„Bassists against racists“
6. Januar 2019 von Thomas Hartung
„Wieviel politisches Engagement ist gut für die Marke“ – unter dieser Schlagzeile sah sich jetzt auch die führende Marketing-Fachzeitschrift Absatzwirtschaft (AW) genötigt, Stellung zu beziehen. Anlass war die aktuelle Verpackung der bunten „Erdnuß Chocs“ der REWE-Eigenmarke „ja“, auf der unter dem Slogan „ja! zu Vielfalt und Toleranz“ die Nascherei einen bunten Erdkreis samt bunter Kontinente bildet. Damit warb das Unternehmen zum UNESCO-Welttag für Toleranz am 16. November für Vielfalt, Respekt und ein friedliches Miteinander. Beim Kauf der limitierten Beutel gingen automatisch 40 Cent an die Organisation „Über den Tellerrand“. Die engagiert sich für das „Kennenlernen und den Aufbau von nachhaltigen Freundschaften zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung als Grundlage für Integration“ mit gemeinsamen Aktivitäten wie beispielsweise Kochen und Essen. In Deutschland arbeiten 254.000 Menschen aus über 140 Nationen bei der Handelsgruppe.
Das Echo auf die Aktion in sozialen Medien war erwartbar ambivalent: allein bei Facebook fast 1.000.000 Mal aufgerufen und über 700 Mal kommentiert, reicht das Spektrum von „Solche plumpe Agitation gab es ja nicht mal in der DDR!“ bis „Wir sind alle Menschen, egal wo wir herkommen“. Einer erbost sich gar: „Im Dritten Reich gab es überall Hitlerbildchen dabei! Wir sollten uns freuen, dass auf der Packung keine Bilder der Kanzlerin zu sehen sind“. Lukas Steinwandter verwies in der Jungen Freiheit darauf, dass das Unternehmen mit seinen Supermärkten und Discountern 2017 fast 29 Milliarden Euro einnahm und also einen stattlichen Betrag hätte spenden können – „auch ohne plumpe Polit-Slogans auf Süßigkeitenverpackungen zu drucken und seine Kunden mit links-grünen Botschaften zu ködern.“
Ein hartes politisches Statement sei das allerdings nicht, meint Anne-Kathrin Velten in der AW und erkennt in der Einmischung in die aktuelle Diskussion zumeist wirtschaftliche Gründe. Zum einen sei eine solche Kampagne aufgrund internationaler Mitarbeiterschaft und Kundschaft eine Chance, sich positiv zu positionieren. Zum anderen zwinge der demografische Wandel Rewe und Co., sich als attraktiver Arbeitgeber für Flüchtlinge zu positionieren: Andernfalls bekämen sie mittelfristig kein Personal. Dass der Grat zwischen Nicht-Einmischen, positiver Positionierung und Marken-Authentizität schmal ist, beweise Drogeriechef Dirk Rossmann, der sich als Privatmann mit politischen Statements nicht zurückhält. Stelle sein Unternehmen sich aber öffentlich gegen die AFD, hätte es 13 Prozent weniger Kunden.
„Gegen braune Flaschen“
Explizit politisch verhielt sich bspw. sixt. Der Autovermieter kreierte 2016 eine Kampagne gegen Alexander Gauland „Für alle, die einen Gauland in der Nachbarschaft haben“. Der AfD-Vorsitzende meinte, dass man neben jemandem wie dem farbigen Fußballer Boateng „nicht leben wolle“. Die Berliner Metallfirma Mutanox erlangte im September 2015 zweifelhaften Ruhm, als sie ein 500.000-Euro-Geschäft mit der ungarischen Regierung ablehnte und keinen Stacheldraht zur Grenzsicherung lieferte. Aber schon 2001 hatten Mitarbeiter der Softwarefirma Nextra die Initiative „IT-Unternehmen gegen rechte Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“ ins Leben gerufen.
Auch im Verlagswesen gibt es seit der Frankfurter Buchmesse 2017 die Initiative „Verlage gegen rechts“. Und kürzlich brachte der FC St. Pauli gemeinsam mit seinem Partner Budni das neue Duschgel „Anti-Fa – die wilde Frische der Straße“ heraus: „In Zeiten, in denen Nazis auf ihren Demos ungehindert und unbehelligt rechtsextreme Parolen schreien dürfen und in denen geflüchtete Menschen bedroht und gejagt werden, ist es wichtiger denn je, Haltung zu zeigen.“ Der Verein preist es als „Das erste Duschgel mit Haltung“ auf seiner Homepage und teilt als Verwendungszweck der Erlöse aus dem Verkauf mit, dass die Initiative „Laut gegen Nazis“ unterstützt wird.
Doch die Hamburger bekommen Ärger. „Unsere Marke Fa ist in vielen Ländern weltweit erhältlich, und als internationales Unternehmen stehen Henkel und seine Marken von jeher für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit“, schrieb Henkel, Hauptsponsor von Erstligist Fortuna Düsseldorf, bei Twitter. „Der Verkauf eines Duschgels mit dem Produktnamen „Anti-Fa“ beziehungsweise die Verbindung des Begriffs „Anti“ mit einem unserer Markennamen ist grundsätzlich nicht in unserem Sinne – ganz unabhängig davon, in welchen Kontext dies gestellt wird oder welche politische Haltung damit verbunden ist.“
Der weltweit erfolgreiche Konsumgüterriese fühlt sich vom FC St. Pauli hintergangen – und wehrt sich gegen die Kritik der eigenen Kunden. „Das Feedback von Konsumenten und die Diskussionen in sozialen Netzwerken zeigen, dass der Produktname ‚Anti-Fa‘ für ein Duschgel Irritation und Unverständnis auslöst. Auch vor diesem Hintergrund ist es uns wichtig zu betonen, dass diese Aktion ohne unser Wissen erfolgte“, heißt es in der Stellungnahme. „Wir behalten uns vor, gegebenenfalls auch rechtlich gegen diese Anlehnung an unseren Markennamen vorzugehen.“
In ähnlicher „Gegen“-Tradition steht seit Herbst auch die Initiative „Brands gegen rechts“ (im Original in Fraktur) der Berliner Fair Fashion-Designerin Natascha von Hirschhausen. Nach ihren Worten setzten sich damit „Unternehmen gemeinsam für Demokratieförderung und gegen Faschismus ein. Durch das Spenden von Produkten soll Geld gesammelt werden, um politische Bildung zu unterstützen.“ 20 Marken beteiligen sich, darunter „Dzaino“, ein Berliner Zwei-Frau-Unternehmen, das Taschen und Accessoires aus gebrauchten Textilien entwickelt, seine Produktion als „lokal, fair, transparent, sozial und umweltfreundlich“ preist und als Unternehmenswerte „klar, strukturiert, minimalistisch und achtsam“ angibt: Materialien werden von der Berliner Stadtmission gekauft, die Produktion findet in Berliner Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigung statt, und alle Transportwege innerhalb Berlins werden per Fahrradkurier zurückgelegt. Im Rahmen eines ersten Testlaufs wurde für den „City Point“ in der „NSU-Stadt Zwickau“ gesammelt, der mit Kindern und Jugendlichen aus mehr als 30 Nationen arbeitet. Über das Ergebnis der Aktion hüllen sich die Beteiligten bislang in Schweigen.
Andere Unternehmen agieren zwar einmischend-positionierend, aber nicht so heftig, dass sie Shitstorms oder gar messbare Einbußen erleiden. So wollte die Brauerei Becks im August als „Label der Woche“ im Rahmen der „deinbecks“-Kampagne mit dem Spruch „Gegen braune Flaschen“ ein Zeichen setzen – und nahm damit in Kauf, dass sie gegen etwaige Konkurrenz stichelt: Becks Flaschen sind traditionell grün. Denselben Slogan nutzte im selben Kontext auch „Happiness Naturradler“. „fritz-kola“ entwarf im Mai unter dem Slogan „lieber fritz als horst“ eine Kampagne gegen Heimatminister Horst Seehofer (CSU), in dem sie ihre bunten Getränke („Heimat“) uniformierten schwarz-weißen Flaschen gegenüberstellte („Heimatministerium“).
Eine weitere Gruppe von Unternehmen liefert eher Statements mit Aktionen, die im weiten Sinn der Corporate Social Responsibility (CSR: Unternehmerische Gesellschafts- oder auch Sozialverantwortung) angehören und in Sachsen wirken sollen. So hat sich der Energieversorger Vattenfall eine Null-Toleranz-Politik gegen Rassismus verordnet und veranstaltet Integrationskurse für eingewanderte Arbeitnehmer sowie einen Jugend-Austausch mit polnischen Azubis.
Der Autobauer Porsche sponsert die Konzertreihe „Courage zeigen“ und unterstützt den Leipziger Flüchtlingsrat. Die Uhrenmanufaktur Nomos im sächsischen Glashütte hat am Firmensitz ein Plakat aufgehängt „Nein zu rechtem Gedankengut. Ja zu Toleranz und Weltoffenheit“ und bietet der Belegschaft steuergeldfinanzierte Seminare an, wie sie mit Pegida und „Rechten“ umgehen könne. Der Bass-Gitarrenbauer Warwick aus dem Vogtland vertreibt in seinem Online-Shop T-Shirts mit der Aufschrift „Bassists against racists“.
politisches Engagement ist produktabhängig
Noch freier ist die deutsche Agenturszene: So gaben „Scholz & Friends“ (S&F) und „TLGG“ den Mitarbeitern beispielsweise „nazifrei“, um in Chemnitz gegen „rechts“ zu demonstrieren. Die Agenturchefs betonten zwar, dass dies keine Dienstverpflichtung wäre, machten aber zugleich deutlich, dass die Teilnahme willkommen sei, fertigten Plakate und rührten die Medientrommel.
Nun sollte man allerdings wissen, dass zu den aktuellen Kunden von S&F zahlreiche Verbände und Bundesministerien gehören und sie schon im Dezember 2016 auf Grund der privaten Kampagne „#KeinGeldFürRechts“ des damaligen Strategy Directors Gerald Hensel in der Kritik stand. Die Kampagne versuchte Werbetreibende zu beeinflussen, Werbebannerschaltungen auf Webseiten zu unterlassen, die Hensel als „rechts“ bewertete. Darunter war der Blog Achgut mit Autoren wie Henryk M. Broder, Vera Lengsfeld oder Thilo Sarrazin. Der Mann betrieb damals auch eine Website, die unter einem roten Sowjetstern und dem Namen davaidavai.com firmierte – mit dem Ruf trieben die russischen Wachmannschaften die Gefangenen in den Gulags zur Arbeit.
Andererseits ist die sehr seltene, gegenteilige Positionierung noch nicht als geschäftsschädigend bekannt geworden – im Gegenteil. So organisiert der Bautzner Bauunternehmer Jörg Drews in der Initiative „Wir sind Deutschland“ Demonstrationen gegen die Asylpolitik, was seiner Firma „Hentschke Bau“ nicht im Geringsten schadet. Auch TRIGEMA-Chef Wolfgang Grupp lehnte von Anbeginn Angela Merkels Flüchtlingskurs ab und wird dafür hochgeachtet.
Eine klare Antwort, wie stark sich Unternehmen positionieren dürfen, gibt es für Velten nicht: Die Größe entscheide, und das politische Engagement sei stark vom Produkt abhängig. So sei für Unternehmen aus der Nachhaltigkeitsbranche eine Haltung zu Umweltthemen Pflicht. Bei Themen wie Migration, Rechts- oder Linksextremismus bleibe Zurückhaltung der Königsweg. Laut Meinungsforschungsinstitut Civey will fast jeder zweite Konsument zwar Produkte häufiger kaufen, wenn sich die politischen Äußerungen von Unternehmen mit den eigenen Auffassungen decken. Letztlich wünsche sich aber nur jeder dritte Konsument (31,4 %) eine klare Haltung von Unternehmen; 58,6 % dagegen sprechen sich für Neutralität aus.