ASA-Editorial 30-2017
4. September 2017 von Thomas Hartung
Wir sollten mal wieder über Literatur, genauer: über „Konkrete Poesie“ nachdenken. Das ist eine lyrische Form, bei der es weniger um den Inhalt von Sprache geht und mehr darum, Wörter anschaulich aneinanderzureihen. Der Dichter Eugen Gomringer, einer der bedeutendsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur seit den Fünfzigerjahren, gilt als ihr Initiator und gewann u.a. 2011 den Poetik-Preis der Berliner Alice Salomon Hochschule in Berlin-Hellersdorf, an der mehr als 2500 Studenten Bachelor- sowie Masterstudiengänge für Soziale Arbeit, den Gesundheitsbereich sowie Erziehung und Bildung belegen. Der heute 92jährige gab eines seiner berühmtesten (vor rund 70 Jahren in Spanisch geschriebenen) Gedichte für die Südfassade der Hochschule her, in schwarzen Lettern ragt es dort in den Himmel. Der Inhalt: Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer. Dieses Gedicht soll jetzt, nennen wir es: modifiziert werden – wegen Sexismus-Vorwürfen.
Sie lesen richtig. Der Allgemeine Studierendenausschuss (ASTA) schreibt in einem offenen Brief an die Hochschulleitung: „Ein Mann, der auf die Straßen schaut und Blumen und Frauen bewundert. Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren … Es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind.“ Das Gedicht wirke „wie eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können“. Der Asta befürchte für Frauen angesichts des Gedichts eine „Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht“.
Zwei Monate später stellten Studenten den Antrag, das Gedicht zu übermalen und die Fassade neu zu gestalten, woran sich alle Angehörigen der Hochschule beteiligen dürfen sollten. Der Akademische Senat nahm den Antrag an, doch Rektor Uwe Bettig war dagegen. Seitdem ringt die Hochschule um den richtigen Umgang mit dem Gedicht – und kam jetzt auf die Idee, es durch eine Erweiterung in einen anderen Kontext zu rücken. Denkbar wäre zum Beispiel eine weitere Strophe, für die auf der Fassade auch noch Platz sei und bis Mitte Oktober per interner Ausschreibung Vorschläge gemacht werden können.
Sie lesen immer noch richtig. Mona Lisa, die Venus von Milo, Andy Warhols Marilyn Monroe – dass seit Jahrhunderten Künstler die Schönheit der Frauen feiern, ist offenbar ein abzuschaffender Missstand. Die literarisierte Bewunderung für Frauen setzte mit den Minnesängern ein. Neomarxisten allerdings kennen weder Tradition noch Schönheit geschweige Geschichte. So viele Fragen, wie dieser Unsinn aufwirft, kann man gar nicht beantworten. Wie konnte die doch offensichtliche Frauenfeindlichkeit dieses Machwerks 6 Jahre unentdeckt bleiben? Wie konnte sich die damalige Rektorin, eine FRAU, zur Komplizin dieses frauenverachtenden Akts machen, indem sie sich über dieses Geschenk gefreut hat? Diese Geschichte erinnert mich an Bilderstürmerei; betrieben weil Kunstwerke nicht ins eigene, irrsinnig beschränkte Weltbild passen.
Allein die sich hinter dem Anliegen versteckende Geisteshaltung ist als faschistoid zu betrachten – man denke an die berühmten Buddha-Statuen von Bamiyan, die von den Taliban gesprengt wurden, weil sie nicht in deren Weltbild passten. Wäre ich Künstler, würde ich mir zudem verbitten, ergänzt oder „in Kontext“ gesetzt zu werden. Und dann die Studienbereiche: Erziehung und Bildung. Soll diese Gurkentruppe, die die Bewunderung von Frauen gleichsetzt mit sexueller Belästigung, mal dafür sorgen, dass unser Nachwuchs in der Weltspitze mithalten kann? „Wenn AStA-Studenten ihre politisch-korrekte Mittelmäßigkeit zum Maßstab dessen machen, was Kunst sein darf, dann ist die Kunst in diesem Land am Ende. Kleine Geister schaffen keine große Kunst“, kommentierte Bastian Behrens. Ich ergänze: „dieses Land“ will ich mir zurückholen. Und schlage vor, die Fassade zu verhüllen.
Dann entsteht ein neues, sicher asexuelles Kunstwerk, meint
Mit freundlichen Grüßen, Ihr
Dr. Thomas Hartung
Stellv. Landesvorsitzender