„das beste Auto der Welt“
11. Juli 2020 von Thomas Hartung
Ein oft bemühter Vergleich im letzten Jahrhundert lautete: Was den Deutschen ihr Maybach, ist den Briten ihr Rolls-Royce. Das mag auf die Marke zutreffen, keinesfalls aber auf alle genannten Personen, denn wirklich vergleichen konnte man nur die Techniker und Tüftler Carl Maybach und Henry Royce. Charles Rolls dagegen war als Verkäufer und Kapitalgeber dafür zuständig, die Ideen seines Kompagnons an den Mann zu bringen – „eindeutig der schillerndste der beiden“, befindet Harald Huppertz auf dem Portal autogazette. Der Co-Gründer einer der luxuriösesten Automarken der Welt starb am 12. Juli vor 110 Jahren als erster Brite, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.
Geboren wurde er am 27. August 1877 bei London nach zwei Brüdern und einer Schwester als Nesthäkchen von John Allan Rolls und seiner Frau Georgiana. Seine ältere Schwester Eleanor soll sich als eine der Gründerinnen der Women‘s Engineering Society und als begeisterte Heißluftballonfahrerin einen Namen machen. Sein Vater, ein konservativer Landwirt und örtlicher Mäzen, wurde 1892 als Baron Llangattock in den Adelsstand erhoben und stieg 1894 zum Provinzgroßmeister der Freimaurer auf. Seine Loge stand unter dem Motto: Celerias et Veritas (Geschwindigkeit und Wahrheit) – das sollte auch seinem Sohn wegweisend werden.
Über Charles Kindheit und Jugend ist wenig bekannt außer, dass er sich für Motoren begeisterte. Laut Huppertz war er so geizig, dass er sich von Freunden bei Reisen mit dem Zug den Zuschlag erster Klasse bezahlen lässt. Als 19jähriger kauft er sich 1894 einen Peugeot Phaeton – in Wales gab es damals nur noch zwei weitere Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Rolls wird zum Mitbegründer des Automobile Club of Great Britain, der versucht, die enormen Beschränkungen des unseligen Red Flag Act loszuwerden. Das Gesetz schrieb vor, dass ein Gefährt ohne Pferde oder ein Automobil mit einer Geschwindigkeit von maximal 4 Meilen (ca. 6,4 km/h) in der Stunde fahren durfte. Innerhalb der Ortschaften betrug das Limit gar nur 2 Meilen pro Stunde. Bei jedem Automobil mussten zwei Personen zum Führen des Fahrzeugs anwesend sein, und ein Fußgänger hatte voraus zu laufen, der zur Warnung der Bevölkerung eine rote Flagge (red flag) tragen musste. 1896 wurde das Gesetz gekippt.
Charles, der als charmanter Typ mit nicht geringer Wirkung bei den Frauen gilt, aber unverheiratet bleiben wird, schließt ein Studium am Trinity College in Cambridge als Ingenieur ab und gründet nach einem Intermezzo auf einem Dampfschiff im Januar 1903 eine Werkstatt und einen Laden in London. Sein Vater borgte ihm das Startkapital von 6.600 Pfund. Schon abseits der Universität trug er am liebsten einen ölverschmierten Blaumann: Unter seinen Kommilitonen und Professoren handelt er sich deshalb den Spitznahmen „Dirty Rolls“ – „Schmutziger Rolls“ ein. Die Firma heißt „C. S. Rolls“ und erhält bald einen „Co“, weil dem Firmengründer der Handel mit französischen („Panhard“) und belgischen („Minerva“) Automobilen und deren Reparatur über den Kopf wächst. Denn er ist als einer der ersten Rennfahrer Englands auch auf dem Kontinent erfolgreich. 1903 stellt er einen Geschwindigkeitsrekord auf: 152 Stundenkilometer. Zugleich war er der zweite Brite, der vom 1901 gegründeten Royal Aero Club eine Fluglizenz bekam.
„mach es noch besser“
Seit der Unternehmensgründung auf der Suche nach einer britischen Automarke, die er in sein Programm aufnehmen wollte, genügten die Fahrzeuge der damaligen Zeit Charles‘ hohen Qualitätsansprüchen nicht. Da kommt ein Zufall zu Hilfe. Geschäftspartner Claude Johnson, sein „Co“, kennt den Konstrukteur Henry Royce, der bislang mit Elektromotoren experimentierte und jetzt sein erstes Auto entwickelte. Drei Prototypen „Royce 10 hp“ sind bereits gebaut, als Johnson am 4. Mai 1904 ein Treffen von Royce und Rolls im Midland Hotel in Manchester arrangiert. Bei diesem Treffen machte Rolls auch eine Probefahrt mit dem brandneuen Wagen und war von der Qualität des Fahrzeugs überzeugt. Die Gentlemen besiegelten ihre Kooperation sofort per Handschlag.
Ohne feste Verträge begann die Serienproduktion des Royce 10 hp, der nun mit wenigen Modifizierungen als Rolls-Royce 10 hp vermarktet wurde: Der Kühler erhielt die typische „Tempel-Form“, die seit 1974 offiziell als Warenzeichen eingetragen ist und ausschließlich durch Rolls-Royce verwendet werden darf; auch die Namensplakette wurde geändert. 1904/1905 wurden 17 Fahrzeuge dieses Modells gebaut. Auch der 20 hp wurde in dieser vertragslosen Zeit entwickelt und als Rolls-Royce in Serie gebaut und verkauft (1904–1906: 37 Stück). Erst am 23. Dezember 1904 wurde vertraglich fixiert, was schon monatelang praktiziert wurde: C.S. Rolls & Co. bekam die Alleinverkaufsrechte für alle Fahrzeuge, die Royce Ltd. baute. Verkauft werden sollten die Fahrzeuge unter dem Namen Rolls-Royce, obwohl C.S. Rolls & Co. und Royce Ltd. zur Firma Rolls-Royce Ltd. mit Sitz in Manchester erst am 15. März 1906 fusionierten. Das inoffizielle Motto der Firmengründer lautete: „Nimm das Beste, was es gibt, und mach es noch besser.“
Auf der Autoshow in Paris, die zur Zeit der Vertragsunterzeichnung stattfand, wurden erstmals die neuen Autos präsentiert – angetrieben von Zwei-, Drei- und Vierzylinder-Motoren. Die schwachbrüstigen Antriebe blieben freilich Episode, schnell wurde ein – allerdings wenig erfolgreicher – V8 konstruiert, danach erschien bereits 1906 der 40/50 HP, ein Sechszylinder mit deutlich verlängertem Chassis. Schon bei diesem Modell war klar zu erkennen, was die Kernwerte der Marke Rolls-Royce werden sollten: Gediegenheit, Laufruhe und, vor allem, Zuverlässigkeit. Aus einem dieser 40/50-Modelle entstand ein Jahr darauf der berühmte Silver Ghost, ein Auto, das dem weit verbreiteten traurigen Schwarz im zeitgenössischen Automobilbau leuchtendes Silber entgegenhielt. Nicht von ungefähr hießen spätere Modelle Silver Cloud, Silver Shadow oder Silver Spur.
Zwischen 1906 bis 1928 wurden vom Ghost 6.173 Stück zum Preis von 305 englischen Pfund verkauft. Das luxuriöse Fahrzeug verschaffte dem Unternehmen den Ruf, das schnellste, leiseste und teuerste Automobil der Welt zu bauen: „Mochten manche Marken aus Deutschland, Frankreich und USA … mehr Zylinder und ausladender designte Karosserien mit Art-Deco-Elementen bieten, stilvolleres und zuverlässigeres Fahren als mit einem Rolls-Royce fand sich nirgendwo“, befand die Welt. Der als „Lawrence von Arabien“ berühmt gewordene Lt. Col. T.E. Lawrence schrieb in seinem Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“: „Ein Rolls-Royce in der Wüste ist mehr wert als Rubine“. Derweil geht Charles mit den Fahrzeugen der eigenen Firma auf die Rennstrecke. Seine hierbei gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Produkte seiner Mechaniker ein. 1906 gewinnt er mit einem der ersten Ghosts die „Tourist Trophy“ auf der Isle of Man. Er hat 27 Minuten Vorsprung vor seinem nächsten Verfolger. Nachdem Claude Johnson es 50.000 Meilen gefahren ist, nennt er es „das beste Auto der Welt“.
Erster über dem Ärmelkanal
Aber Rolls will noch höher hinaus und widmet sich verstärkt der Fliegerei. Am 26. Dezember 1908 demonstrierte Charles die Möglichkeiten der Ballonfahrt: Er startete mit dem Ballon „Mercury“ mit weiteren vier Personen, darunter auch seine Mutter, in Monmouth, landete auf dem Rasen vor seinem Elternhaus und stieg nach dem Essen wieder auf. Nach dem Überqueren eines Gebirgszugs landete er in Blaenavon. Bei der Landung waren sämtliche Taue am Ballon gefroren. Er regt seinen Partner an, auch Flugzeugmotoren zu konstruieren, doch erst 1914 stieg Rolls-Royce mit dem Hawk in den Flugmotorenbau ein, der später mit Typen wie dem Rolls-Royce-Merlin bald den größten Teil der Geschäftstätigkeit ausmachte. Während des Zweiten Weltkriegs waren ca. 50 Prozent der alliierten Flugzeuge mit Motoren von Rolls-Royce und seinen Lizenznehmern ausgestattet.
Parallel zu seiner Ballonfahrt entwickelt Rolls für die Gebrüder Wright einen Flugzeug-Stabilisator. Am 2. Juni 1910 überquert er mit einem Wright-Doppeldecker den Ärmelkanal und fliegt nonstop auch wieder zurück – als erster Mensch der Welt. Nur Tage später nimmt Rolls, wieder mit seiner Wright-Maschine, die inzwischen ein neues Heck hat, an einem Präzisionsflugwettbewerb im englischen Bournemouth teil. Er war bereits am Morgen seines Todestags mit seinem Doppeldecker eine Wettbewerbsrunde geflogen, landete dabei aber mit 24 Meter Abstand deutlich weiter vom Ziel als ein Konkurrent mit 13 Metern. Obwohl die Gebrüder Wright das neue Heck des Flugzeugs noch nicht geprüft und abgenommen haben, startet er mittags bei schlechtem Wetter erneut. Das Heck bricht, Rolls stürzt aus ca. 30 Fuß Höhe ab, und beim Aufprall explodiert der Motor. Charles stirbt noch am Unfallort an inneren Quetschungen.
Den Einstand der legendären Kühlergrillfigur „Spirit of Ecstasy“ nur Monate später erlebte er nicht mehr. 1931 übernahm Rolls-Royce den Konkurrenten Bentley und meldete 40 Jahre später selbst Insolvenz an, die durch die britische Regierung abgewendet wurde. In einem Bieterstreit setzte sich zunächst VW durch und kaufte das Unternehmen für 1,44 Milliarden Mark, ehe kurze Zeit später BMW den Luxus-Hersteller übernahm, in dessen Besitz sich Rolls-Royce noch heute befindet. 2019 wurden weltweit 5.152 Fahrzeuge ausgeliefert, 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Wichtigster Einzelmarkt für Rolls-Royce sind heute die USA, die für rund ein Drittel des weltweiten Absatzes stehen. Erst dahinter folgen China und Europa. Insgesamt verkauft Rolls-Royce seine Fahrzeuge mit 135 Händlern in über 50 Ländern. Darüber hätte sich Charles Rolls heute sicher gefreut.