„eine Pflicht der Frauen“
12. März 2020 von Thomas Hartung
Was für ein Skandal: „um unsere Sicherheit und Freiheit von den Apartheid- Muslimen des real existierenden Islam zurückzuerobern“, rief die Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Angelika Barbe im Juni 2018 zu einem AfD-Frauenmarsch in Berlin auf. Ihr Aufruf stand unter dem Motto „Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen“. Es war in den Nachrevolutionsjahren der „Frauen-Zeitung“ vorangestellt, die von einer Ikone der Frauenbewegung begründet und herausgegeben wurde: der Sächsin Louise Otto-Peters, die am 13. März 1895 in Leipzig starb.
Das sei einseitig, kulturchauvinistisch, ja rassistisch, beeilte sich der Vorstand der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. mitzuteilen, die vom Referat für Gleichstellung von Frau und Mann der SPD-regierten Stadt Leipzig gefördert wird. Es ginge zwar um einen gesellschaftspolitischen Kampf, aber keinen „gegen das vermeintlich Fremde“. Denn „Worte sind niemals wertfrei“ schob der Vorstand gar unter Rückgriff auf Victor Klemperer nach. Das Statement zeugt vom wütenden Protest gegen die vermeintlich rechte Vereinnahmung einer Linken – zu deren Lebzeiten diese politische Kategorie noch gar nicht auf der Agenda stand.
Denn Otto-Peters, die laut Klara Zetkin auch „eine Gefangene ihrer Klasse” blieb, trieb etwa anderes um: als der spätere Revolutionär Robert Blum fragte, ob Frauen das Recht hätten, sich an Politik zu beteiligen, antwortete Louise in einem vielbeachteten Leserbrief prompt „Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht allein ein Recht, sie ist eine Pflicht der Frauen.“ Dabei war sie überzeugt, dass Frauen nur dann freie Menschen sein und ihre Rechte durchsetzen könnten, wenn sie wirtschaftlich auf eigenen Füßen stünden. Sie sollten „nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet“ sein, sich ihren Unterhalt selbst zu verdienen: „„Jeder Emancipationsversuch, der auf einer andern Basis ruht, ist – Schwindel.“
„Lerche des Völkerfrühlings“
Ihr Engagement war ihr ganz und gar nicht in die Wiege gelegt: als jüngste Tochter eines Gerichtsdirektors gehörte sie zum gebildeten Mittelstand. Am 26. März 1819 wurde sie als Louise Otto in Meißen geboren und erhielt nach einer Biographin schon früh Zugang zu Literatur und Geschichte: „Sie saß noch auf dem Schoß der Mutter, als diese ihr schon aus Schillers Werken vorlas oder ihr von den griechischen Freiheitskämpfern erzählte.“ Als sie älter wurde, brachte man sie in Kontakt mit den Werken des „Jungen Deutschlands“. Für Mädchen ihrer Zeit war der Schulbesuch nur bis zur Konfirmation möglich. Diese Zurücksetzung ihres Geschlechts empfand sie früh als Unrecht und ließ die Konfirmation ein Jahr hinausschieben, um länger lernen zu können. Ihre Eltern starben kurz nacheinander an Tuberkulose, als sie 16 Jahre alt war; 22jährig verlor sie auch ihren Verlobten. Die Werbung eines reichen Adligen schlug sie aus.
Durch ihr Erbe zunächst finanziell abgesichert, wandte sie sich früh dem Schreiben zu und verfasst zuerst Gedichte, die im Meißner gemeinnützigen Wochenblatt gedruckt wurden. Ein Aufenthalt bei einem Schwager 1840 in Oederan, der eine Weberei besitzt, konfrontiert sie mit dem Elend der Fabrikarbeiter. Ihr Mitleid und ihre Empörung ob dieser Ausbeutung lässt sie Partei ergreifen: „Ich blickte entsetzt in einen Abgrund. Lange bevor ich etwas von Socialismus und Communismus gehört und gelesen, stellte ich die Frage: warum denn die Einen in Unwissenheit, Armuth und Entbehrung dahin leben müßten und die Andern sie dafür noch verachten dürften, ja von ihrer Arbeit den eignen Mammon mehren dürften.“ Ihr Gedicht „Die Klöpplerinnen“ erscheint im Oederaner Stadtanzeiger und löst wegen seines sozialkritischen Inhalts Empörung aus.
Für alle Biographen liegt in dem Erlebnis der Schlüssel zu ihrem politischen Engagement. „Ich habe jetzt ein Ziel, einen Lebenszweck: die literarische Laufbahn. Ich strebe nicht nach Ruhm und Ehre, aber nach Einfluss aufs Ganze“, schrieb sie 1843 in ihr Tagebuch und trat seitdem mit Romanen und journalistischen Beiträgen an die Öffentlichkeit. Ihr erster Roman hieß „Ludwig der Kellner“, insgesamt wird sie, teilweise unter dem Pseudonym Otto Stern, 60 Bücher veröffentlichen, darunter 28 meist mehrteilige Romane, aber auch Erzählungen, Novellen, historische Reflexionen, Streitschriften und Essays, dazu unzählige publizistische Texte. In allen Arbeiten warf sie zwei Forderungen mit großem Nachdruck immer wieder auf: Erstens, die Arbeitswelt für Frauen zu öffnen und zweitens, die Lebensbedingungen für Frauen zu verbessern.
Bereits 1846 kam ihr bedeutendster sozialkritischer Prosatext „Schloss und Fabrik“ heraus, in dem sie die bittere Not der Industriearbeiter und deren Aufbegehren beschrieb und der zu den wichtigsten Romanen des Vormärz zählt. Er konnte zunächst nur zensiert erscheinen und durfte erst nach einer Audienz beim sächsischen Innenminister Freiherr von Falkenstein und der Veränderung der verbotenen Stellen veröffentlicht werden. Ihre 1847 erschienene Gedichtsammlung „Lieder eines deutschen Mädchens“ trug ihr den Namen „Lerche des Völkerfrühlings“ ein.
„Mitwirkung zum Umsturze“
1848 produzierte sie einen kleinen Skandal mit der „Adresse eines Mädchens an den hochverehrten Minister Oberländer, an die von ihm berufene Arbeiterkommission und an alle Arbeiter“. Darin fordert sie von der bürgerlichen sächsischen Regierung, bei der Organisation der Arbeit die Frauen nicht zu vergessen und für die Kommission auch Frauen zu benennen – heute würde man von Frauenquote sprechen. In persönlichen Gesprächen mit Ministern wies Louise auf das Recht der Frauen auf Erwerbsarbeit und auf die dafür notwendige Kinderbetreuung hin. In dieser Zeit organisierte sie Versammlungen, unterstützte die Gründung von Dienstmädchenvereinen und empfing Abordnungen von Arbeitern.
Die Revolution begrüßte sie mit Begeisterung, doch bald war sie enttäuscht von den Kämpfern für Freiheit und Gleichheit: „Wo sie das Volk meinen, da zählen die Frauen nicht mit.“ Die Frauen müssten selbst ihre Rechte fordern, sonst würden sie vergessen – so Ottos Überzeugung. Deshalb gründete sie 1849 eine „Frauen-Zeitung“. Das verschärfte die Aufmerksamkeit der sächsischen Zensurbehörde: Hausdurchsuchungen und Verhöre folgten, 1851 wurden die von ihr mitbegründeten Dienstboten- und Arbeiterinnenvereine aufgrund des preußischen Vereinsgesetzes verboten.
„Insbesondere hat es das Blatt sich zur Aufgabe gestellt, auf das weibliche Geschlecht einzuwirken und es der Mitwirkung zum Umsturze geneigt zu machen, zu welchem Behufe auf die Notwendigkeit einer sogenannten Emancipation des weiblichen Geschlechts aufmerksam gemacht wird“, hieß es in einem Schreiben des sächsischen Innenministers. Als ultimativer Schlag aus Dresden galt die „Lex Otto“: das eigens dazu geänderte sächsische Pressegesetz untersagte Frauen die Herausgabe von Zeitungen. Otto wich mit der Redaktion nach Gera aus, bevor 1852 ein endgültiges Verbot durch ein ähnliches preußisches Gesetz erfolgte.
Seit der Revolution mit dem Publizisten August Peters bekannt, der eine Festungsstrafe absitzen muss, feierten beide 1852 im Gefängnis von Bruchsal Verlobung. 1858 heiraten sie und ließen sich zuerst in Freiberg, dann in Leipzig nieder. Hier sind beide maßgeblich an der Redaktion der seit 1861 sechsmal wöchentlich erscheinenden Mitteldeutschen Volks-Zeitung beteiligt – August hatte bereits das Erzgebirgische Industrie- und Familienblatt – Glück auf sowie den Leipziger Generalanzeiger gegründet. Louise leitet das Feuilleton der Volks-Zeitung und publiziert selbst zu Frauenthemen. Neben anderem verfasste sie den Text der Oper „Theodor Körner“, die der Komponist Wendelin Weißheimer eigens zum 50. Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig komponiert hatte.
Karrierehöhepunkt „Allgemeiner Deutscher Frauenverein“
Bereits 1864 stirbt ihr Mann, vermutlich an den Spätfolgen der Haft; die Ehe bleibt kinderlos. Im Jahr darauf, nach der Mitbegründung des Leipziger Frauenbildungsvereines mit ihr als Vorsitzende, erlebt sie im Oktober den Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Auf der Gesamtdeutschen Frauenkonferenz in Leipzig gründet Otto-Peters zusammen mit Auguste Schmidt und Marie Löper-Houselle den „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ (ADF) und läutet damit den Beginn der organisierten deutschen Frauenbewegung ein. Die Ziele des Vereins sind insbesondere die Rechte der Frau auf Bildung, Erwerbsarbeit und Zugang zum Universitätsstudium. Otto-Peters wird Vorsitzende und tritt dafür ein, dass ausschließlich Frauen Mitglied im ADF werden können. Nach fünf Jahren hatte der Verein bereits um die 10.000 Mitglieder. Die Generalversammlungen wurden jährlich an verschiedenen Orten in Deutschland abgehalten. Aus ihnen gingen oftmals örtliche Vereinsgründungen hervor. Dadurch konnte ein deutschlandweites Netz aufgebaut werden, das 1889 schon mehr als 20 Mitgliedsvereine zählte.
Parallel zur Gründung kam das Vereinsorgan „Neue Bahnen“ heraus, ein Zweiwochenblatt, das Otto-Peters 30 Jahre lang als Mitherausgeberin verantworten sollte. 1866 erscheint ihre Schrift „Das Recht der Frauen auf Erwerb“. Erstmals leidet sie trotz weiterer produktiver Schriftstellerei an materiellen Sorgen: die Zeitungsgründungen ihres verstorbenes Mannes hinterließen Schulden. Belegt sind in den Jahren 1869, 1870 und 1874 bis 1876 jeweils Ehrengaben von 300 Mark von der Deutschen Schillerstiftung. 1869 vertrat sie den ADF mit einem Redebeitrag auf dem Philosophenkongress in Frankfurt. Darüber hinaus nahm sie an Schriftstellerkongressen teil und wurde 1874 Ehrenmitglied des Wiener Grillparzer-Vereins und 1892 des von ihr mitgegründeten Leipziger Schriftstellerinnen-Vereins.
Schon seit 1873 wollte sie das Amt der Vorsitzenden des Frauenvereins abgeben, jedoch erfolglos. Entgegen ihrer Überzeugung sah sie sich 1885 entsprechend der herrschenden Gesetzeslage gezwungen, auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung des ADF nicht nur seiner Umwandlung in eine Genossenschaft zuzustimmen, sondern auch beschließen zu lassen, dass verheiratete Frauen künftig nur noch mit Zustimmung ihres Ehemanns Mitglied werden durften. Volljährige unverheiratete Frauen konnten weiterhin selbstständig entscheiden.
„Führerin auf neuen Bahnen“
Ab Ende der 1880er Jahre ließen ihre Arbeiten nach, drei Jahre vor ihrem Tod legte sie das leitende Amt des Leipziger Frauenbildungsvereins nieder. 1894 übergab sie dann auch die meisten Aufgaben im ADF an Auguste Schmidt. In diesem Jahr allerdings kann sie noch einen großen Erfolg ihrer Arbeit erleben: bei der Eröffnung der ersten Gymnasialkurse für Mädchen in Leipzig hat sie zu Ostern ihren letzten öffentlichen Auftritt. Außerdem wurde sie bis zu ihrem Tod von einer Ärztin betreut, die mit einem Stipendium des AdF an einer Schweizer Universität ausgebildet worden war.
Schon seit 1900 erinnert in Leipzig ein von Adolf Lehnert geschaffenes Denkmal an die „Führerin auf neuen Bahnen“. Am noch erhaltenen Geburtshaus in Meißen wurde aus Anlass ihres 100. Geburtstags 1919 eine Erinnerungstafel angebracht und in Leipzig per Notlösung eine Straße nach ihr benannt: In einem frisch eingemeindeten Ortsteil gab es eine Petersstraße, eine Sackgasse, deren Name ergänzt wurde. Auch in mehreren anderen sächsischen Städten tragen Straßen ihren Namen, ebenso Schulen und Pflegeheime. Als EMMA in ihrer ersten Ausgabe im Februar 1977 die Reihe „Unsere Schwestern von gestern“ startete, war sie die erste, die in dieser Serie über feministische Pionierinnen porträtiert wurde. Der Grund war einfach: Louise Otto-Peters „war zu Beginn der Neuen Frauenbewegung die einzige, deren Namen wir kannten“, erinnert sich Alice Schwarzer.
1993 schließlich wurde in Leipzig die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft gegründet, die nicht nur Leben und Werk der Namensgeberin erforscht und in der Öffentlichkeit bekanntmacht, sondern seit 2015 auch einen frauenpolitischen Gedächtnispreis vergibt. Letzte Preisträgerin war die Rapperin Sookee, die in ihrer Musik unter anderem auf die „Wirkmächtigkeit von stereotypen Geschlechterrollen“ aufmerksam mache und Aktionen gegen das Castingformat Germany’s Next Topmodel unterstützt. Ihre Tracks klängen aber „häufig wie eine Vorlesung aus einem Soziologie-Grundstudium“, kritisiert Florian Reiter im Vice Magazin. Ob das die Namensgeberin gut gefunden hätte, darf bezweifelt werden.