„Willkommen im Morgen“
1. März 2019 von Thomas Hartung
Bei seinem ersten Blick auf das grazile Fluggerät in einem isolierten Hangar am Rande des Flughafens der südfranzösischen Stadt Toulouse soll den französischen Testpiloten André Turcat Wehmut überkommen haben: Würden wir „diese Kreatur je in die Luft bringen?“ erinnerte er sich im SPIEGEL an seinen Moment des Zweifels, da der Jet „wie ein in einem Netz gefangener Vogel“ hockte, eingeschnürt in Gerüste und Leitern.
Am 2. März 1969 um 15.40 Uhr brachte er gemeinsam mit seinem Co-Piloten, einem Flugingenieur und einem Beobachter die „Concorde“ erstmals in die Luft. Die langen Landebeine ausgestreckt, den beweglichen, vogelgleichen Schnabel vor dem Cockpitfenster zur besseren Sicht erdwärts gesenkt, flog die Maschine einen ovalen Kurs in rund 3000 Metern Höhe mit ca. 400 km/h und setzte nach 29 Minuten wieder auf. Als „rauschenden Triumph“ feierte die damalige britische Staatsfluglinie BOAC den Moment; US-Konkurrent PanAm schwärmte in Zeitungsanzeigen: „Willkommen im Morgen.“
Die Konstruktionsgeschichte der Überschallmaschine reichte aber fast ein Jahrzehnt zurück. Nach wirtschaftlichen Überlegungen gab die britische Regierung am 9. März 1959 den Startschuss zur zielgerichteten Entwicklung eines „Super Sonic Jets“. Weil die Entwicklungskosten für ein Land allein zu hoch waren, ging Großbritannien auf Partnersuche und wurde, da die USA eigene Pläne hatten und Deutschland durch den Weltkrieg noch geschwächt war, aus politischen Gründen mit Frankreich rasch einig: Der britische Premier Harold Macmillan brauchte Charles de Gaulles Wohlwollen, um sein Land in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu führen.
Am 29. November 1962 schlossen de Gaulle und Macmillan den Überschall-Pakt, der für die Ingenieure der beteiligten Luftfahrt- und Triebwerkkonzerne eine ungeheure Herausforderung bedeutete. Mit 2,2-facher Schallgeschwindigkeit sollte das Flugzeug in Höhen von rund 18.000 Metern doppelt so schnell wie eine Gewehrkugel fliegen. Ihre Außenhaut würde sich dabei bis auf 120 Grad Celsius erhitzen: „Man kann fühlen, wie sich die Kabinenfenster erwärmen, während sie bei einem normalen Flug ja richtig kalt werden“, erzählt der britische Flugingenieur Paul Akinton im DLF.
„bis heute als schön“
Der Sprung über den großen Teich gelingt seit der offiziellen Indienststellung am 21. Januar 1976 nun doppelt so schnell wie mit einem Jumbojet: London – New York in rund drei Stunden. Das ermöglichte manche bizarre Aktion: 1985 konnte Phil Collins beim Rockfestival Live Aid erst in London, dann in Philadelphia auftreten. Und zu den Jahreswechseln gab es Flüge, bei denen man zweimal Silvester feiern konnte: Erst in Paris, ein paar Stunden später in New York.
Es gab kaum einen Staatsmann von Bedeutung, der nicht die Chance nutzte, einmal mit einer Concorde zu fliegen. Margaret Thatcher fühlte sich an Bord genauso wohl wie Queen Elizabeth oder Papst Johannes Paul II, der mit einer französischen Concorde am 2. Mai 1989 von La Reunion nach Lusaka in Sambia flog. Stars und Sternchen waren Dauergäste, allen voran Formel 1-Fahrer und Tennisstars. Auch Claudia Schiffer, Paul McCartney, Sting oder Elton John sollen gern Platz genommen haben. Bei Ticketpreisen von zuletzt 6000 – 8000 Euro wurden Champagner und Gänseleber gereicht.
Die pfeilförmige Form der Überschallmaschine gilt bis heute als Sinnbild für technischen Fortschritt und die Leistungsfähigkeit der Luftfahrtindustrie sowie als Inbegriff des Jetsets. Der schlanke Rumpf, seine spitze Nase und die deltaförmigen Flügel waren dem Primat der Geschwindigkeit geschuldet. „Weil alle Geschöpfe, gleich, ob Tiere, Schiffe oder Flugzeuge, die sich schnell durch Wasser oder Luft bewegen, ästhetisch wirken“, so der britische Physiker Brian Cox im SPIEGEL, „empfinden wir die Concorde bis heute als schön“.
Doch während Ästhetik und Schnelligkeit des außergewöhnlichen Flugzeugs nie in Frage standen, war seine Rolle im internationalen Luftverkehr von Anfang an fragwürdig. Bis 1970 hatten zwar 16 Fluggesellschaften weltweit insgesamt 74 Concordes bestellt. Doch viele stornierten wegen der ersten Ölkrise 1973 ihre Bestellungen für den Jet wieder, der bis zu 23.000 Liter Kerosin in der Stunde verbrannte – und das bei einer Kapazität von nur etwa 100 Passagieren. Ein moderner Airbus A320 mit Platz für 150 Reisende kommt fast mit einem Zehntel dieser Menge aus. Schon beim ersten Linienflug 1976 zeichnete sich also ein exklusives Nischendasein ab.
Zudem war die Concorde laut: Der charakteristische Knall beim Durchbrechen der Schallmauer führte dazu, dass die meisten Länder dem Jet nur eine Überfluggenehmigung für Geschwindigkeiten unter der Schallgrenze erteilte. So konnte der Pilot nach dem Start in Europa erst auf dem Atlantik richtig Gas geben, was Einsatzmöglichkeiten und Zeitgewinn einschränkte. Außerdem entsprach die Reichweite mal gerade eben dem Sprung von Europa über den Atlantik. Zu den vielen kühnen Projekten gehörte in den Anfangsjahren der erste Linienflug zwischen Paris und Rio de Janeiro; wenig später wurde die Strecke Paris Caracas mit einem technischen Aufenthalt in Santa Maria gestartet. Beide Dienste wurden jedoch am 1. April 1982 schon wieder eingestellt.
zuletzt nur noch nach New York
Obwohl das Flugzeug als außerordentlich sicher galt, gab es immer Zwischenfälle. Oft waren Reifen schuld, so im Juni 1979, als das Fahrwerk nicht mehr eingefahren werden konnte und eine Maschine nach Washington zurückkehren musste. Ebenfalls recht häufig traten Vibrationen im Flugbetrieb auf. Mehrere Male verloren Concordemaschinen auch Teile des Seitenruders. Der damalige Lufthansa-Chef Herbert Culmann spottete im SPIEGEL: „Sagen Sie mir, wann ich für die Lufthansa Konkurs anmelden soll, und ich sage Ihnen, wie viele Concordes ich dafür brauche.“
So flogen mit Air France und British Airways nur zwei Airlines das modernste Flugzeug der Welt, das doch schon irgendwie ein Dinosaurier war: den Flugbetrieb stützte der französische Staat mit Zuschüssen von bis zu 90 Prozent. Ähnlich großzügig hielten die britischen Steuerzahler ihre Überschallflotte aus. 1981, als umgerechnet bereits gut 4 Milliarden Euro in das Projekt geflossen waren, berichtete die Pariser Tageszeitung „Le Figaro“, Staatspräsident François Mitterand sei entschlossen, den unrentablen Passagierjet aus dem Verkehr zu ziehen. Die 16 Maschinen verkehrten zuletzt nur noch auf der lukrativen Nordatlantik-Strecke nach New York.
Im Juli 2000 wollten auch 96 deutsche Touristen dorthin, um das Kreuzfahrtschiff „MS Deutschland“ zu besteigen. Doch ihre Concorde rollt beim Start in Paris über ein Metallteil, das ein kurz zuvor abgehobenes Flugzeug verloren hatte und das links einen Reifen zerfetzte. Dessen Reste werden gegen die linke Tragfläche geschleudert und beschädigen Tank Nummer 5. Herausströmendes Kerosin entzündet sich, die bereits brennend abhebende Maschine taumelt etwa eine Minute in einer Höhe von 60 Metern, neigt sich dann nach links und stürzt auf ein Hotel im Pariser Vorort Gonesse. Alle Passagiere und Besatzungsmitglieder sowie vier Menschen am Boden werden getötet. Die Behörden entzogen der Concorde die Typenzulassung, Air France und British Airways stellten Flüge mit dem Überschalljet nach diesem ersten – und einzigen – Absturz bis auf weiteres ein.
Zwar steckten beide Airlines noch einmal Millionen in eine Umrüstung ihres prestigeträchtigen Flaggschiffs, das seine Zulassung wiedererhält. Doch wie schon 25 Jahre zuvor der Erstflug kommt Ende 2001 auch das Comeback der Concorde zur falschen Zeit: Kurz nach den Terroranschlägen von New York und Washington steckt die Luftfahrtbranche in der Krise. Am 24. Oktober 2003 startete in New York der letzte Linienflug nach London; der „Donnervogel“ wurde über dem Ärmelkanal von einem Verband der britischen Kunstflugstaffel Red Arrows begleitet. Damit endete auch der zivile Überschallflug: die USA haben ihre Pläne nie realisiert, die russische TU 144, schelmisch „Concordski“ genannt, flog nach mehreren Pannen schon seit 1983 nicht mehr. Zwei Exemplare beider Überschallschönheiten stehen heute im Auto- und Technikmuseum Sinsheim einträchtig beieinander.