ASA-Editorial 32-2017
20. September 2017 von Thomas Hartung
In der Woche vor der Wahl müssen wir schon wieder über Literatur nachdenken. Genauer: über politische Literatur. Das ist eigentlich ein unscharfer Sammelbegriff für literarische Werke vom Gedicht bis zum Drama, die sich mit politischen Themen, Ideen oder Ereignissen befassen. Ihr Spektrum reicht von historischen Avantgarden wie etwa dem Vormärz (Freiligrath, Herwegh, Weerth…) bis zu Beispielen staatlicher Propaganda in Diktaturen. Auch der Literatur der beiden deutschen Staaten war oft eine politische Dimension eigenen, manche Texte ohne sie kaum verständlich, das betraf etwa die frühe DDR-Science Fiction (del Antonio, Weise…) ebenso wie die Agit-Prop-Szene der BRD (Kittner, Süverkrüp…).
Von Anbeginn steht dabei der Begriff „Tendenzdichtung“ im Raum: solche Texte seien nicht mit den Ansprüchen autonomer Kunst zu vereinbaren, denn die affirmative Rhetorik von „Parteilichkeit“ lässt immer die Instrumentalisierung unterschiedlicher Macht- und Interessengruppen durchblicken. So sei Dichtung kein angemessenes Medium für Politik, Politik kein angemessener Inhalt für Dichtung. Die Tage kurz vor der Bundestagswahl zeigen anhand zweier Jugendbücher, dass diese Vorwürfe durchaus gerechtfertigt sind, befassen sie sich doch mehr oder weniger explizit mit der AfD und verfolgen ganz eindeutig eine politische Mission: vor dieser Partei zu warnen.
„Der Schuss“ von Christian Linker (nomen est omen) handelt vom 17-jährigen Robin, einem unpolitischen Schluffi, der zufällig Zeuge eines Mordes an einem Rechtsextremisten wird. Die Täter sind selber Rechte, wollen den Mord aber einem stadtbekannten „Intensivtäter“ mit Migrationshintergrund unterschieben, um damit die Wahlergebnisse ihrer „Deutschen Alternativen Partei“ zu befeuern. Zwar durchaus gut charakterisierte, ambivalente Figuren können nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Der Schuss“ eher eine Geschichte über die NPD ist. Es geht um rechtsextreme Kameradschaften, die ganze Viertel terrorisieren, um Politiker, die solche Gruppen zu ihrem Vorteil nutzen. Dirigieren wir irgendwelche Kameradschaften? Selbst der wahrlich nicht konservative Martin Machowecz muss in der ZEIT einräumen, dass die AfD so nicht ist, erst recht nicht so eindimensional.
Der zweite Roman, „Endland“ von Martin Schäuble (nomen est omen), spielt in einem Deutschland, in dem schon seit einer Weile die „Nationale Alternative“ regiert. Anton, ein junger Soldat und glühender Anhänger dieser Partei, soll im Auftrag der neuen Herrscher einen Anschlag im Flüchtlingslager verüben – auch hier, um die Tat hernach Migranten unterzujubeln. Allerdings wird Antons Überzeugung auf die Probe gestellt, als er sich mit dem äthiopischen Flüchtlingsmädchen Fana anfreundet, das, natürlich, in Deutschland Medizin studieren will. Es soll nicht darum gehen, dass diese Art Science Fiction völlig misslingt, da „Endland“ die Welt holzschnittartig in Gut und Böse einteilt. Auch nicht, dass „Endland“ von einer Mauer umschlossen ist, D-Mark und Wehrpflicht wieder eingeführt hat und Flüchtlinge „Invasoren“ nennt. Schlimm ist, dass „Fana“ keine andere Funktion erfüllt als Anton moralisch niederträchtig und intellektuell unbedarft erscheinen zu lassen, bevor er, natürlich, doch noch auf die „richtige Seite“ gezogen wird.
Beide Machwerke sind unerträgliche Gehirnwäsche. Bei Linker kein Wunder, der Theologe war in Köln fast ein Jahrzehnt hauptamtlicher Diözesanvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Während sein Text bei amazon noch unrezensiert ist, verzeichnet „Endland“ schon fünf Kritiken. „Das Buch ist etwas für junge Antifanten, die ‚Gründe‘ für zukünftige Gewaltausbrüche suchen“, erbost sich einer, der bei vier positiven Wertungen allerdings untergeht.
Jenny Erpenbeck, die 2015 selbst mit „Gehen, ging, gegangen“ einen Roman vorlegte, der von afrikanischen Geflüchteten handelt, gab schon vor Monaten in der ZEIT unumwunden zu, dass Literatur für sie „Welterklärungskompetenz“ im Sinne von „Weltanschauungskompetenz“, ja gar eine „interventionistische Aufgabe“ besäße. Auf die ZEIT-Unterstellung, dass das politische Statement ihres Buches „Gegen Dublin II beziehungsweise Dublin III, gegen ein Grenzregime, das sich vor den Flüchtlingsströmen abriegelt“ laute und in der Forderung „Macht die Grenzen auf“ gipfele, antwortete sie „Ja, warum nicht?“. Solcherart ideologische Zumutungen waren zuletzt zu Zeiten des Kalten Kriegs salonfähig.
Aber da waren die Frontverläufe ganz andere, meint
Mit siegesgewissen Grüßen
Ihr
Dr. Thomas Hartung
Stellv. Landesvorsitzender