„Man wird ganz sentimental dabei“
15. November 2020 von Thomas Hartung
Als 1938 eine amerikanische Filmzeitschrift zur Wahl des Königs von Hollywood aufruft, stimmt eine überwältigende Mehrheit für ihn. Sein freches Grinsen, sein spöttischer Blick unter hochgezogenen Augenbrauen und sein raubeiniger Charme lassen viele Frauen in den Kinosesseln dahinschmelzen. Auch manche Männer mögen ihn: Ein richtiger Mann, der zupacken und draufhauen kann. Er verkörpert den amerikanischen Traum: Der Aufsteiger, der es aus eigener Kraft nach oben geschafft hat und der bei aller lässigen Eleganz nie seine Herkunft aus den Hinterhöfen verleugnet: Clark Gable. Am 16. November 1960 erlag er Los Angeles einem Herzinfarkt, den Marilyn Monroe mitverschuldet haben soll.
Geboren wurde Gable am 1. Februar 1901 in Cadiz in Ohio, wobei William Clark in der Geburtsurkunde als weiblich erfasst wurde, was sich später sogar noch in Schulzeugnissen bemerkbar machte, bevor der Fehler dann ebenso korrigiert wurde wie später der Nachname: Das deutsche „Goebel“ passte nicht im Ersten Weltkrieg. Als seine Mutter früh starb, zeigte sich der Vater, ein deutschstämmiger Ölarbeiter, mit der Alleinerziehung völlig überfordert und gab das Kind zunächst in die Hände von Pflegeeltern. So verbrachte der Junge eine kurze Zeit auf der Farm seines Onkels Charles in Pennsylvania. Nach zwei Jahren fühlte sich sein Vater der Aufgabe gewachsen, heiratete eine neue Frau und holte seinen Sohn wieder zu sich. Das Leben wurde dadurch nicht einfacher. Bald geriet der Vater in finanzielle Schwierigkeiten und musste mehrfach den Job wechseln, darunter arbeitete er als Krawattenverkäufer. Mit sechzehn Jahren wurde Gable von der High School verwiesen und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch.
Große Anziehungskraft übte das Theater auf ihn aus. Er spielte zunächst kleinere Rollen und wurde Mitglied verschiedener Wandertheater. Fast zehn Jahre tingelte er als Statist auf Tourneebühnen, bis er am Broadway landete und dank seiner virilen, teilweise ungehobelten Ausstrahlung gute Kritiken bekam. In der Zeit der Großen Depression 1929, die auf den Börsencrash folgte, wurde Hollywood auf ihn aufmerksam, nachdem er bereits kleine Statistenrollen wie in „Die lustige Witwe“ von Erich von Stroheim übernommen hatte. Zunächst wegen seiner Segelohren als „Taxi mit offen stehenden Türen“ verspottet, erwies er sich als der rechte Mann zur rechten Zeit: Das von der Wirtschaftskrise gebeutelte Publikum war ganz wild nach dem Draufgänger mit dem schiefen Grinsen. Hinzu kommt die Bekanntschaft mit der Theatermanagerin Josephine Dillon, die ihm auch Schauspielunterricht gab – 17 Jahre älter, aber mit den richtigen Verbindungen. Die 1930 schon wieder beendete Ehe mit ihr öffnete ihm die Türen ins Filmgeschäft.
„moderner Rudolfo Valentino“
Er ergatterte zunächst eine Nebenrolle im Western „The Painted Desert“ und begann mit seiner Rolle eines gewalttätigen Gangsters und Verführers im Drama „Der Mut zum Glück“ einen kometenhaften Aufstieg. Schon 1931 spielte der Newcomer in neun Filmen und zählte zu den zehn kassenträchtigsten Stars. Aber was für Unsympathen spielt Gable, was für Widerlinge, Scheusale, Draufgänger und Gangster: In „Night Nurse“ schlägt er Barbara Stanwyck ins Gesicht, in „Helgas Fall und Aufstieg“ warf er eine Prostituierte die Treppe hinab, und Norma Shearer wird in „Der Mut zum Glück“ als wohlerzogene Tochter der besseren Gesellschaft von Gable schlecht behandelt. Und doch liegt ihm die Frauenwelt zu Füßen. Nach den Schlägen gegen Shearer wird Metro-Goldwyn-Mayer mit Briefen bombardiert: Keine Proteste – die Fans wollen sich freiwillig von Gable schlagen lassen.
1932 trat er als charmanter Flegel bereits das zweite Mal neben Jean Harlow auf, beide erweisen sich als profitables Gespann. Gable wird außerdem acht Mal neben Joan Crawford, sieben Mal an der Seite von Myrna Loy und dreimal an der Seite von Norma Shearer zu sehen sein. Obwohl ihn sein Image als Schurke und Gigolo bald anödete, musste er von seinem Filmstudio Metro-Goldwyn-Meyer quasi dazu gezwungen werden, 1934 als Reporter in Frank Capras Screwball-Spaß „Es geschah in einer Nacht“ aufzutreten. Für die gewagte, von der Zensur kritisch beäugte Liebeskomödie bekam Gable, der sich stets nur für einen Selbstdarsteller hielt, zu seiner Überraschung 1935 den Oscar. Der Film, der ihn mit nackter Brust unter dem offenen Hemd zeigte, machte ihn zum Sexsymbol – und stürzte angeblich Unterhemdfabrikanten in den Ruin, bis Marlon Brando und sein weißes T-Shirt in „Endstation Sehnsucht“ 1951 den Trend wieder umkehrten. Legendär sind seine vielen Affären, unter anderem mit Jean Harlow, Joan Crawford, Grace Kelly – und Loretta Young, die schwanger wurde. Sie musste nach Europa reisen, um die Schwangerschaft geheim zu halten, und brachte dort eine Tochter zur Welt. Gable gab die Vaterschaft niemals zu.
Auf dem Gipfel seines Ruhmes war Gable, den Kritiker auch als „modernen Rudolfo Valentino“ bezeichneten, der einzige MGM-Darsteller mit einem lebenslangen Vertrag und kassierte ein jährliches Gehalt von 300 000 Dollar. Neben diesen Glanzrollen aber drehte er meist anspruchslose Starvehikel wie „Meuterei auf der Bounty“ – hier war er für seine Verkörperung des Seeoffiziers Fletcher Christian erneut für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert, – „Der Draufgänger“ und „Zu heiß zum Anfassen“, deren Titel verraten, um was es ging. Nach dem Scheitern seiner zweiten Ehe mit der wiederum 17 Jahre älteren texanischen Millionenerbin Maria Langham heiratet er 1939 in dritter Ehe seine große Liebe, die Schauspielerin Carole Lombard. Davor hatte er den Film abgedreht, dessen später legendäre Hauptrolle als Rhett Butler er nur zögerlich angenommen hatte und der ihm doch auf ewig einen Platz in der Filmgeschichte sichert: „Vom Winde verweht“.
„große Leistung der Amerikaner“
Das Südstaatenepos um die Liebe in Zeiten des Bürgerkriegs nach dem gleichnamigen Roman von Margaret Mitchell war mit fast vier Stunden Laufzeit seinerzeit der Film mit der längsten Spieldauer, außerdem mit Herstellungskosten von rund vier Millionen US-Dollar der teuerste Film überhaupt. Vom American Film Institute wurde er auf Platz 4 der 100 größten US-Filme aller Zeiten gewählt. Mit einem inflationsbereinigten Einspielergebnis von rund 7,2 Milliarden US-Dollar (2019) gilt der für 13 Oscars nominierte Streifen bis heute als kommerziell erfolgreichster der Filmgeschichte. In Umfragen rangiert er noch vor „Star Wars“; in Großbritannien war er noch 2004 der meiste gesehene Film überhaupt.
Die Premiere im Grand Theater in Atlanta war das Ereignis des Jahres. Dafür hatte der Gouverneur von Georgia den 15. Dezember 1939 zum Feiertag ausgerufen – vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte aus Anlass einer Kino-Premiere. Viele Schaulustige waren als Hommage an den Film in Kostümen aus der Bürgerkriegszeit erschienen. Gable, der ihn übrigens als „Film für Frauen“ geringschätzte, wird im DLF mit Sätzen wie diesem zitiert: „Als ich meine erste Liebesszene spielen musste, war ich zu Tode erschrocken. Der Regisseur meinte, ich sollte einen verlangenden Gesichtsausdruck mimen. Daraufhin dachte ich an ein riesiges, halb durchgebratenes Steak. Es klappte so gut, dass ich diesen Trick seither immer wieder verwende“.
Er habe in der Szene nicht weinen wollen, in der er von der Fehlgeburt seiner Frau erfährt, erklärte Kollegin Olivia de Havilland 2004 im Spiegel. „Er dachte, es sei unmännlich. So waren Männer damals konditioniert. Es war so schade, dass sie diese Gefühle unterdrücken mussten“. Regisseur Fleming habe damals alles versucht und Gable sogar bei seiner Berufsehre gepackt. „Am Ende gab es einen letzten Versuch“, so de Havilland. „Ich sagte ‚Ich weiß, dass du es kannst und du wirst wunderbar sein‘. Tja, und bevor die Kamera zu laufen begann, konnte man bereits die Tränen in seinen Augen sehen.“ Bis heute schmachten Frauen unter seinem spöttischen Blick. Und das, obwohl sein letzter Satz gegenüber der ihr Herz ausschüttenden Scarlett ist: „Frankly, my dear, I don‘t give a damn“ („Ehrlich gesagt ist mir das gleichgültig“). Der Satz wurde vom American Film Institute zum bedeutendsten US-Filmzitat überhaupt gewählt.
Dass der Film erst mit 14-jähriger Verspätung in die deutschen Kinos kam, war zunächst der NS-Filmpolitik geschuldet, die mit ihrem Anspruch auf den ersten Platz in der Filmwelt Roman wie Film verbot. „Clark Gable ist nicht nur ein kluger, sondern auch ein schöner Mann“, sagt Eva Braun in Philippe Moras nachsynchronisiertem Kompilationsfilm „Swastika“ (1973), weshalb Hitler auf Gable, den er tatsächlich geschätzt haben soll, eifersüchtig geworden sei. Joseph Goebbels schrieb am 30. Juli 1940 in sein Tagebuch: „Großartig in der Farbe und ergreifend in der Wirkung. Man wird ganz sentimental dabei. Die Leigh und Clark Gable spielen wunderbar. Die Massenszenen sind hinreißend gekonnt. Eine große Leistung der Amerikaner. Das muss man öfter sehen. Wir wollen uns daran ein Beispiel nehmen. Und arbeiten.“
„an den Rand eines Herzinfarkts gebracht“
Mit Carole Lombard lässt sich Gable auf einer Ranch in Encino nieder, auf der er bis zu seinem Tod leben wird. Gemeinsam gingen sie fischen, jagen, wurden sesshaft und gesellig. 1940 erlitt Carol eine Fehlgeburt. Ausgerechnet eine Kriegsanleihenverkaufstour kostete sie dann 1942 bei einem Flugzeugabsturz nahe Las Vegas das Leben. Das Unglück war ein schwerer Schlag für Gable, der sogar zur Unglücksstelle flog, seitdem nicht mehr als derselbe galt und dem Alkohol mehr zuzusprechen begann als ihm zuträglich war. Um der Leere zu entkommen, meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, den er bis 1945 als Bomberpilot absolvierte. Die gesamte Ausbildung in der US Army zum Kanonier wurde gefilmt, eine vierköpfige Filmcrew begleiteten Gable während der ganzen Zeit. Fünfmal flog Bordschütze Gable Angriffe in einer B-17 mit.
Nach dem Krieg – die Entlassungsurkunde von Major Gable hatte ein Offizier namens Ronald Reagan unterschrieben – erlebte er nur ein verhaltenes Comeback: Bei seinen Erfolgen wäre er heute ein Top-Star, in Hollywood dagegen war er eins unter vielen Gesichtern. Er spielte den „Mann ohne Herz“ (1945), den „Mann am Scheideweg“ (1947), blieb der charmante Herzensbrecher in der Komödie „Der Windhund und die Lady“(1947), glänzte als draufgängerischer Abenteurer in William A. Wellmans großem Western „Colorado“ (1951), in John Fords Afrika-Drama „Mogambo“ (1953) mit Ava Gardner und Grace Kelly sowie in drei großen Filmen von Raoul Walsh. Sehenswert sind auch die Abenteuerkomödie „Es begann in Moskau“ (1953), das Kriegsdrama „U23 – Tödliche Tiefen“ (1958), die Doris-Day-Komödie „Reporter der Liebe“ (1958) und die turbulent-romantische Komödie „Es begann in Neapel“ (1960) mit Sophia Loren.
Ehefrau Nummer vier war 1949 das Model Sylvia Ashley geworden, 1952 ging auch diese Beziehung in die Brüche. 1954 hatte er nach einem Direktorenwechsel MGM verlassen und arbeitete seitdem freiberuflich. Mit der bereits dreimal geschiedenen Schauspielerin Kathleen „Kay“ Spreckels fand Gable ein neues, wenn auch kurzes spätes Glück, am 11. Juli 1955 fand die Hochzeit statt. 1960 kam dann mit „Misfits – Nicht gesellschaftsfähig“, in dem Gable mit der Monroe spielte, der für beide letzte und nach Auffassung vieler auch jeweils beste Film. Es ist ein Psychodrama nach einer Vorlage von Monroes Ehemann Arthur Miller – und ein Psychodrama war auch der Dreh.
Monroe war unzuverlässig, ihre ständige Verspätung reizte Gable bis aufs Blut. Alle waren auf den Erfolg oder auf Monroe eifersüchtig, zudem stand die Crew unter Erfolgsdruck. Freunde hatten ihn vor der nervenaufreibenden Arbeit mit Monroe gewarnt, doch die Gage von 750 000 Dollar – im Schnitt verdiente ein Amerikaner damals gute 5.000 Dollar im Jahr – lockte ihn. Es sei gut, dass die Dreharbeiten sich dem Ende näherten, sagte der 59-Jährige im Herbst, die Monroe habe ihn „an den Rand eines Herzinfarkts gebracht“. Kurz darauf starb er – an einem Herzinfarkt. Die Premiere von „Misfits“ erlebte er nicht mehr mit, ebenso die Geburt seines einzigen Sohnes John Clark Gable im März 1961.
Die Monroe war‘s, sagen seine (weiblichen) Fans. Skeptiker sehen es etwas nüchterner: Jahrelang drei Schachteln Zigaretten am Tag und dazu noch Zigarren zum Whiskey fordern auch von einem Hollywoodstar ihren Tribut. Gable wurde im Großen Mausoleum im Forest Lawn Memorial Park neben seiner dritten Frau, Carole Lombard, beigesetzt. Heute erinnert ein Stern auf dem „Hollywood Walk of Fame“ an den legendären „King of Hollywood“, der vom kernigen, grobschlächtigen Farmer bis zum eleganten Gentleman wandlungsfähig war wie wenige. Bei einer Umfrage des American Film Institute wurde er noch 1999 auf Platz sieben der größten männlichen Filmstars gewählt.