Eigener Hörsaal – wegen Studentenandrangs
17. Februar 2020 von Thomas Hartung
Elektrizität ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar kein neues Phänomen – aber ein ungelöstes Rätsel. Mit ihr befassen sich wissenschaftliche Bücher und Abhandlungen, vor allem aber ist sie eine Attraktion für Salons und Jahrmärkte: Elektrisiermaschinen sprühen Funken, Menschen lassen sich aufladen und geben sich elektrische Küsse. Elektrizität ist ein Spektakel, das die Phantasie des Publikums kitzelt. Ihre Kraft nutzen oder gar erklären, was hinter ihr steckt, kann man nicht. Dass sich das änderte, ist einem Italiener zu verdanken: Alessandro Volta.
Die bisher üblichen Elektrisier-Maschinen hatten zwar hohe Spannungen erzeugt, die sich aber in Sekundenbruchteilen entluden. Die „Volta-Säule“ dagegen produziert erstmals einen kontinuierlich fließenden elektrischen Strom über einen längeren Zeitraum. Erst damit werden Experimente möglich sein, die die Welt entscheidend verändern werden. Elektromagnetismus und Elektrodynamik, die Erfindung des Generators, des Elektromotors, der Glühbirne – das gesamte elektrische Zeitalter gründet auf Voltas Erfindung der Batterie als erster praktisch einsetzbarer Stromquelle. Am 18. Februar 1745 wurde er eines von insgesamt neun Kindern einer wohlhabenden und religiös geprägten Familie in Como geboren.
Die Karriere war dem Jesuitensohn nicht in die Wiege gelegt: Innerhalb zweier Generationen war er das einzige Familienmitglied, das kein kirchliches Amt bekleidete. Alle seine Onkel lebten im Dienst der katholischen Kirche, sechs Geschwister Voltas wurden ebenfalls Nonnen oder Priester. Auch sorgten sich seine Eltern um ihren Spross: selbst als Vierjähriger machte er noch keinerlei Anstalten zu reden. Doch die Sorgen waren letztlich unbegründet, zur Vorbereitung einer Juristenlaufbahn wurde er von 1758 bis 1760 auf eine strenge Jesuitenschule geschickt. Hier mauserte er sich wider Erwarten auch zum Sprachtalent: Schon bevor er die Schule verließ und sich weiter in die Wissenschaften vertiefte, hatte er Latein, Französisch, Englisch und Deutsch gemeistert.
Vor allem aber interessierten ihn keine Paragraphen, sondern naturwissenschaftliche Phänomene wie etwa die Elektrizität. Er bildet sich autodidaktisch weiter und las berühmte Naturwissenschaftler wie Giambatista Beccaria, einem der führenden Physiker Italiens und Professor an der Universität von Turin, mit dem er auch persönlichen Kontakt pflegte. Beccaria war es auch, der Volta ermunterte, physikalische Experimente durchzuführen und seine Erkenntnisse zu publizieren. 1769 veröffentlichte Volta seine erste wichtige Schrift „Über die Anziehungskraft des elektrischen Feuers und die Phänomene, die davon abhängen“, und kritisierte darin auch durchaus selbstbewusst wissenschaftliche Autoritäten.
Streit um den Galvanismus
Nachdem Volta 1774 Superintendent und Direktor staatlicher Schulen in Como geworden war, folgte dort 1775 seine Berufung zum Professor für Experimentalphysik. Im selben Jahr erfand er ein Elektrophor (später „Influenzmaschine“), mit dem man – mit Hilfe des Reibens von Katzenfell – eine elektrische Spannung aufbauen konnte. Das Prinzip wurde zur Grundlage aller Kondensatoren, bspw. des Kondensatormikrofons. Im Jahr darauf entdeckte Volta in Sümpfen aufsteigende Gasblasen mit dem brennbaren Methan und experimentierte damit. Er entwickelte die sogenannte Volta-Pistole, mit der es durch Entzündung von Methan möglich war, elektrische Funken zu erzeugen. Damit gilt dieses Gerät als der direkte Vorläufer des heutigen Gasfeuerzeugs. So gelang Volta die Konstruktion beständig brennender Lampen. Mit der Volta-Pistole war es zudem möglich, den Sauerstoffgehalt von Gas präzise zu messen: das Eudiometer war geboren.
Weitere Studien und Versuche, die Volta während seiner Zeit in Padua durchführte, hatten die Erfindung eines kleinen Elektroskops zur Folge, mit dem er das Verhältnis von Spannung und Ladung messen konnte. 1777 bereiste er die Schweiz und traf Voltaire. Im Jahr darauf wurde er zum Professor für Physik und später als Lehrstuhlinhaber für Experimentalphysik an die Universität Pavia berufen, wo er über 40 Jahre wirken sollte. Um dem Andrang der Studenten, die Voltas Vorlesungen hören wollten, gerecht zu werden, musste ein neuer Hörsaal angebaut werden. In Pavia erfand er ein („Strohhalm“-) Elektroskop zur Messung kleinster Elektrizitätsmengen, quantifizierte die Messungen unter Einführung eigener Spannungseinheiten (das Wort „Spannung“ stammt von ihm) und formulierte die Proportionalität von aufgebrachter Ladung und Spannung im Kondensator.
Seine Entdeckungen führten dazu, dass er im Jahr 1791 zum Mitglied der Royal Society, der berühmten Londoner Wissenschaftsgesellschaft ernannt und 1794 mit der renommierten Copley Medaille ausgezeichnet wurde, die heute als der direkte Vorläufer des Nobelpreises angesehen wird. Auf weiteren ausgedehnten Reisen 1792 lernte er den Stand der Naturwissenschaften u.a. in Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland kennen und trifft Lavoisier und Lichtenberg. Danach wird er auch sozial „sesshaft“: er beendet die jahrelange Beziehung zur Sängerin Marianna Paris und heiratete 1794 Teresa Peregrini, die Tochter einer vermögenden Adelsfamilie aus der Lombardei, mit der er eine glückliche Ehe führte und zwei (nach anderen Quellen drei) gemeinsame Söhne aufzog, denen er ein liebevoller und stolzer Vater gewesen sein soll.
1791 veröffentlichte sein Landsmann, der Anatom Luigi Galvani von der Universität Bologna die Ergebnisse seiner Untersuchungen zu einer neuen Elektrizität, die er erzeugt hatte, als er Froschschenkel mit zwei verschiedenen Metallen berührte. Galvani glaubte, dass diese Elektrizität vom Tiere (hier vom Frosch) erzeugt würde und nannte sie deshalb tierische („animalische“) Elektrizität. Viele Wissenschaftler waren – sehr zum Schaden der Frösche – fasziniert von dieser neuen Entdeckung und arbeiteten intensiv auf diesem neuen Gebiet. Die Rivalität zwischen den Universitäten mag eine Rolle gespielt haben, dass Alessandro Volta die Versuche wiederholte: „Wie kann man Ursachen finden, wenn man nicht sowohl Quantität als auch Qualität eines Phänomens untersucht?“ Dabei stellte er fest, dass der Froschschenkel lediglich die Rolle des Messfühlers spielt.
Seine Entdeckung: Zwischen zwei unterschiedlichen Metallen herrscht eine elektrische Spannung, die zu einem Ladungsstrom führt, sobald man sie auf eine elektrische Weise verbindet. Es entbrannte daraufhin ein Streit um den sogenannten Galvanismus, der Wissenschaftler in ganz Europa beschäftigte. Um seine Hypothese zu beweisen, stellt Volta Versuche an. Er ist sich nicht zu schade, dafür seinen eigenen Körper zu benutzen. An seine Zunge hält er unterschiedliche Metalle: Gold, Silber, Zinn. Immer, wenn die Metalle seine Zunge berühren, bildet sich eine sauer schmeckende Flüssigkeit, es fließt Strom. Volta experimentiert weiter. Er kombiniert unterschiedliche Metalle und stellt fest: Bei Berührung der Metalle laden sich die Metalle unterschiedlich auf – es entsteht eine elektrische Spannung, ganz ohne Froschschenkel. Dieser Effekt wird als „Volta-Effekt“ in die Geschichte eingehen.
Streit mit Galvani für sich entschieden
Volta stellt außerdem fest, dass sich die elektrische Wirkung verstärkt, wenn er die Metallplatten statt durch Wasser zusätzlich durch eine Säure befeuchtet, in seinem Fall stark verdünnte Schwefelsäure. Die Erklärung hierfür konnte erst durch die modernen Theorien der elektrochemischen Korrosion gegeben werden. Volta unterscheidet daher Leiter erster Klasse, die Metalle, von Leitern zweiter Klasse: Flüssigkeiten, die elektrisch leitend sind – Elektrolyte. Die Ladungsträger in ihnen sind nicht Elektronen, wie bei Metallen, sondern Ionen: elektrisch geladene Teilchen. Ein frisch gehäuteter Froschschenkel ist demnach nichts anderes als ein Leiter zweiter Klasse. Volta hat den Wissenschafts-Streit mit Galvani für sich entschieden.
Diese Untersuchungen zur Kontaktelektrizität mündeten schließlich 1799/1800 in die geniale Erfindung eines Elektrizitätsspeichers, der „Volta-Säule“: zwischen Glasstäben schichtet er immer eine Zinkscheibe, eine in Säure getauchte Pappe und darauf eine Kupferscheibe. Diese „Galvanische Zelle“ produziert eine elektrische Spannung: Die Zinkscheibe gibt Elektronen ab – ein Elektronen-Überschuss entsteht und damit negative Ladung. Kupfer nimmt Elektronen von Zink auf, so dass Elektronenmangel und damit positive Ladung entsteht. Verbindet man Plus- und Minuspol durch ein Kabel, fließt Strom. Stapelt man viele dieser elektrischen Zellen aufeinander, addieren sich die Spannungen zu einer Gesamtspannung. Damit hat Volta das Prinzip der Batterie erfunden: der chemischen Erzeugung von elektrischem Strom. Man nimmt an, dass der Prototyp eine Spannung von etwa 100 Volt erreicht haben dürfte.
Voltas Erfindung ist eine wissenschaftliche Sensation, die bereits 1802 in Massenproduktion geht. Ihr Erfinder wird mit Ruhm und Ehren überhäuft. 1801 reiste er nach Paris, wo er am 7. November Napoleon Bonaparte seine Batterie vorführte. 1802 erhielt er vom Institut de France die Ehrenmedaille in Gold und von Napoleon eine Pension. 1805 wurde er zum auswärtigen Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt. Seit 1808 war er auswärtiges Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Nachdem Napoleon Italien erobert hatte, ernannte er Volta 1809 zum Senator und erhob ihn 1810 in den Grafenstand. Durch seine hervorragenden Leistungen genoss er nicht nur bei Napoleon, sondern auch bei den Habsburgern einen exzellenten Ruf, wodurch seine Karriere durch die politischen Wirren jener Zeit keinen Schaden nahm. Nach der Erfindung der Batterie gab er Forschung und Lehre langsam auf, wurde aber durch die Ernennung zum Dekan der philosophischen Fakultät 1813 noch zum Bleiben bewogen bis zu seiner endgültigen Emeritierung 1819. Nicht nur von seinen Zeitgenossen, auch von seinen Studenten wurde er als freundlicher und kommunikativer Mensch beschrieben, der als Lehrer äußerst beliebt war. Im Ruhestand zog er sich auf sein Landhaus in Camnago nahe Como zurück, starb dort am 5. März 1827 und wurde auch ebenda begraben.
Die höchste Auszeichnung erlebte Volta nicht mehr: 54 Jahre nach seinem Tod, im Jahr 1881, benennt man nach einem britischen Vorschlag auf dem ersten elektrischen Weltkongress in Paris die Einheit für elektrische Spannung in „Volt“. Ein Mondkrater und ein Asteroid tragen ebenfalls seinen Namen. Die Erzeugung von Strom gilt heute fast überall auf der Welt als selbstverständlich und alltäglich – damals jedoch nicht. Der visionäre Experimentalphysiker und exzellente Beobachter hat innerhalb weniger Jahrzehnte den Grundstein für ein modernes Verständnis von Elektrizität gelegt und für viele Wissenschaftler den Weg geebnet, im Laufe des 19. Jahrhunderts die moderne Welt durch bahnbrechende Entwicklungen auf diesem Gebiet zu revolutionieren: Jules Verne war der Ansicht, dass man mit Hilfe der Elektrizität einfach alles zu leisten imstande ist, was der Mensch nur auszudenken vermag. Allerdings konnte Volta kaum ahnen, dass nicht nur Lampen oder Motoren, sondern auch der Elektrische Stuhl erfunden werden sollte. Erst recht nicht, dass der Strom dazu von landschaftsverunstaltenden und vögel- wie insektenschreddernden Windparks geliefert werden kann.