„Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers“
1. April 2019 von Thomas Hartung
Als CDU und AfD die Mecklenburger Punkrocker von „Feine Sahne Fischfilet“ als linksextremistisch kritisierten und „rechte“ Gruppen Proteste ankündigten, sagte die Bauhaus-Direktorin Claudia Perren das zdf@bauhaus-Konzert mit der Band zum 6. November 2018 ab: Das Bauhaus solle nicht zum Austragungsort politischer Agitation und Aggression werden. Prompt wurden politisch und medial Parallelen zur Bauhaus-Geschichte gezogen: Nach nur 14 Jahren Existenz wurde die Institution von den Nationalsozialisten durch Repressalien wie Hausdurchsuchungen, Versiegelung der Räume und Verhaftung von Studenten zur Selbstauflösung gezwungen. Vor 100 Jahren war sie gegründet worden.
Am 1. April 1919 unterzeichnete Walter Gropius, Mitbegründer der modernen Architektur, den Vertrag, mit dem die Großherzoglich-Sächsische Kunstschule Weimar mit der 1907 von Henry van de Velde gegründeten Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule fusionierte. Er richtete ein Dutzend Werkstätten ein und holte Künstler wie Johannes Itten, Lyonel Feininger oder Marianne Brandt. Seine Vision war die interdisziplinäre Zusammenführung von Kunst und Handwerk in der Tradition einer Dombauhütte als Werkstattverband: „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück“, schrieb er in seinem Bauhausmanifest 1919, „der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers.“
Ein zentrales Ziel war eine enge Kooperation zwischen Kunst, Industrie und Wissenschaft, um neue ästhetische Prinzipien für die Massenherstellung von Gebrauchsgegenständen nutzbar zu machen. Zudem griff Gropius auch Ansätze des Deutschen Werkbundes und des Expressionismus auf: Schlichte Formen, neue Materialien und kunstvolles Handwerk. Dabei wurde die Idee entwickelt, dass ein Gegenstand zugleich einfach, schön, funktional und für alle zugänglich sein kann – eine Auffassung von Design, die heute allgegenwärtig ist. Als führendes intellektuelles und kreatives Zentrum des Modernismus legte das Bauhaus die Grundlagen des modernen Designs und wurde zur bedeutendsten Kunstschule des 20. Jahrhunderts.
Meister des Handwerks, Meister der Form
Ebenso wichtig wie neuartig war das kunstpädagogische Konzept, das eine sechsmonatige Vorlehre, eine dreijährige handwerkliche Werklehre in den Bereichen Metall, Weberei, Keramik, Möbel, Typographie oder Wandmalerei und eine abschließende künstlerische Ausbildung als Baulehre vorsah. Dabei blieb den Frauen die Weberei vorbehalten; nur wenige Studentinnen wie die Holzbildhauerin Alma Siedhoff-Buscher konnten diesen heute diskriminierend wirkenden Stereotyp durchbrechen.
Als Abschluss wurde ein Meisterbrief der Handwerkskammer und bei besonderer Begabung auch des Bauhauses vergeben. Einige der Schüler des Bauhauses arbeiteten nach ihrer Berufsausbildung als Meister am Bauhaus weiter. Die Bauhauslehrer im Bereich von Handwerk und Kunst waren der Idee nach als „Meister des Handwerks“ und „Meister der Form“ einander gleichgestellt, was sich in der Praxis indes nie ganz durchhalten ließ.
Allerdings galten die Lehrer und Schüler, selbst die Bewunderer des Bauhauses als „links“ und „internationalistisch“, weshalb es politisch rechte Kräfte ablehnten. Als sich die Machtverhältnisse nach der Landtagswahl in Thüringen im Februar 1924 geändert hatten und die Regierung unter Richard Leutheußer (DVP) den Etat um 50 % kürzte, boten sich andere Städte als neue Standorte an. Darunter war auch der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der dann aber lieber die Kölner Werkschulen gründete.
Als in Dessau der Flugzeugbauer Hugo Junkers eine Förderung anbot, folgte 1925 der Umzug und 1926 die Einweihung des neuen, von Gropius entworfene Bauhausgebäudes mit seinem vollständig verglasten Werkstattflügel sowie der „Meisterhäuser“, in denen konsequent und mustergültig die entwickelten Vorstellungen von Wohnen und Arbeiten vereint waren. In dieser Zeit begann auch die Herausgabe der Buchreihe „Bauhausbücher“ sowie der vierteljährlichen Zeitschrift „bauhaus“, mit denen die neuen künstlerischen Konzepte rasch verbreitet werden konnten.
1927 wurden die sogenannten „freien Malklassen“ eingeführt, in denen Paul Klee und Wassily Kandinsky unterrichteten. Klee verfasste in seiner Zeit am Bauhaus das „Pädagogische Skizzenbuch“, Kandinsky seine bedeutendste kunsttheoretische Schrift „Von Punkt und Linie zur Fläche“. In der Bühnen-Abteilung werden unter Oskar Schlemmer neue Bühnenbilder und Darstellungsformen des Theaters entworfen. Ebenfalls seit diesem Jahr gab es eine Architekturabteilung, doch erst unter Ludwig Mies van der Rohe war ein reines Architekturstudium möglich, das der Disziplin zum Durchbruch in der Moderne verhalf.
Die Architekten des Bauhauses führten neue Baustoffe wie Stahl, Glas und Beton ein, ließen die ersten industrialisierten Wohnungsbauten für Menschen, auch aus ärmeren sozialen Schichten, entstehen. Bis heute wird das Bauhaus beschuldigt, mit seinem „Reduktionismus“ sogenannte „Arbeiterwohnregale“, Plattenbauten und Vorort-Tristesse erst ermöglicht zu haben: Der Chefplaner von Berlin-Gropiusstadt oder Halle-Neustadt, Richard Paulick, begann seine Architekten-Laufbahn am Bauhaus in Dessau. Die „Weißenhofsiedlung“ in Stuttgart von 1927 dagegen gilt bis heute als Paradebeispiel der „eigentlichen“ Bauhaus-Architektur und wurde 2016 UNESCO-Welterbe.
Handwerk vor der Industrialisierung retten
Dominierten bis etwa 1925 bildende Kunst und Kunsthandwerk, war danach eine zunehmende funktionalistische Ausrichtung und eine Stärkung des Industriedesigns zu beobachten. Es entstehen Prototypen zahlreicher Möbel und Gebrauchsgegenstände, die mit der Gründung der „Bauhaus GmbH“ 1925 auch in die industrielle Massenproduktion gehen können. Unter dem Leitgedanken „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ entstanden Gegenstände für die künftige Gesellschaft – allerdings erst seit der Übernahme des Direktorenamts durch den Schweizer Architekten Hannes Meyer: Gropius war 1928 zurückgetreten.
Danach folgte der rasche Niedergang: Der Linkssozialist Meyer wurde bereits am 1. August 1930 durch den Oberbürgermeister von Dessau fristlos entlassen und durch Mies van der Rohe ersetzt. Als die NSDAP 1932 die Schließung des Bauhauses durchsetzte, versuchte van der Rohe es durch einen Umzug in eine stillgelegte Telefonfabrik in Berlin als private Einrichtung fortzuführen, was rasch scheiterte. Kaum bekannt ist, dass einer der Chefarchitekten von Auschwitz, Fritz Ertl, Bauhausschüler war.
Viele Bauhausmitglieder emigrierten vor allem in die USA und trugen so zur internationalen Verbreitung der Ideen des Bauhauses bei. Als Professoren an wegweisenden Kunstinstitutionen entwickelten sie die innovativen Ansätze weiter. So wurde Mies van der Rohe Leiter der Architekturabteilung im „Illinois Institute of Technology“ in Chicago, wo er das „Federal Center“ und die „Lake-Shore-Drive-Appartments“ baute, von denen der Komponist John Cage meinte, sie zeigten, dass van der Rohe den Blitz erfunden habe. Er entwarf auch das berühmte „Seagram Building“ in New York. Walter Gropius wurde Leiter der „Harvard School of Design“, der experimentelle Fotograf László Moholy-Nagy gründete in Chicago das „New Bauhaus“. Jüdische Absolventen flohen nach Israel –Tel Aviv hat weltweit die größte Ansammlung von Gebäuden im Bauhaus-Stil, darunter die „Weiße Stadt“, seit 2003 UNESCO-Weltkulturerbe.
1961 wurde in Darmstadt das Bauhausarchiv gegründet, das seit 1971 seinen Sitz in Berlin hat und ebenso wie das Bauhaus-Museum Weimar Arbeiten und Dokumente sowie einschlägige Literatur sammelt und der Öffentlichkeit zugänglich macht. 1979 wurde der von Gropius selbst konzipierte Bau übergeben, der 2005 als Außenkulisse für die Filme „V wie Vendetta“ und „Æon Flux“ diente und 2014 eine eigene Schrift entwickeln ließ. Bis voraussichtlich 2022 ist es aufgrund von Umbauarbeiten geschlossen.
1976 beherbergte das rekonstruierte Bauhaus in Dessau zunächst das „Wissenschaftlich-kulturelle Zentrum Bauhaus“ und ab 1984 das „Bildungszentrum Bauhaus“. 1987 erfolgte die Zusammenfassung beider Institutionen zum Bauhaus Dessau. 1996 wurde es in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen und ist heute Sitz der Stiftung „Bauhaus“, die zwei Jahre zuvor gegründet wurde und unter anderem eine Akademie mit Masterstudiengang betreibt. Im selben Jahr wurde die alte DDR-Hochschule für „Architektur und Bauwesen“ Weimar in „Bauhaus-Universität“ umbenannt.
Angetreten, die Menschheit von Schnörkeln und Samtkissen zu befreien, die etwa der Jugendstil mit sich brachte, propagierte das Bauhaus eine ornamentlose, schlichte, an geometrischen Grundformen orientierte Gestaltung, um quasinostalgisch das Handwerk vor der Industrialisierung zu retten. Bauhaus-Produkte erscheinen noch heute als gestalterische Revolution: Die Form ordnet sich komplett der Funktionalität unter. Sofern diese Produkte noch in Lizenz hergestellt werden, tragen sie das 1922 von Oskar Schlemmer entworfene Bauhaussignet.
Viele davon sind sowohl in ihrer einfachen, ursprünglichen Form als auch in ihrer Weiterentwicklung bis heute aus vielen Haushalten nicht mehr wegzudenken, etwa der Freischwinger-Stuhl von Marcel Breuer, die Wagenfeld-Lampe oder die Bauhaustapete – der größte kommerzielle Erfolg des Bauhauses: allein zwischen 1929 und 1933 verkauften sich über sechs Millionen Rollen.