„geduldete Kindesmisshandlung“
26. Mai 2018 von Thomas Hartung
Was unterschied zum Pfingstfest auf Facebook die österreichische von der Bundesregierung? Die erste wünschte in Gestalt von Kanzler Sebastian Kurz gesegnete Pfingsten, die andere beehrte die Bürger mit einer Grafik zum Insektensterben. Wenige Tage zuvor hatte sie stattdessen den muslimischen Mitbürgern in Deutschland „gesegneten und friedvollen Ramadan“ gewünscht. Fast 12.000 teils ziemlich unfeine Kommentare waren die Folge.
Kein Wunder. Im Neuen Testament wird in der Apostelgeschichte erzählt, dass am 50. Tag der Osterzeit der Heilige Geist auf die Apostel und Jünger herabkam. Die christliche Gemeinde trat zum ersten Mal öffentlich auf, die bis dahin verzagten Protagonisten des Christentums erweisen sich plötzlich als sprachmächtig und missionarisch überzeugend. Aus diesem Grund bezeichnet man Pfingsten auch gelegentlich als Gründung, ja „Geburtstag der Kirche“ und als Beginn der weltweiten Mission.
Anstatt dieses Ereignis zu würdigen, biederte sich die „christdemokratisch“ geführte Regierung lieber jenen ca. 5 Millionen Mitbürgern an, die die Herabsendung des Korans im neunten Monat des islamischen Mondkalenders, dem Ramadan, feiern: „Wer nun von euch während des Monats anwesend ist, soll in ihm fasten…“, heißt es in Sure 2, Vers 185. Auch Journalisten machen mit: für den „Deutschlandfunk Kultur“ ist der Ramadan „ein alter deutscher Brauch“.
Der Bayrische Rundfunk veröffentlichte im Internet gar einen „Fasten-Knigge“, in dem eine Redakteurin Ratschläge gibt, wie man seinen moslemischen Freunden im Ramadan „helfen“ könne. Und der Kurznachrichtendienst Twitter hat extra eigene Ramadan-Emojis freigeschaltet. Von „Gift für die Integration“ und „Rücksichtsappellen“ spricht Michael Paulwitz in der „Jungen Freiheit“, die keine höfliche Geste seien, „sondern ein weiterer Schritt zur selbstverständlich erwarteten Unterwerfung.“
So sorgte die Einladung zum Abiball der Kasseler Friedrich-List-Schule in der Baunataler Stadthalle am 9. Juni für Aufregung. Darin fand sich der Satz: „Auf Grund von Ramadan wird das Büfett erst nach Sonnenuntergang sein.“ Ulrich Schmidt, Schulleiter des Albert-Schweitzer-Gymnasiums Offenbach ordnet dagegen eher unter die Rubrik „skurril“ ein, dass es bei seinem Abi-Ball zweimal Abendessen geben wird: Das zweite mit einsetzender Abenddämmerung nach 21 Uhr, wenn die Muslime wieder essen dürfen.
Es gab aber auch andere Stimmen, die solche Rücksichtsappelle mindestens in Frage stellten: Ärzte, Gewerkschaften und Lehrerverbände kritisierten wieder einmal das zunehmend jüngere Alter der Fastenden und verwiesen auf die negativen Folgen für Gesundheit und schulische Leistungsfähigkeit. Denn am 18. Mai bspw. entspräche die Zeremonie bei strikter Beachtung der Zeitspanne zwischen Sonnenauf- (3.57 Uhr) und -untergang (20.59 Uhr) ca. 17 Stunden ohne Nahrung und ohne Wasser.
„Das geht nicht“
Ex-Lehrerverbandspräsident Josef Kraus spricht von „geduldeter Kindesmisshandlung“ und zählt in „Tichys Einblick“ unter anderem auf, dass die jungen Leute im Unterricht nicht mitarbeiten könnten, unkonzentriert und blass seien, unter Übelkeit litten. Viele hätten nicht ausgeschlafen, da sie wegen des „Iftar“, des späten Abendessens nach 21 Uhr, viel zu spät ins Bett kämen. Manche müssten am nächsten Schultag einem Arzt vorgestellt werden, weil sie zusammengeklappt sind oder starke Kopf- und Bauchschmerzen haben: „Dieses Ramadan-Problem nimmt von Jahr zu Jahr größere Ausmaße an“, so Kraus. Das bestätigt auch der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, der „Südwestpresse“: „Insbesondere bei warmem Wetter fällt es diesen Schülern schwer, sich zu konzentrieren. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Kinder einen Schwächeanfall bekommen und ins Krankenhaus gefahren werden müssen.“
Beckmann appelliert an die Verantwortung der Eltern, ihren Kindern klarzumachen, dass für sie das strenge Fasten im Koran (noch) nicht vorgesehen ist, sondern erst nach der Pubertät. Doch er stellt auch fest, dass der Gruppendruck größer geworden ist: „Es gibt Fälle, in denen Kinder gehänselt werden, wenn sie nicht fasten. Manche jüngeren Kinder wiederum finden es cool, wenn sie versuchen, es ihren älteren Geschwistern gleichzutun.“ Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat vor dem Fasten junger Leute gewarnt und sie und deren Eltern aufgefordert, tagsüber für genügend Flüssigkeitszufuhr zu sorgen. Schulen wenden sich in entsprechenden Briefen an die Eltern.
Der aktuelle Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger erklärte gegenüber „Welt Online“, dass es vor allem schwierig sei, wenn die religiösen Belange einzelner Schüler alle einschränken. Dies sei etwa der Fall, wenn Eltern Druck auf die Schulleitungen ausübten, während des Fastens keine Prüfungen oder Exkursionen anzusetzen und sich deshalb die Prüfungen für alle Schüler in einem bestimmten Zeitraum massierten. „Das geht nicht“, kritisierte Meidinger.
In diesem Jahr ist die Situation besonders kritisch, denn nach Pfingsten sahen sich Deutschlands Schüler mit einer letzten großen Prüfungswelle konfrontiert. Abiturienten hatten teilweise noch schriftliche, fast immer aber noch die mündlichen Prüfungen vor sich. Nun wochenlang generell auf Prüfungen zu verzichten ist schlicht nicht möglich. Für die fastenden Schüler ist das besonders hart – gerade für jene, die den Ramadan so ernst nehmen, dass sie tagsüber auch nichts trinken.
An der Wuppertaler Else-Lasker-Schüler Gesamtschule mit einem Ausländeranteil von 80 Prozent, darunter vielen Muslimen, gesteht Schulleiterin Dorothee Kleinherbers-Boden in der „Westdeutschen Zeitung“ bspw. Probleme beim Schwimmen ein: „Manche wollen dann nicht gerne schwimmen, weil sie dann aus Versehen Wasser schlucken könnten“. „Der Koran ist eindeutig, was die Pflichten und Rechte beim Fasten betrifft“, sagt der islamische Theologe Serdar Kurnaz von der Universität Hamburg. „Wenn man sich in einer Situation befindet, in der man nicht bequem fasten kann, fastet man nicht.“ Dies könne etwa für den Sportunterricht gelten – und gerade auch für die anstehenden Abschlussprüfungen.
Es kommt auf das Gespür der Lehrer an
Der Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der Unionsfraktion im Bundestag, Hermann Gröhe (CDU), forderte in der „Welt“ eine offensivere Diskussion des Themas gerade bei Grundschulkindern. Religiös begründeter Druck müsse ebenso vermieden werden wie die Verächtlichmachung religiöser Gebote. Er erwarte zu dem Thema klare Worte der muslimischen Verbände. Der Zentralrat der Muslime erklärte allerdings nur, in der Zeit des Verzichts bis 14. Juni solle man sich besonders für ein friedliches Miteinander einsetzen, gegen Rassismus, Ausgrenzung und Hass in der Gesellschaft eintreten. Und: „Kinder, die die Pubertät nicht erreicht haben, werden ermutigt, so viele Tage zu fasten wie sie können. So können sie sich nach und nach mit zunehmendem Alter an dieses Gebot gewöhnen“.
Dass Fasten irgendwie „cool“ erscheint und es Grundschulkinder tun, „weil sie den Eltern imponieren wollen“, berichtet Karin Jahn, die eine Grundschule im Berliner Ortsteil Wedding leitet, in der „Welt“. Zwar fasteten längst nicht alle muslimischen Kinder an der Schule – Jahn glaubt aber, dass der Gruppenzwang groß sei. „Wenn ich an einer Klasse zu Beginn drei Kinder habe, die fasten, sind es irgendwann fünf und dann zehn.“ Sie sieht ihren Handlungsspielraum aber begrenzt. „Es kommt auf das Gespür der Lehrer an, auf die einzelnen Kinder einzugehen.“
Für Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) gehen zwar „Gesundheit und Schule“ vor, religiöses Fasten dürfe die Kinder nicht in beidem einschränken. Noch als Bezirksbürgermeisterin Neukölln hatte sie 2017 mit 20 Moscheevereinen einen Zwölf-Punkte-Plan erarbeitet, der als Richtschnur dienen und klarstellen solltet, was aus religiöser Sicht geboten ist und was nicht. Wesentlicher Punkt ist die Aussage, dass „Kinder und Jugendliche, die fasten wollen, trotzdem etwas zu essen und zu trinken mit in die Schule nehmen“ sollen. Begründung: „Sie sollen das Fasten unterbrechen, wenn gesundheitliche Probleme auftauchen.“ Unterschrieben haben den Verhaltenskodex aber nur 2 Imame. Und Karin Jahn stellt die entscheidende Frage: „Wie setze ich das durch?“