ANGRIFF AUF DIE MEINUNGSFREIHEIT
15. Oktober 2018 von Thomas Hartung
Unter dem Titel „#infokrieg – ANGRIFF AUF DIE MEDIEN“ (im Original Fraktur /Versalien auf braunem Grund) ist jüngst das neueste „Funkturm“-Pamphlet aus dem Hause Stawowy erschienen – DJV-Mitglieder finden es automatisch im Briefkasten. Waren die letzten Ausgaben schon grenzwertig-einseitig in Bezug auf Themenwahl und –aufbereitung sowie der O-Ton-Auswahl, schlägt diese Nr. 8 alles Dagewesene. Da nutzt es wenig, wenn Herausgeber Peter Stawowy im Editorial selbst antizipiert, dass die Darstellung „völlig überzogen, von Ideologie getrieben, eben linksgrün-versifft-gehirnwaschend“ wirken könne. Nein, das braune Heft ist eine Zumutung für jeden auch nur halbwegs gebildeten Leser, die sich unter der 4000er Auflage, ja, tatsächlich auch noch finden.
Die Zumutung beginnt bereits bei der Titelgeschichte des Herausgebers, deren Anreißer ernsthaft mit einer Anleihe an den ersten Satz des Aufrufs des „Neuen Forums“ 1989 beginnt: „Die Kommunikation zwischen Politik und Bürgern scheint massiv gestört“. Die Unverfrorenheit dieser behaupteten Traditionslinie wird dann ins Gegenteil verkehrt, wenn als Leidtragende dieser Kommunikationsstörung die „Bäckereifachverkäuferin vorn an der Ecke“ einerseits als medienunfähiges, emotionsgetriebenes Dummchen dargestellt wird („…will es einfach nicht glauben, dass das Land prächtig dasteht, die Steuereinnahmen sprudeln und die Arbeitslosigkeit auf einem Tiefstand angekommen ist“) und ihr andererseits als „Wutbürgerin“ nicht bewusst sei, dass „…ihre persönliche Situation – ein ausgesprochen dünner Rentenbescheid, die drohende Altersarmut nach 40 Jahren – sich mit einer AfD an der Macht nicht verbessern würde.“ Das ist, ungeachtet aller fehlenden Verweise auf Grundsatz- und Bundestagswahlprogramm, ebenso holzhammer-propagandahaft wie klischeetriefend, gepaart mit Klagen über eigene mediale Bedeutungsverluste und – das fällt inzwischen wirklich auf – der auch hier geäußerten Aufforderung, der AfD nicht „zuviel Aufmerksamkeit“ zu geben: Mache ich die Augen zu, verschwindet das Ärgernis schon von allein. Aber immerhin: von einer Diskursverweigerung, wie von der ZEIT gefordert, wird abgesehen.
In einem bebilderten Statistikteil werden nach dem Algorithmus „Das Gefühl – Hard Fact – Zum Vergleich – Nice to Know“ bestimmte „Ängste“ thematisiert, offenkundig, um sie als unbegründet darzustellen. Beispiel: „Die größte Angst der Deutschen 2017: Terrorismus – 2017: 1 Toter in Deutschland durch Terroranschläge – Jährlich gibt es etwa 20 Todesfälle durch Bienenstiche in Deutschland – 30.000 Tote durch multiresistente Keime in deutschen Krankenhäusern“. Absurder geht es nicht.
In einer Art Umfrage, warum Politiker so ein schlechtes Image haben und was sie tun können, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen, tauchen zwischen Linken-MdB und Sachsen-MP viele namhafte Altparteienköpfe auf – aber keiner der AfD. Wie war das doch mit dem Vertrauen? Wozu braucht man eigentlich so eine Umfrage – haben die alle ein schlechtes Image?
Andrea Hansen behauptet in einem Text anhand des Asylstreits zwischen CSU und Angela Merkel, dass sich „Politik in der Pubertät“ befinde, und geißelt vor allem die „neue harte Sprache“ aus Bayern: Söders „Asyltourismus“ sei eine „Erfindung“, Dobrindts „Anti-Abschiebe-Industrie“ würde den Staat als Rechtsstaat „brandmarken“, und Seehofer würde eine „Herrschaft des Unrechts“ sehen – was indiziert, dass das außer ihm niemand sonst tut. Am Ende steht die Warnung vor einer medialen Lagerbildung wie in den USA, und dass Journalisten Sprache eher „faktenneutral“ verwenden sollten statt Framing zu praktizieren. Wie man etwa einen Merkel-Satz „Alles, was noch nicht gewesen ist, ist Zukunft, wenn es nicht gerade jetzt ist“ faktenneutral thematisieren kann, mag das Geheimnis von Frau Hansen bleiben.
Benjamin Kutz will den Einfluss der sozialen Netzwerke auf die öffentliche Meinung beleuchten – und wählt natürlich Michael Kretschmers Tweet zur Hutbürger-Affäre als Aufhänger. Teilweise absurde Äußerungen von SPD-Politikern wie Ralf Stegner, der die jüdische Facebook-Chefin Sheryl Sandberg mit der mutmaßlichen rechtsextremen NSU-Terroristin Beate Zschäpe verglich, oder Sawsan Chebli oder gar Grünen-Politikern wie Kühnast oder Göring-Eckardt sind sicher sakrosankt.
Höhepunkt des Heftes: „Was passiert?“ – eine 6-Seiten-Geschichte des Politikwissenschaftlers Christian Demuth, in der die Veränderungen unseres Landes prognostiziert werden, „wenn Rechtspopulisten die Macht übernehmen“. Wozu er die Fraktur braucht, die Hitler 1941 als „Schwabacher Judenlettern“ verboten und stattdessen die Antiqua als „Normal-Schrift” im 3. Reich durchgesetzt hatte – geschenkt, man soll von einem Berater der sächsischen SPD-Fraktion ja nicht allzuviel Allgemeinbildung erwarten. Unter sieben Schlagworten wie „Demokratie“, „Sozialpolitik“ oder „Umgang mit Minderheiten“ werden dann 31 Mikroszenarien entworfen, die auf vorgeblich „rechten“ programmatischen Positionen basieren. Das Perfide daran: einige Szenarien weisen eine Quellenangabe auf, andere nicht – die sollen auf „Programmen“ der AfD beruhen. Bei den Quellenangaben sind unter der in Klammern gesetzten Aufforderung „vgl.“ zu lesen: Türkei und/oder Italien und/oder USA und/oder Polen und/oder Ungarn und/oder Österreich und/oder Großbritannien und/oder Russland. Jetzt bringt es der Autor tatsächlich fertig, all das in einen Topf zu werfen und daraus seine ideologische Melange zu fabrizieren.
So steht im AfD-Bundestagswahlprogramm der Passus „Die Einführung von Volksabstimmungen nach Schweizer Modell ist für die AfD deshalb nicht verhandelbarer Inhalt jeglicher Koalitionsvereinbarungen.“ Der Autor behauptet unter der Schlagzeile „Regierungsreferenden, keine Volksgesetzgebung“ jetzt nicht nur, dass es sich dabei um „von der Regierung erarbeitete Vorlagen“ handele, sondern einen Satz weiter, dass „Gesetzesinitiativen aus dem Volk heraus“ ausgebremst oder verhindert würden. Was ändert die diesen Satz beendende Angabe „(vgl. Ungarn)“ an der Aussage, dass die AfD keine Volksgesetzgebung will? Die Punkte ohne solche fehlinformierenden Vermischungen lassen sich an einer Hand abzählen! Solche Unredlichkeit schreit zum Himmel, ist aber typisch für eine Kleinstpartei, der vor Angst schon mehr als die Glieder schlottern. Die Krone setzt dem Text die *-Anmerkung auf, dass die „Durchsetzung dieser Szenarien in Deutschland teils zwar möglich, teils aber auch schwerer umsetzbar“ sei: Gemeint sind die Unterschiede zwischen den Verfassungen und gesetzlichen Regelungen der Länder, die teilweise nur mit einer Zweidrittelmehrheit umgesetzt werden können. Mehr heiße Luft war selten.
Ein Ranking unter der Schlagzeile „Inszeniert euch“ führt 10 politische „Influencer“ auf, die auf „Facebook, Twitter, Instagram & Co. die beste Figur“ machen. Dabei sind Bodo Ramelow und Sahra Wagenknecht (Linke), Dorothee Bär (CSU), Konstatin Kuhle und Christian Lindner (FDP) usw. usf. Die Kriterien der Bewertung bleiben ungenannt, und dass niemand von der AfD dabei ist, verwundert schon lange nicht mehr. Dass allein auf Facebook im Mai 2018 Alice Weidel und Jörg Meuthen vor Wagenknecht einkamen und sich unter den 10 erfolgreichsten Facebook-Profilen von Politikern gleich sechs von der AfD tummeln, stört da nur. Ganz abgesehen davon, dass „Inszenierung“ gleich Blendung das Wort geredet wird – nicht etwa politischen Inhalten….
Das retardierende Moment des Heftes ist dann das Interview mit Anja Besand, Lehrstuhl für Didaktik der Politischen Bildung an der TU Dresden. Dass sich die Frau über verschobene Diskursgrenzen mokiert, weil über die „Verbrechen der Lebensretter der Lifeline“ oder über „Transitzentren“ diskutiert wird, und das als politische und demokratische Krise deutet – bittesehr. Diskurse über „Armlängen“, Vergewaltigungen oder Messermorde führen dann andere. Dass sich Besand über „aufsuchende Formate“ freut, wenn die Landeszentrale für Politische Bildung in Freiburg zum Jahrestag des ersten Weltkriegs Menschen mit blutigen T-Shirts durch die Innenstadt laufen lässt – bittesehr. Die Absage des Nachmittagsunterrichts durch drei Gymnasien, wenn AfD-Abgeordnete in Heilbronn einen Info-Stand für Schüler veranstalten, um ihnen „Einblick in die demokratischen Strukturen unserer Bundesrepublik“ zu geben, bemerken dann andere – und die bemerken auch, dass es offenbar auf die Aufsuchenden ankommt. Dass Besand auch noch „Russia Today“ unwidersprochen mit der BILD vor 20 Jahren vergleichen läßt – bittesehr. Dass diverse Titelblätter zum Thema „Sachsen“, allen voran von SPIEGEL und STERN, inzwischen „Stürmer“-Niveau aufweisen, bekommen andere ungefragt mit.
Aber es ist eine bodenlose Unverschämtheit – und unterstreicht zugleich die Entwicklung der letzten Wochen – wenn sie mit Bezug auf den „Beutelsbacher Konsens“ erklärt: „Aber das heißt nicht, dass wir zu irgendeiner Art politischer Neutralität verpflichtet sind“. Seit wann ist der Begriff „Neutralität“ interpretierbar, oder gibt es inzwischen verschiedene „Neutralitäten“?
Der Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte Andreas Wirschung fand es auf dem jüngsten Historikertag wichtig, „dass wir uns auch normativ äußern“. Das Normative scheint gerade als Positivum in der Meinungsausrichtung sehr in Mode zu kommen, wie auch Thomas Krüger (SPD), der Bundeschef der Zentrale für politische Bildung, im ZDF jüngst einer notwendigen normativen Auslegung des Beutelsbacher Konsens‘ das Wort redete und damit der früheren Neutralität des Lehrers in der politischen Bildungsvermittlung widersprach.
Lassen Sie sich gesagt sein, Frau Besand: Es ist Aufgabe der Lehrer, die Positionen aller demokratischen Parteien neutral nebeneinanderzulegen und den Rest den Schülern zu überlassen. Eigene Ansichten haben nur dann etwas im Unterricht verloren, wenn die Schüler danach fragen. Der Ludwigsburger Politikdidaktiker Helmut Däuble hat dies in der Frankfurter Rundschau so präzisiert, „dass in einem Politikunterricht, in dem es um Migrationspolitik geht, das Spektrum der parteipolitischen Standpunkte von der Offenen-Grenze-Position der Linken bis zur Geschlossenen-Tür-Haltung der AfD so dargestellt werden muss, dass diese für die Lernenden nachvollziehbar und abwägend analysierbar sind, und sie so zu einem eigenständigen Urteil kommen können.“ Wenn es eines letzten Beweises bedurfte, warum das AfD-Portal für eine neutrale Schule „lehrerSOS.de“ wichtig und richtig ist – hier ist er.
Vorletzte Seite: ein paar abstrakte Veranstaltungsankündigungen von „neuen Formaten“, die „Parteien, Journalisten und Behörden“ ausprobieren: Katja Kippings „Rotes Wohnzimmer“, Martin Duligs „Küchentischtour“… Dass das AfD-Format „Fraktion vor Ort“ fehlt, braucht man nicht mehr zu erwähnen, das ahnt man inzwischen sowieso.
Letzte Seite: ein Kommunikationsknigge in der Art studentischer Anzeigen mit abreißbaren Kontaktdaten, mit dem eine „gebeutelte Gesellschaft“ Wege zu besserer politischer Kommunikation sucht. Dabei findet sich neben „Bleiben Sie sachlich!“ (vgl. Stawowy in dem Heft!) oder „Erklären Sie Zusammenhänge“ (vgl. Demuth in dem Heft!) auch „Nutzen Sie einfache Sprache“. Es lebe die Simplizität – denken war gestern.
Dazwischen politische Anzeigen. Von der linken Landtagsfraktion, die nah bei den Menschen, aber nicht mit dem Ohr am „Volk“ sein will, sondern lieber an „der Bevölkerung“. Von der CDU-Fraktion, bei der man „einfach anrufen“ solle, bevor man sich Fakten zusammengoogelt. Oder auch, ganzseitig, vom Ministerium für Soziales und Gleichstellung, das unter der Phrase vom „Weltoffenen Sachsen“ und dem Slogan „Von Mensch zu Mensch“ behauptet, „Mutbürger“ zu unterstützen. Wie war das doch mit dem Framing 😉 Die teils informativen, teils diskutablen Texte von Laboda, Honnigfort oder Heidig ändern am katastrophalen Gesamteindruck des Machwerks nichts.
Fazit: besser kann man die selbstgefällige Arroganz der – in diesem Fall vermeintlich – Herrschenden nicht illustrieren. Besser kann man das gesinnungsethische Meinungskartell der BRD 2018 nicht abbilden. Und besser kann man auch nicht erfahren, mit welchen Methoden heute Ideologie praktiziert wird. Wenn das ein Auftakt zum Wahlkampf sein soll, weiß die AfD aber, was und wer sie erwartet.
PS. Die mit diesem Text verbundene Aufwertung des Heftes nimmt der Verfasser in Kauf und warnt zugleich vor der Verauslagung der 8 Euro. Die kann man bspw. in eine antiquarische Ausgabe von Karlheinz Weißmanns „Faschismus“ investieren. Der ideologische Zugewinn ist ein ungeheurer. Versprochen.