„in einer Demokratie systemrelevant“
29. Dezember 2019 von Thomas Hartung
Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen fiel schon öfter durch eigenwillig-normative Interpretationen publizistischer Wirklichkeit auf. Schon im November 2012 ärgerte er sich über „die Empörungsdemokratie des digitalen Zeitalters“. In der Zeit 44/2014 konstatierte er auf Journalisten wie Medien gleichermaßen eine milieuunabhängige „Bewegung des bösen Blicks“, die „großformatige Verfalls- und Verwahrlosungsthesen“ formuliere, „in ihrer Wucht gefährlich, weil sie das Vertrauen in den Journalismus untergraben und den bösen Blick seltsam starr werden lassen.“ „Wir brauchen ein Überwachungsbewusstsein“, dekretierte er im November 2016 und konstatiert ein Jahr später einen „Stimmungswandel in Richtung des großen Verdachts“, durch den die Mainstream-Kritik selbst zum neuen Mainstream werde. Theorien der Entmündigung und der Manipulation ruinierten „das Vertrauensklima, das guter Journalismus bräuchte, gerade jetzt und gerade heute“. Und vor einem Jahr bejahte er die These, dass Transparenz „die neue Objektivität“ sei.
Ende November nun redete Pörksen in einem Interview mit dem Reutlinger General-Anzeiger einer Subventionierung von Zustellungskosten und einer Zeitungsfinanzierung durch politikferne Stiftungen das Wort. Denn er sieht neben Journalisten mit „in der Verantwortung“ auch die Politik, die Verlage, die Zivilgesellschaft und die akademische Welt. Diese Akteure hätten bisher „das Schicksal der Zeitungen mit einem Höchstmaß an dümmlicher Ignoranz begleitet, ganz so, als könnte man irgendwann mit den eigenen Themen zu RTL 2 umziehen.” Es fällt schwer, diese Aussagen nicht als bestellte Expertenmeinung zur Flankierung des Koalitionsentwurfs zur Unterstützung der Zustellung von Abonnementzeitungen und Anzeigenblättern in Höhe von 40 Millionen Euro für das Jahr 2020 anzusehen. Denn der Reutlinger Verlagsleiter Valdo Lehari jr. ist Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), sein Blatt büßte 26,9 Prozent Auflage seit 1998 ein. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte kurz zuvor einen entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen beschlossen. Allerdings sollen die Ausgaben bis zur Vorlage eines Gesamtkonzepts durch das Sozialministerium gesperrt bleiben. Der Haushalt wurde Ende November beschlossen.
Pörksen meint nun, Blattgattung hin oder her, dass kritischer, unabhängig recherchierender Journalismus unbedingt erhalten werden müsse, da er in einer Demokratie „systemrelevant“ sei – das Wort kennen wir seit der Bankenkrise. Wo er den unabhängigen Journalismus heute noch findet und welche Demokratie er meint, verschweigt er dezent. Vor allem Untersuchungen seines Kollegen Michael Haller haben ergeben, dass Journalismus gerade beim Flüchtlingsthema staatshörig agierte (zuerst berichtete). Und dass Pörksen angesichts der monarchischen Kanzlerschaft von Angela Merkel mit der ebenso grundgesetzwidrigen wie demokratiefernen Grenzöffnung an der Spitze, angesichts der Ausgrenzungen einer demokratisch gewählten Partei und angesichts der Verrassifizierung und Vernazifizierung aller konservativ-kritischen Stimmen von Alexander Gauland über Tilo Sarrazin bis Dieter Nuhr diesem deutschen Staat den Charakter einer Demokratie zusprechen will, muss mindestens als fragwürdig gelten.
zwei getrennte Kassen?
Hinzu kommt, dass nahezu alle Zeitungen in Größenordnungen Leser verlieren. Das hat auch, aber nicht nur mit der Staatshörigkeit sowie Journalisten wie Relotius, Restle oder Reschke zu tun, sondern vor allem mit der Glaubwürdigkeitskrise eines Berufsstands, der weder seine Blase verlassen noch seinen volkpädagogisch-linken Impetus ablegen will. Subventionen fördern nicht die journalistische Unabhängigkeit, sondern führen zur Huldigung der Subventionierenden. Es ist ein Zeichen demokratischer Reife, wenn Leser aufwachen und sich dem gesteuerten Zugriff auf die eigene Urteilsfähigkeit entziehen. Und wenn sich ein Produkt nicht mehr verkauft, hat es am Markt nichts mehr verloren. Durch den niedrigen Mehrwert-Steuersatz werden die Zeitungen sowieso schon subventioniert.
Unbestritten ist auch, dass die SPD indirekt einer der Hauptnutznießer sein wird, denn diese Partei verfügt über ein wahres Medienimperium, das ihr eigener Sozialminister Hubertus Heil mit den Subventionen päppeln will. Die SPD ist über ihre 100-Prozent-Tochter Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH (ddvg) mit Sitz in Berlin und Zweigniederlassung in Hamburg an diversen Verlagen und Medienkonzernen beteiligt. Zum Beispiel an der DDV Mediengruppe (u.a. Sächsische Zeitung) oder am Madsack-Konzern (u.a. Leipziger Volkszeitung). Dass die CDU damit die SPD-Parteipresse fördert, ist eine Anekdote am Rande.
Außerdem zahlt der Staat drauf, was er anderen Branchen verweigert: Höhere Mindestlöhne. Die Zeitungsausträger hatten bis zum 31. Dezember 2017 nur einen reduzierten Mindestlohn von zunächst 75 Prozent und später von 8,50 Euro bekommen, anstelle des damals zu zahlenden Lohns von mindestens 8,84 Euro. Tatsächlich hat die Mindestlohnregelung dazu geführt, dass viele Zeitungsverlage im ländlichen Raum ihren Vertrieb wegen der gestiegenen Kosten reduzieren mussten. Mit dem neuen Vorhaben werden also die Kosten des Mindestlohns sozialisiert – allerdings nur für Zeitungsverlage. Andere Branchen erhalten keine „Aufstockung“ aus der Staatskasse.
Die sollte übrigens noch viel höher ausfallen: die Verbände forderten, dass Verlage je nach Region idealerweise einen Betrag zwischen 5 und 7 Cent (gerundet) pro Anzeigenblattexemplar erhalten sollten. Dies würde hochgerechnet auf die Anzeigenblattbranche einen Betrag von 200 bis 300 Mio. bedeuten. „Bei den Zeitungen müssten dementsprechend 14 Cent pro Exemplar, in der Summe 400 Mio. Euro, für die Zielerreichung angesetzt werden“, hieß es. Der BDZV rechtfertigt seine dennoch erfolgreiche Lobbyarbeit in einer Mitteilung „Hier geht es vielmehr um die Unterstützung der Zustellung, also eines nachgelagerten, technischen Bereichs. Der BDZV wird die Staatsferne privatwirtschaftlich geführter Zeitungsunternehmen immer verteidigen.“
Dass selbst Anzeigenblätter, die zwischen Aldi-Anzeigen und Kaufland-Prospekten gelegentlich Pressemitteilungen abdrucken, auch zur Meinungsbildung beitrügen und dafür gefördert werden, zeigt die wahre Absicht, den Einstieg in eine Art staatliche Gebührenfinanzierung der Verlage zu vollziehen, die sich viele nach dem Vorbild von ARD und ZDF schon lange wünschen. Der Bundesverband der Anzeigenblätter lobt seine Produkte prompt als wichtigen „Treiber der Anerkennungskultur, die den regelmäßigen, freiwilligen Einsatz vieler Menschen in Deutschland würdigt.“ Da es ihnen mit ihrer „ausgeprägten Pushwirkung“ gelinge, „Termine und Veranstaltungen bekanntzumachen und noch nicht Engagierte zum Mitmachen zu inspirieren“, erzeugten sie „ein so genanntes Public Good“ und leisteten „einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eine Infrastrukturförderung der Zustellung ist daher die Basis dafür, dass dieser wichtige Beitrag auch künftig geleistet werden kann.“ „Offensichtlich haben die Verleger zwei getrennte Kassen: Eine für den Gewinn und eine für die Vertriebskosten“, kommentiert Roland Tichy süffisant.