„halb Kunst, halb Wissenschaft“
24. Oktober 2019 von Thomas Hartung
Goethe war in manchen Briefen wahrlich nicht zimperlich: „Zillbach ist ein böses Nest“ beschrieb er 1780 seinen Eindruck vom kleinen Flecken in der Vorderrhön nahe Wasungen, und: „Zillbacher sind wie Katzen, vorne lecken, hinten kratzen“. Aus diesem Nest nun stammt ein Mann, der aus Sachsens Naturgeschichte nicht wegzudenken ist und als Begründer der Forstwissenschaft in Deutschland gilt: Heinrich Cotta. Am 25. Oktober vor 175 Jahren starb er hochgeachtet in Tharandt.
Seine Studenten hatten ihm zum 80. Geburtstag 80 Eichen auf der Burghöhe „Heinrichseck“ im Tharandter Wald gepflanzt, seinem „grünen Hörsaal“, in dem er nun Monate später begraben wurde. Seine schon in der Kindheit angelegte mineralogisch-geologische „Versteinerungssammlung“ war eine der bedeutendsten ihrer Zeit und zog auch andere Naturwissenschaftler wie 1830 Alexander von Humboldt in das Städtchen zwischen Dresden und Freiberg. Er war es auch, der nach Cottas Tod den Ankauf dieser rund 5.000 pflanzlichen und tierischen Fossilien für 3000 Taler für das „Berliner Kabinett“ durchsetzte. Die Sammlung ist heute zwischen Freiberg und London verstreut.
Dabei gilt Cottas Geschichte auch Genealogen für interessant: Kaiser Sigismund hatte der Familie 1420 einen Adelsbrief ausgestellt, dessen Original 1752 bei einem Brand vernichtet wurde. Die Cottas waren da längst in einen süddeutschen und einen sächsisch-thüringischen Stamm ohne verwandtschaftliche Beziehungen geteilt und führten den Titel nicht mehr. Goethes Verleger Johann Friedrich Cotta hatte 1817 Heinrich Cotta aufgefordert, gemeinschaftliche Schritte zur Erneuerung des Adels zu unternehmen – was dieser aufgrund seiner demokratischen und ganz bewusst bürgerlichen Einstellung ablehnte. So wurde nur ein Teil des süddeutschen Familienstammes 1817 in den Adels- und 1822 in den Freiherrnstand erhoben. Doch nach Heinrich Cottas Tod bekamen auch seine drei Söhne auf Antrag 1858 den Adelstitel neu verliehen.
„die Ausführung macht hierbei den Meister“
Das Forsthandwerk war dem am 30. Oktober 1763 geborenen Heinrich in die Wiege gelegt: Sein Vater Nicolaus Heinrich war der erste bürgerliche Fürstlich-Weimarische Förster, bildete ihn selbst aus und sprach ihn später als Jägerbursche frei. 1784/1785 studierte Heinrich in Jena Mathematik und Kameralwissenschaften, war danach als Vermesser im nahen Fischbach tätig und begann gemeinsam mit seinem Vater, forstlichen Unterricht zu erteilen. 1789 wurde er Herzoglich-Weimarischer Forstläufer mit einem Jahresgehalt von 12 Talern. Fünf Jahre später legte er, inzwischen Unterförster, dem Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Carl August, den Plan einer Forstlehranstalt vor. Dazu hatte er bereits die „Cotta-Plantage“ am Rande von Zillbach mit über 400 Baumarten angelegt.
1795 heiratete er seine langjährige Freundin Christel Ortmann, mit der er sechs Kinder hatte, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten, erhielt als Forstmeister die Stelle seines Vaters in Zillbach und bekam vom Großherzog nicht nur grünes Licht für seinen Plan, sondern auch die Erlaubnis, Jagdschloss und Garten für seinen Unterricht zu nutzen. Er berief u.a. seinen Jenaer Studienfreund Friedrich Mosengeil als Lehrer für deutsche Sprache und Mathematik, der als Begründer der Stenografie gilt und 1796 in Eisenach sein Schriftsystem veröffentlichte.
1801 wurde Cotta zum Forstmeister in Eisenach und zugleich zum Mitglied des dort neu errichteten Forstcollegiums ernannt. Der Ruf der Lehranstalt verbreitete sich rasch und ließ Cotta als hervorragenden Lehrer bekannt werden. Ab 1809 stand er dann mit der königlich-sächsischen Verwaltung unter Friedrich August I. in Kontakt, die einen neuen Leiter ihrer Forstvermessungsanstalt suchte. Am 12. Dezember 1810 kam Cotta als Direktor der Forstvermessung und Forstrat nach Dresden. 1811 verlegte er die Einrichtung nach Tharandt, wo er am 24. Mai sein privates Forstlehrinstitut eröffnete.
„Der Beruf des Forstmanns ist halb Kunst, halb Wissenschaft, und nur die Ausführung macht hierbei den Meister“, schrieb er im selben Jahr. Sein Vorlesungsmanuskript „Grundriss zu einem System der Forstwissenschaft“ von 1813 galt jahrzehntelang als Standardwerk, das der Disziplin feste, schulgerechte Regeln gab, sie von der Jagd löste, den forstmännischen Beruf vom Berufsjägertum und die waldwirtschaftlichen Interessen von den Jagdinteressen trennte.
Nachdem das Institut als Kriegsfolge in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, bemühte sich Cotta erfolgreich um eine staatliche Trägerschaft. Die Einrichtung wurde am 12. März eine staatliche Anstalt und am 17. Juni 1816 als Königlich-Sächsische Forstakademie im Range einer Fachhochschule eröffnet, die jährlich rund 50 Studenten besuchten. Im Jahr darauf legte er mit der „Anweisung zum Waldbau“ das nächste Standardwerk vor, in dem sich der bemerkenswerte Satz fand „Wenn die Menschen Deutschland verließen, so würde dieses nach 100 Jahren ganz mit Holz bewachsen sein.“ In seiner Anweisung unterschied Cotta erstmals zwischen Nieder-, Mittel- und Hochwald und trat für Bestandspflege ein, so für „Durchforstungen“: Gezielte Entnahmen alter, kleiner und toter Bäume.
Hintergrund war, dass gerade in Sachsen die Notwendigkeit eines effizienten Waldbaus bestand: Mehrere Kriege im 18. Jahrhundert und der Holzbedarf im Erzbergbau und in der sächsischen Industrie hatten einen Raubbau an den heimischen Wäldern bewirkt. Friedrich August I. erkannte die Bedeutung einer systematischen und von wissenschaftlichen Gesichtspunkten geleiteten Aufforstung. Der Holzmangel wurde so zum „Geburtshelfer“ einer Wissenschaftsdisziplin, die gerade in Sachsen zur Blüte kam: Die Dresdner Heide legt noch heute Zeugnis ab, wie Cotta die Wälder mit einem Schneisensystem systematisch umgestaltete, um sie wirtschaftlich besser nutzen zu können. Er ist aber auch der Begründer einer nachhaltigen Bewirtschaftung des Waldes und war sich stets der Verantwortung für nachkommende Generationen bewusst.
„nicht reich an aufregenden Momenten“
1819 stirbt Cottas geliebte Christel, und Heinrich geht danach ganz in seiner Lehre auf. Von den 1.030 Studenten bis 1844 waren knapp die Hälfte Nichtsachsen. Vor allem russische Studenten kamen gern an die Forstakademie – Zar Nikolaus I. verlieh ihm zur Anerkennung seiner Bemühungen um diese 1841 den St.-Wladimir-Orden. „Sein Leben war im allgemeinen nicht reich an aufregenden Momenten. Die Grundzüge des Charakters dieses ausgezeichneten Mannes: Humanität, vollendete Herzensgüte, Friedfertigkeit, Milde im Urtheil über Andere, große Liebenswürdigkeit ließen ja kaum einen Feind erstehen“, meinte Biograph Richard Heß 1876.
Unter Cotta erlangte die sächsische Forstwissenschaft Weltgeltung und wurde zum Vorbild für viele Staaten. Er leitete die Akademie über 30 Jahre und prägte sie entscheidend. Unter seiner Leitung hatte sie eine Direktorialverfassung erhalten, die bis 1904 gültig blieb: In diesem Jahr wurde sie mit der Erhebung in den Rang einer Hochschule gewürdigt; seit 1929 ist sie Bestandteil der Dresdner Universität – heute als eigene Fachrichtung.
Cottas Bücher erzielten im 19. Jahrhundert viele Auflagen. Neben dem Waldbau war die Forsteinrichtung einer seiner Schwerpunkte: er hatte in kurzer Zeit die ausgedehnten Waldungen Sachsens vermessen und Forsteinrichtungswerke aufgestellt. Seine Hilfstafeln für Forstwirte und Forsttaxatoren, aber auch die Tafeln zur Bestimmung des Inhalts und Wertes unverarbeiteter Hölzer wurden wichtige Arbeitsinstrumente der gesamten Forstwirtschaft und auch immer wieder neu aufgelegt. Zudem war er der erste forstliche Klassiker, der sich, wenn auch noch sehr vorsichtig, für die Begründung von Mischbeständen aussprach. Zu seiner Zeit waren, wenn überhaupt, bestenfalls gemischte Bestände aus Buchen und Eichen oder Buchen und Edellaubholz geduldet.
Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten gelang es Cotta, der neben Humboldt auch von Goethe und vielen anderen Geistesgrößen besucht und gewürdigt wurde, die stark herabgewirtschafteten sächsischen Wälder einer geordneten Forstwirtschaft zuzuführen. Die Zahl seiner Denkmäler und ihm gewidmeten Straßen zumal in Sachsen übersteigt ein Dutzend. Er war der erste namhafte deutsche Forstmann, über den eine eigenständige Biographie in Buchform verfasst wurde: die Habilitationsschrift „Heinrich Cotta. Leben und Werk eines deutschen Forstmannes“ von Albert Richter von 1950. Für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Forstwissenschaft verleiht die TU Dresden bis heute die Heinrich-Cotta-Medaille.