„ein großer Sprung für die Menschheit“
18. Juli 2019 von Thomas Hartung
Zugegeben: das Reiseziel war nicht unbedingt attraktiv. Keine Atmosphäre, kein Sauerstoff, dafür viele Krater, noch mehr Staub, dazu Temperaturschwankungen zwischen + 130 °C tags und −160 °C nachts. Unüblich war dazu, dass die Ankunft der gerade drei Reisenden von fast 600 Millionen Menschen live bestaunt und bejubelt wurde. Und zu allem Überfluss mussten sich die Astrotouristen nach ihrer Rückkunft aus Furcht vor unbekannten Mikroorganismen in eine Quarantäne von siebzehn Tagen begeben – doppelt so lang, wie die Reise dauerte. Doch das war allen Beteiligten egal: vor 50 Jahren, am 20. Juli 1969, glückten mit dem Raumschiff Apollo 11 die erste Landung von Menschen auf dem Mond und ihr erster Spaziergang auf dem Erdtrabanten.
Die Mission erfüllte die Aufgabe, die Präsident John F. Kennedy 1961 der Nation erteilt hatte: Noch vor Ende des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und wieder sicher zurück zur Erde zu bringen. Das war nicht nur eine ingenieurtechnische Meisterleistung, die den Menschen aus seinem bisherigen Lebensraum heraus in völlig neue Dimensionen brachte, sondern auch ein politischer Erfolg – in der heißen Phase des Kalten Krieges war die Beherrschung des Weltraums Teil des Wettrüstens und im Kampf der Systeme ein wichtiger Eintrag ins kollektive Gedächtnis der Menschheit: Für kurze Zeit wehte auf dem Mond das amerikanische Banner, gehisst vor weltweitem Publikum.
Die Planungen dazu hatten vier Jahre zuvor begonnen. Im Januar 1969 wurde die Besatzung vorgestellt: Kommandant Neil Armstrong und Pilot Edwin „Buzz“ Aldrin im Landemodul „Eagle“, komplettiert von Michael Collins, der im Kommandomodul zurückbleiben sollte. Armstrong war ein Kampf- und späterer Testpilot der Navy, der seinen Flugschein vor der Fahrerlaubnis machte, Aldrin und Collins Kampfpiloten der Air Force. Alle waren 39 Jahre alt und bereits einmal mit Gemini-Schiffen im Weltraum gewesen. Zum Zeitpunkt ihrer Auswahl war die Mannschaft noch nicht davon überzeugt, die erste bemannte Mondlandung zu absolvieren: Die Mondlandefähre war bis dahin noch nicht bemannt im Weltraum getestet worden. Als Trägerrakete sollte eine 2940 Tonnen schwere, 110 Meter hohe Saturn V fungieren; entworfen unter der Leitung der beiden deutschen Ingenieure Wernher von Braun und Arthur Rudolph. Die Vorbereitungen verliefen ohne jeden Zwischenfall.
Apollo 11 startete am 16. Juli 1969 um 13.32 Uhr Weltzeit von Cape Canaveral in Florida und erreichte zwölf Minuten später planmäßig die Erdumlaufbahn. Nach anderthalb Erdumkreisungen wurde die dritte Raketenstufe für sechs Minuten erneut gezündet und das Raumschiff damit auf Mondkurs gebracht. Anschließend wurde das Schiff am 19. Juli 1969 um 17:22 Uhr durch ein Bremsmanöver über der Rückseite des Mondes in eine Mondumlaufbahn eingeschwenkt. Der gesamte Hinflug zum rund 384.403 Kilometer entfernten Mond dauerte 76 Stunden und verlief ebenfalls reibungslos.
„ein großer Sprung für die Menschheit“
Wegen geringer unbeabsichtigter Abweichungen beim Abkoppeln der Landefähre zielte der Bordcomputer auf eine Stelle knapp fünf Kilometer hinter einem geplanten Landegebiet im Meer der Ruhe. Die Monate zuvor erfolgte Auswahl des Landeplatzes war eine Wissenschaft für sich, die Sicherheit der Astronauten dabei oberstes Gebot. So mussten Landung und Rückstart bei direkter Sonneneinstrahlung und optimalen Sichtverhältnissen erfolgen. Um Treibstoff zu sparen, war der Landeplatz zudem auf Gebiete in der Nähe des Mondäquators beschränkt und sollte weder von Kratern noch größeren Gesteinsbrocken behindert werden. Am Ende blieben fünf Landegebiete übrig.
Als der Autopilot beim Endanflug die Fähre auf ein Geröllfeld neben einem Krater zuführte, schaltete Armstrong auf Handsteuerung, überflog den Krater und landete auf einer ebenen Stelle ca. 500 m weiter westlich. Die zusätzlichen Manöver sollen das ohnehin knapp kalkulierte Treibstoffbudget so strapaziert haben, dass die Astronauten nur noch etwa 20 Sekunden Zeit gehabt hätten, entweder zu landen oder den Anflug abzubrechen. Spätere Analysen zeigten aber, dass der Treibstoff in den Tanks hin und her schwappte, was zu ungenauen Anzeigen geführt hatte: Die Reserve war höher. 20.17 Uhr vermeldete Armstrong: „The Eagle has landed!“ („Der Adler ist gelandet!“). Die BBC unterlegte die Live-Bilder der Landung übrigens mit David Bowies „Space Oddity“, obwohl der Song von einem hilflosen Astronauten handelt.
Sofort danach trafen die Astronauten Vorbereitungen für den Rückflug, der alle zwei Stunden erfolgen konnte, fotografierten die Mondoberfläche aus ihren Fenstern – und hatten mit minütlich steigender Aufregung zu tun. Sie schlugen prompt vor, die ursprünglich geplante Ruhepause von knapp sechs Stunden auf 45 Minuten zu verkürzen und den Ausstieg vorzuziehen. Houston hatte nichts dagegen. Die Vorbereitungen hierzu dauerten etwa drei Stunden. Am 21. Juli 1969 um 02.56 Uhr betrat dann Armstrong, von je einer Außen- und Innenkamera gefilmt, als erster Mensch den Mond und sprach die berühmten Worte: „That’s one small step for ‹a› man, one giant leap for mankind!“ („Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit!“).
Um den kleinen Satz mit großer intellektueller Tragweite, der zu den weltweit berühmtesten Worten gehört, die je ein Mensch gesprochen hat, ranken sich bis heute zwei Gerüchte. Zum einen rätselte die Welt, noch bevor Armstrong wieder gelandet war, wer diese Worte wohl wann getextet habe. Dean Armstrong erzählte nach dem Tod seines Bruders, Neil habe ihm Monate vor dem Start bei einem Spieleabend einen Zettel rübergeschoben, auf dem die Worte standen, und gefragt, was er davon halte, wenn er dies bei seinem Abstieg zum Mond der Welt mitteilen würde. „Fantastisch“, habe er geantwortet.
Biografen bezweifeln das, lautete doch Neils öffentlich geäußerte Lesart stets, er habe sich die Worte in den Stunden zwischen Landung und Ausstieg ausgedacht. Andere gingen davon aus, dass der Spruch aus dem Brain Trust der Nasa stammt, wieder andere meinten, auch die Nasa habe sich so etwas nicht zugetraut und deshalb den Schriftsteller Arthur Miller mit der Komposition der passenden Worte beauftragt. Miller hat allerdings nie das Copyright für den Satz beansprucht.
Zum anderen geht es darum, ob Armstrong in seinem Satz das „a“ wirklich hörbar gesprochen oder aus Aufregung verschluckt habe, denn dann wäre die Aussage unsinnig. Er selbst gestand in einem Interview 1999: „Ich wollte ‚a‘ sagen. Ich dachte, ich hatte es gesagt. Ich kann es nicht hören, wenn ich mir die Funkübertragung hier auf der Erde anhöre. Ich bin zufrieden, wenn Sie es einfach in Klammern setzen.“ Ein Wissenschaftler gab Armstrong schließlich Recht: Der australische Computerprogrammierer Peter Shann Ford ließ 2006 eine Software über das Zitat laufen, das Schallwellen untersucht und ebendort eine Erhöhung registrierte, wo das verlorene „a“ sein sollte. Es dauerte 35 Millisekunden – zu kurz, um vom menschlichen Ohr gehört zu werden, aber es war da.
„Empfehlungen für Raumfahrttreibende“
20 Minuten später betrat auch Aldrin den Mond und absolvierte gemeinsam mit Armstrong ein zweieinhalbstündiges straffes wissenschaftliches Programm. Sie maßen die Zusammensetzung des Sonnenwindes auf dem Mond, bauten mehrere Forschungsgeräte auf, darunter ein Seismometer, das die erste Mondnacht jedoch nicht überstand, und einen Laser-Entfernungsmesser. Außerdem nahmen sie Bodenproben und sammelten 21,6 kg Gestein – ein in den Proben festgestelltes unbekanntes Mineral wurde nach den ersten Buchstaben der Nachnamen der Astronauten später „Armalcolit“ getauft. Wieder an Bord, begannen sie, den Rückflug einzuleiten.
Nach problemlosem Start schwenkte die Fähre in eine Mondumlaufbahn ein, koppelte knapp vier Stunden später wieder an die Kommandokapsel an und wurde nach dem Umstieg von Armstrong und Aldrin abgestoßen. Einen aus unklaren Gründen abgebrochenen Schalter soll Aldrin beim Mondstart einfach mit einem Filzstift bedient haben. Erfolgreich auf Erdkurs gebracht, wasserte die Apollo-Kapsel am 24. Juli 1969 um 16.50 Uhr im Pazifik und wurde von der USS Hornet, inzwischen Museumsschiff in Alameda, an Bord genommen. Dort mussten sich die Astronauten in ein Quarantänemodul begeben, das heute noch zu besichtigen ist. Das Kommandomodul ist in Washington ausgestellt.
Bis heute verwundern nicht nur die Professionalität und Reibungslosigkeit der Mission, sondern auch die weitgehende Unaufgeregtheit in den weiteren Lebensläufen der Astronauten. Nach verschiedenen Aufgaben bei der NASA übernahm Armstrong eine Professur für Raumfahrt-Ingenieurwesen an der Universität von Cincinnati, brachte es danach als Firmengründer zum mehrfachen Millionär und starb am 25. August 2012 an den Folgen einer Bypass-Operation. Damien Chazelle gelang in „Aufbruch zum Mond“ im Herbst 2018 mit Ryan Gosling als Armstrong eine Erzählung über eben diesen amerikanischen Professionalismus. Aldrin wurde Leiter des Astronautenausbildungszentrums und arbeitet, nach einer Lebenskrise in den 70er Jahren, als Publizist und Berater, so beim Computerspiel „Buzz Aldrin’s Race into Space“. Und Collins wurde erster Direktor des National Air and Space Museum in Washington und leitet aktuell eine eigene Firma.
Bis heute verstummen aber auch nicht die Verschwörungstheoretiker, nach denen diese, ja alle Landungen zwischen 1969 bis 1972 nicht stattgefunden hätten, sondern von der NASA und der US-Regierung vorgetäuscht worden seien. Hauptfigur ist William Charles Kaysing, der bei der NASA-Zulieferfirma Rocketdyne, die Triebwerke für die Saturn-V-Raketen herstellte, die technische Dokumentation leitete und 1976 in seinem Buch „We Never Went to the Moon“ Indizien aufzählte, weshalb die Landungen nicht erfolgt sein könnten. Ein ähnlicher Plot liegt dem Film „Unternehmen Capricorn“ von Peter Hyams 1978 zugrunde, der von einer inszenierten Marsreise handelt. Der Astrophysiker Philip Plait und viele andere Autoren haben genüsslich jedes dieser Argumente zerpflückt.
Die Nasa betrieb ihr 1961 gestartetes Apollo-Programm bis 1972 und ließ es sich 23,9 Milliarden Dollar kosten. Es gab bis zu 400.000 Menschen Arbeit. Nach der letzten Mission, Apollo 17, hatten insgesamt 12 Erdenbürger, allesamt US-Amerikaner, den Mond betreten. Seitdem niemand mehr. Das soll sich ändern: im Dezember 2017 stellte Donald Trump die „Space Policy Directive 1“ vor: Erst zum Mond, dann zum Mars, lässt sie sich zusammenfassen. Natürlich war Buzz Aldrin bei der Präsentation dabei, aber auch Jack Schmitt aus der Crew von „Apollo 17“.
Inzwischen hat die US-Raumfahrtbehörde gar das 93seitige Verhaltens-Regelwerk „Empfehlungen für Raumfahrttreibende“ aufgelegt, um die „Apollo“-Relikte und Landestellen auf dem Mond zu bewahren. Dahinter steckt die Angst, dass die Fahnen, Messinstrumente oder Schuhabdrücke unter den chinesischen, indischen und auch privaten Raumschiffen etwa von „Bigelow Aerospace“ oder „United Launch Alliance“ leiden, die in den nächsten Jahren zum Mond reisen wollen. Deshalb spricht sie sich auch dafür aus, den Mond als historische Stätte zu schützen: Am besten als „Naturpark“.