Der Juwelier der Romanows
23. September 2020 von Thomas Hartung
Matilda Kschessinskaja war Ende des 19. Jahrhunderts eine der begnadetsten Petersburger Primaballerinen. Mit gleich drei Männern der Zarenfamilie Romanow liiert, wurde sie als erste russische Tänzerin bekannt, die in Tschaikowskis „Schwanensee“ die 32 Fouettés en tournant hintereinander tanzen konnte – und als erste nichtadlige Kundin eines Juweliers, der ihr nahezu komplett den Diamantschmuck herstellte. Ihrer eigenen Schilderung nach führte sie ihn aus Sicherheitsgründen nie bei sich, sondern bewahrte ihn stets in einem sicheren Safe bei dem Goldschmied auf. Wenn sie sich auf Auslandsauftritte vorbereitete, nannte sie am Telefon eine geheime Nummer, und die Firma lieferte den Schmuck ins Ausland. Ein Wachmann brachte ihn schließlich ins Hotel oder Theater und hielt sich immer in dessen Nähe auf. Der Produzent war nicht nur kaiserlich-russischer Hofjuwelier, sondern auch königlich-schwedischer Hofgoldschmied: Peter Carl Fabergé. Am 24. September vor 100 Jahren starb er.
Die Idee zu seinem bekanntesten Kleinod, dem nach ihm benannten Osterei, war zwei Zufällen zu verdanken. Der erste hieß Eric Kollin und war ein finnischer Goldschmied in Fabergés Atelier, der um 1880 herum die Idee hatte, das traditionelle russische Osterbrauchtum mit Goldschmiedekunst zu verbinden: damals war es üblich, verzierte Eier und drei Küsse zu verschenken. Waren es bei den einfachen Leuten Hühnereier, setzten die vermögenderen auf symbolische Eier aus edleren Materialien wie Glas, Porzellan oder Metall. Der zweite hieß Dagmar von Dänemark und war die regierende Kaiserin Maria Fjodorowna, die von ihrer Familie nach Russland geschickt wurde, um dort einen völlig Fremden zu heiraten: Zar Alexander III. Wie bei vielen anderen Prinzessinnen in dieser Situation führte das auch bei ihr zu enormem Heimweh. Um sie aufzumuntern, gab ihr Ehemann 1882 ein Ostergeschenk in Auftrag: das erste Fabergé-Ei.
Es handelte sich um ein äußerst exquisites Exemplar: Die emaillierte Schale ließ sich drehend öffnen und präsentierte das Eigelb aus Gold, das wiederum eine kleine goldene Henne beherbergte, die stolz die russische Kaiserkrone trägt. Was dieses Geschenk noch viel besser machte: es war an eine bestehende Sammlung aus dem dänischen Königshaus angelehnt und somit eine süße Erinnerung an die Heimat der jungen Zarin. Das Geschenk wurde ein voller Erfolg, Maria war überglücklich, der Zar entschied sich, daraus eine Tradition zu machen. In 32 Jahren wurden insgesamt 50 Eier für die Zarenfamilie sowie weitere 20 für andere Kunden gefertigt, darunter ein „Eis-Ei“ aus Platin für den Neffen Alfred Nobels. Sie stehen bis heute für Luxus und höchste Goldschmiedekunst und sind Inbegriff von Reichtum und Macht. In sechs Filmen, darunter im 13. James-Bond-Streifen „Octopussy“, ist ein Fabergé-Ei wichtiger Handlungsbestandteil.
42 Eier bis heute erhalten
Sein Beruf war Fabergé in die Wiege gelegt. Carl Peter wurde am 30. Mai 1846 als Sohn des hugenottisch-stämmigen deutschbaltischen Goldschmieds Gustav Fabergé und seiner dänischen Frau Charlotte in St. Petersburg geboren und absolvierte hier die St. Annenschule. 1860 zog die Familie nach Dresden, wo er mit seinem Bruder Agathon eine kaufmännische Ausbildung erhielt. 1861 wurde er in der Dresdner Hofkirche gefirmt. Danach folgten verschiedene Reisen, unter anderem nach Frankfurt zum Juwelier Friedman sowie nach Florenz, wo er die Steinschneidekunst kennen lernte. 1870 kehrte die Familie nach Sankt Petersburg zurück, wo Peter Carl 1872 das Juweliergeschäft übernahm, das derweil von einem Freund und einem Partner weitergeführt worden war. Obwohl kaufmännisch ausgebildet, gilt er als kreativer Kopf der Brüder.
Im selben Jahr heiratete er Augusta Jakobs, die Tochter eines Aufsehers in der kaiserlichen Möbelwerkstatt, mit der er vier Söhne haben wird, die alle in das Unternehmen einstiegen. Als 1881 der Geschäftspartner des Vaters starb, konnte Carl ab diesem Zeitpunkt seine eigenen Kreationen realisieren. Zusammen mit seinem Bruder schuf er Schmuck- und Dekorationsobjekte im zeitgenössischen Trend, der vor allem dem Louis-quinze-, Louis-seize- und Art-nouveau-Stil folgte. Parallel dazu arbeiteten beide im kaiserlichen Kunstkabinett, setzten die umfangreiche Schmucksammlung instand, restaurierten zahlreiche Stücke, schätzten ihren Wert und katalogisierten sie. Diese Tätigkeit inspirierte die Fabergés, Geschmeide in altrussischem Stil nachzuempfinden und in der eigenen Werkstatt anzufertigen, teilweise als originalgetreue Kopien. Diese Geschäftsstrategie brachte ihnen erste, auch internationale Erfolge.
Der Durchbruch gelang den Fabergés, nachdem sie auf der Allrussischen Ausstellung 1882 in Moskau einige kostbare Arbeiten an Alexander III. verkaufen konnten. Für das erste der Fabergé-Eier verlieh er Peter Carl Fabergé neben der Auszeichnung als Hofgoldschmied den St. Annenorden III. Klasse. In der Folge entstand zu jedem Osterfest ein Fabergé-Ei, für das Carl renommierte Juweliermeister wie Michail Jewlampjewitsch Perchin und Henrik Wigström gewann. Nach 1895 ließ Alexanders Sohn und Nachfolger Nikolaus II. je zwei Eier anfertigen, die er der Kaiserin Alexandra Fjodorowna, geb. Alix von Hessen-Darmstadt und seiner Mutter schenkte. Dem Produktionsaufwand entsprechend stiegen auch deren Preise: Kostete das Hennen-Ei noch 4.115 Rubel, waren es für das aus Elfenbein geformte und mit Perlen und Diamanten besetzte Maiglöckchen-Ei (1898) schon beachtliche 6.700 Rubel – gewaltige Summen, kostete damals doch eine Kuh um die 60 Rubel. Das bei weitem teuerste Ei war das 1913 produzierte Winter-Ei mit 24.600 Rubel. Allein das „Krönungsei“ (1897) soll heute rund 30 Millionen Dollar wert sein.
Von den 50 Zareneiern sind 42 bis heute erhalten geblieben; allein drei befinden sich mittlerweile im Besitz der englischen Königin Elizabeth II: die Colonnade-Eieruhr, das Blumenkorb-Ei und das Mosaik-Ei. Der Verbleib der anderen acht liegt im Nebel der Geschichte. Von fünf gibt es Fotografien als Belege über deren Existenz, die Fotos wurden von der Familie des Zaren gemacht. Für die anderen drei ließen sich nur die jeweiligen Namen herausfinden, die in Verträgen mit Fabergé niedergeschrieben waren. Niemand weiß bis heute, wie sie aussehen oder hat eine Idee, wo sie geblieben sind – bis 2014, wo auf einem texanischen Flohmarkt eins der verschollenen Exemplare auftauchte und einen Schrotthändler reich machte. Der russische Oligarch Wiktor Wekselberg, der seit 2000 mit einer kulturhistorischen Stiftung außer Landes gebrachte historische und kulturelle Schätze suchen und nach Russland zurückholen will, verfügt heute über die weltgrößte Sammlung an Fabergé-Eiern: neun kaiserliche und sechs für andere Kunden.
Rückkehr nach Russland
Sie legten letztlich den Grundstein für den Qualitätsnamen Fabergé, der seitdem für höchstes Niveau und attraktives Design in der Herstellung von Schmuck und anderen Dekorationsobjekten steht. Mit den Kronjuwelen, den offiziellen Krönungsgeschenken an Nikolaus II. und vielen von der Zarenfamilie in Auftrag gegebenen Arbeiten, zumeist originalgetreuen Kopien – nicht einmal der Zar selbst konnte seine Tabakdose von einer Replik zum Gebrauch in der Sommerresidenz unterscheiden –, entstanden bis 1916 die meisten Werke Fabergés; seit 1882 ungefähr 150.000 Stücke. Zu den weiteren Angeboten zählen unter anderem Etuis, Trinkbecher, Tischuhren, Spiegelrahmen, Stockgriffe, Flakons, Bonbonieren oder Schreibgarnituren. Die Produkte waren aber nicht nur für Aristokraten gedacht, sondern auch für einfache Bürger wie etwa zu Ostern Miniaturanhänger in Gestalt von Eiern, die mit verschiedenfarbiger Emaille verziert waren.
Hohe Auszeichnungen künden von der Akzeptanz der Schmuckstücke. Auf einer Nürnberger Ausstellung wurde dem Unternehmen für die gelungene Herstellung einer Kopie des Skythenschatzes eine Goldmedaille verliehen. Im Jahr 1897 wurde er auf der Kunstindustrie-Messe in Stockholm zum Lieferanten der königlichen Hoheit Schwedens und Norwegens ernannt. Nach der Weltausstellung 1900 in Paris, wo er Teil der Jury war, durfte er sich Ritter der Ehrenlegion nennen. Die Pariser Goldschmiedegilde verlieh ihm den Titel Maître. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte Carl Fabergé über 500 Mitarbeiter in seinen Geschäften in St. Petersburg, Moskau, Odessa und London.
Während der Oktoberevolution 1917 gelang es Fabergé, als Kurier der englischen Botschaft getarnt, aus dem Land zu fliehen. Das Familienunternehmen wurde zunächst verstaatlicht, wenig später aufgelöst. Der Bestand an Wertsachen in der Londoner Filiale und anderen ausländischen Partnerfirmen erlaubte ihm, seinen Lebensstandard auch im Ausland zu halten. Sein Weg führte ihn zunächst über Lettland und Finnland nach Deutschland, zuerst nach Berlin, später zur Kur nach Wiesbaden, wo er bereits im Rollstuhl saß: Das Erleben, wie sein Lebenswerk zerstört wurde, belastete ihn schwer, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich. Laut der Fremdenliste vom 30. Mai 1920 habe er hier dennoch seinen 74. Geburtstag gefeiert, mit „15 alten Petersburger Freunden“. Es sollte sein letzter Geburtstag sein. Er zog im Sommer ins Exil nach Lausanne, wo er sich behandeln lassen wollte, sich aber von den Umbrüchen nicht mehr erholte und schließlich starb. Er wurde auf dem Friedhof Grand Jas in Cannes beigesetzt.
Seine Söhne Eugène und Alexander gründeten das Unternehmen nach seinem Tode neu. Das erste Fabergé-Ei, das nach der Oktoberrevolution wieder offiziell Einzug in den Kreml hielt, war das „Gorbatschow-Friedens-Ei“, das dem ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion 1991 anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises überreicht wurde. Das aus Gold, Silber, Emaille, Diamanten und Rubinen gestaltete Ei ist auf fünf Exemplare limitiert. Nur zwei sind weltweit ausgestellt: Gorbatschows persönliches Exemplar in der Kreml-Rüstkammer in Moskau sowie das Werksexemplar, das 1993 dem Schwabacher Stadtmuseum übergeben wurde. Seine Heimat Russland hat dem berühmten Sohn durch den Wiedereinzug seiner Kreationen in den Kreml zu Ostern 2001 mit einem Festakt in der Rüstkammer eine späte Ehre erwiesen.