„…eine nicht zu beschreibende innere Gewissheit“
24. Juli 2018 von Thomas Hartung
Der Untergang der westlichen Gesellschaft ist sicher, sich diesem Untergang entgegenzustellen zwecklos, und wer an eine dauerhafte Zukunft des Okzidents glaubt, ist für die Wahrheit zu ängstlich. „Nur Träumer glauben an Auswege. Optimismus ist Feigheit“, hat Oswald Spengler sein Opus Magnum „Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte“ selbst zusammengefasst. Die 1. Auflage des 1. Bands „Gestalt und Wirklichkeit“ erschien im Juli 1918 im Braumüller-Verlag Wien. Rund 200 000 Mal verkauft, wurde es das meistgelesene Sachbuch der Weimarer Republik.
Schon der Titel entblößt ein Reizwort. Die Romantiker um Novalis stellten sich unter „Abendland“ alle Länder vor, die als Wertegemeinschaft durch ihr romanisches, germanisches und christliches Erbe seit Karl dem Großen zu einem einzigen europäischen Kulturraum vereint waren. Trotz dieser Tradition wurde Spengler als Nazi-Vordenker gegeißelt: In der Schlacht von Stalingrad 1943 verbot Hitler die Kapitulation der 6. Armee, weil sie „durch ihr heldenhaftes Ausharren einen unvergesslichen Beitrag zum Aufbau der Abwehrfront und zur Rettung des Abendlandes“ leisten sollte.
In „guter Tradition“ dagegen bemächtigten sich danach erneut Konservative des Begriffs: „Rettet die abendländische Kultur. Wählt CDU“, hieß es 1949 auf einem Wahlplakat der Adenauer-Partei. Danach wurde es still um das Reizwort – bis im Spätherbst 2014 in Dresden, selbstredend wieder in „schlechter“ Tradition als Trotz- und Abwehrwort, Bürger gegen den unkontrollierten Zustrom islamischer Flüchtlinge unter dem Label „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – als Akronym „Pegida“ – protestierten. Mit dem Aufschwung „rechter“ Parteien sowie Denkverwandter wie Sieferle und Houellebecq ging auch ein Aufschwung der „Abendland“-Rezeption einher: „Der vergessene Spengler rächt sich, indem er droht, recht zu behalten“, orakelte Adorno schon 1950.
Spengler wurde mit seinem Buch nicht nur berühmt, sondern zum „Meisterdenker der Konservativen Revolution“, so Thomas Assheuer in der „Zeit“. Es verlangt neben mehrmaligem Lesen Zeit, Geduld, geistige Anstrengung und Vorwissen bis hin zu „Verschwörungstheorien“. Seine perspektivreichen Behauptungen, Analogien, Assoziationen und effektvollen Zuspitzungen lesen sich teilweise frappierend. Mit seiner heroischen Pose kündet der Text zugleich von tiefem Misstrauen dem Menschen gegenüber, vor allem der „Masse“, einer skeptisch-verächtlichen Haltung gegenüber der Demokratie und einer starken Vorliebe für autoritäre Gesellschaftsordnungen: „Munition“ für Dietmar Gottfried in „Telepolis“, „die Demokratie von Weimar für den Nationalsozialismus geistig reifzuschießen“,
„…ich müsste eine Art Messias werden“
Der apodiktische Herrenton ist kein Zufall bei einem, der seine intellektuelle Entwicklung gegen den bücherfeindlichen und geistfernen Vater, einen Postangestellten, erkämpfen musste und schon früh zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstüberhöhung schwankte. 1880 als zweites von fünf Kindern in Blankenburg/Harz geboren, empfand Spengler die Atmosphäre im Elternhaus als bedrückend und ersann Traumreiche wie „Afrikasien“:
„Ich habe schon als Kind immer die Idee in mir getragen, ich müsste eine Art Messias werden. Eine neue Sonnenreligion stiften, ein neues Weltreich, ein Zauberland, ein neues Deutschland, eine neue Weltanschauung…“
Nach Staatsexamen und Promotion in Halle sowie einigen Referendariatsstationen wird er Studienrat an einem Gymnasium in Hamburg, bis eine Erbschaft 1910 dafür sorgt, dass er den Lehrerberuf aufgeben und sich in Schwabing als einsamer Einzelgänger ganz seinen publizistischen Projekten widmen kann: „Ich sehe schärfer als andere, weil ich unabhängig denke, von Parteien, Richtungen und Interessen frei.“
Wegen Untauglichkeit nicht zum Krieg eingezogen, hat er Zeit, sein Buch zu beenden. Es schlägt ein wie eine Bombe und trifft „die blankliegenden Nerven einer deutschen Intelligenz, die nach der Niederlage des Kaiserreiches im Weltkrieg für Untergangsszenarien sehr offen“ war, meint Gottfried. 1922 folgt der zweite Band und etabliert seinen Ruf als Intellektueller, der später als „Philosoph der Schwerindustrie“ bezeichnet wurde und sich selbst in der Rolle eines Wissenschafts- oder Kulturministers in einem „Nationalen Direktorium“ sah, das Deutschland statt Kanzler Stresemann führen sollte. Nach dem Scheitern des Hitlerputsches 1923 besann er sich wieder auf die Wissenschaft.
Das Verhältnis Spenglers zum aufkommenden Nationalsozialismus ist distanziert. Für ihn muss die Arbeiterschaft integriert werden, notfalls mit Gewalt: „Der deutsche, genauer: preußische Instinkt war: die Macht gehört dem Ganzen. Der einzelne dient ihm. Jeder erhält seinen Platz.“ Führung und Gefolgschaft bleiben lebenslang Spenglers militärisch orientiertes Sozialmodell. Hitler dagegen sah er als „Prolet-Arier“, trifft ihn im Juli 1933 aber trotzdem. „Wir wollten alle Parteien loswerden. Die schlimmste ist geblieben“, pointierte er dann Hoffnung, Ernüchterung und Enttäuschung der Konservativen ob der NSDAP, in der er die „Organisation der Arbeitslosen durch die Arbeitsscheuen“ sah.
Im selben Jahr weist er den Rassismus und Antisemitismus der Nazis zurück: „…Rasse, die man hat, nicht eine Rasse, zu der man gehört. Das eine ist Ethos, das andere – Zoologie.“ Er wirft ihnen Effekthascherei, Angeberei, eine fatale Augenblicksfixierung und mangelnden Realitätssinn vor, der über das Ziel der „nationalen Erneuerung“ hinausschieße: „Richtige Gedanken werden von Fanatikern bis zur Selbstaufhebung übersteigert. Was als Anfang Großes versprach, endet in Tragödie oder Komödie.“ Solche Sätze lassen das Verhältnis des Regimes zu ihm ebenso erkalten wie umgekehrt der Mord am „linken“ NS-Politiker Gregor Strasser – für ihn der fähigste Führer der Rechten – während des Röhm-Putschs 1934. Kein Wunder, ist Sozialismus für Spengler doch eine ethische Haltung, kein materialistisches Wirtschaftsprinzip. Zwei Jahre später stirbt er an Herzversagen.
Zurück zum zyklischen Geschichtsverständnis
Eher ein poetisches denn wissenschaftliches Buch, verlässt Spengler im „Untergang“ das hegemoniale lineare Geschichtsverständnis von Christentum und Aufklärung, wonach sich der Mensch nach dem Fall aus einem paradiesischen Urzustand durch die Zeit auf ein Reich Gottes zubewege: Was mit einer apokalyptischen Krise für die Gläubigen beginnt, endet, wie auch im Marxismus, mit einem Happy End. Spengler kehrt vielmehr zurück zum zyklischen Geschichtsverständnis der Hindus oder antiken Stoiker und arbeitet auch Nietzsches These von der ewigen Wiederkunft des Gleichen ein.
Danach seien Kulturen Organismen mit einem sie belebenden metaphysischen Prinzip, unterlägen den Gesetzen von Werden, Wandel und Verfall und durchliefen Entwicklungsstufen analog der menschlichen zwischen Kindheit und Greisentum. Nach ca. 1000 Jahren sei ihnen der Tod wie allen Lebewesen gewiss. Jede Kultur entstünde urplötzlich und tauche nicht erklärbar und zufällig auf.
Dabei entfalte sie sich nach der Zeit des Erwachens und langsamen Aufstiegs, entwickle eine eigene Religion, eigene Künste und Wissenschaften und begänne schließlich nach dem Höhepunkt ihrer Gestaltungskraft zu altern, würde künstlich und schwächer – trotz retardierender erneuter Blüten. Dabei fasziniert Spengler das Moment der nicht kausalen, aber formalen, funktionalen Gleichzeitigkeit: So sei Konfuzius der Immanuel Kant Chinas oder Napoleon der Alexander der Große Europas.
Am Ende erstarre die Kultur, nähme ihre endgültige, versteinerte, monadische Gestalt an, die sie aus eigener Kraft nicht mehr verändern könne, und vollzöge den Wiedereintritt in eine geschichtslose Zeit. Es kehre das zoologische Auf und Ab des primitiven Zeitalters zurück, und sei es auch in noch so durchgeistigte religiöse, philosophische oder politische Formen gehüllt: ein Sich-gehen-lassen ohne höhere Ansprüche, ein Abgleiten in die „Wonnen der Gewöhnlichkeit“, in Vermassung, Geldanbetung, Entwurzelung, ja dem nur interessegeleiteten Vernunftgebrauch. Heute könnte man hinzufügen: in das schale Glück des unendlichen Konsumentendaseins.
Ein zentraler Punkt in Spenglers Terminologie ist die Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation. Der Begriff Kultur bezeichne nur jene Phasen des Erwachsens, Aufsteigens bis hin zur Blütezeit als Hochkultur. Sobald die ihren Zenit überschritten habe, werde sie zur Zivilisation. Dieses Stadium sei durch generelle Dekadenzerscheinungen gekennzeichnet, die Künstlichkeit von Architektur und Kunst, auch das Anwachsen der großen Weltstädte, in deren Steinmassen die „uralten Wurzeln des Daseins verdorrt“ seien. Spengler schreibt somit der Kulturphase alles Positive innerhalb der Entwicklung zu, während die Zivilisationsphase mit allen negativen Verfallserscheinungen verknüpft ist.
Die großen Themen jeder beginnenden Zivilisation seien Wissenschaft, Atheismus und Rationalismus, der Verstand, der alles überprüfen und nichts mehr glauben will. Die alten Formen der Blütezeit würden als Zwang empfunden, die man durchbrechen müsse – „dekonstruieren“ würde man heute sagen. Es fänden nur mehr Moden statt, pure Abwechslung, die für Entwicklung gehalten wird. Alte Stile würden wiederbelebt und verschmolzen, aber es entstünde nichts großes Neues. Das letzte Ergebnis sei ein feststehender, unermüdlich kopierter Formenschatz. Kennzeichnend dafür sei auch die Erscheinung einer „zweiten Religiosität“ in Form von Sekten und esoterischen Manifestationen.
Spengler weissagte auch, dass Wissenschaft und Technik nur solange aufrecht erhalten, weiterentwickelt und von Nutzen sein würden, solange es Menschen gibt, die ihre Funktionsweise verstehen. Nimmt deren Zahl allmählich ab – wie es die von ihm prophezeite Kinderlosigkeit zwangsläufig mit sich bringen wird, weil „die bis zum äußersten gesteigerte Intelligenz keine Gründe für ihr Vorhandensein mehr findet“ – so wird auch die von ihnen aufrechterhaltene Technik bald verschwunden sein. Welcher Ägypter versteht heute eigentlich noch eine Pyramide zu bauen? Belustigend modern lesen sich die Gegensätze zwischen dem „Bauernweib“ und seiner Mutterschaft und dem „Ibsenweib“, das statt Kinder seelische Konflikte habe und die Ehe als „kunstgewerbliche Aufgabe“ ansähe.
„Alles Faustische will Alleinherrschaft“
Spengler entdeckt in der Weltgeschichte acht große Kulturen mit der abendländischen als letzte; für ihn die „westlich-faustische“, die dynamisch nach Grenzüberschreitung strebt – im Gegensatz etwa zur sinnlich-diesseitsbezogen und geschichtsvergessenen apollinisch-antiken. Jeder Kultur wohne ein „Wille zur Macht“ inne, der sie dazu antreibt, ihre Kernidee zu verwirklichen, wobei die der abendländischen Kultur der „unendliche Raum“ sei: „Alles Faustische will Alleinherrschaft.“
Prompt sei der Kampf identisch mit den Urtatsachen des Lebens, ja das Leben selbst. Die Verbindung von Sozialdarwinismus und Lebensphilosophie grundiere fast alle Schriften Spenglers, so Albrecht Betz im DLF. „Menschengeschichte ist Kriegsgeschichte“ lautet folgerichtig Spenglers prophetische Diagnose universaler Friedlosigkeit. „Der Krieg ist die Urpolitik alles Lebendigen“, schreibt er. „Das Leben ist hart, wenn es groß sein soll. Es lässt nur die Wahl zwischen Sieg und Niederlage, nicht zwischen Krieg und Frieden.“ Denn während der kultivierte Mensch seine Energie nach innen richte, in die Tiefe, ins Schöpferische, tue das der zivilisierte nach außen, ziele auf Machtentfaltung und Beherrschung. Der „Pressefeldzug“ entstünde übrigens „als die Fortsetzung – oder Vorbereitung – des Krieges mit anderen Mitteln“. Die Presse „verbreitet nicht, sondern sie erzeugt die freie Meinung“.
Da derzeit der „nationale Sinn“ schwände, werde in den Parlamenten geschwätzt, aber nicht mehr heroisch entschieden. „Apostel des Weltfriedens“ bestimmten den Zeitgeist und wollten „Tatsachen durch abstrakte Gerechtigkeit und Schicksal durch Vernunft ersetzen“. Entsprechend sieht er Kausalität skeptisch: „Kausalität ist das Verstandesmäßige, Gesetzhafte, Aussprechbare, das Merkmal unsres gesamten verstehenden Wachseins. Schicksal ist das Wort für eine nicht zu beschreibende innere Gewissheit.“ Er spricht von Urgewalt des Wollens und stählerner Energie praktischen Nachdenkens. Die negative deutsche Aktualisierung dieses Befunds löste erst im Mai politische Kontroversen aus.
So erklärte im „Tagesspiegel“ Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU): „Der deutsche Pazifismus wird im Ausland als Kneifen gesehen. Wir erklären ihn aus unserer Geschichte heraus. Aber andere Staaten verstehen das heute nicht mehr, für sie ist er verantwortungsscheu“. „Anstatt zu lernen, dass das Böse bekämpft werden muss, habt Ihr gelernt, dass kämpfen böse ist“, dekretiert der US-Journalist Dennis Prager. Geschichtspessimist Spengler trennt nicht zwischen Gut und Böse, sondern zwischen Gut und Schlecht; für ihn zählt allein: „Erfolg, das bedeutet den Triumph eines Daseinsstroms über die anderen“. Schlecht ist, was nicht zum Triumph führt.
Moralische Maßstäbe sind da eher hinderlich: „Jede moralische Handlung ist im tiefsten Grunde ein Stück Askese und Abtötung des Daseins.“ Kampf, Leben und Geschichte bilden eine positive, metaphysische Trias gegen die erstarrte westliche Ratio: „Wir glauben nicht mehr an die Macht der Vernunft über das Leben. Wir fühlen, dass das Leben die Vernunft beherrscht. Menschenkenntnis ist uns wichtiger als abstrakte und allgemeine Ideale … Herr der Tatsachen bleiben ist uns wichtiger als Sklave von Idealen werden.“ Für Kritiker drängt diese Ideologie zu Opfer, Gewalt und Krieg.
Heraufkunft formloser Gewalten
Parallel dazu verlagere sich die wahre Macht vom Vordergrund der Parteienherrschaft in den Hintergrund immer privaterer Kreise, die den parlamentarischen Parteienzirkus inszenierten, um hinter der Bühne ungestört ihre finanziellen Interessen zu verfolgen. Parteien lösten sich langsam und anfangs unbemerkt in persönliche Gefolgschaften auf, seien nur noch scheinbar Mittelpunkt entscheidender Aktionen, die nach unten die illusionäre Fassade einer Selbstbestimmung des Volkes aufrechterhielten, zürnt Spengler. Seine Parlamentarismus- und Demokratie-Antipathie erwächst dabei aus Kritik am plutokratischen Kapitalismus: Kultur bedeutet Geldbenutzung, bspw. zum Handeln, Zivilisation dagegen Geldanbetung. Er spricht gar vom „Verzweiflungskampf des technischen Denkens um seine Freiheit gegenüber dem Denken in Geld“ und würde heute Hedgefonds und Derivate meinen.
Das sei die Geburtsstunde des „Cäsarismus“, in der die Führerpersönlichkeit, der kalte Herrschaftstechniker die lebendige Tradition ersetze. Übrig bliebe eine geschichtslose Regierungsart als Heraufkunft formloser Gewalten, die gleichzeitig die Heraufkunft von Zufallsregimentern bedeute, deren Bedeutung und Erfolg davon abhängt, ob sich ein geeigneter Nachfolger findet. Bei Putin, Jinping, Erdoğan, Trump, selbst Macron fänden sich Elemente cäsarischen Herrschaftsstils, erkennt Dirk Kurbjuweit im „Spiegel“.
Als politisches Testament kann Spenglers Antwort kurz vor seinem Tod auf die Frage eines US-Maga-zins gelten, ob er den Weltfrieden für möglich halte: Sollten die weißen Völker des Krieges müde sein und aus dem Strom der Geschichte aussteigen, dann würde die Welt, „wie das römische Reich den Germanen zufiel“, das Opfer der „farbigen Völker“ werden. Was ahnte Spengler da voraus? Eine Nation müsse sich, auch auf Kosten anderer, ausdehnen, „denn man wächst oder stirbt ab“. In der Demokratie aber „stirbt man an etwas, nicht für etwas.“ Und was geschähe, spann Betz den Faden weiter, wenn sich die weiße Revolution von innen – der Klassen – mit der farbigen Revolution von außen – der Rassen – verbünde? Das konnte selbst der elitäre Untergangsprophet nicht voraussehen.
Der Einfluss des Buches und seines Autors sind gar nicht hoch genug zu schätzen. Thomas Mann hat in seinem Tagebuch eine „erschreckende Nähe“ konstatiert und in seinen beiden wichtigsten Romanen, dem „Zauberberg“ und „Doktor Faustus“, jeweils Spengler’sche Untergangsszenarien entworfen. Der letzte große Universalhistoriker Arnold Joseph Toynbee wäre ohne Spengler ebenso undenkbar wie der französische Vitalismus (Henri Bergson, Gilles Deleuze) oder die anthropologische und ethnologische Forschung (Claude Lévi-Strauss). Gottfried Benn galt als „Poet des Spenglerschen Lebensgefühls“, Samuel P. Huntington mit seinen Thesen vom „Kampf der Kulturen“ als metaphysischer Nachfolger, und Ex-US-Außenminister Henry Kissinger widmete Spengler in seiner voluminösen Abschlussarbeit ein eigenes Kapitel unter der Überschrift „Geschichte als Intuition“.
Der „Untergang des Abendlandes“ gemahnt beharrlich an die mephistophelische Weisheit, dass alles, was entsteht, wert ist, dass es untergeht. „Spengler schrieb so fiebernd und suggestiv, so süchtig nach Blut, Opfer und Untergang, als habe ihn das Unheil persönlich in die Welt geschickt“, fasst Assheuer seine Lektüre zusammen. Das ist eine Perspektive. Man könne zwar über Spenglers biologischen Geschichtsbegriff streiten, nicht jedoch über seinen glänzenden Stil, markierte Jorge Luis Borges bereits im Todesjahr des Autors die andere. Für den ästhetischen Sinn, für Sprach- und Stilgefühl ist das Buch ein Fest, schrieb Andreas Kilb schon 1993 in der „Zeit“. Und Feste soll man feiern, wie sie fallen. Das 100. Erscheinungsjubiläum des Buches, das Deutschland wie wenige andere veränderte, wäre ein Anlass.
Danke, Herr Hartung, für Ihren Text und dafür, daß Sie mich zitiert haben.
Die folgende Text gibt einen Hinweis darauf, daß der Autor dieses Textes Spenglers 1933 erschienenes Buch „Jahre der Entschedung“ überhaupt nicht kennt.
„Und was geschähe, spann Betz den Faden weiter, wenn sich die weiße Revolution von innen – der Klassen – mit der farbigen Revolution von außen – der Rassen – verbünde? Das konnte selbst der elitäre Untergangsprophet nicht voraussehen.“ **
Doch! Denn genau das beantwortete Spengler doch ganz explizit, besonders eben in dem Buch „Jahre der Entschedung“.
„»Spengler schrieb so fiebernd und suggestiv, so süchtig nach Blut, Opfer und Untergang, als habe ihn das Unheil persönlich in die Welt geschickt«, faßt Assheuer seine Lektüre zusammen.“ **
Der tief im Sumpf der Mainstreammedien steckende Assheuer scheint Spenglers Bücher gar nicht gelesen zu haben, geschweige denn Spengler zu kennen. Mainstreamler lesen nicht mehr das, was sie kritisieren, sondern „wissen“ immer schon genau, was und wen sie wie zu verurteilen haben.
Freundliche Grüße.
Hubert Brune