Vom Weltkonzern zum Italiener
17. August 2020 von Thomas Hartung
Als sich der Landwirt Johann Philipp Kreißler mit seiner Familie aus dem leiningischen Guntersblum am Rhein der ersten Massenauswanderung der Pfälzer in die Vereinigten Staaten anschloss, in der britischen Provinz New York niederließ und nach einem unspektakulären Leben nach 1744 als vierfacher Vater starb, ahnte er sicher nicht, dass er dereinst eine eigene Straße in seinem deutschen Heimatdorf bekommen sollte. Sein Verdienst: er wurde zum Ahnherrn eines Mannes, den das Time Magazine 1928 zum Man of the Year wählen sollte: Walter Percy Chrysler, wie sich die Familie inzwischen nannte. Der Automobil-Pionier und Begründer des internationalen Automobilunternehmens Chrysler Corporation starb am 18. August 1940 in Long Island.
Walter P. Chrysler wurde 2. April 1875 als Sohn des Lokomotivingenieurs Henry Chrysler und dessen Frau Mary in Wamego im US-Bundesstaat Kansas geboren. Nach Abschluss der High School begann Chrysler 1892 eine Lehre bei der Union Pacific in Ellis im US-Bundesstaat Kansas. Anschließend arbeitete er bei der American Locomotive Co. (ALCo) wo er es bis zum Stützpunktleiter in Pittsburgh brachte. Am 4. Juni 1900 heiratete Chrysler seine Frau Della, mit der er drei Kinder hatte. Bereits mit 33 Jahren wurde er Manager der Chicago Great Western Railway. Ein weißer Locomobile Phaeton mit roter Innenausstattung für 5.000,- US-Dollar wurde Chryslers erstes eigenes Fahrzeug. Als großer Technikinteressierter soll er das Fahrzeug auseinandergenommen und anschließend wieder zusammengebaut haben.
1910 wurde er Werksleiter bei Buick, einer Tochtergesellschaft von General Motors GM in Flint, Michigan, und brachte seine Leute in Schwung, indem er die Tagesproduktion von 20 auf 550 Fahrzeuge steigerte. Prompt wurde er 1912 Produktionschef. Fünf Jahre später, 1917, avancierte Chrysler zum Präsidenten von Buick und machte die Marke zur erfolgreichsten im GM-Konzern. 1919 wurde er zum Vize-Präsidenten von GM ernannt, gab jedoch wegen Differenzen mit seinem Vorgesetzten William C. Durant diese Position wieder auf. Chrysler fand einen Führungsposten bei Willys-Overland, dem bekannten Jeep-Hersteller, der in Schieflage geraten war. Sein Ruf als erfolgreicher Manager bescherte ihm dort nicht nur große Wirkungsfreiheiten, sondern auch ein damals sagenhaftes Gehalt von einer Million US-Dollar im Jahr.
Drittgrößter amerikanischer Autobauer
1921 betrachtete er seine Arbeit als erledigt und wandte sich dem nächsten Sanierungsfall zu, der Maxwell Motor Company, deren Präsident er ein Jahr später wurde. Zu seinem Sanierungskonzept zählte die Einstellung von Ingenieuren zur Entwicklung eines neuen Autos, das 1924 fertig gestellt war und die Bezeichnung seines Initiators erhielt – „Chrysler Six“. Es ging als Legende in die Automobilgeschichte ein. Aus 3,3 Litern Hubraum entwickelten sich 68 PS, die den Wagen auf eine Höchstgeschwindigkeit von 110 Stundenkilometer brachten. Hydraulische Bremsen an allen Rädern und Stossdämpfer gehörten gleichfalls zur Ausstattung. Allein 32.000 Stück wurden davon im ersten Produktionsjahr verkauft. 1925 wurde die Firma zur Chrysler Corporation.
Ein Jahr später wurde die Maxwell Motor Company von der Chrysler Corporation übernommen, das Händlernetz in den USA stieg auf rund 3.800. Mit technischen Neuheiten und Modellvariationen erlebte Chrysler eine hohe Wachstumsdynamik und landete 1926 auf Platz fünf der US-Hersteller. 1928 wurde das Modell „Plymouth“ für die untere Preisklasse gebaut. Der Typ „DeSoto“ sorgte im mittleren Preissektor für Furore und verkaufte sich nach gut einem Jahr 100.000 Mal. Im gleichen Jahr übernahm Chrysler die große Autofirma Dodge Brothers, Inc. Damit zählte der Autokonzern zusammen mit Henry Ford und General Motors zu den drei größten amerikanischen Autobauern.
Walter Chrysler war auch der Bauherr des Chrysler Building in New York, das mit 77 Etagen bei 319 Metern Höhe für 11 Monate das höchste Gebäude der Welt war, bis ihm das Empire State Building den Rang ablief, und das mit seiner Art-Deco-Fassade bis heute als einer der schönsten Wolkenkratzer der Welt gilt. Zu Chrysler gehörten in dieser Zeit Chrysler, Dodge, Imperial, DeSoto und Plymouth. 1932 und 1933 führte der Autokonzern technische Neuerungen bei der Triebwerksaufhängung und der Bremskraftverstärkung sowie das Sicherheitsglas ein. In Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise konnte der Autobauer seine Verkaufszahlen halten.
1934 wurden erstmals die stromlinienförmigen Modelle Chrysler Airflow, DeSoto Airflow und Imperial Airflow hergestellt. Das Modell „Imperial“ ist das erste amerikanische Auto mit gewölbter Frontscheibe. 1935 zog sich Walter Chrysler aus dem Geschäftsleben zurück und war noch für fünf Jahre Privatier. Er gilt als letzter Automobilpionier, der aus eigener Kraft einen Automobilkonzern aufbaute und am Leben erhielt. Dass sein Unternehmen zweimal mit Milliardenbürgschaften amerikanischer Präsidenten – erst Carter 1979, dann Bush 2008 – vor dem Konkurs gerettet werden musste und seit 2014 namenloser Teil des Fiat-Konzerns ist, hätte ihn kaum erfreut.