Steckt Hofsäß auch so tief im roten Sumpf?
15. Mai 2020 von Thomas Hartung
Unter diesem Titel habe ich dem „Pforzheimer Kurier“ gestern einen Leserbrief geschrieben, den ich hier dokumentiere:
Der „Pforzheimer Kurier“ gibt am 13. Mai unter der Überschrift „Hofsäß fordert Reaktion der AfD“ den Inhalt einer Pressemitteilung vom 7. Mai wieder, in der der designierte SPD-Landtagskandidat für den Enzkreis, Michael Hofsäß, die lokalen AfD-Abgeordneten Bernd Gögel, Fraktionschef, und Bernd Grimmer im „braunen Sumpf“ wähnt. Abgesehen davon, dass der Student von „International Business“ Gögels und Grimmers Enkel sein könnte – von dem zur Rede stehenden Ereignis, dem 8. Mai 1945, weiß er lediglich durch den Geschichtsunterricht sowie diverse mediale Publikationen. Allein wegen der Anmaßung seiner juvenilen Deutungshoheit im Namen eines undefinierten „gesellschaftlichen Konsens‘“, dem die Zeitung breiten Raum gibt, während sie denselben den AfD-Abgeordneten nicht ansatzweise zubilligt oder sie gar direkt nach ihrer Meinung zu dem verschwurbelten Unsinn fragt, könnte man die Pressemitteilung als lächerlichen Gesinnungstext im Vorwahlkampf abtun, auf den ein Gesinnungsjournalist fast eine Woche zu spät fast ebenso reflexartig ansprang. Aber da hier so viel Unwissenheit, gepaart mit ideologischer Überheblichkeit und sozialer Respektlosigkeit aufscheint, lasse ich mich mal als Ex-Landesvize Sachsen sowie inzwischen Pressesprecher der Stuttgarter Landtagsfraktion herab, dem Bübchen, das mein Schüler bzw. Student sein könnte, ein paar Widerworte um die Ohren zu hauen.
Ich habe selbst in der DDR von 1983 – 1988 Germanistik und Geschichte im Lehramt studiert und vor meiner Promotion das Fach ein Jahr lang unterrichtet; der 2. Weltkrieg war Stoff der 9. Klasse. Bei aller ideologischen Prägung des Tages: selbst im DDR-Studium wurden Inhalte wie etwa der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt, der Zusammenhang zwischen „Coventrierung“ und angloamerikanischen Bombardements sowie das Besatzerverhalten nach dem 8. Mai ebenso differenziert vermittelt wie die Themen NSDAP-Geschichte, Nürnberger Gesetze oder KZ-Wesen. Die Direktorin meines Gymnasiums war übrigens die Frau des Buchenwalder Gedenkstättendirektors – das KZ war gerade mal 20 km von Erfurt entfernt; wie oft ich es besucht habe, kann ich kaum noch zählen. Zu den KZ-Besuchen des Bübchens lese ich übrigens nichts… Inhalte also, die der gewillte Lehrer adäquat vermitteln konnte. Durch entsprechende Quellen waren (und sind) auch Zitate frei zugänglich wie „Deutschland wird zu stark, wir müssen es vernichten!” (Churchill 1936 zu General Wood), „Dieser Krieg ist Englands Krieg. Sein Ziel ist die Vernichtung Deutschlands!“ (Churchill 3.9.1939) oder „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke der Befreiung, sondern als besiegte Feindnation!” (US-Präsident Roosevelt 23.3.1945).
Hinzu kam die breite künstlerische Flankierung der Zeit durch Filme und vor allem Literatur; das begann bei Bruno Apitz „Nackt unter Wölfen“ (Pflichtlektüre in DDR-Schulen) und endete noch nicht bei Robert Merles „Der Tod ist mein Beruf“ über den „industriellen Völkermord“, wie ihn Hofsäß nennt. Und hinzu kommt vor allem, dass für Millionen Deutsche mit dem 8. Mai Terror und Rache erst begannen – für die Sudetendeutschen oder die aus den Ostgebieten Vertriebenen, zu denen auch Bernd Gögels Familie gehörte. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass wir fast ein Drittel unseres Staatsgebiets verloren: Die Deutschen dürfen halt nicht über ihr eigenes Leid trauern. Der „Eiserne Vorhang“ ging zudem in Europa nieder und brachte der Sowjetischen Besatzungszone ein diktatorisches System, und selbst für die überlebende jüdische Bevölkerung in Polen war der Pogrom von Kielce (1946) Signal, aus Polen auszuwandern – alles historische Sachverhalte, deren Dimension erst nach 1990 vollständig bekannt und fassbar wurde. Selbst für die Atombomben auf Japan haben sich die USA nie entschuldigt.
Wer all das ausblendet, Ursachen und Wirkungen nicht analysiert, ja nicht zu seinen historischen Tragödien und Irrtümern steht, sondern diese verleugnet, verdrängt und stattdessen ebenso ahistorisch vereinseitigt wie ideologisch funktionalisiert, muss bei der völlig richtigen Einschätzung Gaulands, dass es sich um einen „ambivalenten“ Tag handelt, der sich als Gedenk-, aber nicht als Feiertag eignet, natürlich Schnappatmung bekommen (die Unterstellung, dass er sich „die Niederlage Nazideutschlands quasi wegwünsche“, ist an Dämlichkeit nicht zu überbieten). Der 30.04.1975, der Tag des Endes des Vietnamkriegs ist ebenso kein Feiertag in den USA wie der 15.02.1989, der Tag des Endes des Afghanistankriegs, kein Feiertag in der Sowjetunion/Russland ist. Da will ein vorgeblich „Linker“ mir als linkssozialisiertem AfD-Mitgründer Faschismus unterstellen? In wie vielen falschen Filmen bin ich denn hier? Mein Ratschlag: Bübchen, lies mal wieder ein Buch. Oder besser: mehrere. Und dann duelliere ich mich gern mit dir in deutscher Geschichte.
Weiter. „Grimmer und Gögel seien als Unterzeichner der ‚Erfurter Resolution’ bekanntermaßen Anhänger von Björn Höckes Gedankengut, das der Verfassungsschutz zu Recht im Visier habe“, lese ich. Tja, Bübchen, dann bekenne ich gern: ich ebenso. Höcke hatte damals, völlig zu Recht, die finanzökonomische Verengung der Parteiprogrammatik durch Bernd Lucke zu erweitern gesucht. Vorgeblich, wie ich heute behaupte, denn danach hat er die programmatische Weiterung zu einer ideologischen Verengung genutzt und die Mailliste der Unterzeichner zu seiner Machtbasis gemacht. Aus seiner Sicht und der mancher Mitglieder genial, aus Sicht vieler Bürgerlich-Konservativer verheerend – übrigens auch aus meiner, ich bin nicht umsonst Landessprecher der „Alternativen Mitte“ Sachsen, die Höcke gern als „Halbe“ diffamiert. Diese Resolution aber heute – der Flügel existiert übrigens nicht mehr – pars pro toto für die AfD zu nehmen ist eine völlige Verwechslung von mediatisiertem Wunsch- und Warnbild einerseits sowie politischer Realität andererseits. Mein Ratschlag: Bübchen, lies mal wieder unsere Bundes- bzw. Landesprogramme, und natürlich unsere Gesetzesentwürfe und Anträge im Landtag. Oder besser: warte auf unser Landtagswahlprogramm, an dem ich gerade mitschreibe. Und dann duelliere ich mich gern mit dir zum Verfassungsschutz.
Schlussendlich, und vor allem: „Stecken Gögel und Grimmer auch so tief im braunen Sumpf?“ fragt Hofsäß mit Blick auf Gaulands Aussagen, die er als „perfides Spiel mit der Erinnerungskultur zum Kriegsende“ beschreibt. Brauner Sumpf, soso. Dann muss ich mal ein wenig in SPD-Aussagen wühlen. Juso-Chef Kevin Kühnert hatte in einem Interview mit der „Zeit“ auf die Frage gesagt, wie er sich Sozialismus vorstelle: „Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.“ Wo war Hofsäß’ Reaktion? Seine Parteichefin Esken und Linken-Fraktionschef Bartsch hatten beide eine einmalige Vermögensabgabe zur Bewältigung der finanziellen Belastungen durch die Corona-Pandemie vorgeschlagen. Einem Bundestagsgutachten zufolge ist das aber womöglich nicht zulässig. Es gebe Zweifel daran, ob die Pandemie als Grund für einen solchen Zugriff auf das Vermögen der Bürger ausreiche, schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Wo war Hofsäß’ Reaktion? Bundesfinanzminister Olaf Scholz plädiert auf höhere Steuern für besonders vermögende Bürger und verwies auf das Wahlprogramm 2017, in dem die SPD einen Spitzensteuersatz von 45 Prozent und die Einführung einer Reichensteuer gefordert hatte. Wo war Hofsäß’ Reaktion? Oder, noch extremer, Johann Dulig, Meißner SPD-Kreisrat und Sohn des sächsischen SPD-Chefs, der eine Fotomontage auf Facebook gepostet hatte, auf der ein bombenabwerfendes Alliierten-Flugzeug zu sehen war, garniert mit dem Text „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“. Darunter war das zerbombte Dresden abgebildet. Wo war Hofsäß’ Reaktion? „Schweigen heißt Zustimmung“? Da freuen wir uns doch auf einen Kommunisten im nächsten Landtag – oder wen, liebe Baden-Württemberger, wollt ihr wählen?
Im Ernst: wie groß muss die Personalnot der Spezialdemokraten inzwischen sein, dass sie frei nach der Devise „Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal“ ein 23jähriges ebenso kenntnisbefreites wie naives Persönchen nominieren, das außer plattem Konkurrentenbashing noch nichts geleistet hat und ansonsten tief im roten Sumpf verwurzelt ist. Mein Ratschlag: Bübchen, lies mal bestimmte Forderungen deiner Partei und erkläre, wie du soziale Marktwirtschaft in Pforzheim und Umgebung fördern willst. Oder besser: was du anstelle von sozialer Marktwirtschaft willst. Und dann duelliere ich mich gern mit dir zu Wahlkampfinhalten. Aber erst dann.
Mit verhältnismäßig freundlichen Grüßen
Dr. Thomas Hartung
Pressesprecher der AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg