„unauffällige Professionalität“
27. März 2020 von Thomas Hartung
Selbst in seinem letzten Spiegel-Interview teilte der mittlerweile schwer Lungenkrebskranke nach allen Seiten aus. Erst kritisiert er das Privatfernsehen: „Die glauben, es reicht, eine schöne Frau oder einen jungen Mann vors Mikrofon zu stellen und sie Sätze voller hanebüchener Ahnungslosigkeit sagen zu lassen.“ Doch auch mit der ARD geht er hart ins Gericht: Ein Sündenfall sei die Beteiligung der Parteien bei der Gründung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewesen. Diesen „fleischgewordenen Proporz“ werde man aus den Anstalten nie wieder herauskriegen.
Der so vom Leder zog, gehörte als „Mister Tagesthemen“ zu den bekanntesten Journalisten Deutschlands: 700 Mal ging er mit dem Informationsformat auf Sendung, dessen Zuschauerzahl er binnen zweieinhalb Jahren von zwei auf vier Millionen verdoppelte. Seine „souveräne, einem Verkündungsstil abholde Form der Moderation, seine kritisch-distanzierte auf den Punkt formulierte Sicht der Tagesereignisse und seine unauffällige Professionalität“ hätten die Hauptnachrichtensendung so populär gemacht, lobte ihn die Jury der Eduard-Rhein-Stiftung bei einer Preisverleihung 1987.
Am 28. März 1995 erliegt er 68-jährig seiner Erkrankung – einen Tag nach dem Erscheinen „seiner“ Spiegel-Ausgabe. Ein „begehrter Junggeselle“ sei er den größten Teil seines Lebens gewesen, habe erst zum Lebensende in eine intakte Familie eingeheiratet, erinnert sich sein langjähriger Freund und Kollege Hermann Schreiber im NDR. „Dieser Sonntagsjunge hat den Sinn seines Sterbens in seinem Leben gefunden.“ Der Sonntagsjunge heißt Hanns Joachim „Hajo“ Friedrichs, gab dem bedeutendsten deutschen Journalistenpreis seinen Namen – und müsste heute erleben, wie seine Ideale von Preisträgern und Kollegen in den Schmutz gezogen werden.
„cool bleiben, ohne kalt zu sein“
Friedrichs wurde am 15. März 1927 im westfälischen Hamm geboren und wuchs gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Martin auf. Nach der Absetzung seines Vaters als Amtsbürgermeister des ehemaligen Amts Pelkum durch die Nationalsozialisten folgte eine unstete Zeit – Entwurzelung sei der Preis für ein Journalistenleben, wird er später sagen. Sein Kriegsabitur am Hennebergischen Gymnasium im thüringischen Schleusingen wurde nicht anerkannt. Er war Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienstmann und Soldat und geriet noch kurz in Kriegsgefangenschaft. In Herford legte er ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg sein Abitur ein zweites Mal ab.
1949 beginnt er ein Redaktionsvolontariat bei der Tageszeitung Telegraf in Berlin und reist zu einem Fortbildungskurs zum Thema „Parlamentarische Demokratie“ nach London, wo er einen ersten Text für die BBC über Berlin schrieb. Die journalistischen Maximen Charles Wheeler, Friedrichs‘ Lehrmeister und Mentor bei der BBC, prägten ihn zeitlebens, wie er in seiner Autobiographie schrieb und auch in seinem letzten Interview betonte: dass ein seriöser Journalist Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung halten und sich „nicht gemein machen [soll] mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.“
Bis zuletzt verteidigt er diese journalistischen Tugenden. Moderne Formen wie den Sensationsjournalismus lehnt er ab. Es sei nicht Aufgabe eines Moderators, die Leute zur Betroffenheit zu animieren. In England habe er „gelernt, zu informieren und zu erhellen, also aufzuklären, und dieses Verständnis von Journalismus hat mich vor allerlei Dummheiten geschützt.“ Im Herbst 1950 verpflichtete ihn der Sender für drei Jahre als Nachrichtenredakteur bei seinem Deutschen Dienst, „so eine Art Nachhilfeunterricht für Diktaturgeschädigte“. 1954 ist er dann auch erstmals im deutschen Fernsehen zu sehen – anlässlich einer Live-Übertragung der Feierlichkeiten zu Churchills 80. Geburtstag. 1955 kam Friedrichs in die Heimat zurück, erhielt eine Stelle beim damaligen NWDR in Köln als Korrespondent und Reporter und moderierte auch das Regionalmagazin „Hier und Heute“.
Friedrichs Berichte fielen auf, sein Ton war anders: lockerer, normaler als das häufig noch gepeitscht klingende Nachkriegsdeutsch anderer Reporter. 1964 wechselte er zum ZDF und ging für fünf Jahre als USA-Korrespondent nach Washington, bevor er 1969 die Nachrichtensendung Heute zu moderieren begann. Ab 1972 arbeitete er ein Jahr lang als Vietnam-Korrespondent. Nach seinem ersten Besuch in Saigon wäre er am liebsten für immer geblieben, erzählt er später. Der Reporter erlebt die Höhepunkte des Vietnamkrieges hautnah – die traumatischen Bilder suchen ihn noch Jahre später heim. Nach Vietnam sei er allerdings nicht wegen des Krieges gegangen. Die Kriegsberichterstattung habe ihn nie sonderlich gereizt, sondern vielmehr die Besonderheiten des Landes und seiner Bewohner.
Anschließend wurde ihm die Leitung des aktuellen sportstudios übertragen, das er 101 Mal moderierte – übrigens gegen den Widerstand des damaligen Vorsitzenden des Verwaltungsrats, Helmut Kohl. Friedrichs erinnert sich noch Jahrzehnte später an den launischen Machtmenschen: Als „kleiner Provinzreporter“ habe er den späteren Kanzler nach einer Landtagswahl mit seinem miserablen Wahlergebnis konfrontiert. Das habe Kohl ihm nie verziehen, meint Friedrichs. Auch mit der „nervigen Besserwisserei“ von Helmut Schmidt hat der Journalist seine Schwierigkeiten. „Das ist ein komischer Vogel. Ich hab den Schmidt bestimmt 20 Mal interviewt. Das war immer ganz knapp und cool“, sagt er dem Spiegel. „Das müssen Sie anders fragen“, soll Schmidt immer wieder arrogant geantwortet haben. 1981 kehrt der Fernsehjournalist ins ZDF-Studio New York zurück, wo er gemeinsam mit Dieter Kronzucker das erfolgreiche Magazin Bilder aus Amerika entwickelt.
„Es war schön bei Ihnen“
Im Oktober 1985 wechselt Friedrichs als „Erster Moderator“ zu den neu konzipierten Tagesthemen der ARD, die er abwechselnd mit Ulrike Wolf und später mit Sabine Christiansen moderierte. Er sah das als seine letzte Etappe, „von meinen Wünschen her ist das der Abschluss meines beruflichen Lebens“. Mit seiner sonoren Stimme wird er schnell zum Publikumsliebling, der auch von Kollegen geschätzt wurde. 1986 schrieb er im Medium Magazin, das Sprachgefühl sei die Hauptanforderung an einen Journalisten und „das Darstellen komplizierter Zusammenhänge in einfachem, gutem Deutsch ist nicht erlernbar.“ 1988 wandelte er auf den Spuren seines Tagesschau-Kollegen Wilhelm Wieben, der für Falcos „Jeany“ einen Newsflash aufnahm, und kooperierte mit Udo Jürgens: Friedrichs sprach den Prolog zu dem Lied „Gehet hin und vermehret Euch“, das sich angesichts der Zunahme der Weltbevölkerung kritisch mit der Sexualmoral der katholischen Kirche auseinandersetzte.
Er verkündete als erster „Seit heute wissen wir‘s: Barschel hat gelogen“, aber auch am 9. November 1989 um 22.42 Uhr: „Die Tore in der Mauer stehen weit offen“. Danach setzte der nächtliche Massenansturm auf die Grenzübergänge ein. Am 27. Juni 1991 moderierte Friedrichs letztmalig die Tagesthemen und wurde von Ulrich Wickert, bis dahin Fernsehkorrespondent in Paris, abgelöst. Grund dafür soll ein internes Kompetenzgerangel mit der damaligen ARD-Aktuell-Leitung gewesen sein. Seine Abschiedsworte mit rollendem R – „Es war schön bei Ihnen, all‘ die Jahre“ – wurden legendär. Es habe keinen einzigen Tag gegeben, an dem er ungern in die Redaktion gekommen sei, resümiert Friedrichs im Spiegel: „Viele Leute haben Berufe, die sie nur ausüben, um Geld zu verdienen. Sehen Sie sich doch mal in der U-Bahn um, morgens.“
Er habe sich immer verstanden als „Mensch, der mit am Esstisch sitzt, der ein bisschen mehr weiß, weil er die Fähigkeit hat, unbefangen in die Welt zu gucken und das, was er entdeckt, so wiederzugeben, dass die Leute ihm glauben“, bilanzierte er. In den folgenden Jahren war der ehemalige Anchorman unter anderem im ZDF als Moderator der erfolgreichen Tier- und Naturdokumentation Wunderbare Welt zu erleben, einem 45-minütigen Format der National Geographic Society. Friedrichs kümmerte sich aber auch bei RTL um die Ausbildung von Nachwuchsjournalisten, war als Berater beim Fernsehsender Vox tätig und schrieb seine humorvolle Autobiographie „Journalistenleben“, die zum Bestseller wurde und die er seiner langjährigen Lebensgefährtin Ilse Madaus widmete, die er 1994 kurz vor seiner Krebsdiagnose auf Sylt geheiratet hatte: „Ich habe 50 kriegsfreie Jahre erlebt, das ist schon mal was“. Sabine Christiansen verkündete Deutschland den Tod ihres großen Kollegen.
Seine letzte Ruhe fand er auf dem Friedhof Nienstedten in Hamburg Altona. Anlässlich der Trauerfeier würdigte NDR-Intendant Jobst Ploog Friedrichs als „Vorbild für eine ganze Generation von Journalisten“. Er habe eine im deutschen Fernsehen neue Form der Nachrichtenvermittlung geprägt, sein Stil überragende fachliche Kompetenz mit einem Hauch feiner Ironie verbunden. Nach seinem Ableben gründete seine Frau gemeinsam mit einem guten Dutzend Freunden einen Verein, der alljährlich herausragende und verdiente Fernsehjournalisten auszeichnet. Erster Preisträger des „Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus“, der seit 2002 mit 5.000 Euro dotiert ist, war 1995 der ARD-Auslandskorrespondent Thomas Roth.
„eingebracht in diesen Kampf“
Doch spätestens seit der Verleihung des Preises 2018 an Anja Reschke, ebenso selbst- wie sendungsbewusste Moderatorin von Panorama und Zapp, weil sie „Haltung ohne Arroganz, Toleranz ohne Beliebigkeit und Stehvermögen ohne Sturheit“ zeige, ist das Image des Preises ramponiert. Denn die 47-jährige fühlt sich eben nicht ausgezeichnet, weil sie sich mit keiner Sache gemein macht, sondern wegen ihrer „Haltung“. In ihrer Dankesrede, auf der Panorama-Seite dokumentiert, erklärt sie allen Ernstes, Friedrichs geflügeltes Wort würde „seit Jahren falsch zitiert“, sein Satz sei „aus dem Zusammenhang gerissen“ worden.
Es sei Friedrichs, so Reschkes These, allein darum gegangen, wie man es schaffe, auch schlimme Meldungen vorzutragen und dabei sachlich zu bleiben. „Es ging in dieser Frage und in der Antwort nicht darum, ob man sich als Journalist neutral verhalten müsse.“ Das müsse man nämlich ganz und gar nicht, so ihre Schlussfolgerung, und so habe es sicher auch Friedrichs gehalten, den sie zwar persönlich nicht mehr kennengelernt habe, der aber „durchaus ein engagierter Mann war“. Natürlich müssten Journalisten, so ihre Schlussfolgerung, korrekt recherchieren und ausgewogen berichten. Dennoch sei nun die Zeit gekommen, sich tatsächlich „gemein (zu) machen mit einer Sache“, und zwar mit „einer guten“. Und diese Sache sei die deutsche Verfassung.
Denn wenn „politische Gruppierungen“ mit „Kampagnen, verbalen Entgleisungen und bewussten Grenzüberschreitungen“ das Grundgesetz anzugreifen versuchen, müssten auch Journalisten sich „mit dem Kampf für das Grundgesetz und die Menschenwürde gemein machen“. Da die Demokratie, die Pressefreiheit, nie so offen infrage gestellt worden sei wie jetzt, hätte sicher auch Hanns Joachim Friedrichs sich eingebracht „in diesen Kampf“, endet sie. Dass sie sich zu wissen anmaßt, ob und wie er sich heute verhalten würde, ist nicht das Problem. Wohl aber, dass ihr gar nicht in den Sinn kommt, ob er vielleicht auch den gleichen Weg gegangen wäre wie etwa Eva Hermann. Das nachträgliche Umdeuten von Äußerungen Verstorbener, die sich dagegen nicht mehr wehren können, hat jedoch hierzulande Tradition.
Die Breitseite kam aber nicht unvorbereitet. Denn schon im legendären Spiegel-Interview sprach Friedrichs auch über Dinge, mit denen er sich sehr wohl gemein gemacht hatte, weil er sie für gut hielt: die SPD und ihre Vordersten. Er hätte es einmal „im Visier gehabt“, Oskar Lafontaines Regierungssprecher zu werden, wenn dieser 1990 Kanzler geworden wäre. Und so plädierte Martin Hoffmann bereits 2011 in einem inzwischen verschwundenen Blog-Beitrag dafür, dass Friedrichs „Objektivitäts-Dogma“ umgewandelt werden sollte in ein „Transparenz-Dogma“. Drei Jahre später ist für Eugen Epp der Journalist als objektive Instanz nicht realistisch „und in letzter Konsequenz womöglich auch gar nicht erstrebenswert“. Moderner, publikumsfreundlicher Journalismus „braucht eine ergebnisoffene Recherche ebenso wie klare Standpunkte“, schrieb er in Message, der Zeitschrift für Journalismus.
Im Mai 2017 zog Anton Sahlender, Leseranwalt der Mainpost, nach: „Medien dürfen sich grundsätzlich mit Sachen oder Entwicklungen gemein machen, wenn sie die (beispielsweise im Sinne unseres Grundgesetzes) für gut halten und sie dürfen sich gegen solche wenden, die sie für schlecht halten.“ Auch der umstrittene Wiener Journalist Armin Wolf sekundierte Reschke und meinte, dass Friedrichs immer wieder Position bezogen habe, etwa zu Wunderbare Welt, die er im Spiegel so beschrieb: „Die Sendung hat eine grüne Botschaft: Wenn der Mensch sich weiter so bemüht, dann kriegt er das auch noch kaputt.“ Und erst recht sekundierte Georg Restle, Chef des ARD-Politmagazins Monitor, in seinem „Plädoyer für einen werteorientierten Journalismus“. So sei im Gegensatz zu dem von ihm konstatierten journalistischen „Neutralitätswahn“ (!) die offengelegte Parteinahme nicht nur wahrhaftiger, sondern auch ehrlicher.
„Axt an die Wurzel der Pressefreiheit“
Damit wird Techniken das Wort geredet wie dem Verschweigen nicht passender oder dem Exponieren erwünschter Details oder Informationen, der Verwendung tendenziell ab- oder aufwertender Formulierungen oder auch dem häufigeren Ein- oder Nichteinladen politischer Gesprächspartner. „Wer sich so leichthändig und ganz bewusst mit scheinlogischen Begründungen vom journalistischen Handwerk verabschiedet und stattdessen der bevormundenden Haltungsschreiberei das Wort redet, legt damit, zugunsten des eigenen Sendungsbewusstseins, die Axt an die Wurzel der Pressefreiheit“, zürnt Gerhard Strate im Cicero. Er maße sich und der journalistischen Zunft an, zu bestimmen, welche Haltung die einzig „richtige“ wäre. Raymond Unger befand gar drastisch: „Systemtreue Künstler sind wie systemtreue Medien ein Zeichen dafür, dass der Kontrollmechanismus freier Gesellschaften versagt“.
Doch wenn Systemtreue plötzlich als Paradebeispiel für die moralische Selbstbeweihräucherung der Öffentlich-Rechtlichen gleich einem „Helden der Sowjetunion“ erscheint, weil sie Themen mit Meinungen und Meinungen mit moralischen Bewertungen verschmilzt, formiert sich ein Gesinnungsjournalismus, der abweichende Meinungen skandalisiert und jedem den Preis deutlich macht, der für Nonkonformismus zu zahlen wäre. Ein solcher Journalismus ordnet nicht mehr ein und berichtet über Tatsachen, sondern wertet und verurteilt. Und wenn die Zustimmung ausbleibt, sind Haltung und Politik halt nicht richtig erklärt worden. Damit liegt aus Sicht der Reporter der Fehler beim Empfänger der Nachricht, nicht beim Sender. Was für ein Berufsverständnis, das überdies der Bürger finanziert.
Die Ex-MDR-Programmdirektorin Nathalie Wappler hatte als designierte neue SRF-Direktorin in der NZZ am Sonntag eine spezielle Idee, mit dem Problem umzugehen: „Wir müssen ein Programm machen, das informiert, aber nicht polarisiert. Wir müssen keinen Meinungsjournalismus machen. Wenn wir in einem Beitrag einen Politiker zu Wort kommen lassen und wenn der Journalist dann den Eindruck erweckt, er wisse es besser, provoziert das einen Vertrauensverlust.“ Dieser Vertrauensverlust dürfte in Deutschland inzwischen irreparabel sein. Die Beschädigung des Hajo-Friedrichs-Preises war ein Mosaikstein auf dem Weg dahin. Daran ändert auch die Preisvergabe 2019 an die zwei vermeintlich unpolitischen Wissenschaftsjournalisten Mai Thi Nguyen-Kim (WDR) und Harald Lesch (ZDF) nichts. Denn Lesch hatte sich bereits monatelang als AfD-Gegner und Vertreter der Klimalobby positioniert.