„Walhalla, ich komme“
12. August 2018 von Thomas Hartung
„Wenn sie nicht mit dem Zug vom Flughafen gekommen, sondern zu Fuß gegangen wären, hätte das zwar Tage gedauert, aber sie hätten wahrscheinlich einige dieser wunderbaren geheimen Brunnen und Teile vom keltischen London entdeckt. Oder den Fluss Fleet überquert, der unter fünf Kilometer dickem Beton verläuft. Da sind so viele schöne Dinge, und ich schätze mich glücklich, dass ich genug Zeit habe, in solchen Sachen herumzustochern.“
Der das einem DLF-Reporter ins Mikrophon sprach, heißt Robert Plant, war Rock-Ikone, wurde wegen seiner wallenden blonden Mähne einst „Golden God“ genannt und hält magische Steine, Energiefelder und Bäume noch immer für Portale zu einer vergessenen Welt. Das gälte vor allem für jene weißblättrige Eiche auf der Grenze zwischen Hereford, Gloucester und Worcester. Sie bilde, sagte er dem Rockmagazin eclipsed, die Basis der
„ewigen Chöre“, welche „alle zwei Stunden einen Punkt erreichten, an dem sie von einem anderen Chor abgelöst wurden und der dann von dort weitermarschierte und weitersang, sodass der Gesang nie unterbrochen wurde. Das ist eine irre Sache. Und ich erwähne sie, weil das der Ursprung der Zivilisation in Großbritannien ist. Die Menschen haben sich an diesen Punkten niedergelassen und ein Netz aus Siedlungen und Wegen errichtet. Das ist heute komplett in Vergessenheit geraten. Aber es gab mal eine sehr, sehr starke Bindung zwischen Mensch und Natur.“
Nicht nur wegen solcher Sätze, sondern auch wegen seiner grauen Locken, Gesichtsfurchen und seinem weißen Bart erinnert Plant heute eher an Gandalf: ein grantiger, alter Löwe, der seinem Sternzeichen immer ähnlicher wird. Weniges noch erinnert an den Meister der großen Pose, dem man die 70 zwar ansieht, aber kaum anhört, und der es vorzüglich verstand, nicht nur Groupies zu entflammen. „Ohne die wallende Mähne, seinen flehenden Gesang, ohne diese leicht brüchig-krächzige Stimme, deren Pathos aus dem Blues herausquoll und in immer neue Regionen vorzudringen wagte, wären die Rock’n’Roll-Hymnen nicht so monumental geworden“, schrieb Jens Meyer in der DeWeZet.
„Ich war vollkommen normal“
Diese Karriere war als Kind nicht abzusehen. Geboren in West Bromwich, Staffordshire, verbrachte er im ländlichen Kidderminster eine relativ unbeschwerte Kindheit. „Ich war vollkommen normal, keineswegs auffällig. Ich habe viele Bücher gelesen, am liebsten Fantasyromane, habe Bilder gemalt, hatte eine Briefmarkensammlung. Mit meinen Eltern habe ich oft Wandertouren gemacht, in den Hügeln und Bergen von Wales mit ihren Burgen und Brücken. Für mich als glühenden Fan von J.R.R. Tolkien waren das die ‚Misty Mountains‘ aus ‚Der Herr der Ringe‘. Und zu Wales habe ich bis heute eine besondere Beziehung“, erklärte Plant im Spiegel.
Der Vater war Wasserbau-Ingenieur, die Mutter hatte Roma-Wurzeln. Sein erstes musikalisches Vorbild war sein Großvater: „Er spielte Geige, Piano und Posaune. Ein witziger Typ, der immer bodenständig blieb, obwohl er ziemlich bekannt war. Von ihm muss ich mein musikalisches Talent geerbt haben, sicher nicht von meinen Eltern.“ Seit frühester Jugend entwickelte er eine Leidenschaft für englische Folklore, fernöstliche Musik und den Southern Blues von Willie Dixon und Robert Johnson. Mit 13 begann er sich heimlich in Folk-Clubs zu schmuggeln und die Musikerszene zu beobachten.
Nach dem Schulabgang versuchte sich Plant lustlos in verschiedenen Jobs, für zwei Wochen sogar bei einer Steuerberatung. Parallel dazu reifte in ihm der Berufswunsch des Rock-Sängers: Plant stieg in der „Delta Blues Band“ zunächst als Waschbrettspieler ein und hatte 1966 und 1967 erste Aufnahmen für die Plattenfirma CBS mit der Band „Listen“. Ohne jede Gesangsausbildung, wohlbemerkt: „Mein einziger Gesangsunterricht besteht darin, dass ich ein Paar sehr große Ohren habe“, kokettiert er bis heute mit seiner Begabung. „Wenn ich beispielsweise den Tuareg-Musikern zusehe, bin ich immer wieder ein Student. Wenn ich Lieder einsinge, nehme ich bei den Aufnahmen, beim Ausprobieren, alle möglichen Rollen an“, gibt er in der Welt zu.
Als nach der Trennung der „Yardbirds“ deren Gitarrist Jimmy Page 1968 eine neue Besetzung zusammenstellte, bekam er von seinem Wunschkandidaten Terry Reid den Hinweis auf Robert Plant, der inzwischen Sänger der kaum bekannten Gruppe „Band Of Joy“ war. Auf Anraten seines Mentors Alexis Korner nahm Plant das Angebot an und wurde Sänger von Led Zeppelin. Für die nächsten 12 Jahre erwies sich das um Bassist John Paul Jones und Drummer John Bonham ergänzte Quartett als Maß aller Dinge der Rockmusik: „die härteste und erfolgreichste Heavy-Rock-Gruppe der Welt“ textete die „Bravo“ im Dezember 1972 euphorisch, als gerade das vierte Album kursierte. Bis heute verkaufte die Band über 300 Millionen Alben, 20 Millionen Menschen wollten 2007 der einmaligen Reunion zum „Celebration Day“ beiwohnen – nur ein Tausendstel von ihnen durfte schließlich live dabei sein.
„ich gehe Risiken ein“
Als Texter und Frontmann war der Charismatiker, der einst von den Lesern der Musikzeitschrift „Rock Scene“ zur „Brust des Jahres“ gekürt wurde, nicht nur maßgeblich am Erfolg der Band beteiligt, sondern wurde mit seinem Gesangsstil, seinen Outfits und seiner Bühnenpräsenz zum Vorbild einer ganzen Generation von Hard-Rock-Sängern.„Ich singe immer einfach mitten hindurch. Meine Phrasierungen sind oft wild und variieren, ich gehe Risiken ein. Wenn Sie Bass oder Schlagzeug spielen, dann geht das nicht. Sie müssen präzise sein, wenn Sie eine andere Welt beschwören wollen. Die Stimme kann dabei helfen, aber auch stören. Sie ist ein Refugium, ein Idyll im Brausen der Welt“, so Plant.
Dass er in den Siebzigerjahren „so hoch und manchmal schlampig, jedenfalls eher angestrengt als souverän gesungen“ habe, erklärt Plant mit der Tonart vieler Zeppelin-Songs: dem heroischen E-Dur, für Franz Schubert die Tonart der Liebe, ja die „Gottestonart“. Sowohl Beethovens Leonoren-Arie im „Fidelio“ als auch Carl Maria von Webers Agathen-Arie im „Freischütz“ sind auch darin komponiert.
Led Zeppelins Texte – vor allem die frühen auf den Alben I und II – sind stark von traditionellen bluesigen Plots voll sexueller Anspielungen und unerfüllter Liebe beeinflusst. Doch Plant begann auch andere Themen einzuführen und mythologische, ja okkulte Dinge nahtlos mit Rock ‘n Roll auf einzigartige Weise zu verknüpfen. Paradebeispiel dafür ist der „Immigrant Song“ auf „Led Zeppelin III“, der – nach einem Konzert in Reykjavík geschrieben – dem isländischen Entdecker Leif Ericson gewidmet und aus der Perspektive eines Wikingers gesungen ist, der in Skandinavien neues Land sucht. Die Marvel-Studios bemühten sich erfolgreich, für ihr „Thor: Ragnarok“-Spektakel über den hammerschwingenden nordischen Donnergott die Rechte daran zu bekommen. Die Los Angeles Times berichtete 2012 von siebenstelligen Lizenzgebühren – Plant rangiert unter den 1000 reichsten Briten.
Aber schon „Ramble On“ auf „Led Zeppelin II“ enthielt Referenzen an Tolkiens „Herr der Ringe“: Man könnte das Lied als Klage des Sängers auffassen, Gollum habe ihm in Mordor die Geliebte ausgespannt. „Der Song war mein Baby, und ich hoffte, jeder würde dahintersteigen und erkennen, dass ich mehr in diese Richtung wollte“, sagt Plant damals. „The Battle of Evermore“, „Over the Hills and Far Away” und „Misty Mountain Hop“ beziehen sich ebenfalls explizit auf die Saga. Schließlich gab Plant seinem Hund den Namen „Strider“, einem Pseudonym Aragorns.
Seit dem vierten Album finden sich auf den Zeppelin-Platten außerdem mysteriöse Zeichen, für jeden Musiker eines. Plants Federsymbol geht zurück auf eine Wahrheitssigille aus James Churchwards okkultem Buch „The Sacred Symbols of Mu“ (1933). Als die Band 1973 bei ihrem Stadion-Konzert in Tampa (Florida) mit 56.800 Fans den Zuschauerrekord der Beatles überbot, mutete die Bühnenkulisse mit ihren Pappmache-Steinen an wie ein Import von Stonehenge. Im selben Jahr fand sich im Song „No Quarter“ vom Album „Houses Of The Holy“ erneut eine nordische Referenz: „The snow falls hard and don’t you know/ The winds of Thor are blowing cold“.
Etwas Geheimnisvolles in der Art einer dunklen Aura umwittert „Led Zeppelin“ bis heute. So habe Jimmy Page, was dieser natürlich dementiert, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, der ihm die Melodie zu „Stairway to Heaven“ eingab. Man könne eine satanische Botschaft hören, wenn man den Hit rückwärts abspielte, der seit Jahren fast ununterbrochen Platz 1 der SWR1 Hitparade belegt. 1970 kaufte Page das sagenumwobene Boleskine-Haus am Loch Ness, im dem einst Aleister Crowley lebte und in dem die Band Fantasy-Szenen für ihren Film „The Song Remains The Same“ drehte. Als dort zehn Jahre später John Bonham nach einem Trinkexzess an seinem eigenen Erbrochenen erstickt, erklären die überlebenden Mitglieder die Gruppe für aufgelöst. Seitdem sei Plant damit beschäftigt, vor dem „überdimensionalen Schatten dieser Band, deren Sänger ich mal war“, zu fliehen.
„ich bin ja nur ein Sänger“
Nun deckten nordische Mythologie und Tolkien natürlich nicht alle Themen Led Zeppelins ab. „Unsere Schatten sind größer als unsere Seelen“ – diese Zeile im achtminütigen genreverändernden Crescendo „Stairway to Heaven“, inspiriert von einem Text des Mythenforschers Lewis Spencer auf der Suche nach der mystischen Dame mit spiritueller Vollkommenheit, beschreibt das Erbe eher. Plant thematisiert das in Interviews aber kaum:
„Ich habe Probleme damit, über meine Musik zu reden. Nicht, weil ich mich dafür schäme. Sondern weil da eine starke Intimität herrscht. Natürlich geht es um das, was heute passiert. Aber: Es zu analysieren wäre ein bisschen, wie zu Architektur zu tanzen. Und ich bin ja nur ein Sänger. Ich äußere mich in Reimen und in dreieinhalb Minuten. Wobei ich nichts ändern oder reparieren kann.“
Nach der Auflösung der Band veröffentlichte er zusammen mit Page zwei Alben und spielte regelmäßig Soloalben ein. Mit Alison Krauss veröffentlichte Plant „Raising Sand“, 2009 ausgezeichnet mit fünf Grammys. Im selben Jahr schlug Prince Charles den Sänger feierlich zum Ritter: Der einstige Protagonist von „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ ist nun ein „Commander of the British Empire“. Vor seiner Tour zum Album „Lullaby and … the Ceaseless Roar“ 2014 hat er einen kleinen Film ins Internet gestellt. „Tales From the Planet Earth“ zeigt seine Band „Sensational Space Shifters“ auf Reisen, unterlegt mit Bildern und orchestraler Musik aus „Herr der Ringe“. Inzwischen ist Plant mit „Carry Fire“ bei Album Nr. elf angekommen – mit Led Zeppelin waren es weniger – und tourt gerade durch Europa.
Rockmusik, bilanzierte er 2017, müsse einem Anspruch folgen und frische, originelle Ideen aufweisen. Heute aber hat sie „an Dampf verloren. Das damit verbundene Gedankengut hat seinen Höhepunkt überschritten und das Genre hat erreicht, was es erreichen konnte. Jetzt versuchen sich alle an einem Hybrid – was stellenweise auch gut klingt. Nur: Es ist kein Rock. Oder zumindest nicht das, was ich darunter verstehe.“ Musik sei eh kein Medium, um die Welt zu retten. Sie sei Unterhaltung, aber auch Medizin, „Heilmittel für so viele Dinge“.
Einen aber konnte er nicht heilen: Karac Pendragon, seinen 1972 geborenen Sohn – eines von vier Kindern, die er mit zwei Frauen hatte. Benannt hat er ihn – neben Uther Pendragon, dem Vater von Artus – nach Caractacus, einem sagenumwobenen keltischen Heroen, der die britischen Stämme im Jahre 43 gegen die Römer unter Aulus Plautius führte, in der Schlacht am Medway besiegt, in Ketten nach Rom transportiert und dort aufgrund seiner trotzigen Courage von Kaiser Claudius begnadigt wurde. Im Exmoor in der Grafschaft Somerset wird ihm bis heute mit einem Menhir gedacht. Als Karac im Alter von fünf Jahren an den Folgen einer Virusinfektion starb, stürzte Plant in eine tiefe Krise, erwog zum ersten und einzigen Mal, seine Karriere zu beenden, und widmete den Song „All My Love“ vom letzten Zeppelin-Album „In Through the Out Door“ (1979) seinem verstorbenen Sohn.
„Die Gezeiten haben die Flamme gedimmt“, dichtete er damals. Inzwischen beschäftigen sich Plants Texte wieder mit dem „Dimmen der Lichter“, dem „Geschmack des Sommerabschieds“, mit Erinnerung und Vergänglichkeit. Das klingt selten sentimental, dafür öfter, als wundere er sich darüber, wo er inzwischen angekommen ist:
„Ich denke, dass wir hier alle nur auf der Durchreise sind. Dieser Transfer in andere Sphären ist für mich etwas völlig Normales. Man muss ein gewisses Alter erreichen, um wirklich in sich reinschauen zu können. Ich kann meine Vergangenheit besuchen, sie umarmen. Nur: Ich lebe nicht in ihr.“
Happy Birthday!