„Wir könnten 4000 Jahre weitermachen“
7. Januar 2019 von Thomas Hartung
337 Mal flimmert das Quiz von 1955 bis 1989 über die Bildschirme. Mit Millionen Zuschauern: vor genau fünf Jahrzehnten war die Sendung mit 75 % eingeschalteter Geräte die beliebteste im deutschen Fernsehen. „Was bin ich“, das „heitere Beruferaten“ mit Robert Lembke, ist ein Stück Fernsehgeschichte, ein immer wiederkehrendes Ritual, „gegen das ein katholischer Gottesdienst spontan erscheint: Jeder Zuschauer kennt die Tafel, an die der Gast seinen Namen schreibt und angibt, ob er selbständig ist oder angestellt“, bilanziert Sven Stillich im SPIEGEL.
Dabei war Lembke, der die Lizenzrechte am US-amerikanischen Ursprungsformat „What‘s my line“ 1954 erworben hatte, gar nicht als Moderator geplant. „Niemand wollte das damals machen“, erinnert er sich, „die Leute vom Radio wollten ihr Millionenpublikum nicht aufgeben für die Spinner vom Fernsehen. Ich war eigentlich nur eine Übergangslösung.“ Aus dieser Übergangslösung wurde der gute „Rateonkel dreier Nationen“ (Deutschlands, Österreichs und der Schweiz), der keine Skandale brauchte, um im Gespräch zu sein. „Wenn ich König von Deutschland wär“, singt Rio Reiser damals: „im Fernsehen gäb‘ es nur noch ein Programm: Robert Lembke, 24 Stunden lang“.
„eine Kirchensendung Samstagnachmittag aus dem Programm zu heben“
Lembke wurde als Robert Emil Weichselbaum 1913 in München als Sohn eines Herrenmode-Händlers geboren. Die Ehe hält nicht lange. Seine Mutter, deren Geburtsnamen „Lembke“ der Sohn annahm, betreibt ein Wäschereigeschäft. Der Vater, der ein Jurastudium für Robert vorsah, emigrierte aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1936 nach Großbritannien. Der Sohn brach das Studium ab, heiratete und sammelte erste journalistische Erfahrungen als freier Mitarbeiter bei der satirischen Zeitschrift Simplicissimus und dem Berliner Tageblatt. Er will Journalist werden und über seine Leidenschaft Fußball schreiben. Von seinem ersten Honorar schenkt er seiner Mutter Blumen. 1938 wird er Vater eines Jungen. Weil er sich weigerte, während der Naziherrschaft eine „Loyalitätserklärung“ abzugeben, wurde er mit einem Berufsverbot belegt und arbeitete bis 1945 bei der I.G. Farben.
Nach dem Krieg beginnt seine „schönste Zeit“. Er baut mit Erich Kästner und Stefan Heym die Neue Zeitung in München auf, geht 1949 zum Bayerischen Rundfunk und macht dort schnell Karriere als Hörfunk-Chef, als Fernsehdirektor und schließlich als Chefredakteur. Und jetzt darf er ganz nah am Fußball sein: Bei der Weltmeisterschaft 1954 ist er beim „Wunder von Bern“ Assistent von Herbert Zimmermann. 1961 initiierte Lembke die „Sportschau“, die allerdings erst vier Jahre später auf den Samstag rücken konnte:
„Das war sehr schwierig, denn um diese Zeit lag eine Kirchensendung. Und jeder, der das Geschäft einigermaßen kennt, weiß, was das bedeutet, eine Kirchensendung Samstagnachmittag aus dem Programm zu heben.“
Er ließ es sich nicht nehmen, ab und zu aus dem Nähkästchen zu plaudern: „Bei den regelmäßigen Sitzungen der Hörfunkdirektoren, der Programmdirektoren hat sich halt dann herausgestellt, dass von den höheren Hierarchien der Rundfunkanstalten die meisten einen Tischtennisball nicht von einem Medizinball unterscheiden konnten.“ In den kommenden Jahren koordiniert er die Fernsehberichterstattung von den Olympischen Spielen, wird stellvertretender Programmdirektor der ARD und organisiert die Übertragungen von der Fußballweltmeisterschaft 1974 in Deutschland. Nebenher schreibt er Bücher mit Aphorismen, Gedichten und Erzählungen, macht teure Werbung, raucht wie ein Schlot und erleidet wie im Vorbeigehen einen Kreislaufkollaps wegen Überarbeitung.
Er erhält das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, den Bambi und zweimal die Goldene Kamera. Vor allem aber führt er ebenso humorvoll wie souverän durch „seine“ Sendung, in der nach der einleitenden Xylophon-Erkennungsmelodie die staunenden Zuschauer von Berufen wie Fliegenbinder, Gasballonbauerin oder Schmetterlingsbetreuer erfuhren. Das Prinzip war simpel: ein semiprominentes, fast jahrzehntelang unverändertes Team aus je zwei männlichen und weiblichen „Ratefüchsen“ musste mit maximal 10 Entscheidungsfragen, auf die nur die Antworten „ja“ oder „nein“ zulässig waren, den Beruf von drei „Menschen wie du und ich“ sowie, mit verbundenen Augen, einen Promi erraten.
Die Gäste betreten jeweils nacheinander das Studio, stellen sich vor oder im Falle des Promis auch nicht, machen eine berufstypische Handbewegung und nehmen neben Lembke Platz, der seine in den Alltagsgebrauch übernommene Frage stellt: „Welches Schweinder’l hätten’S denn gern?“ Gemeint waren verschiedenfarbige Sparschweine, die Lembke für jedes „Nein“ bei der Raterunde mit einem Fünfmarkstück fütterte. Nach jedem „Nein“ wechselte der Ratefuchs, bei einem „Ja“ durfte er weiter fragen. Alle Versuche, etwas an der Sendung zu ändern, scheitern am Widerstand der Zuschauer. Selbst der Hauptgewinn wird in 34 Jahren nicht erhöht.
Die Sendung funktionierte, weil die Zuschauer zuvor, mit einem akustischen Signal für Mitrater gewarnt, den Beruf erfuhren und die Versuche des Rateteams belustigt verfolgen konnten: das Prinzip Schadenfreude aufgrund überlegenen Wissens. Als es einmal galt, auf den Beruf der Hausfrau zu kommen, und eine Frage lautete: „Könnte Ihr Beruf von einem Mann ausgeführt werden?“, blickt Lembke kurz zögernd zu der Dame neben sich und entscheidet dann grinsend: „Sagen wir nein.“ Die Hausfrau geht mit einem vollen Schwein nach Hause.
Bei einer Umfrage des Stern sieben Jahre vor seinem Tod gaben 96,5 Prozent der Deutschen an, ihn zu kennen – von solchen Werten trauen sich manche Politiker nochmal nicht zu träumen. Einmal nur lief er Gefahr, übertrumpft zu werden – von seinem Drahthaar-Foxterrier-Weibchen „Struppi“, die von Anbeginn mit dabei war und für die Gage von einer Wurst pro Sendung die 5-Mark-Stücke und die „Schweinderl“ bewachte. Struppi hatte nämlich einen Promi-Rategast in die Hand gebissen: den damaligen Bundesfinanzminister Fritz Schäffer. Mehr Fanpost bekam selbst Lembke nie, der das hinterher so kommentierte:
„Alle Steuerzahler empfanden, dass hier jemand etwas für sie getan hatte – und sie überhäuften Struppi mit Anerkennungsschreiben und Geschenken.“
„…ein bisschen Spaß gemacht“
Mit durchschnittlich 8,496 „Nein“ kam das Rateteam den Berufen auf die Spur, die Trefferquote lag bei 60 Prozent. Monatlich erreichen die Redaktion bis zu 6000 Briefe mit Vorschlägen origineller Berufe; bis zu 30 kommen für eine Sendung in die engere Wahl. „Wir könnten 4000 Jahre weitermachen“, sagt Lembke, und wenn „biologisch nichts dazwischenkommt, mache ich weiter.“ Dazwischen kommt am 14. Januar 1989 eine schwere Bypassoperation am offenen Herzen, die er nicht überlebt. Drei Tage vorher hatte er mit dem Rauchen aufgehört.
„Die Wahrheit über einen Menschen liegt auf halbem Wege zwischen seinem Ruf und seinem Nachruf“, hat Robert Lembke einmal gesagt. Seinem Ruf als Kopf der langlebigsten Quizsendung des deutschen Fernsehens wurde er bis heute gerecht: kein öffentlich-rechtliches oder privates Nachfolgeformat erreichte auch nur annähernd seinen Sende- und erst recht seinen Unterhaltungswert geschweige seine Quoten – trotz teilweise sehr prominenter Ratefüchse wie Feministin Alice Schwarzer, Torwartlegende Sepp Maier oder Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm.
Lembke sagte aber auch „Mit der Fernsehgebühr erwirbt der Zuschauer ein Recht auf meine Arbeit, nicht auf mein Privatleben“. Wie schmerzhaft diese Wahrheit sein sollte, erwies sich am Tag der Beerdigung: BILD trat los, was man heute als „Schmutzkampagne“ verurteilen sollte. Das Blatt enthüllt nicht nur anklagend die jüdischen Wurzeln Lembkes, als hätte er das doch wohl sagen müssen. Noch schlimmer: der „Tele-Gott“ soll seit 20 Jahren nicht mehr mit seiner Frau zusammengelebt haben, sondern einer Sekretärin. Er habe ihr nur die Treue gehalten, weil sie ihn durch die Nazi-Zeit gebracht habe. Auch Monate später stürzt sich der Boulevard immer wieder auf die Geschichte. Die Familie leidet.
Während Lembke von vielen Menschen die Frage „Was bin ich“ zu beantworten half, nahm er für sich selbst das Recht heraus, die Frage nach „Wer bin ich?“ nicht zu beantworten. Worum es ihm gegangen ist, hat er am Ende jeder Folge seiner Sendung selbst formuliert: „Ich hoffe, es hat ihnen ein bisschen Spaß gemacht.“