„Schönheit lockt mich“
11. Mai 2020 von Thomas Hartung
Als das ZDF für seine Serie „Die Deutschen“ daran ging, sein Leben zu verfilmen, wählte der Sender nicht nur „die Liebe“ als titelgebenden roten Faden, sondern gleich noch „Der sächsische Casanova“ als Untertitel: gemeint war Sachsens Kurfürst Friedrich August „der Starke“. Die boulevardeske Überspitzung war nicht ganz falsch. „Er unterhielt eine Art Harem der schönsten Frauen seines Landes. Als er starb, berechnete man, dass er von seinen Mätressen 354 Kinder gehabt habe“: dieses Notat der spitzzüngig-boshaften Bayreuther Markgräfin Wilhelmine, Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, gilt heute zwar als übertrieben. Aber elf Mätressen und acht anerkannte uneheliche Kinder des Lebemanns sind belegt.
Am bekanntesten wurde die 1704 begonnene Liaison mit der schönen und geistreichen Anna Constantia, die mit seinem Minister Hoym unglücklich verheiratet war. Sie stellt nicht nur ihre eigenen Medikamente und Kosmetika her, sondern kann auch Branntwein brennen und Bier brauen, ist bewandert in Mathematik, Sprachen sowie antiker Geschichte, dazu bibel-, trink- und sattelfest: „schießend und reitend wie ein Kerl“, heißt es. August wirft seine Maxime „Schönheit lockt mich, Charakter widert mich an“ über den Haufen, lässt sich gar auf einen heimlichen Ehevertrag ein, um sie zu bekommen, und schenkt der Angebeteten nach ihrer erfolgreichen Scheidung von Hoym, inzwischen Reichsgräfin von Cosel, das Taschenbergpalais, heute ein Fünfsternehotel, sowie Schloss Pillnitz.
Doch als er 1712 aus politischen Erwägungen heraus wieder eine polnische Mätresse braucht und sich die Cosel, die ihm mittlerweile drei Kinder geboren hat, vehement wehrt, lässt er sie fallen. Den Kindern ließ er eine ausgezeichnete Bildung zukommen, verheiratete sie gut und sicherte sie finanziell ab – die Gräfin dagegen kam als politische Gefangene ohne Urteil auf die Festung Stolpen, wo sie 49 Jahre lang gefangen blieb. Sie überlebte August 32 Jahre, niemand fühlte sich für ihr Schicksal zuständig, sie wurde bis zu ihrem Tod „verwaltet“. Der rücksichtslose Umgang mit seiner Umgebung trübt sein Bild bis heute: Er zögerte nicht, in Ungnade gefallene Vertraute, Frauen wie Männer, in Festungshaft setzen zu lassen.
Unglückliche Ehe
Der zweitälteste Sohn Johann Georgs III. von Sachsen kam am 12. Mai 1670 in Dresden zur Welt, erfuhr eine umfangreiche standesgemäße Ausbildung und wurde sowohl von der luxusliebenden Hofhaltung seines Großvaters Johann Georg II., bei dem er seine Kinderjahre verbrachte, als auch den prunkvollen Festen am Dresdner Hof geprägt. Sein Verhältnis zu seinem älteren Bruder Johann Georg, dem Thronerben, war nicht gut. 1687 ging er zwei Jahre lang auf „Kavalierstour“ zu seiner Einführung an den ausländischen Höfen, darunter nach Frankreich, wo ihn Versailles tief beeindruckte, Spanien, Portugal, England, Holland, Schweden, Italien und Österreich. 1690 überlebte er aufgrund seiner starken Konstitution die Blattern.
1693 heiratete er in Bayreuth Christiane Eberhardine, Prinzessin von Brandenburg-Bayreuth, um die sein Vater längere Zeit hatte werben müssen. Die Ehe verlief nicht nur aufgrund von Augusts vielen Affären höchst unglücklich, nach der Geburt des Thronfolgers nahm Christiane einen Brand im Residenzschloss zum Vorwand, nach Schloss Hartenfels in Torgau sowie ihrer Sommerresidenz in Pretzsch zu ziehen; nach Dresden kam sie nur noch selten. Zeitlebens fromm und tugendhaft, ging sie in die Geschichte als „Betsäule Sachsens“ ein, zu deren Begräbnis 1727 weder ihr Mann noch ihr Sohn kamen.
Am 27. April 1694 starb völlig überraschend Augusts älterer Bruder Johann Georg IV. kinderlos an den Pocken, nachdem er sich am Totenbett seiner Mätresse angesteckt hatte, so dass August plötzlich Kurfürst wurde. Vor sechs Jahren jedoch trat der Dresdner Historiker Mike Vogler mit der These an die Öffentlichkeit, dass August seinen Bruder ermordet habe: „Die bei der Obduktion festgestellten grünen und gelben Flecken werden auch durch das damals nicht nachweisbare italienische Gift ‚Aqua Tofana‘ hervorgerufen“, sagte er BILD.
August, der sich eher auf dem Karneval in Venedig und den Festen des hohen Adels zuhause fühlte, hatte zwar noch keinerlei Erfahrung in der Führung einer Landesverwaltung, glich aber, was ihm an Wissen fehlte, durch Tatkraft und Raffinesse aus und übernahm ohne Zögern mit 24 Jahren die Regierungsgeschäfte. Innenpolitisch hat der neue Kurfürst die damals üblichen Probleme: Der alteingesessene Adel beansprucht Mitspracherecht, was Steuern und Abgaben betrifft. Friedrich August drängt den Einfluss des Adels zurück und versucht, im Geist des Absolutismus zu regieren. Er förderte die sächsische Wirtschaft nach den Grundsätzen des Merkantilismus mit Staatsmitteln und orientierte sie nicht zuletzt mit der Leipziger Messe auf Export.
Als wirtschaftlich bedeutsam erwiesen sich die Gründung der ersten Staatsbank im deutschen Raum 1698 mit Sitz in Leipzig, die Errichtung einer Landeslotterie und die Reform der sächsischen Post, die damals die schnellste im Deutschen Reich wurde. Insgesamt wurden in Augusts Regierungszeit in Sachsen 26 Manufakturen geschaffen, allen voran die Meißner Porzellanmanufaktur. Aber er betätigte sich auch selbst als Unternehmer, etwa mit der Olbernhauer Waffenschmiede sowie einer Fayence-Manufaktur.
Königsabenteuer Polen
Denn der Dresdner Hof braucht jede Menge Geld, steht nach dem Tod Johann Sobieskis 1697 doch der polnische Königsthron zum Verkauf: Polen ist ein Wahlkönigtum, Wähler sind die Mitglieder des Sejm, des polnischen Adelsparlaments. Mit dem Erwerb der polnischen Königswürde wollte August eine Rangerhöhung erreichen, ein zeittypisches Phänomen, das ihm größere politische Souveränität sichern sollte. Vor allem bei den Friedensverträgen nahm ein gekröntes Haupt einen Vorrang gegenüber Fürsten ein. August nimmt Kredite auf, erhöht Steuern und veräußert ganze Landstriche Kursachsens, allen voran seine Ansprüche auf das Herzogtum Sachsen-Lauenburg. Den Sejm, berichten Augenzeugen, habe er unter Ströme von Geld und Alkohol gesetzt.
Begierig auf den Titel, konvertiert er gar heimlich zum Katholizismus, da ein König von Polen eben nur katholisch sein kann – obwohl Sachsen als Mutterland der Reformation gilt! Außenpolitisch verlor Sachsen mit dem Glaubenswechsel die Führungsrolle unter den evangelischen Reichsständen an Brandenburg-Preußen. August soll während des polnischen Abenteuers rund 39 Millionen Reichstaler allein an Bestechungsgeldern ausgegeben haben. Eine entscheidende Rolle spielt sein gutbezahlter jüdischer Hofbankier Issachar Berend Lehmann, der in Halberstadt eine Synagoge und eine Bildungsstätte baut, heute Sitz der „Moses-Mendelssohn-Akademie“. Auch in Dresden erstarkte die jüdische Gemeinde dank Lehmanns Reputation.
Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ihm und einem ungeliebten Vetter des Sonnenkönigs Ludwig XIV. wurde Kurfürst Friedrich August am 15. September 1697 in Krakau als August II. Mocny zum polnischen König gekrönt. Doch er ist mit seinem Erfolg nicht glücklich geworden, da er sich in eine Auseinandersetzung mit dem expandierenden Schwedenreich einließ. Im Nordischen Krieg von 1700 bis 1721 verlor er eine Schlacht nach der anderen gegen den militärisch überlegenen Karl XII., der August 1704 schließlich als polnischen König ab- und 1706 gar Sachsen besetzte. Ein Jahr lang dauerte die schwedische Besatzung und kostete den sächsischen Staat über 30 Millionen Taler. Der Altranstädter Friede 1706 war für August demütigend.
Erst der Sieg des russischen Zaren über die Schweden ermöglichte August 1709 die Rückkehr nach Polen und die Wiedereinsetzung als König. Die Verhältnisse blieben kompliziert: für Reformen im Sinne des Absolutismus bestand keine Aussicht, eine zentrale Wirtschafts- und Finanzpolitik war in Polen nicht durchsetzbar. In Augusts Regentschaft fiel auch das aufsehenerregende Blutgericht zu Thorn von 1724, wo zehn Protestanten nach Ausschreitungen gegen das dortige Jesuitenkloster hingerichtet wurden. Preußens König Friedrich Wilhelm I. war sehr aufgebracht, England entsandte gar einen Sondergesandten an den Warschauer Hof. Die Ereignisse beeinträchtigten das Bild Polens in Europa erheblich und wurden literarisch u.a. von Gustav Freytag („Die Ahnen“) und Ernst Wichert („Die Thorner Tragödie“) aufgearbeitet.
„Der König allen voraus“
Trotz der polnischen Wirren und kostspieligen militärischen Konflikte mit Schweden lässt August sein Dresden in neuem Glanz erstrahlen: Die Prachtentfaltung, die er an den Höfen des westlichen und südlichen Europa kennen gelernt hatte, versuchte er auch am Dresdner Hof zu erreichen. Die Förderung von Architektur und Kunst, die großen Gemäldesammlungen wie die Dresdner Gemäldegalerie und das „Grüne Gewölbe“, die prächtigen barocken Bauwerke wie das Schloss Moritzburg, der Barockgarten Großsedlitz oder der Dresdner Zwinger und Erfindungen auf technischem und künstlerischem Gebiet brachten Dresden den bewundernden Beinamen „Elbflorenz“ ein. Als eine der ersten deutschen Städte besaß Dresden damals öffentlich zugängliche Museen, die zum Vorbild vieler anderer (zum Beispiel in Wien und München) wurden. 1705 wurde eine Malerschule gegründet, aus der die Dresdner Kunstakademie hervorging.
Renommieren, vor allem mit Kunstkabinetten und Schlössern wie dem Jagdschloss Hubertusburg, gehört zum Handwerk barocker Monarchen. Insgesamt habe Augusts Politik laut diverser Historiker Sachsen eher geschwächt als gestärkt. Die Einschätzung ist allerdings relativ und sollte vor dem Hintergrund der Epoche gesehen werden: Im Barock, wo Prachtentfaltung und Kraft ein und dasselbe waren, war August tatsächlich „der Starke“. Seine Niederlage im Nordischen Krieg und die Tatsache, dass er unterm Strich Russlands Einfluss in Polen fördern half, trat dahinter zurück. Sein Beiname bezieht sich auf seine mitunter zur Schau gestellte körperliche Kraft. So soll er am 15. Februar 1711 ein Hufeisen mit den bloßen Händen zerbrochen haben. Darüber ließ er ein Zertifikat anfertigen und Hufeisen wie Zertifikat in der Kunstkammer aufbewahren.
Weil ihm militärisch wenig glückte, „legte er umso mehr Wert auf die Zurschaustellung einer Majestät, die ihn aus dem Kreis der sieben deutschen Kurfürsten, denen er angehörte, herausheben und auf eine repräsentative Stelle mit den Weltherrschern seiner Zeit stellen sollte: mit dem Deutschen Kaiser, dem russischen Zaren und dem französischen König“ erklärte Andreas Platthaus in der FAZ nach dem ungeheuerlichen und unerklärlichen Raub dreier unermesslich wertvoller Diamant-Geschmeide aus dem Grünen Gewölbe im November 2019, der den Freistaat geschockt hinterließ.
Rauschende Feste, oft tagelang und mit Zehntausenden Komparsen, galten schon eher als „hohe Politik“. Der Focus zitiert einen preußischen Gesandten, der über eine Geburtstagsfeier des Regenten schrieb: „Der ganze Garten war beleuchtet und hatte in den beiden Ecken zwei Kabinette zu stillen Vergnügungen. Am Ende großes Besäufnis. Der König, wacker in diesem Punkte, allen voraus.“ Bei großen Festen soll er bis zu sieben Flaschen Tokajer-Wein an einem Abend getrunken haben, weiß Heimatkundlerin Ursula Breckle. Unumstrittener Höhepunkt des höfischen Lebens war die 4 Mio. Taler teure Jahrhunderthochzeit des Kurprinzen mit Kaisertochter Maria Josepha von Österreich 1719: vom 2. bis 28. September wechselten Jagden, Opernaufführungen, Konzerte, Tanzabende und Paraden ab. Dresden würdigte das 300. Jubiläum der sogenannten Planetenfeierlichkeiten, die Stadtgeschichte schrieben, im vergangenen Jahr ausgiebig.
„Sachsen ist wie ein Mehlsack“
Typisch für August war das „Zeithainer Lustlager“ im Sommer 1730, bei dem 30.000 Paradesoldaten die Kulisse gaben: Kombiniert mit Theater und Feuerwerk stellte die Festivität noch einmal Sachsens Lebenskraft zur Schau – und die Lebenskraft seines Monarchen. Unter den geladenen Gästen jedoch taucht neben seinem asketischen, sparsamen Vater auch der preußische Kronprinz Friedrich auf, der dort zunächst mehrfache Demütigungen wegzustecken hat, an denen Sachsens Premierminister Graf Brühl beteiligt war. Eine Gräfin Formora soll den Kronprinzen aber auch in die Liebe eingeführt haben. Ob der Prinz sich dabei „inficierte“, ist umstritten – er hatte sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen, die seine Kinderlosigkeit erklären könnte. Sein Groll gegen die Sachsen währte lebenslang und beeinflusste sein Verhalten im Siebenjährigen Krieg. Sprichwörtlich ist heute sein Ausspruch: „Sachsen ist wie ein Mehlsack. Man kann immer wieder drauf schlagen und es kommt immer noch was heraus…“
August dagegen litt aufgrund seines Lebenswandels unter Diabetes mellitus – ihm wurde eine Zehe amputiert – Bluthochdruck sowie Fettstoffwechselstörungen und war zuletzt stark übergewichtig. Die Zuckerkrankheit ließ ihn jedoch nicht enthaltsamer leben, die Vorschriften der Ärzte beachtete er nicht. Er starb am 1. Februar 1733 um 4 Uhr nach einem Schwächeanfall im Alter von 62 Jahren in Warschau und wurde am 25. Januar 1734 im Beisein seines Sohnes in der Königskrypta der Wawelkathedrale des Schlosses zu Krakau feierlich beigesetzt. Sein Herz dagegen kam auf eigenen Wunsch in einer silbernen, innen vergoldeten Kapsel nach Dresden.
Sein Sohn Friedrich August II. wird sich als schwächerer Regent erweisen, der während des Siebenjährigen Kriegs Sachsens Glanz vor Preußens Gloria verblassen, den sächsischen Barock sowie das „augusteische Zeitalter“ enden lässt. Mit seinem Tod 1763 geht den Kurfürsten auch die teuer erkaufte polnische Krone verloren. Sachsens Rolle auf der europäischen Bühne ist ausgespielt – bis Pegida und AfD dem laut Hamburger Morgenpost „Schandfleck“ Deutschlands wieder politische Aufmerksamkeit sichern.