Protestieren statt studieren
19. Dezember 2019 von Thomas Hartung
In der Voradventswoche hatte das von der Bewegung „Fridays for Future“ initiierte Netzwerk #week4CLIMATE zu einer deutschlandweiten Aktionswoche aufgerufen, die am 29. November mit dem 4. Globalen Klimastreik endete. Allein in Dresden liefen 6.000 jugendliche Teilnehmer sinnigen Sprüchen hinterher wie „Blaukraut bleibt Blaukraut und Braunkohle bleibt Scheiße.“ Die TU Dresden, Exzellenz-Uni und aktiv im Kampf gegen alles Nicht-Linke, freute sich mitzuteilen, dass sie zur Aktionswoche einer „Public Climate School“, organisiert von Students for Future und der TU-Umweltinitiative tuuwi, Möglichkeiten für Workshops, Vorträge und Aktionen anbiete. Denn „für die TU Dresden steht es außer Frage, dass der Klimawandel mit seinen weitreichenden Konsequenzen für Mensch und Umwelt die größte gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit ist und künftig sein wird“, protzt sie auf der Seite ihrer Pressestelle. Das Angebot umfasste auch die kostenlose Nutzung eines Hörsaalfoyers sowie des zugehörigen Gebäudevorplatzes durch die Gruppe HSZfürsKlima.
Reicht nicht, befanden die Klimaschützer und verlangten für die gesamte Woche das Audimax im Hörsaalzentrum mit rund 1000 Plätzen. Geht nicht, begründete die Universitätsleitung mit Kurzfristigkeit und Raumnot ihre Absage: Dafür hätten sämtliche Vorlesungen im Audimax ausfallen müssen, da es keine Ausweichorte gibt. Egal, befanden die Klimaschützer und besetzten am Auftaktmontag das Audimax mit ca. 50 Personen trotzdem. Hausfriedensbruch, zetert die TU und holt die Polizei. Stunden später ziehen die Beamten ab und knickt die Universitätsleitung ein, indem sie bis auf weiteres auf die Durchsetzung des Hausrechts mit Polizeigewalt verzichtet: sie handele „im Interesse ihrer Studierenden und auch der zwischenzeitlich im Raum befindlichen Kinder, die anscheinend von der Besetzergruppe mitgebracht wurden“.
Das ist kein Witz. Selbsternannte Klimaschützer erpressen sich durch eine Straftat eine befristete Duldung zur Durchsetzung ihrer Interessen, weil die TU eventuell unangenehme Bilder fürchtet. Dass sie damit wie selbstverständlich einen Rechtsbruch normalisiert und den Rechtsstaat ad absurdum führt, interessiert die Unileitung offenbar nicht, was ein bezeichnendes Licht auf ihr Rechtsverständnis wirft. Dieser Vorgang beschreibt nicht nur treffend das Dilemma Deutschlands seit der Grenzöffnung 2015, sondern beweist auch, das heute im Namen des Hehren, Guten und Schönen jede Minderheit einer Mehrheit im Namen der „richtigen Moral“ vorschreiben darf, was sie zu tun und zu lassen hat.
Denn mehrere Hundert Studenten wollten gern eine ungestörte Vorlesung besuchen – und mussten dann erleben, dass die paar Aktivisten nicht nur die Mikrofonnutzung ihres Dozenten unterbanden, sondern selbst für ihre Inhalte beanspruchten. Doch „ohne Mikrofon ist trotz aller Bemühung von Dozenten, den Audimax nur mit ihrer normalen Stimme zu füllen, kein gesicherter Vorlesungsbetrieb möglich und die Chancengleichheit der teilnehmenden Studierenden nicht gewährleistet“, begründete die Uni ihre Entscheidung: Die hinteren Reihen seien benachteiligt. Aber mit Mikrofon sei für alle Gruppen im Raum eine „chancengleiche Wissensvermittlung ebenfalls nicht möglich, da ein Stimmwirrwarr dem Lernerfolg nicht förderlich ist“, belehrt sie den staunenden Leser weiter. Damit hat die Gruppe wie ursprünglich geplant den verlangten „Ort des Austauschs und der Vernetzung“ zum Diskurs darüber erhalten, wie „eine selbstorganisierte Uni für alle mit dem Ziel der Klimagerechtigkeit“ zu schaffen ist.
„Klimakrise und Rechtsruck“
Der Vorgang ist ein Musterbeispiel pazifizierter Behörden, die einerseits Rechtstreue einfordern, aber andererseits weder willens noch imstande sind, sie selbst durchzusetzen. „Wir empfinden die Aktion der Besetzer als Vertreibung, als einen demokratiefeindlichen und unfriedlichen Akt und unsolidarisch gegenüber anderen Interessengruppen“, offenbart die Unileitung ihre Gefühle. Doch weil die Gruppe HSZfürsKlima mit ihrer Besetzung das klare Statement setzte, „dass sie ihre Aktion durchzieht, da sie nach eigenen Aussagen eine maximale Störung des Vorlesungsbetriebs erzielen möchte“, hat sich die TU Dresden „entschieden, auf Druck nicht mit Gegendruck zu reagieren.“
Mit anderen Worten: Der Klügere gibt nicht nur nach, sondern ist auch der ideelle Sieger, selbst wenn er der reelle Verlierer ist. Generös teilt die Uni mit, der Gruppe anderntags, „auch wenn das Rektorat dies ausdrücklich nicht billigt“, wieder Zutritt zu gewähren, „wenn sie sich friedlich verhält und keine Schäden verursacht werden. Eine Übernachtung in Gebäuden der Universität ist grundsätzlich nicht gestattet.“ Dass durch die Besetzung Lehrveranstaltungen in Größenordnungen ausfallen, ist lässlich. Statt dankbar zu sein, kostenlos studieren zu dürfen, nimmt eine kleine Revoluzzer-Truppe ihre Kommilitonen in Geiselhaft.
Pikant: in einem Schreiben hat TU-Rektor Hans Müller-Steinhagen tags zuvor dem Netzwerk mitgeteilt, dass er die Verhinderung von Lehrveranstaltungen für mehrere tausend Studierende „als Rektor, der auch für einen ordnungsgemäßen Lehrbetrieb an der TUD verantwortlich ist, nicht dulden“ könne und werde. Und wörtlich: „Auch lenken Sie durch Ihre offenbar mehr auf eine Besetzung um der Besetzung willen zielende Haltung und Aktivität von der Beschäftigung mit der eigentlichen Fragestellung, dem Klimaschutz, ab.“ Dann versucht Steinhagen tatsächlich seine Autorität in die Waagschale zu werfen: „Die Besetzung von Hörsälen und Seminarräumen und die dadurch verursachte Störung des Lehrbetriebs und damit der Kernaufgabe der Universität untersage ich hiermit ausdrücklich.“
Zugleich bittet er zu bedenken, „dass auch ein ziviler Ungehorsam die Rechte anderer wahren muss, nicht nur das Hausrecht, sondern auch die Rechte der anderen Studierenden, die an Lehrveranstaltungen teilnehmen wollen“, und verweist auf die Rechtslage: „Hausfriedensbruch ist eine Straftat und wer entsprechend verurteilt ist, ist vorbestraft.“ Abschließend appelliert er noch: „Miteinander. Nicht gegeneinander. Es ist Raum für alle Aktivitäten.“ Warum er sich bei der tatsächlich erfolgten Besetzung derart vorführen ließ und seine eigene Argumentation ad absurdum führte, versucht die AfD-Fraktion Sachsen gerade in Kleinen Anfragen herauszufinden – zumal die Behauptung, dass Kinder anwesend gewesen seien, offenbar nicht den Tatsachen entsprach: der Vorwurf des Vorwands, eine Unterwerfungsgeste zu bemänteln, steht im Raum.
Politisch aber offenbart die Aktion noch viel mehr: unwissenschaftliche Behauptungen dürfen an einer Einrichtung der Wissenschaftsproduktion zu einer tagelang praktizierten Gehirnwäsche unter unserer Leistungselite von morgen führen. Denn das im Internet publizierte Wochenprogramm der Gruppe offenbart nicht nur ein vulgärkommunistisches Ökonomieverständnis („Gemeinsame Ökonomie – GemÖk“) und ein fragwürdiges Demokratieverständnis („Wie können wir als Kleingruppe eine wirksame Aktion auf die Beine stellen – Beispiel: Hausbesetzung“), sondern vor allem einen bezeichnenden Blick in die ideologischen Abgründe linksverqueren Denkens. Nicht nur, dass Zusammenhänge wie „Klimakrise und Rechtsruck“ konstruiert oder mit „Grünem Syndikalismus“ anarchorevolutionäre Szenarien diskutiert werden – die „Aktivisten“ rufen allen Ernstes zu einem „Planspiel: wir organisieren die Stadt neu“ auf.
Dahinter steht die Fiktion, dass während einer „Revolution“ 2024 eine Regierung „‚zum Schutze der Republik‘ Giftgasanschläge auf Dresden“ ausführt, „einer der anarchistischen Hochburgen“. Geprobt werden soll, wie „aus einem der größeren Flüchtlingslager im Gebiet der AZS (Autonome Zone Sachsen)“ von „ersten mutigen Pionieren“ die menschenleere Stadt neu organisiert werden kann. Damit wird aus einem grünen Hirngespinst nun die erste Trockenübung. Das ist keine Öko-Dystopie mehr, sondern eine spinnerte Dummheit aus Köpfen, deren Hirne zu infantilen Sandkästen mutiert sind. Dass daneben auch noch ein Workshop über eine Selbstverpflichtungserklärung der Uni-Angehörigen abgehalten wird, auf dem Forderungen nach dem Ende des motorisierten Individualverkehrs oder einem Verbot tierischer Lebensmittel bei Konferenzen diskutiert und auf einem anderen „motivierte cis-Männer“ zur Beteiligung bei „Ende Gelände“-Aktionen geworben werden sollen, rundet das Bild ab.
„schlichtweg dumm“
Der Dresdner Ring Christlich-Demokratischer Studenten RCDS erboste sich noch am selben Abend: „Das Verhalten des Rektors ist kontraproduktiv und zerstört seine eigene Autorität als Hausherr. … Wir fordern den Rektor daher auf, das Audimax noch heute räumen zu lassen!“ Und legte tags darauf in einem deftigen Facebook-Post nach: „Unser Campus ist ein Ort für schlaue Köpfe, innovative Nachwuchshoffnungen und auch für leidenschaftliche Weltverbesserer. Leider seid ihr nichts von alledem. Anders als uns geht es euch nicht um echten Klimaschutz, um den fairen Wettstreit der Argumente und um konkrete Maßnahmen an unserer Uni. … Wer nur um des Protestierens willen protestiert, Lehrveranstaltungen stört, illegal Gebäude besetzt und Menschen mit anderen Meinungen bepöbelt, ist nicht besonders ‚engagiert‘, ‚tolerant‘ oder ‚offen‘. Er ist schlichtweg dumm.“
Bändesprechenderweise auf dem linksextremen Portal indymedia, versuchten das die Aktivisten natürlich zu kontern. Zunächst stellten sie studierwillige Studenten als Weicheier dar: „Als die Information die Runde machte, dass in dieser Woche wohl keine weiteren Vorlesungen im Audimax stattfinden würden, brachen einige Maschinenbau Studis tatsächlich in Tränen aus. Viel deutlicher kann mensch die eigene Unfreiheit kaum demonstrieren.“ Und entlarvten sich dann selbst: „Der wahre Skandal ist nicht, dass der Saal besetzt ist und die Vorlesungen ausfallen, der Skandal ist der enorme Leistungsdruck und dass das Bildungswesen der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen ist. Der Logik, die so sehr wie nichts anderes für Klimawandel steht. Was bringt dir die Vorlesung Konstruktionslogik I, wenn die Klimakatastrophe kommt?“
Es grenze an einen Witz, im Zusammenhang mit Universitäten im Jahr 2019 von Leistungsdruck angesichts von Fächern wie Gender Studies, Queer Studies und anderem Unfug zu schreiben, befindet der Blog sciencefiles und mutmaßt: „Der Kern des meisten Aktivismus ist der Versuch, sich ein Auskommen außerhalb des gesellschaftlichen Wettbewerbs zu verschaffen, konkurrenzlos und über Steuerzahler finanziert“. Unterzeichnet war der indymedia-Eintrag von „Prof. Dr. Antideutsch“ mit dem Slogan „Unter den Talaren – Muff von Patzelts Jahren“: Werner Patzelt, als „Pegida-Versteher“ verunglimpft, hatte jahrzehntelang einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft in Dresden inne und schrieb federführend am CDU-Landtagswahlprogramm 2019 mit. Dass der Unterzeichner damit den Straftatbestand des Missbrauchs von Titeln und Bezeichnungen erfüllt, wurde bislang nirgends thematisiert.
450 Studenten hatten dann eine Petition an Müller-Steinhagen gestartet und darin gefordert, dass der „planmäßige Lehrbetrieb im HSZ störungsfrei aufrechterhalten“ wird. Erst am vierten Tag machte die TU Dresden von ihrem Hausrecht Gebrauch: Die Türen des Audimax blieben für die Aktivisten verschlossen, Polizisten trugen einzelne Personen hinaus, die das Gebäude nicht verlassen wollten. Als Grund für die Räumung gab die Universität auf Twitter an, die Aktivisten hätten den Hörsaal im Internet als Schlafplatz für unabsehbare Zeit angeboten. Das widerspreche allen Absprachen zwischen der Universitätsleitung und der Gruppe. Welche Aktivisten tatsächlich Dresdner Studenten waren, ist gegenwärtig noch unklar – inzwischen steht fest, dass zwei Personen mit Hausverbot aus Niedersachsen kamen.
Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass der zu politischer Neutralität verpflichtete Müller-Steinhagen eine eigenwillige Interpretation von Recht und Gesetz an den Tag legt: er schämte sich öffentlich für den „Pegida“-Protest, sprach auf einer „Herz statt Hetze“-Kundgebung gemeinsam mit der Antifa und ließ gar linksradikale Gruppen in Räumen der Universität ein Blockade-Training für Demonstrationen üben. Während selbst SPD- und Grünen-Stadträte die Besetzung nicht für den geeigneten Weg halten, findet sie Anne Holowenko von den Linken gut: „Aus unserer Sicht ist die Besetzung eines der zentralen Räume der TU ein angemessenes Signal, um auf die Dringlichkeit der Klimafrage hinzuweisen“, sagte sie der Sächsischen Zeitung.
Der Dresdner Stadtrat übrigens wollte, wie durch 61 deutsche Kommunen bereits geschehen, im Dezember nach dem Nazi- nun auch einen Klimanotstand ausrufen. Aber sogar die Sächsische Zeitung musste zugeben, dass es sich damit um reine Symbolpolitik handeln würde: Klimanotstand ist kein Rechtsbegriff und gesetzlich mit keinen Konsequenzen verbunden. Es gehe nicht mehr um Wissensvermittlung geschweige denn Wissenschaft, „sondern nur noch um die Selbstreferentialität einer selbstgewissen Moral mit absolutem Wahrheits- und aktionistischem Durchsetzungsanspruch“, bilanziert der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion Sachsen, Rolf Weigand. Das sei verheerend und lasse für die Zukunft des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Sachsen das Schlimmste befürchten.