Honecker hielt die Ehrenwache
10. September 2019 von Thomas Hartung
Seine Person spiegelt nicht nur die Spaltung der SPD, sondern auch die politische Spaltung Deutschlands in Ost und West wider: sein Vater war der erste sozialdemokratische Reichspräsident, der in der DDR als Verräter der Arbeiterklasse gebrandmarkt wurde, sein Bruder Karl SPD-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, der lange keinen Kontakt zu ihm hatte, und sein Sohn Georg Ökonomieprofessor an der SED-Parteihochschule, der nach der Wende arbeitslos wurde. Friedrich Ebert, genannt Fritz oder einfach Junior, würde am 12. September 125 Jahre alt.
Geboren in Bremen als ältestes von fünf Kindern, absolvierte er von 1909 bis 1913 eine Lehre als Buchdrucker, engagierte sich früh in der Sozialistischen Arbeiterjugend und seit 1913 in der SPD. Von 1915 bis 1918 war er Infanterist im Ersten Weltkrieg, seine Brüder Georg und Heinrich fielen 1917. 1920 heiratete er Johanna Elisabeth Vollmann und bekam mit ihr zwei Söhne.
Er war bis 1925 Redakteur des „Vorwärts“ sowie Mitarbeiter des sozialdemokratischen Pressedienstes, bis 1933 Redakteur der „Brandenburger Zeitung“. Zugleich begann er – wie sein Vater – eine pflichtbewusste und erfolgreiche Karriere als sozialdemokratischer Parteiarbeiter: 1928 in den Reichstag gewählt, wurde er 1930 Stadtverordnetenvorsteher in Brandenburg, gehörte dem SPD-Bezirksvorstand Brandenburg-Grenzmark an und dem preußischen Staatsrat.
Am 9. August 1933 vermeldete das „Berliner Tageblatt“, dass „gestern der ehemalige sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Stadtverordnetenvorsteher von Brandenburg (Havel), Chefredakteur der sozialdemokratischen Brandenburger Zeitung, Friedrich Ebert (Sohn des ehemaligen Reichspräsidenten) … in das Konzentrationslager Oranienburg eingeliefert“ wurde. Der Vorwurf: illegale politische Tätigkeit. Nach acht Monaten kam er frei und stand bis 1945 unter Polizeiaufsicht. Mehrfach arbeitslos, schlug er sich als Drucker und Tankwart durch. Seine Frau Johanna beging 1938 unter bis heute unklaren Umständen Suizid. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und war ab 1940 als Werber beim Reichsverlagsamt tätig.
Zum Oberbürgermeister ausersehen
Die Zeit nach dem 8. Mai 1945 erlebte Friedrich Ebert bereits widersprüchlich. Sein Sohn erinnert sich 2011 in der Thüringer Allgemeinen: „Für meinen Vater hatte der Streit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten wesentlich zum Machtantritt der Nazis beigetragen. Durch die Vereinigung von KPD und SPD sollte das künftig verhindert werden. Mit der West-SPD unter Kurt Schumacher war das natürlich nicht zu machen.“ Sebastian Haffner hatte das ebenso gesehen. Duplizität der Ereignisse: Wie Friedrich Senior nach der Niederschlagung der Novemberrevolution wurde nun auch Friedrich Junior als Verräter an der Sache der SPD und der Arbeiter verteufelt. Denn während Friedrichs Mutter bei ihrem Sohn Karl in Heidelberg blieb, trieb er selbst in Brandenburg als SPD-Landeschef die Vereinigung zwischen KPD und SPD voran.
„Sicher waren 1946 bei der SED-Gründung nicht alle Folgen für ihn absehbar. Das Bestreben, demokratische Traditionen und demokratische Traditionen der SPD in diese neue Partei einzubringen, kann man ihm schwer absprechen“, meint Georg. Seit der Gründung einer der Landesvorsitzenden der SED, wurde er Mitglied des Parteivorstands und später des Zentralkomitees sowie bis zu seinem Tod des Politbüros. Nach den Landtagswahlen in der sowjetischen Zone 1946 wurde er Präsident des Brandenburgischen Landtags. Bis heute kursieren Gerüchte, dass er sich eigentlich zusammen mit seinem Freund, dem ehemaligen SED-Politbüro-Mitglied Erich W. Gniffke, nach Westen absetzen wollte, aber zu spät von Gniffkes plötzlichem Aufbruch benachrichtigt worden sei. Wenige Tage später bekam Ebert Russenbesuch. Er rechnete fest damit, verhaftet zu werden, doch die Sowjets überbrachten ihm den Bescheid, dass er zum Oberbürgermeister von Ostberlin ausersehen sei.
Am 30. November 1948 wurde im Admiralspalast der noch von der Gesamtberliner Stadtverordnetenversammlung 1946 repräsentativ gewählte Magistrat durch einen „Volkskongress“ aus Delegierten von u. a. SED, FDGB, FDJ und Betriebsräten für abgesetzt erklärt. Stattdessen wurde ein provisorischer „Demokratischer Magistrat“ gewählt (im Westen als „Opern-Magistrat“ bezeichnet) und Ebert als Oberbürgermeister vereidigt. Anschließend erklärte er, Berlin würde Teil der sowjetischen Zone und in den Zweijahres-Plan der SED eingeschlossen. Prompt folgten Währungsreform und Luftbrücke.
Der SPIEGEL berichtete über einen internen Plans des Zentralkomitees der SED, in dem es heiße: „Es muss jetzt alles versucht werden, Friedrich Ebert als rettende Hand Gesamtberlins dem blassen und ausdruckslosen Westberliner Bürgermeister Schreiber gegenüberzustellen. Reuter besaß zu viel obskure Popularität… Jetzt aber ist die Stunde da, unseren Genossen Ebert als die führende Persönlichkeit Gesamtberlins zu feiern.“ Prompt brachten Ostberliner Illustrierten Ebert-Photos in Großformat, sein Name wird unter Verordnungen gesetzt, die zur „Verbesserung der Lebenshaltung“ erlassen werden.
Hintergrund sei, „den Sohn des Präsidenten der ersten Republik für den Fall von gesamtdeutschen Ost-West-Gesprächen als relativ unbelasteten Verhandlungspartner halbbürgerlicher Prägung hoffähig zu machen. Außerdem soll der gemäßigte Ebert ‚im Sinne der Aktionseinheit‘ Verbindungen zu Westberliner und westdeutschen Sozialdemokraten knoten.“ Ebert richtete handgeschriebene Briefe an führende SPD-Mitglieder und lud Westberliner SPD-Funktionäre zu einer Kaffeetafel ein. Die Verhandlungen blieben erfolglos, das Grundgesetz für die Bundesrepublik von 1949 und die Verfassung von Berlin von 1950 sollten Gesamt-Berlin bzw. ausdrücklich „Groß-Berlin“ von Anfang an als Land der Bundesrepublik Deutschland ausweisen. Jedoch galt diese Bestimmung nicht, das Berlinabkommen von 1971 stellte letztlich fest, dass die drei Westsektoren kein „konstitutiver Teil“ der Bundesrepublik seien.
„Das Verhältnis war kritisch“
Ebert widmete sich, nach dem Abriss des Berliner Stadtschlosses 1950, vor allem dem Aufbau der zerstörten Stadt: die Wiederherstellung des Brandenburger Tors, des Roten Rathauses, des Zeughauses und der Staatsoper Unter den Linden fielen in seine Amtszeit. Seit der Gründung der DDR 1949 war Ebert auch Abgeordneter der Volkskammer, zeitweise als Stellvertreter des Präsidenten, später SED-Fraktionschef sowie stellvertretender Vorsitzender des Staatsrates. Ab 1955 war das Rote Rathaus sein Amtssitz als Oberbürgermeister. 1960 zog er in die Funktionärssiedlung nach Wandlitz. Den Mauerbau 1961 unterstützte er selbstredend.
Als Peter Fechter im August 1962 bei einem Fluchtversuch angeschossen wurde und verblutete, war Eberts Neffe, der Stern– und Quick-Reporter Heinrich Jaenecke so empört, dass er einen „Offenen Brief “ an seinen Onkel schrieb. Ein letzter Brief, in dem er alle weiteren Kontakte abbricht. Das habe schließlich zu einem fast völligen Abbruch der Beziehungen zwischen den beiden Familien geführt. „Das Verhältnis war kritisch und zum Teil feindlich“, gibt er später zu. Erst im Ruhestand und über zehn Jahre nach der Einheit begann das Eis zwischen den Ebert-Familien Ost und West zu schmelzen.
Friedrich Ebert trat nach erheblichen Differenzen mit SED-Chef Walter Ulbricht ein Jahr vor seinem zwanzigjährigen Amtsjubiläum zurück und wurde am 5. Juli 1967 zum Ehrenbürger Berlins ernannt. Ihm folgten Herbert Fechner und Erhard Krack, der 1990 zurücktrat und, weil er für die Fälschungen der Ost-Berliner Kommunalwahl im Jahr 1989 mit verantwortlich war, 1993 zu zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt wurde. Den 13 Regierenden Bürgermeistern im Westen Berlins standen seit 1948 also nur vier Oberbürgermeister im Osten der Stadt gegenüber.
Mit allen bedeutenden Auszeichnungen der DDR geehrt, starb Ebert am 4. Dezember vor 40 Jahren. An seinem Sarg hielt Staats- und Parteichef Honecker die Ehrenwache. Ebert wurde auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde an der Ringmauer der Gedenkstätte der Sozialisten beigesetzt. 1992 wurde er ohne vorangegangene Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus durch Senatsbeschluss neben anderen aus der Liste der Ehrenbürger der Stadt Berlin gestrichen: Den Bruch mit der Parteilinie seines Vaters verzieh man ihm nicht.