„Verdacht auf unerlaubte Entfernung von der Demokratie“
20. Januar 2019 von Thomas Hartung
Die Auflösung des Online-Prangers setzte einer ereignisreichen Woche die Krone der Frechheit auf: Das „Zentrum für Politische Schönheit“ ZPS um den Aktionskünstler Philipp Ruch schaltete sein Denunziationsportal „soko-chemnitz.de“ mit dem Hinweis ab, es habe sich um einen sogenannten „Honigtopf“ gehandelt, der seine Funktion erfüllt hätte. In nur drei Tagen hätten 2,5 Millionen Nutzer die Seite besucht, so sei ein „riesiger Datenschatz“ entstanden. Über einen Algorithmus könne nun ein breites Netzwerk des Rechtsextremismus in Deutschland abgebildet werden.
„Das ist das Relevanteste, was es an Daten in Sachen Rechtsextremismus in Deutschland aktuell gibt“, erklärte Ruch in Berlin. Dafür könnten sich auch zahlreiche Behörden interessieren. „Wenn zum Beispiel der Bundesinnenminister mehr wissen will und Lust auf einen Kaffee mit uns hat, dann soll er vorbeikommen.“ Und setzte, strotzend vor Selbstbewusstsein, hinzu, Horst Seehofer (CSU) müsse sich dann vom ZPS-Team allerdings „auch ein paar kritische Töne anhören für das, was er in diesem Jahr geliefert hat“. Insgesamt seien etwa 1.500 Beteiligte an den rechten Demonstrationen in Chemnitz von Ende August identifiziert worden. „Richtig“, bejubelt die taz die Aktion.
„Wo arbeiten diese Idioten?“
Rückblende: am Vormittag des ersten Dezembermontags schaltete das ZPS eine Denunziationsplattform im Internet frei, mit der nach Teilnehmern der Demonstrationen gesucht wurde, die im Nachhall der tödlichen Messerattacke beim Stadtfest in Chemnitz Ende August stattgefunden hatten. Ein Deutscher war mutmaßlich von Flüchtlingen erstochen worden. „Denunzieren Sie noch heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten und kassieren Sie Sofort-Bargeld“, warb die Aktion reißerisch und zeigte hunderte Fotos von mutmaßlich rechten Demonstranten. Das ZPS will dafür nach eigener Aussage drei Millionen Bilder von 7000 Verdächtigen ausgewertet haben. „Während normale Menschen arbeiten, treiben tausende Arbeitnehmer oder Staatsdiener Ausländer durch Chemnitz, attackieren Presse und Polizeibeamte und grüßen Hitler“, heißt es weiter.
Die Fotos wurden mit abgekürzten Namen und steckbriefartigen Informationen benannt, ihre Fotos mit Augenbalken unkenntlich gemacht. Eine weitere Galerie zeigt unverpixelte Nahaufnahmen einzelner Personen, angeblich aus dem Demogeschehen, und fragt nach Namen und Arbeitgeber. Damit soll der Rechtsextremismus 2018 systematisch erfasst, identifiziert und unschädlich gemacht werden: „Helfen Sie uns, die entsprechenden Problemdeutschen aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen“. Für Hinweise loben die Künstler „Kopfgelder“ aus, die sich die Tippgeber ab Donnerstag an einer Adresse in der Chemnitzer Innenstadt abholen können: einem Ladenlokal, dessen Schaufenster mit steckbriefartigen Postern von 18 Demonstrationsteilnehmern beklebt waren. Darunter waren führende AfD-Politiker, auch Landtagsabgeordnete und weitere Mandatsträger.
Vermieterin ist die Grundstücks- und Gebäudewirtschaftsgesellschaft (GGG), eine Tochter der Stadt Chemnitz. Nach Hinweisen von Passanten kündigte sie noch am Montag den Mietvertrag, weil sie sich zur Nutzung der Räume getäuscht sah, und ließ das Lokal von einem Schlüsseldienst öffnen, um die Steckbriefe zu entfernen. Die Räume seien als Popup-Store für die Dauer weniger Wochen angemietet worden. „Durch die Aushängung von selbst kreierten Fahndungsplakaten, was für uns als Vermieter im Vorfeld nicht erkennbar war, sehen wir den vertraglich vereinbarten Nutzungszweck verletzt und beenden die Überlassung der Gewerbefläche umgehend“, so ein GGG-Sprecher.
Die ebenfalls eingeschaltete Polizei verwies am Abend auf „Gefahrenabwehr“ als Grund für die Öffnung des Lokals: Immerhin war der Laden zuvor von Gruppen teils kopfschüttelnder, teils empörter Passanten umlagert. „Die Polizei Chemnitz droht uns gerade, unser Recherchebüro … aufzubrechen und die Kunst zu stehlen!“, twitterte das ZPS. „Die Wut der ‚Bürger‘ wog schwerer als unsere Eigentumsrechte, ein gültiger Mietvertrag und das Recht auf Kunstfreiheit“, hieß es dann in einer Stellungnahme. Von der sächsischen Landesregierung wurde die Gruppe abgemahnt, weil sie auf ihrer Website das Marketing-Logo „So geht sächsisch“ verwendet hat. Laut MDR will der Berliner Verband Jüdisches Forum wegen unautorisierten Verwendens von Filmmaterial gegen die Aktion klagen. Insgesamt neun Anzeigen gingen ein. Laut Polizeisprecher Andrzej Rydzik steht als mögliches Delikt das Kunsturhebergesetz im Raum sowie Beleidigung.
Die Künstlergruppe erläuterte ihre Aktion mit rußverschmierten Gesichtern auf einer Pressekonferenz als ein Angebot „für die Strafverfolgung des Freistaats Sachsen und den Allgemeinen Arbeitgeberverband Sachsen e.V.“ Die Rede ist von einem „Katalog der Gesinnungskranken“. Denn Ziel der Aktion sei, über den Arbeitgeber Druck auf „rechtsextreme Beschäftigte“ auszuüben. So hieß es gleich oben auf der Seite: „Wo arbeiten diese Idioten?“ Weiter unten gibt es Felder, um angeblich direkt den Chef eines bestimmten Rechtsextremen zu kontaktieren. Zugleich gibt es für sächsische Unternehmer das Angebot, ihre Werbeanzeigen auf der Seite zu platzieren. Gesucht würden die „Fahnenflüchtigen von Chemnitz“.
„es ist Zeit für eine Entnazifizierung“
Die „Künstler“ veröffentlichten neben den Fotos und dem Beruf der, wie sie sie nennen, „Verdächtigen“, auch persönliche Angaben: Hobbys, Ernährungsgewohnheiten, Lieblingsverein und vieles mehr. Dazu hat man die Fotografierten offenbar bis ins Privateste ausspioniert. Die Vorwürfe reichten von Mitgliedschaft in der AfD über das Teilen kritischer Beiträge über Angela Merkel bis hin zu knallhartem Rechtsextremismus. Wie rechts jemand in den Augen des Zentrums ist, wurde einem anhand eines entsprechend ausschwenkenden Gesinnungs-Barometers angezeigt.
In der Konsequenz machte dies aber keinen Unterschied für die Betroffenen. Denn der Pauschalvorwurf gegen alle aufgeführten Personen hieß: „Verdacht auf unerlaubte Entfernung von der Demokratie.“ Die Gemeldeten können selbst ihre Daten entfernen lassen, solange sie sich in einer Erklärung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und gegen die AfD bekennen. Gefragt, warum gerade sie sich berufen fühlten, Staatsschutz zu spielen, antworteten die Initiatoren auf der Pressekonferenz: „Weil es sonst keiner macht.“ Nebenbei: der DDR-Geborene Ruch nutzt mit der Wendung „unerlaubte Entfernung“ (U.E.) eine aus der Disziplinarsprache der DDR-Volksarmee. Finanziert würden alle Aktionen des ZPS ausschließlich aus Spenden, so auch diese.
Die als solche deklarierte „Satire“ bestätigt genau die Logik der Ausgrenzung und Einschüchterung, gegen die sie sich angeblich richtet: Statt Andersdenkende politisch zu stellen, werden sie pathologisiert, statt Demokratie als ständigen Konflikt zu begreifen, wird sie als Sektengesinnung inszeniert. Diese Inszenierung lebt von der Fiktion eines Ausnahmezustands, in dem Philipp Ruch und die Seinen vorgeblich gezwungen sind, die Aufgaben von Verfassungsschutz, Polizei, Justiz und Presse zugleich zu übernehmen, regt sich Jens Bisky in der Süddeutschen auf: „Sie maßen sich in dieser Aktion die Rolle eines Souveräns an, der im Besitz der Wahrheit agiert.“
Das ZPS spricht von: „Volksverrätern“, „rechten Deutschlandhassern“ oder „Drückebergern“ und setzt diese in Gegensatz zu den „Normalen“. Diese Sprache hätte man in den Achtzigerjahren „faschistoid“ genannt. Als Kunstsanktion taugt die Pranger-Denunziations-Inszenierung politisch folgenreich dazu, sich demokratiefreundliche Eigenschaften abzutrainieren, von der Gesprächsfähigkeit über die Kompromissbereitschaft bis hin zur Lust an der Differenzierung, ärgert sich Bisky. Mit Verweis auf die Nachkriegsjahre sprach Philipp Ruch von einer „Entnazifizierung“, die es nun wieder durchzuführen gelte. Seine Hauptstrategie ist: soziale Ächtung und Ausschluss der Verdächtigen. Dabei gewinnt die Omnipotenzfantasie des Künstlerkollektivs.
Stefan Pelzer, „Eskalationsbeauftragter“ des ZPS, machte zwar deutlich, dass sich die Gruppe vor dem Start des Portals rechtlich hat beraten lassen, besonders was Bild- und Persönlichkeitsrechte anbelangt. Juristisch heikel dürfte die Anschwärzungsfunktion dennoch sein, mit der Mitarbeiter bei ihrem Arbeitgeber gemeldet werden sollen. Die Berliner Beauftragte für Datenschutz, Maja Smoltczyk, wird sich mit der Kunstaktion beschäftigen: Die Berliner Behörden seien zuständig, da die Künstlergruppe auf der Internetseite einen Ansprechpartner in Berlin nenne. Voraussichtlich Mitte/Ende Januar werde dann die Datenschutzbeauftragte eine Einschätzung zum konkreten Fall abgeben.
„Kunst ist frei, hat aber Verantwortung“
ZPS-Gründer Philipp Ruch erklärt in Floskeln der Politikersprache, das Portal sei ein Beitrag, um an einem anderen Bild von Chemnitz zu arbeiten, „von einem Chemnitz, das weltoffen ist, das interkulturell ist“. Dann betont Ruch: „Wir denken, es ist Zeit für eine Entnazifizierung.“ Dies sei „ein gesamtgesellschaftlicher Prozess“, in den jetzt mit dem Online-Portal alle eintreten könnten. „Es ist ein Angebot an die Bevölkerung, sich intensiv mit Intensivtätern auseinanderzusetzen.“ Und fährt fort: „Eine Schlüsselrolle kommt der Wirtschaft bei der Entnazifizierung zu. Wir müssen sie in die Lage versetzen, zu handeln.“ Es gehe darum, ein Gegenbild zu zeichnen, „für die Wirtschaft der Region ist das existenziell“. Das Portal sei ein Angebot an die Wirtschaft, rechtsextreme Gewalttäter im eigenen Unternehmen „zu erkennen und möglicherweise dagegen vorzugehen“.
Zudem wolle das ZPS mithelfen, damit „marodierende Nazis“ nicht jenes Ereignis seien, welches über Jahre im kollektiven Gedächtnis mit dem Namen Chemnitz verbunden bleibe. Das Signal an rechtsextreme Demonstranten sei: „Wir haben Euch gesehen, und es war kein Ausrutscher. Es ist uns nicht egal, was ihr mit unserer Stadt und unserem Land macht. Wir lassen uns das nicht gefallen.“ Wohlbemerkt: Ruch ist Berliner. Aber er freute sich, bislang drei „Belohnungen“ ausbezahlt zu haben. „Übrigens: Die Tippgeber stammten nicht gerade aus der linken Szene. Und: Die Tipps waren derart relevant, dass wir sie den Strafverfolgungsbehörden weiterleiten werden“, erklärte er auf bazonline.
„Christoph Schlingensief für geistig Arme“, kontert Boris T. Kaiser in der Jungen Freiheit. „Worüber muss man sich als Akteur eigentlich klar sein, um eine Denunziation von einer Anzeige unterscheiden zu können? Es ist ja wirklich allein der politische Geist, in dessen Hand die Videos der einmal installierten Überwachungstechnologie sind, der bestimmt, wer ‚Gefährder‘ ist“, zürnt Tim Hofmann in der Freien Presse Chemnitz(!). „Soko-Chemnitz.de“ sei so derb unangenehm, dass man trotz einiger unwillig satirischer Farbspritzer schon gehörige Wut bräuchte, um sie gebräuchlich zu finden: „Was macht diese Wut nun mit einem? Kann man das Falsche tun, um das Richtige zu erreichen?“, fragt er und kritisiert einen protofaschistischen Grundansatz mit Begriffen wie „Gesinnungskranken“. Ein „totalitäres Vokabular der Selbstbehauptung“, erkennt Kolja Reichert in der FAZ.
Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sprach von einer problematischen Kunstaktion, die nicht zur Aufklärung beitrage, sondern nur der Spaltung der Gesellschaft weiter Vorschub leiste. „Es spielt keine Rolle, ob der Pranger real oder Fake ist und schon gar nicht rechtfertigt das Ziel dieses Mittel“, erklärte Zimmermann und warnte: „Wie wird unsere Gesellschaft in fünf Jahren aussehen, wenn solche Pranger-Aktionen im Netz weiter Schule machen? Kunst ist frei, hat aber Verantwortung.“ Auch der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) warf dem ZPS vor, mit der Aktion den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden.
„schnelle politische Triebabfuhr“
„Ist man nicht schlicht versucht, ein gravierendes Gesellschaftsproblem mit einem mühelos schmerzfreien Mausklick lösen zu wollen? Was will man denn erreichen: Offenheit? Oder schnelle politische Triebabfuhr?“ fragt Hofmann in seinem sehr lesenswerten Kommentar weiter. „‘Soko Chemnitz‘ illustriert eindringlich die aktuelle Hilflosigkeit im gesellschaftlichen Gegeneinander – und die Notwendigkeit, Phrasen gegen echte Argumente zu tauschen.“ Der aus Israel stammende Firmenchef der Cabka Group GmbH, Gat Ramon, erwartet in einem Offenen Brief, dass diese Art der Hetze und Denunziation unterbleibe. „Eine öffentliche Denunziation ist für mich persönlich und auch für unser Unternehmen nicht die geeignete Antwort.“ Einer seiner Mitarbeiter war auf einem Foto gezeigt und namentlich genannt worden. Auf seiner Facebook-Seite war ein Banner zu sehen, auf dem in altdeutscher Schrift stand: „Weniger Lohn! Weniger Rente! Mehr Flüchtlinge! Heil Merkel!“
Der schreckliche Zufall wollte es, dass am Tag von Ruchs ruchlosem Kampagnenstart der Tod eines 17-jährigen Mädchens in einem Bonner Flüchtlingsheim bekannt wurde. Die Meldungen über beide Ereignisse seien leider charakteristisch für den Zustand geistiger Verwahrlosung, den wir in Deutschland haben, klagt Vera Lengsfeld auf ihrem Blog. Während der Tod des Mädchens in vielen Medien nur eine Randnotiz war, wurde Ruchs Aktion als eine von „Künstlern gegen rechts“ bejubelt, über deren kleine Schönheitsfehler man um der guten Sache willen hinwegsehen müsse.
Genau diesen Jubel praktizierte leider auch der SPIEGEL, das „Sturmgeschütz der herrschenden politisch korrekten, toleranten, vielfältigen Borniertheit“, so Lengsfeld. „Aktivisten wollen über eine Onlineplattform Rechtsextreme identifizieren. Die Macher halten das nicht für Denunziantentum. Sondern für Kunst. Richtig so.“, heißt es da. Das war das Motto der fatalen Großväter: „Pardon wird nicht gegeben“. Ihr Geist ist zurück und zerstört die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft, indem Recht, Gesetz und Verfassung unter ideologischen Vorbehalt gestellt werden“, klagt Lengsfeld. Zum Vergleich: Als BILD nach mutmaßlichen G20-Randalierern suchen ließ, „obwohl die Behörden nach denen gar nicht fahnden“, textete das Blatt: „Da hat jemand den Rechtsstaat nicht verstanden“. Die Grenzen zwischen Aktivismus und Vandalismus sind inzwischen ins Irreale, ja Surreale gekippt.
Das ZPS sorgte bereits in der Vergangenheit mit provokanten Aktionen für Aufmerksamkeit, zuletzt vor rund einem Jahr mit einem Nachbau des Holocaust-Mahnmals vor dem Haus von Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke. Hintergrund war dessen Rede, in der er Anfang 2017 das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hatte. Nachdem Höcke vor dem Kölner Landgericht mit einer Klage auf Verletzung der Privatsphäre gescheitert war, stellte zuletzt auch die Staatsanwaltschaft Mühlhausen ihre Ermittlungen wegen Verdachts auf gemeinschaftliche Nötigung ein. Es blieb der Beigeschmack der Feme, der in der neuesten Aktion des Zentrums potenziert wurde. Einen „Anschlag von Gesinnungsterroristen auf unser Grundgesetz“ nannte das ein Kommentator. Das ist leider richtig. Richtig schlimm.