thüringer Landeschefin der „Jungen Alternative“, in einem ca. 12.00 Uhr abgesetzten Facebook-Status „Döner zum Frühstück ♥.“