Zwischen Handhabung und „An die Hand nehmen“
30. März 2018 von Thomas Hartung
Manipulation (latein. Zusammensetzung aus manus „Hand“ und plere „füllen“) ist ein legitimes Machtmittel, wenn die Manipulierten respektvoll behandelt werden. So lautet das Credo von Alexander Fischers jetzt bei Suhrkamp publiziertem Text, mit dem er in Bamberg promovierte. Unter Respekt versteht Fischer, dass dem Betroffenen eine „grundlegende Wahlfreiheit“ zugeschrieben und zugestanden wird. Die basale Annahme des Autors: Manipulation sei nicht wie Täuschung, Lüge oder Gewalt grundsätzlich moralisch verwerflich, sondern werde oft auf verwerfliche Weise benutzt.
Als positives Beispiel führt Fischer die Einführung der Kartoffel in Preußen unter Friedrich II. an. Nachdem Verordnungen nicht gewirkt hatten, wurden bewachte Kartoffelfelder eingerichtet, um den Wert des Gemüses zu erhöhen und die Bauern zum Stehlen der vermeintlich wertvollen Pflanzen für den eigenen Anbau zu verleiten. „Eine Elite bewahrt ihre Vorherrschaft, indem sie Symbole manipuliert, die Versorgung kontrolliert und Gewalt einsetzt“, zitiert er negativ Harold D. Lasswell.
„Man kann nicht einfach Ja oder Nein in ethischer Hinsicht sagen, sondern: Es kommt drauf an… Oft weiß der Manipulierte, dass er der Manipulation unterliegt. Zudem versuchen Mitmenschen häufig sogar, uns auch mit manipulativen Methoden vor Irrationalität zu bewahren. So ist das Phänomen der Manipulation eben ein zweischneidiges, das situativ bewertet werden muss, nicht grundsätzlich“, so Fischer in einem Interview.
Seine zunächst zweckfreie Einschätzung als „Machtmittel“ steht jener der Kritischen Theorie entgegen, die den von Behavioristen neutral angelegten mechanistischen Begriff „Manipulation“ in der neomarxistischen Auseinandersetzung mit politischen Machstrukturen ins Negative, ja Normative hin vereinnahmt: „Manipulation wird zum bösen Kern des Konzepts der Macht“, so Fischer. Was für Pflicht- und Tugendethiker die Rationalität unterläuft und also nichts Gutes sein kann, wird aber von Utilitaristen gar nicht als Problem wahrgenommen: Solange das größte Glück für die größte Zahl an Empfängern sichergestellt ist, wäre es auch in Ordnung zu manipulieren.
Diese Einschätzung breitet der Autor in vier Abschnitten aus. Nachdem er im ersten Kapitel eine Definition der Manipulation herausarbeitet, befasst sich Fischer im zweiten mit dem historischen und anthropologischen Hintergrund des Phänomens und versucht, Manipulation im Koordinatensystem zwischen Affekt und Rationalität einzuordnen. Darauf aufbauend geht es im dritten Teil um die ethische Bewertung von Manipulation. Im vierten Kapitel schließlich wird an Hand von Fallbeispielen vor allem aus der Literatur (Shakespeare, Orwell) aufgezeigt, wie Manipulation wirkt und wie sie unter welchen Umständen ethisch beurteilt wird. Die Handelspsychologie bleibt dabei ausgeklammert.
Ein G‘schmäckle entfaltet der Text auf S. 221: „Eine Regierung muss die Beeinflussungsmöglichkeiten und psychologischen Ansatzpunkte kennen, mittels derer die Bevölkerung effizient angesprochen werden kann“. Merkels „Nudging“-Pläne erscheinen da leicht als Anwendung des Diktums von Herbert Marcuse, wonach in der Manipulation der Einzelne mit der Lebensform ausgesöhnt werden solle, die ihm von der Gesellschaft aufgezwungen wird, und diese Aussöhnung insbesondere durch staatlichen Autoritäten erfolge, die soziale und politische Bedürfnisse in individuelle und libidinös angetriebene umwandeln, damit Klassenkampf ausbleibt.
Diese Gefahr, dass Manipulatoren die Menschen schlimmstenfalls in eine allgemeine Infantilisierung, einen quasi vor-tugendhaften Zustand stürzen können, so dass sie niemals der eigentlichen Wesenheit des Menschseins, der „Ausübung des logos“ (Aristoteles), angemessen nachkommen können, lässt Fischer leider völlig außer Acht – das große Manko des Bandes, der das Lesen trotzdem lohnt.
Alexander Fischer. Manipulation – Zur Theorie und Ethik einer Form der Beeinflussung. Pb., 256 S., € 18.00, Suhrkamp-Verlag. Frankfurt 2017
Lieber Herr Hartung,
vielen Dank für Ihre Einschätzung zu Fischers Buch über dieses kontroverse Phänomen!
Eine Frage bleibt mir allerdings: Gerade die Infantilisierung schätzt Fischer doch als große Gefahr ein, die nicht eintreten dürfe? Ob die aristotelische Ausübung des Logos zudem die primäre Ausrichtung des Menschuchen ist, bleibt ja diskutabel, gerade wenn wir anerkennen, dass der Mensch viel weniger Logos-bezogen ist, als wir uns manchmal wünschen. Dass es vielleicht besser wäre, wenn er immer danach ausgerichtet wäre, steht ja auf einem anderen Blatt.
Viele Grüße,
Achim Lederer