„Die Wurst ist Ausdruck für das Ganze“
12. Januar 2019 von Thomas Hartung
Beim deutschen Kunst-Guru Joseph Beuys spielte die Blutwurst eine große Rolle. Seit den mittleren 1960er Jahren hat er das Samurai-Schwert als Symbol für die Kultur des Ostens häufig in Gestalt einer Blutwurst gestaltet und so zu einem Mischobjekt mit Bezügen zur asiatischen Kampfkultur und einem europäischen Lebensmittel gemacht. In dieser Verschmelzung steckt Beuys’ Eurasia-Gedanke – seine Vorstellung einer Verbindung zwischen der europäischen und der asiatischen Gesellschaft, in der das rationalistische und materialistische Denken Europas in der intuitiven und geistig geprägten Lebensweise Asiens aufgehoben werden soll. Und zur Zeitgeist-Ausstellung 1982 hängte er an einen Mast von der Höhe eines Maibaums eine Blutwurst und schrieb einen Essay mit dem berühmten Zitat „Die Wurst ist Ausdruck für das Ganze“. Er wurde dann von einem Journalisten gefragt, wie er das meine. Beuys antwortete lachend: „Schneiden Sie mal ein Stück ab, dann ist sie nicht mehr ganz.“
Ob das Innenministerium, ja Minister Horst Seehofer (CSU) selbst diesen artifiziellen Hintergrund parat hat, sei dahingestellt. Ob das Angebot von Blutwurst neben 12 weiteren beschilderten Speisen – sowohl halal und vegetarisch als auch mit anderem Fleisch und Fisch – der Versuch war, in Beuys‘ Sinne eine Verbindung zwischen der europäischen und der islamischen Gesellschaft zu schaffen, sei auch dahingestellt: Insgesamt waren immerhin rund 250 Personen auf der 4. Deutschen Islam-Konferenz (DIK) geladen. Entsprechend gab es bei der Abendveranstaltung verschiedenste Speisen zur Auswahl, die sich laut dem Ministerium nach der „religiös-pluralen Zusammensetzung“ der Konferenz richtete. Und erst recht sei dahingestellt, ob Seehofer damit Verachtung oder Gedankenlosigkeit bewies, wie Alan Posener in der WELT unterstellte – oder Provokation und Respektlosigkeit, wie der Redakteur der deutsch-türkischen Online-Zeitung Daily Sabah, Burak Altun, mutmaßte.
Fakt ist: Der WDR-Reporter Tuncay Özdamar hatte die Causa auf Twitter kritisiert – sonst wäre sie gar nicht bekannt geworden. „Es wurde Blutwurst serviert. İnşallah halal. Welches Zeichen will Seehofers Innenministerium damit setzen? Ein wenig Respekt vor Muslimen, die kein Schweinefleisch essen, wäre angebracht.” Einige pflichteten Özdamar bei, unter anderem Grünen-Politiker Volker Beck: „Vielfalt wahrnehmen heißt auch unterschiedliche Gewohnheiten berücksichtigen“, twitterte er.
Mehrere deutsche Medien griffen den „Fall“ prompt auf, warfen der deutschen Politik „Unsensibilität“ und mangelndes „Feingefühl“ vor: das „Blutwurst-Gate“ war geboren. Der Focus etwa schreibt unter Berufung auf den SWR: „Es ist nicht der erste Häppchen-Eklat bei der Islamkonferenz. Bereits 2006, bei der ersten Tagung seien Schinkenstücke gereicht worden“. Dabei sei an der Blutwurst nicht nur das Fleisch problematisch, bekräftigt der Tagesspiegel: Das umstrittene Schächten soll sichern, dass die Tiere möglichst komplett ausbluten, da Muslimen auch Tierblut zu essen untersagt ist.
„Jeder konnte selbst entscheiden“
Blamabel daran ist nicht nur die Tatsache, dass die meisten deutschen Dönerbuden nicht zertifiziert halal sind und nicht einmal das Restaurant im Jüdischen Museum Berlin, das Zehntausende jüdische Besucher hat, koscher kocht. Blamabel daran ist vor allem die Tatsache, dass überhaupt darüber diskutiert wird, dass es in Deutschland Schweinefleisch-Produkte auf einer offiziellen Veranstaltung gibt, an der auch Nichtmoslems teilnehmen. Für die halbgare Rechtfertigung des Bundesinnenministeriums, man bedaure, „sollten sich einzelne Personen in ihren religiösen Gefühlen gekränkt gesehen haben“, müsste man sich fast fremdschämen – zudem das Buffet deutlich ausgezeichnet und das Personal entsprechend instruiert gewesen sei.
Laut dem Ahlener Grünen-Politiker Ali Baş sei das aber gerade bei den Blutwursthäppchen nicht der Fall gewesen: „Das Fingerfood war nicht gekennzeichnet und bei den schlechten Lichtverhältnissen schwer zu erkennen“, erzählte er dem Online-Magazin Watson. Einige Teilnehmer hätten bereits zugreifen wollen, als Baş erst auf Nachfrage erfahren habe, worum es sich bei der Speise handelte. Am zweiten Tag der Konferenz sei das Buffet dann laut Baş frei von Schweinefleisch gewesen. Aber: „Niemand wurde gezwungen, etwas zu essen oder zu trinken. Jeder konnte selbst entscheiden, ob und was er zu sich nahm“, zitiert die Sächsische Zeitung die muslimische SPD-Frau Lale Akgün. „Also was soll der Quatsch mit den Gefühlen der Muslime?“
Die nordrhein-westfälische Integrations-Staatssekretärin Serap Güler (CDU) reagierte eher genervt: „Lese nur noch Blutwurst, Blutwurst“, schrieb sie auf Twitter. Aber schließlich sei niemand gezwungen worden, sie zu essen: „Wie wäre es denn mit Nachsicht statt Hetze?“ „Was wir brauchen, ist eine Debatte, wie man fundamentalistische Strukturen möglichst effizient zurückdrängt. Was wir bekommen, ist eine Debatte, ob man in Anwesenheit von Muslimen #Blutwurst essen darf“, twitterte die Berliner Frauenrechtlerin Seyran Ates verärgert.
Ein anderer Twitterer schrieb: „Große Aufregung über Speck und Blutwurst bei der #Islamkonferenz – wäre schön, wenn sich die Islam-Verbände mal ähnlich über Ehrenmorde, Unterdrückung von Frauen, Todesdrohungen gegen Apostaten, islamischen Antisemitismus etc. aufregen würden.“ Auch der Hamburger CDU-Politiker Ali Ertan Toprak kritisierte, dass die mediale Debatte über den Umstand, dass auch Blutwurst und Häppchen mit Schweinefleisch zur Speisenauswahl zählten, die Wahrnehmung der Tagung dominierte.
Mehmet Ünal (CDU), türkischstämmiger Beirat im Bremer Ausschuss für Integration, sorgte am Wochenende nach der DIK auf Twitter für einen Eklat, als er Toprak dafür als „islamophobe Ratte” bezeichnete, welche „den Ball flach” halten solle. Für zahlreiche Twitter‐User ging der Ausfall Ünals entschieden zu weit; sie forderten teilweise sogar die CDU auf, den Mann aus der Partei zu werfen. Die Bremer CDU stellte auf Facebook klar, Ünals Äußerungen „in keiner Weise” zu billigen und „scharf” zu kritisieren. Auf mehrfache Aufforderung zur Rücknahme seiner Aussagen sei Ünal der Parteiaustritt nahegelegt worden. Ünal leistete Folge.
„unterdurchschnittlich intelligente Schimpansen“
Apropos „Wahrnehmung der Tagung“: zum ersten Mal war die DIK mehr als nur eine Schauveranstaltung, bei der die Vertreter der Muslime vage Erklärungen abgaben und sich ansonsten über Islamfeindlichkeit aufregten. Zum ersten Mal wurde unter Muslimen darüber gestritten, was Integration bedeutet. Dass man sich nicht einig wurde, gehört zu den Leistungen der Konferenz, auf der Innenminister Seehofer mit seinem Bekenntnis zu einem „Islam für Deutschland“ mal wieder eine Volte hinlegte: Die zentrale Frage der Islamkonferenz in dieser Wahlperiode sei für ihn, wie ein Islam in Deutschland gefördert werden könne, „der in unserer Gesellschaft verwurzelt ist“.
Zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gebe es viele Beispiele für harmonisches Miteinander, aber auch „Fremdheit und Konflikte“, sagte Seehofer. Muslime und Nichtmuslime stünden vor der Herausforderung, islamische Bräuche mit der deutschen Kultur „in Einklang zu bringen“. Die Bundesregierung wolle künftig gezielt Projekte fördern, die den „gelebten Alltag“ von Muslimen in der deutschen Gesellschaft und die Begegnung mit Nichtmuslimen unterstütze. Wie viel Geld für das Programm „Moscheen für Integration – Öffnen, Kooperieren, Vernetzen“ zur Verfügung stehen werden, sagte er nicht, bekräftigte aber seine Absicht, ausländische Einflüsse auf Moscheen in Deutschland zu ersetzen durch eigene Strukturen, auch bei der praktischen Imam-Ausbildung. Es sei Angelegenheit muslimischer Gemeinschaften, das zu organisieren.
Seehofer betonte, dass Muslime gleichberechtigt zu Deutschland gehörten: „Daran kann es wohl keinen vernünftigen Zweifel geben.“ Die Bundesregierung wolle Brücken bauen, damit Muslime besser in Deutschland heimisch werden können. Sollte man „Blutwurst-Gate“ nun als ersten Pflock ansehen – der prompt ins islamische Herz traf? Es geht dabei nicht um Blut und Schweinefleisch in der Wurst. Es geht um Souveränität und behauptete Identität. Hätte sich die Politik auch entschuldigt, hätte irgendeine vegetarische Interessenvertretung einen derartigen Zirkus veranstaltet? Im arabisch-orientalischen Raum gilt es übrigens als ungeheuerlicher Affront, die Speisen seines Gastgebers abzulehnen oder gar zu kritisieren. Umgekehrt nimmt man sich dieses Recht gerne heraus.
Fehlende Sensibilität wird den Veranstaltern der Islamkonferenz vorgeworfen. Das Gegenteil aber ist richtig: Wir leben in einer Kultur der Hypersensibilität, die nur Folge einer starken kollektiven Verunsicherung sein kann. Es gibt starkes Schuldbewusstsein, das die Deutschen zu einer Überservilität, einem ständig vorauseilenden Gehorsam verleitet, ja zu einer Überanpassung: es immer allen Recht zu machen – als ob man das ganze Land und alle Aspekte des Lebens zu einem „Safe-Space“ für muslimische Befindlichkeiten machen, ja an Ramadan mitfasten will.
Wer daran etwas auszusetzen hat, gilt inzwischen als islamophober Rassist. Wenn dieser angebliche Eklat etwas gezeigt hat, dann die Integrationsunwilligkeit von Islamvertretern auf der Konferenz. Die ungefilterte deutsche Realität ist für Muslime unzumutbar. Aber wer sich an einer Blutwurst abarbeitet, um die vermeintliche Wichtigkeit seiner als Staatsform verstandenen Religion zu demonstrieren, führt in Wahrheit einen Kulturkampf mit dem Ziel, die Gesellschaft, in der er lebt, radikalen religiösen Vorstellungen zu unterwerfen – die bösen Rechten sagen „Islamisierung“ dazu. Niemand wurde zwangsernährt.
Denn wer in Deutschland leben möchte, hat sich anzupassen und nicht umgekehrt. Wie wichtig diese Forderung ist, bewies die Gruppierung „Deutsch-Türkische Akademiker“ e.V. (DTA), die auf Facebook ein gepfeffertes Statement zur Islamkonferenz veröffentlichte. In diesem Posting und den Kommentaren sprengen die „Akademiker“ sämtliche Tabus der feinen Integrationsdebatte und hetzen unter anderem gegen Frauen, Schwule, liberale Muslime, Polizeibeamte und die Institutionen der Bundesrepublik Deutschland. Roger Letsch schreibt auf seinem Blog Unbesorgt von einem „Konvolut aus Beleidigungen, schlechtem Deutsch und pubertären Unverschämtheiten“.
So wurde gemutmaßt, dass Seehofer „die Organisation des Caterings einem unterdurchschnittlich intelligenten Schimpansen überlassen“ habe, und Islamkritiker wie Hamed Abdel Samet als „obskure Gestalten“, „rassistisch und islamophob“ bezeichnet. Nimmt man an, dass die Autoren einigermaßen diplomatisch formuliert haben dürften, zeichnet dieser Brief ein geradezu vernichtendes Bild von seinen Autoren und der Organisation, die sie repräsentieren. Hätten sich „Akademiker mit Migrationshintergrund“ aus einem nicht-muslimischen Kulturraum zu ähnlich primitiven Respektlosigkeiten gegen alles und jeden hinreißen lassen? Das Posting war Stunden später wieder verschwunden – im Gegensatz zu dessen Urhebern: Die bleiben. Die Blutwurst hoffentlich auch.