Spießiger Spaßmacher
3. Juni 2019 von Thomas Hartung
„Es ist gewiss viel Schönes dran
am Element, dem nassen,
weil man das Wasser trinken kann!
Mann kann’s aber auch lassen“
Es sind genau diese semantischen Doppelbödigkeiten, für die ihn seine Fans jeden Alters bis heute feiern. Seine Ankündigung „noch’n Gedicht“ wurde ebenso zum geflügelten Wort wie sein Ausruf „Was bin heute wieder für ein Schelm“, sein Brillengestell aus braunem Celluloseacetat wird bis heute von einem Hamburger Optiker vertrieben, und ohne ihn sind weder Otto Waalkes noch die heutige „Comedy“-Szene denkbar: Heinz Ehrhardt. Am 5. Juni vor 40 Jahren starb der Schauspieler, Kabarettist, Komponist und Filmproduzent in Hamburg – nur vier Tage nach seiner Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz für sein Lebenswerk.
Er hatte noch viel mehr Witze, Gedichte und sogar Chansons und Klavierkompositionen geschrieben als angenommen. Im Nachlass fanden sich zunächst zahlreiche Klavierstücke aus der Zeit zwischen 1925 und 1931. 23 dieser Stücke wurden 1994 erstmals auf Tonträger veröffentlicht, die Noten dazu dann zu seinem 100. Geburtstag 2009. Seine Enkelin Nicola Tsyzkiewicz wurde im Sommer letzten Jahres erneut fündig und ließ ausgewählte, teils recht sentimentale Stücke von deutschen Prominenten – unter anderem von den „Tatort“-Kommissaren Axel Prahl und Wotan Wilke Möhring – einsingen und vorlesen. Die CD erschien im Herbst 2018.
Dabei begann seine erfolgreiche Karriere mit einer Geschichte, die ihm ein Schriftsteller nicht besser hätte auf den Leib schreiben können: Im Mai 1938 – Heinz Erhardt war 29 Jahre alt – ergatterte er in Berlin einen Termin bei Sperlichs Künstleragentur, die den Kabarettisten Peter Igelhoff an die Kaiserkrone in Breslau vermittelt hatte. Doch Igelhoff war erkrankt, so dass der Agentur eine Vertragsstrafe drohte, wenn nicht kurzfristig ein Ersatz beschafft würde. Dieser Ausfall Igelhoffs bescherte Erhardt einen Vertrag für mehrere Vorstellungen an der renommierten Kaiserkrone.
Die erste Vorstellung Erhardts war ein Desaster. Das Publikum buhte ihn aus und protestierte lauthals, denn sie wollten den bekannten Igelhoff sehen. Erhardt war sehr enttäuscht und blieb am Abend der zweiten Vorstellung – vielleicht aus Kummer – im Bett und verschlief beinahe. „Man fand mich schnarchend, rüttelte mich wach und scheuchte mich in die Kaiserkrone. Mir war alles egal. Und so schlich ich mich verschlafen, mit tieftraurigem Gesicht auf die Bühne und spulte mein Programm ab. Die Leute schrien vor Lachen.“ Erhardt hatte seinen Stil gefunden. Sein trotteliges Gesicht, der Schlafzimmerblick, seine scheinbar spontanen Einfälle waren von nun an seine Markenzeichen.
„also machte ich, dass ich fortkam“
„Es war an einem 20. Februar. Das Thermometer zeigte 11 Grad minus und die Uhr 11 Uhr vormittags, als vor unserem Haus das Hauptwasserrohr platzte. Im Nu war die Straße überschwemmt und im gleichen Nu gefroren. Die umliegenden Kinder kamen zuhauf, um auf ihren Schuhen schlittzulaufen. Ich selbst konnte mich an diesem fröhlichen Treiben nicht beteiligen, weil ich noch nicht geboren war. Dieses Ereignis fand erst gegen Abend statt.“ Genauer gesagt, 1909 in der lettischen Hauptstadt Riga, als Sohn des deutsch-baltischen Kapellmeisters Gustl Erhardt, muss man seine unvollendete Autobiographie ergänzen.
Seine Eltern trennten sich kurz nach der Geburt, so dass Heinz bei seinen Großeltern in Riga aufwuchs. Sein Großvater Paul führte eine Musikalienhandlung und ihn ans Klavierspiel heran. Außerdem leitete er eine Gastspieldirektion und holte viele berühmte Künstler in die Stadt, so dass der kleine Heinz auch dem berühmten Tenor Enrico Caruso die Hand schütteln konnte. Kurz bevor er eingeschult wurde, besann sich seine Mutter ihrer elterlichen Pflichten und „entführte“ ihren Sohn – wie er es später selbst formulierte – nach Sankt Petersburg. Heinz Erhardt konnte sich jedoch nicht eingewöhnen und litt so sehr unter Heimweh, dass er schließlich zu den Großeltern nach Riga zurückkehren durfte. „Sie waren so gut zu mir, dass es schon wieder schlecht war“, sagt er später.
Vier Jahre später musste er Riga erneut verlassen. Sein Vater war inzwischen ein angesehener Dirigent, der in ganz Deutschland Auftritte hatte, und nahm seinen Sohn bei sich auf. Heinz Erhardt bekam eine seriöse Musikausbildung, komponierte und dirigierte bereits als 13-Jähriger ein Freiluftkonzert von Haydns Kindersinfonie. Zwei Jahre später kehrte er schließlich wieder zu seinen Großeltern nach Riga zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sage und schreibe 15-mal die Schule gewechselt. „In der Schule war kein Fortkommen – also machte ich, dass ich fortkam.“ Er verließ das Rigaer Gymnasium ohne Abschluss und wollte professioneller Pianist werden.
Sein Großvater jedoch sah in ihm seinen Geschäftsnachfolger und schickte ihn in ein Leipziger Musikgeschäft, wo er eine kaufmännische Lehre begann. Statt Klaviere zu verkaufen, spielte er lieber selbst darauf und sang eigene Lieder dazu. Nebenbei studierte Erhardt am Konservatorium Klavier und Komposition. Nach dem Tod des Großvaters im Jahre 1929 übernahm sein Stiefvater das Geschäft, in dem Heinz Erhardt weiterhin für einen bescheidenen Lohn angestellt war. „Dann fing ich plötzlich an, Gedichte zu machen, und dann wurde ich eingeladen zu Onkeln und Tanten, zu Vereinen und da musste ich immer eins zum Besten geben. Dann hieß es immer: Heinz, nun noch mal was, und so schlitterte ich in diesen Beruf hinein“, beschreibt er seinen Karrierestart später, der ihn mit selbst komponierten und komischen Texten und Liedern auch in die Kaffeehäuser der Stadt und später in Programme der Reichssender Königsberg und Danzig führte.
1934 lernt er die Tochter des ehemaligen italienischen Konsuls in Sankt Petersburg Gilda Zanetti in einem Aufzug kennen und heiratet sie im Jahr darauf. Sie war die Liebe seines Lebens, die ihn 45 Jahre lang auf nahezu allen Wegen begleitete und ihn ermutigte, 1938 nach Berlin zu gehen und sein Glück als Schauspieler zu versuchen. Willi Schaeffers engagierte ihn am legendären Kabarett der Komiker, wo er seinen Durchbruch schaffte. 1941 wurde Erhardt zur Wehrmacht einberufen. Bei zwei Musterungen war er durchgefallen, bei der dritten kam er – als Nichtschwimmer und Brillenträger – nach Stralsund zur Kriegsmarine, die für das Marine-Musikkorps einen Klavierspieler suchte. So blieb ihm die Front erspart.
„Lampenfieber quälte ihn immer“
Seine Frau und die Kinder, insgesamt sollten es ein Sohn und drei Töchter werden, flohen über Polen und Schleswig-Holstein nach Hamburg, wo sich die Familie 1945 in Wellingsbüttel niederließ. Ehrhardt arbeitete zunächst als erfolgreicher Radiomoderator bspw. für die Sendung „So was Dummes“ beim NWDR, der ihn 1948 auch als Komponist mit seiner „10-Pfennig-Oper“ ins Programm nahm. Selbst die Engländer, deren Zensurbehörden jede seiner Sendungen im Voraus absegnen mussten, waren begeistert: „Sie sind der einzige Deutsche, über den wir lachen können, ohne dass wir ein einziges Wort verstehen!“ 1947 begann er, seine berühmten Erinnerungsalben zu führen: Dicke ledergebundene Wälzer mit Zeitungsartikeln, Fotos und privaten Notizen. Insgesamt hat er auf diese Weise 19 dicke Alben gefüllt.
Seine größten Erfolge feierte er ab Ende der 50er Jahre im Kino als Hauptfigur in Filmkomödien, darunter „Witwer mit fünf Töchtern“ (1957), „Der Haustyrann“ (1959) oder „Drei Mann in einem Boot“ (1961) gemeinsam mit Walter Giller und Hans-Joachim Kulenkampff. 39 Filme sind es am Ende. Parallel dazu beginnt Ehrhardts Theater-, Tournee- und Fernsehkarriere, für die er auch Paarnummern mit Peter Alexander, Rudi Carrell oder Udo Jürgens schrieb. Kaum eine große Abendshow kam damals ohne Ehrhardt aus. Das Multitalent begeistert mit Doppelsinnigkeiten, Wortverdrehung und -neuschöpfungen, mit Musik, Gestik und Mimik – ein Allroundtalent. Der beleibte Erhardt, schon rein optisch ein würdiger Exponent der damaligen „Fresswelle“, gilt als Humorist des Wirtschaftswunders.
Abseits der Scheinwerfer ist der „liebenswert-tapsige Underdog“, so Michael Wenk in der NZZ, eher schüchtern. Sein Sohn Gero berichtet im MDR: „Privat war er mehr still, sehr in sich gekehrt, introvertiert. Mein Elternhaus war ein Frauenhaushalt, Mutter, Großmutter, drei Schwestern. Davon zog sich dann mein Vater in seinen Wohnwagen im Garten zurück, arbeitete dort, bienenfleißig.“ Und er sagte auch:
„Leicht fiel ihm nichts, Lampenfieber quälte ihn immer. Jeder Bühnenauftritt war ein Kraftakt, an dessen Ende er völlig ausgelaugt, leer gepumpt war. Ein zutiefst einsamer Mann mit wenigen Freunden.“
Das Publikum liebte diesen ganz normalen, etwas spießigen und verklemmten Musterbürger, den pseudo-autoritären Typ, den er darstellte und zugleich bis aufs Bodenloseste lächerlich machte. Erhardts Dauer-Rolle: Der halb hilflose, halb durchgeknallte Dicke mit der Brille. Denn um sich die Angst vor dem Publikum zu nehmen, trug Heinz Erhardt auf der Bühne eine Hornbrille mit dickem Fensterglas, die seine Kurzsichtigkeit nicht korrigierte. Dadurch nahm er das Publikum nur verschwommen wahr und konnte damit sein Lampenfieber mildern. 1963 startete er im Fackelträger Verlag mit „Noch´n Gedicht“ auch eine Karriere als Buchautor.
Er war immer unterwegs. Seine Familie, allen voran die Kinder, sahen ihren Vater nur noch selten und erinnern sich in der ARD: „Im Grunde hat er eigentlich nur gearbeitet. Zum Beispiel, wenn wir zusammensaßen oder wenn wir Besuch hatten, dann war er plötzlich mal eine Weile verschwunden, dann saß er am Schreibtisch und hat irgendwas notiert (…). Er war immer mit den Gedanken bei seinem Beruf – immer.“ Ab Ende der 1960er Jahre verschlechterte sich sein Gesundheitszustand.
Jäh beendete dann ein Schlaganfall im Dezember 1971 seine Karriere. Die letzten siebeneinhalb Jahre seines Lebens war Heinz Erhardt halbseitig gelähmt. Ihm widerfuhr wohl mit das Schlimmste, was einem Sprachakrobaten wie ihm passieren kann: Er war nicht mehr fähig, auch nur ein einziges Wort zu sprechen – obwohl er jedes Wort verstand, das um ihn herum gesprochen wurde. Trotz Bühnenabstinenz bekommt der populäre Alleinunterhalter, der jetzt im Rollstuhl sitzt, noch immer tausende Briefe von seinen Fans. Von der 1972 veröffentlichten LP „Was bin ich wieder für ein Schelm“ wurden bis 1984 über 250.000 Exemplare verkauft; dafür gab‘s eine Goldene Schallplatte. Die LP erschien 1985 auch in der DDR und war dort ebenfalls ein großer Erfolg.
„steht er für Güte und Menschlichkeit“
Doch Ehrhardt kommt nochmal ins Fernsehen, für einen letzten großen Auftritt. Gemeinsam mit seinem Sohn Gero als Kameramann arbeitet er an der Fernsehfassung der komischen Oper „Noch ´ne Oper“, die Erhardt bereits in den 30er Jahren geschrieben hatte und die einen Tag nach seinem 70. Geburtstag im ZDF schließlich ausgestrahlt wurde. Viele berühmte Kollegen wie Paul Kuhn, Ilse Werner oder Helga Feddersen waren dabei. Seine Stimme wurde aus früheren Rundfunkaufnahmen hinzugemischt. In kurzen, eingeblendeten Szenen war er selbst als amüsierter Dichter in einem Park auf einer Bank sitzend zu sehen. Wochen darauf stirbt er und wird auf dem Hauptfriedhof Ohlsdorf in Hamburg beigesetzt.
Die Ehrhardt-Rezeption kommt danach erst richtig in Gang. Seit seinem Tod erschienen etwa im Zweijahresrhythmus neue LP/CD, darunter auch eine für Kinder. Vier Jahre nach seinem Tod zeigten die Kinos einen alten Erhardt-Film nach dem anderen: „Die Jugend rennt zu Erhardt“ titelten die Zeitungen und begründeten den Erfolg mit der zeitlosen Qualität seines Humors. Nach der Jahrtausendwende wurde die Grünanlage „Fasanenhain“ in Hamburg-Wandsbeck zum Heinz-Ehrhardt-Park, und die Kreuzung am Weender Tor in Göttingen, wo er als Verkehrspolizist Eberhard Dobermann in dem Film „Natürlich die Autofahrer“ (1959) den Verkehr regelte, zum Heinz-Ehrhardt-Platz.
2004 erhält Erhardt einen Stern im „Walk of Fame des Kabaretts“ in Mainz, 2007 kommt er bei der Wahl zum besten deutschsprachigen Komiker in der ZDF-Sendung „Unsere Besten – Komiker &Co.“ auf den zweiten Platz hinter Loriot. Der Kritiker Volker Bergmeister bestätigte diese Rangfolge 2010 in seiner Liste der zehn nachhaltigsten Comedians. Zeitlebens galt er als besser, aber nicht so arriviert und feinsinnig wie Loriot, der ihn überlebt: ein Komiker für die Kleinen statt ein Bajazzo für die Betuchten. John von Düffel schrieb das Theaterstück „Ich, Heinz Erhardt“ zum 100. Geburtstag des Komikers, aus demselben Anlass legte die Deutsche Post eine Sonderbriefmarke auf.
„Erhardts gemütvoll-sanfte Figuren sind der Gegenentwurf zum Klischee vom zackigen Deutschen. Selbst dort, wo er subalterne Repräsentanten der Obrigkeit darstellt, steht er für Güte und Menschlichkeit“, befindet Wenk und verweist gerade auf die Rolle des Finanzbeamten Willi Winzig, der in „Was ist denn bloß mit Willi los?“ (1970) ein großes Herz für kleine Steuersünder zeigt. Manche seiner Gedichte könne man auch dem Genre des schwarzen Humors zurechnen, so Kritiker, da sie auf subtile Weise um die Themen Vergeblichkeit, Vergänglichkeit und Tod kreisten. „Wer sich selbst auf den Arm nimmt, erspart anderen die Arbeit“, so ein Bonmot des Humoristen, der auch vor Kalauern nicht zurückschreckte, die bis heute Kult sind:
„Die alten Zähne wurden schlecht,
und man begann, sie auszureißen,
die neuen kamen grade recht,
um mit ihnen ins Gras zu beißen.“