Unterwegs zur grünen Landesschrifttumskammer
15. Januar 2019 von Thomas Hartung
In der DDR-Literatur wurde Anfang der achtziger Jahre ein Begriff zum geflügelten Wort, der in Besinnung auf Immanuel Kant das Bild eines freien, gleichberechtigten und nicht bevormundenden Diskurses zwischen Autor, Text und Empfänger verbreitete: der des „mündigen Lesers“. In der BRD–Kulturpolitik gibt ein SPD-Kultursenator vor, auf die Mündigkeit der Bibliotheksnutzer in Bremen zu vertrauen, und erklärt zugleich, dass Medien, die „eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen“ sind, weder „aktiv über das Lektorat bestellt noch auf Kundenwunsch für die Stadtbibliothek erworben“ werden: Gemeint sind die Verlage Antaios, Manuscriptum, Orion-Heimreiter, Jungeuropa und Kopp. Hat sich unsere Demokratie auf dem Niveau der DDR-Diktatur anno 1970 eingependelt?
Ruchbar wurde die Zensur nach einer Anfrage des Grünen Kulturdeputierten Robert Hodonyi, der den Bremer Kultursenator Carsten Sieling bereits im August aufgefordert hatte, den Umgang der Bibliothek mit den Publikationen „rechter Verlage“ zu untersuchen. Darin fragt er auch, ob und wie Publikationen aus rechten Verlagen „kontextualisiert“ sprich gekennzeichnet werden. Als der Bericht, zugleich eine Sitzungsvorlage, drei Monate später vorliegt, springt nur ein einziges und natürlich linkes Medium drauf an: die taz, bei der Hodonyi selbst zwei Jahre Redakteur war (was der normale Leser nicht erfährt). Und die thematisiert natürlich nicht, dass sich Bremens Grüne damit aus dem demokratischen Grundkonsens verabschiedet haben. Im Gegenteil: unter Schlagzeilen wie „Gehören Bücher aus rechten Verlagen ins Bibliotheksregal?“ oder „Wird so eine demokratische Diskussion ermöglicht oder gefährliche Ideologie erst verbreitet?“ macht sie sich mit solch offenkundigem Gesinnungsfaschismus auch noch gemein.
„nicht einmal das kleine Einmaleins der Demokratie beherrschen“
Der Bericht legt zunächst drei Dinge offen. Zum ersten gibt es keinen entsprechenden „Umgang“: unter den rund 550.000 Titeln in der Stadtbibliothek hat es lediglich der Kopp-Verlag geschafft, vier seiner Bücher in das Angebot der Bremer Gesinnungsfestung zu schleusen; darunter Stefan Schuberts „Die Destabilisierung Deutschlands“. Darin würden „krude Verschwörungstheorien als kritische Recherche“ verkauft. Dass das Buch überhaupt zu haben ist, liegt aber an seinem Erscheinen auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Denn damit Kunden gefragte Titel möglichst schnell in den Regalen fänden, gelte für diese und andere Listen die sogenannte „Standing Order“, eine Art Dauerauftrag, auf dessen Grundlage gelistete Bücher direkt an die Bibliothek geliefert werden.
Zum zweiten wird der totalitären Forderung der Grünen zwar eine klare Absage erteilt: „Eine Kennzeichnung ‚rechter‘ oder ‚linker‘ Literatur erfolgt nicht. Die Stadtbibliothek Bremen wird keine Extra-Präsentationen einführen, da dies die Kontextualisierung durch den Fachbestand ad absurdum führt“, heißt es in dem Bericht. „Die Medien aus den o.g. rechten Verlagen stehen im Fachbestand der Bibliotheken in einem hinreichenden Kontext anderer Titel zur Politik, Geschichte und Soziologie und Sozialwissenschaften.“
Zum dritten aber wird eben erklärt: „Für den Umgang mit rechten Publikationen und anderen fragwürdigen Inhalten gibt es kein Patentrezept und keine Norm.“ Ein umfassendes Informationsangebot schließe auch kontrovers diskutierte Titel ein. Das Statement bestätigt zwar jenes der Bibliotheksverbände vom Mai 2016, die sich für Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit in Bibliotheken einsetzen und „insbesondere die Bereitstellung von gesellschaftlich und politisch kontrovers diskutierten Werken in ihren Mitgliedsbibliotheken, die einen politisch, weltanschaulich und religiös ausgewogenen Bestand und ein vielfältiges Spektrum an Meinungen gewährleisten“, befürworten.
Auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Bibliothekartags im Juni bekräftigen die progressiven Verbandskräfte im Juni, das Bibliotheken die informationelle Grundversorgung garantieren müssten, wozu auch Werke aus rechten Verlagen gehörten. So schaffte beispielsweise die Stadt- und Landesbibliothek Potsdam einen großen Schwung an „rechten Büchern“ an, darunter Werke von Kopp und Antaios.
Das Statement bestätigt aber auch, dass die Stadtbibliothek Bremen meint, sie könnte die Mündigkeit der Bürger im Mund führen und dennoch für sich entscheiden, welche Publikationen sie gerade einmal für fragwürdig oder rechts erklären will. Oder darüber, dass dieselben Personen der Ansicht sind, individuelle Wünsche an das Sortiment stellten eine Gefährdung von Meinungsfreiheit „im Grundsatz“ dar. Wie wirr kann man eigentlich sein, zumal bei der taz, die sich für diese Agenda instrumentalisieren lässt, ohne die zur Rede stehenden, angeblich verschwörungsideologischen Bücher überhaupt gelesen zu haben?
Denn in der Annotation der Stadtbibliothek wird zu Schuberts Buch informiert: Mit Beispielen unterstreiche der Autor seine Überzeugung, dass Deutschland „islamistisch unterwandert“ wäre. „Die Ursache sieht er in der angeblichen Tatenlosigkeit der Bundesregierung, die sich amerikanischen Interessen gebeugt habe“, heißt es dann aber in der linken Zeitung. Diese Aussage ist inhaltlich jedoch vollkommen falsch, da in dem Buch keinerlei Zusammenhang zwischen Islamisierung und dem Handeln der Bundesregierung nach amerikanischen Interessen hergestellt wird. „Gesinnungskontrolle, durchgeführt von Leuten, die offenkundig nicht einmal das kleine Einmaleins der Demokratie beherrschen“, empört sich Stefan Klein auf sciencefiles.de.
„Weniger Anmaßung tut hier dringend not“
In Bremen finanzieren die Steuerzahler somit eine Bibliothek, in der sich die Angestellten, die von den Steuerzahlern gleich mit finanziert werden, dazu aufschwingen, denen, die sie finanzieren, vorzuschreiben, was sie zu lesen und was sie vor allem nicht zu lesen haben. In der Kultursitzung Ende November behauptet Barbara Lison, Direktorin der Bremer Stadtbibliothek, keck: „Eine Zensur findet nicht statt“. Warum außer den vier Kopp-Werken kein Text sonst entleihbar ist, verschwieg sie aber. Bibliotheken sind aber nicht dazu gegründet worden und werden mit Sicherheit auch nicht dazu finanziert, Zensur auszuüben und die Bevölkerung zur richtigen Lektüre zu erziehen.
Und in Bremen finanzieren die Steuerzahler einen grünen Kulturdeputierten, für den jedes Buch aus einem rechten Verlag „ein Buch zu viel“ ist und der sich lieber in der Bibliothek informieren will, als einen rechten Verlag durch Buchkauf finanziell zu unterstützen. Denn Hodonyi erklärt, die Stadtbibliothek gehe einen „nachvollziehbaren, sehr guten Weg“, weil keine Selbstverständlichkeit sei, dass sie „rechte Titel nicht selbstständig einkaufe“. Und überhaupt gehöre es zur Strategie der neuen Rechten, in den politischen Kanon einzusickern – also auch in Bibliotheken präsent zu sein. Seine Parteikollegin Kai Wargalla regte gar an, Titel nicht ungeprüft in den Bestand zu übernehmen.
Aber „warum sollten im Gegenzug nicht auch Publikationen irgendwie linksgerichteter Verlage auf den Prüfstand, und welche würden die Grünen als solche betrachten?“, fragt Iris Hetscher im Weserkurier und kritisiert die herablassende Haltung, die „Nutzerinnen und Nutzer offenbar für nicht besonders helle“ zu halten: „Ein merkwürdiges Menschenbild offenbart sich da, eins, das anderen abspricht, kritisch lesen und denken zu können. Weniger Anmaßung tut hier dringend not.“ Solche Abschottungsaktionen seien geradezu Dünger für Verschwörungstheorien.
Sie merkte völlig zu Recht an, dass es niemand etwas angehe, dass gerade diese vier Titel gut nachgefragt werden: „Auch die Grünen und andere Berufs-Besorgte nicht, die immer gleich den Satz ‚wehret den Anfängen‘ im Mund führen, wenn es um Publikationen geht, die ‚rechts‘ oder ‚populistisch‘ sind – und diese Vokabeln werden ja immer häufiger, immer schneller, immer lauter als Urteil gesprochen. Genau definiert sind sie schon lange nicht mehr, sie sind in einen schwammartigen Zustand übergegangen.“
Was kommt als Nächstes – eine grüne Landesschrifttumskammer, die zu jedem Buch ihr „Imprimatur” geben muss? Gar eine neue Bücherverbrennung? Denn: „Es geht weder die taz noch die Grünen etwas an, was in Bücherregalen öffentlicher Bibliotheken steht“, schimpft Klein berechtigt weiter. „So lautet die einzige Antwort, mit der man diesem prätentiösen Anspruch, den Lesestoff von Bürgern kontrollieren zu wollen, begegnen kann. Wo leben wir eigentlich, wenn Halbgebildete aus einer grünen Partei meinen, sie könnten darüber entscheiden, welche Bücher andere zu lesen bekommen? Im Faschismus.“ Das klingt beängstigend. Und ist es auch.