Offener Brief an Markus Pfalzgraf
9. November 2020 von Thomas Hartung
Sehr geehrter Herr Pfalzgraf,
nach über 25 Jahren bin ich nicht mehr sächsisches, sondern seit wenigen Wochen baden-württembergisches DJV-Mitglied und, als Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion, dem Fachausschuss Medienkommunikation (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) zugeordnet. Ihrer Rundmail vom 4. November entnahm ich, dass Sie jüngst zum Landesvorsitzenden gewählt wurden; dazu herzlichen Glückwunsch. Nach meiner Beschäftigung mit dem Landesverband und seinen diversen Publikaten sehe ich mich allerdings veranlasst, mit dem Glückwunsch einige kritische Anmerkungen zu verbinden und in die Form eines Offenen Briefs zu kleiden.
Den Hintergrund meiner Anmerkungen bilden primär Ihre drei hintereinander publizierten Artikel im Mitgliedermagazin Blickpunkt. Das Medienmagazin für Baden-Württemberg. Die Titel lauten „Es wird ungemütlich“ (01/2020, S.26 ff.), „Grundsätzlich und gelassen“ (02/2020, S. 30 ff.) sowie „Wichtiger denn je: Pressefreiheit verteidigen“ (03/2020, S. 24) – alle sind online abrufbar (https://www.djv-bawue.de/landesverband/blickpunkt/). In diesen Artikeln findet statt, was ich gelinde geschrieben nur als widerwärtige Hetze gegen andersdenkende Demokraten auffassen kann.
Sekundär sind es zwei Äußerungen Ihres Dienstherrn, dem SWR-Intendanten Kai Gniffke. Er hat sich einerseits in der Zeit gegen ein Auftrittsverbot für AfD-Politiker wie Björn Höcke in Talkshows ausgesprochen. „Wenn wir anfangen zu unterscheiden, wer bei uns auftreten darf und wer nicht, kommen wir argumentativ ganz schnell in den Wald“, wurde er zitiert. Und er hätte „diese Leute nicht nur abzubilden, sondern auch mit denen zu reden.“ Dass diese Selbstverständlichkeit inzwischen Nachrichtenwert hat, lässt tief blicken. Denn dem SWR-Staatsvertrag, der seit 30. Juni 2015 in Kraft ist, entnehme ich unter § 3 Abs. 1, dass er „in seinen Angeboten einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, bundesweite sowie im Schwerpunkt über das länder- und regionenbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben“ hat und „hierdurch auch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern“ soll (Hervorhebungen von mir).
Andererseits hat er zugegeben, „dass wir bestimmte Haltungen in unserer Belegschaft vielleicht nicht abbilden“. Anlass war die ARD-Volontärsumfrage im Novemberheft unseres Bundesfachblatts journalist. Danach würden sage und schreibe 92 Prozent bei der Bundestagswahl grün-rot-rot wählen. Die AfD wird dabei gar nicht mehr separat gelistet, sondern zusammen mit anderen Splitterparteien unter „Sonstige“ mit 3,9 Prozent geführt. Wenn aber die Präferenzen von Journalisten so krass von jenen der Gebührenzahler abweichen, ist es praktisch unmöglich, den Sendeauftrag zu erfüllen. Es spricht nichts gegen eher linksgerichtete Journalisten. Offenbar ist man aber wohl mittlerweile der Meinung, es spräche etwas gegen konservative und liberale Journalisten, die das andere Spektrum abbilden.
Das Problem liegt also nicht zuvorderst in der Abbildung linker Themen und Meinungen, sondern darin, dass sie kein Gegengewicht, keinen Widerspruch mehr durch Journalisten mit einem anderen politischen Blickwinkel erfahren. Und dieses Problem, womit sich zunächst der Kreis formal schließt, ist auch Ihren drei Texten eigen, die in geradezu beängstigender Weise Ihre politische Voreingenommenheit mit Ihrem gewerkschaftlichen Engagement wider die AfD und ihre Landtagsfraktion vermischen – und mit der Sie sich, um in der Metaphorik Kai Gniffkes zu bleiben, bereits ganz tief im Wald verlaufen haben.
Das mag Ihnen in Ihrer Freizeit gern zugestanden sein, nichtsdestotrotz sorge ich mich sehr darum, welche Auswirkungen diese Vermischung auf Ihre Berichterstattung im SWR zeitigen, auf die anderen DJV-organisierten Redaktionskollegen im Südwesten und – auf Ihre Studenten, da Sie ja einen Lehrauftrag an der HdM erfüllen. Ich war seit 1998 neben-, seit 2002 hauptberuflicher Dozent für Medienkommunikation und –produktion an Universitäten und Hochschulen bundesweit und grüble bis heute, was spätestens seit 2014 passiert ist, um ideologisch so stromlinienförmigen Nachwuchs entstehen zu lassen.
So mutmaßen Sie im ersten Text „Bald wird die AfD erste Mitglieder in den Rundfunkrat entsenden. Spätestens dann könnte es ungemütlich werden. Denn auch das hat die AfD schon in anderen Institutionen gezeigt, die sie verachtet: Sie ist gewillt, mindestens den Betrieb zu stören, viele Menschen mit ihren Eingaben, Nachfragen oder gleich Klagen aufzuhalten und zu binden.“ Ungemütlich, aha. Ein interessantes Adjektiv dafür, dass die ARD als Anstalt mit einem Etat, der etwa dem Staatshaushalt der Slowakei entspricht, nicht mehr kontrolliert zu werden braucht, weil sie ja per se alles richtig macht.
Daneben stellen Sie Zusammenhänge zum Medienanwalt Ralf Höcker und der CDU-„Werte-Union“ sowie dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen her und diskreditieren sie damit. Maassen vorzuwerfen, er habe „seinen Posten wegen mindestens verharmlosender Äußerungen im Zusammenhang mit rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 verloren“, ist hanebüchen: Maassen hatte damit die Worte des mit der Untersuchung beauftragten Staatsanwalts sowie des amtierenden Ministerpräsidenten wiedergegeben. Daneben die Ausgrenzung der Fraktion von den Corona-Absprachen der anderen Fraktionen zu schnellen Milliarden-Hilfspaketen für die Wirtschaft als selbstinduzierte „Inszenierung“ darzustellen, ist absurd und verdreht die Realität in ihr Gegenteil; darauf ist noch zurückzukommen.
Ein Hauch von Weimar
Im zweiten Text vermitteln Sie Ihren Eindruck, „dass ein Hauch von Weimar durch die Straßen weht“. Geht’s noch eine Nummer größer? Ich verwahre mich nicht nur als DDR-studierter Geschichtslehrer gegen diese erbärmliche Geschichtsklitterung, deren Framing der Thüringer Staatskanzleichef nach der Kemmerich-Wahl vorgab. Ich verwahre mich dagegen auch als Bürger, der die ersten 28 Jahre seines Lebens ostdeutsch sozialisiert wurde – die DDR muss ja dann nach Ihrem Verständnis nicht links, sondern rechts gewesen sein. Meine Gymnasialdirektorin war die Frau von Klaus Trostorff (einfach mal google fragen), ich habe in meiner Erfurter Schulzeit, 20 km neben Weimar, öfter der Buchenwald-Opfer gedacht als Sie das in Ihrem Leben je tun werden.
Sie ergehen sich danach in ellenlangen Mutmaßungen, wie Nachrichtenwerte so interpretiert werden können, dass die AfD nicht vorkommt (!!!). Ich erinnere: Ihr Intendant hat dazu in der Zeit die Gegenposition vertreten! Übrigens zolle ich an dieser Stelle Ihrer Kollegin, als sie es noch war, Katharina Thoms Respekt: Sie holte immer ein AfD-Statement zu bestimmten Sachverhalten ein, obwohl das eigentlich Sache von dpa gewesen wäre, deren erbärmliche Rolle nochmal einen eigenen Text gäbe.
Darüber hinaus fabulieren Sie von einem „falschen Verständnis von Neutralität und Offenheit“ und „darum, zu markieren, wo Meinung aufhört, und wo Hetze und Desinformation beginnen“. Wie bitte? Was gibt es an „Neutralität“ zu interpretieren? Und offenbar können Sie nicht nur mit einem Blick erfassen, was Information ist und was nicht, sondern auch entscheiden, welche Meinung von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und welche – ja was eigentlich – die Straftatbestände Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede etc. erfüllt? Das offenbart ein totalitäres Rechtsverständnis. Über den Rest des Textes breite ich den Mantel des Schweigens; Worthülsen wie „Wir wollen keinen Millimeter zurückweichen, wenn es um unsere journalistischen Prinzipien geht. Auch wenn es unbequem wird. Rechts ist Rechts, und Pressefreiheit ist Pressefreiheit“ sprechen für sich.
Keinesfalls schweigen aber kann ich zum 3. Pamphlet. Hier blasen Sie sich zu einem vermeintlichen Märtyrer der Pressefreiheit auf und zeigen das ganze selbstreferentielle Daseinsverständnis der unangenehmeren Vertreter Ihres Berufsstandes. Zitat: „Wütende Leserbriefe können wir aushalten, empörte Mails ins Studio ertragen und bestenfalls den Dialog suchen, wenn es sich lohnt. Aber wir müssen nicht auf jeden Unsinn reagieren oder ihm gar eine Bühne bieten. (…) Aber wenn Kolleg*innen bedroht und eingeschüchtert werden, wenn Kolleg*innen online belästigt und beschimpft werden, Vertreter*innen bestimmter Parteien, Organisationen oder Demonstrationen nur zu ihren Bedingungen mit uns sprechen wollen – vielleicht auch, weil sie nicht verstanden haben, wie Medien arbeiten – dann müssen wir sagen: Stopp! Dann berichten wir eben anders, oder eben gar nicht.“
Abgesehen vom arroganten Pluralis Majestatis: Sie finden also, für 18,36 Euro im Monat hat jeder Bürger dieses Landes ein Recht auf Herrn Pfalzgrafs gönnerhafte kleine politische Meinung. Das ist Orwell hoch zwei und wird hoch drei, wenn Sie die Opposition direkt angehen. Zitat: „Die AfD wird uns in der nächsten Zeit zunehmend Probleme machen. Diese Partei will Teile der Medienlandschaft umbauen, aus ihrer Verachtung etwa für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk macht sie keinen Hehl. (…) Aber wenn Interviews nur noch zu genehmen Themen gegeben werden, Zitate entweder vollständig oder gar nicht gedruckt werden sollen, und manchmal sogar Versuche unternommen werden, in das Umfeld der Berichterstattung einzugreifen, dann ist auch hier eine Grenze erreicht. Zumal rechte Parteien und Organisationen längst die Deutungshoheit in sozialen Medien übernehmen wollen und viele Kanäle teils mit redaktionell aussehenden Inhalten fluten.“
Sie bekennen hier ganz klar einen politischen Auftrag zum Kampagnenjournalismus – den Kampf gegen die demokratische Opposition. Gegner soll die AfD sein, Zitate und Themen nur nach Herrn Pfalzgrafs Geschmack. An der Position des Gesprächspartners – kein Bedarf. Billiger, rückhaltloser und entlarvender hat sich noch keiner als Pressesprecher einem grünen Ministerpräsidenten andienen wollen. „Sagen was ist – nicht was sein könnte“ lautet ein eherner journalistischer Grundsatz, den ich meinen Volontären und Studenten in der ersten Woche vermittelte. Was dagegen vermitteln Sie?
Offenkundig stimmt Odo Marquards Befund vom „Prinzessin-auf-der-Erbse-Syndrom“: Je sicherer man lebt, desto ängstlicher reagiert man auf Restrisiken. Und wer vermeintlich keine Feinde mehr hat, sucht sich welche. Mit Angst lässt sich alles Mögliche verkaufen: teurer Strom, vegane Kost, E-Mobilität, unbegrenzte Zuwanderung… und „Weimarer Zustände“. Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler hat das „Phobophobie“ genannt. Von journalistischer Objektivität, journalistischem Ethos, der Trennung von Nachricht und Meinung bleibt nicht einmal ein Anspruch. Genau so wurde es in zwei deutschen Diktaturen gemacht.
Denn genau dies erleben wir spätestens seit Corona in Reinkultur: alle AfD-Initiativen, zumal zur Sanierung des Landes oder zur Rationalisierung der medizinischen Debatte, werden kurz oder gar nicht berichtet, während selbst Null-Meldungen der Herren Stoch oder Rülke genüsslich ausgebreitet werden: So widmen Sie und Ihre Redaktion der Meinung „FDP-Fraktionschef hält Alltagsmasken für untauglich“, die nicht von ungefähr auch die AfD vertritt, geradezu unverschämt viel Platz (https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/debatte-um-alltagsmasken-100.html). Dass derselbe Herr Rülke zur Maskenpflicht im Landtag feige kniff, verschwiegen Sie danach aber ebenso wie die wissenschaftlichen Argumente der Mediziner Baum, Fiechtner und Gedeon dagegen. Symbolpolitik aka Gratismut ist nur solange gut, wie einen die Symbole nicht selbst betreffen?
Zwang zur Einheitlichkeit
Mit einer Abbildung verschiedener politischer Positionen innerhalb einer pluralistischen Demokratie hat das nichts mehr zu tun. Vielmehr trägt diese Einseitigkeit wesentlich dazu bei, dass bestimmte Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs verbannt werden und Menschen in privaten Gesprächen kaum noch in der Lage sind, widerstreitende Positionen zu ertragen, weil diese auch in der medialen Landschaft kaum noch vorkommen. Ein Beitrag zur Demokratiebildung wird so nicht mehr geleistet. Stattdessen werden durch den Zwang zur Einheitlichkeit Spaltung und Intoleranz innerhalb der Gesellschaft vorangetrieben. Denn die Meinungen sind nicht weg, nur weil sie, bspw. von Ihnen, nicht mehr medial abgebildet werden.
Am Ende setzen Sie Ihrer Selbstinszenierung als Märtyrer der Pressefreiheit noch die Krone auf: Sie seien tagtäglich mit den Anfeindungen von sogenannten Querdenkern, Reichsbürgern oder (Zitat!) „den Hetzern gegen die Presse von der AfD konfrontiert.“ Ich weiß nun nicht, auf welche Erlebnisse mit mir oder meinen Kollegen von der Pressestelle diese Äußerung gründet. Aber Stichwort Realitätsumkehrung: ich verweise gern auf die Anfragen von MdL bundesweit, in Stuttgart namentlich von Dr. Podeswa, aus deren Antworten hervorgeht, dass es Politiker und Einrichtungen der AfD sind, die mit nicht nur verbaler Gewalt konfrontiert sind – erst gestern wieder traf es mit Dr. Kaufmann unseren Stuttgarter OB-Bewerber. Nur nebenbei erwähne ich die Tatsache, dass unter dem Rubrum der „Pressefreiheit“ eine ähnliche Anti-AfD-Kampagne auch im DJV-Bundesblatt journalist losgetreten wurde – die Angst vor dem baden-württembergischen Superwahljahr und der Aufbau entsprechend identischer Propagandamuster sind überdeutlich.
Sie haben – und jetzt zitiere ich die Vorwürfe aus meinem Brief an Kai Gniffke, sie treffen nämlich eins zu eins auch auf Sie zu – nach dem Prinzip der instrumentellen Aktualisierung „genau jene Sachverhalte gehypt, die Ihrem politischen, oder besser politisch korrekten, Verständnis entsprechen, und die anderen, mehrheitlich dem Land und seiner Bevölkerung nutzenden durch Verschweigen abgewertet. Das ist nicht nur hochgradig unseriös, sondern manipulativ, desinformativ und letztlich destruktiv“. Mit derselben Berechtigung könnte ich der SPD unterstellen, sie sei – Stichwort Edathy – eine Partei von Pädophilen, oder – Stichwort Giffey – eine Partei von Doktorschwindlern, oder – Stichwort Schmidt – eine Partei von Dienstwagenbetrügern oder – Stichwort Hinz – eine Partei von Lebenslauferfindern; kurz ein Haufen pseudopolitischer Krimineller. Die Empörung wäre grenzenlos.
Je konträrer das Darzustellende zur Realität ist, umso stärker werden gefühlige, emotionalisierende und irrationale Beschreibungen herangezogen, ja missbraucht: „…die AfD findet auf sachpolitischer Ebene nicht statt, sondern nur auf moralischer Metaebene. Das kündet von der Heraufkunft der Schmitt‘schen Freund-Feind-Unterscheidung im Journalismus und kann nicht Aufgabe eines bürgerfinanzierten Journalisten sein“, hatte ich geschrieben. Es braucht sehr viel guten Willen, um hinter Ihren Aussagen keine Lust am Ausgrenzen, Ächten und Bestrafen von politischen Gegnern zu erkennen. Wer dagegen auf der richtigen Seite steht, soll sich in der Welt des sozial gerechten Medienrichtertums auch mehr herausnehmen dürfen, wie die taz jüngst im Shitstorm gegen Hengameh Yaghoobifarah unvorsichtigerweise eingestand.
So hätten „Identität, Repräsentation und Antidiskriminierung“ inzwischen einen ganz anderen Stellenwert, weshalb die Frage diskutiert würde, „ob das einen anderen Journalismus definieren darf oder muss“. taz-Chefin Barbara Junge entblödete sich nicht zu argumentieren, „ob die Klimakrise so existenziell ist, dass sie journalistische Regeln verändert“. Das ist kein Witz. Nach der Klima- wird dann eine Demokratiekrise konstatiert, um weiter munter die Regeln zu ändern?
Sicher ist inzwischen, dass die Rücksichtnahme auf Prinzipien wie die Unschuldsvermutung, die Wahrung der Verhältnismäßigkeit oder die Gleichheit vor Gericht auch in Politik und Justiz schwindet. Ein Kollege schrieb jüngst von „Hashtag-Aktivisten“, die sich in einem Krieg gegen das „absolut Böse“ wähnen und es daher geradezu für eine Pflicht halten, „demokratische Prinzipien wie Toleranz, Meinungsfreiheit, Vernunft oder die Unschuldsvermutung zu tilgen.“
In Berlin zum Beispiel gilt nach dem Willen der rot-rot-grünen Mehrheit die Unschuldsvermutung nicht mehr, zumindest für Polizisten, die künftig im Fall von Rassismusvorwürfen ihre Unschuld beweisen müssen. Ist das auch Ihr Ideal der Politikberichterstattung? Ihr Dresdner SZ-Kollege Sven Heitkamp kommentierte erst gestern, dass die Richter am OVG Bautzen mit ihrer Entscheidung über die „Querdenken“-Demo in Leipzig völlig daneben lägen und der Demokratie einen „Bärendienst“ erwiesen. Definieren jetzt Journalisten nicht nur soziale, sondern auch juristische Standards?
Helmut Mauró schrieb in seinem zu Unrecht inkriminierten SüZ-Text über Igor Levit von einem „diffusen Weltgericht“, „dessen Prozesse und Urteile in Teilen auf Glaube und Vermutung, aber auch auf Opferanspruchsideologie und auch regelrechten emotionalen Exzessen beruhen. Es scheint ein opfermoralisch begründbares Recht auf Hass und Verleumdung zu geben…“ Damit hat er unbedingt Recht. Gerade in bestimmten linksliberalen Medien gilt das sehr beliebte Wort „Haltung“ nur so lange, als es gegen „rechte Rabauken“ und „Hasstrolle“ geht. Damit macht man sich erpressbar und nährt eine Kultur der Feigheit, der Illoyalität, der Anbiederung und des Konformismus. So hatte Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo versucht, das deutsche Handball-Nationalteam als im rechten Milieu verankert darzustellen, weil keine Migranten mitspielen. Das nimmt absurde Züge an.
Sehr geehrter Herr Pfalzgraf,
als ich am 28. April 2013 gemeinsam mit Frauke Petry die AfD Sachsen gründete und ihr Landesvize wurde, gab es außer einem Neun-Punkte-Manifest mit dem Euro als Primärthema nur acht Sekundärthemen. Als Hochschulpädagoge war der Zustand unserer Bildung – das letzte Sekundärthema – mein primärer Eintrittsgrund. Angefangen von der fehlenden frühkindlichen Bildung über die katastrophale Inflation guter Noten und Abiture, das ein Halbwissen befördernde Bologna-System, die Verideologisierung der Wissenschaft, die zugleich mit ihrer Vergenderung einhergeht, dazu das Entstehen eines akademischen Prekariats mit armselig entlohnten Zeitverträgen, der fehlende akademische Anstand, der Plagiaten Tür und Tor öffnet, die Aushöhlung universitärer Standards, die zu Juniorprofessuren und kumulativen Habilitationen führte, ein Publikationszirkus, der nur noch quantitativen Maßstäben folgt – wir mutierten damals wie heute vom Land der Dichter und Denker zum Land der Gesinnungsrichter und Niveauhenker.
Aus diesen neun Punkten entstanden Europa-, Bundes- und 16 Landtagswahlprogramme, in denen nichts zur Einschränkung der Pressefreiheit oder zur ungehinderten Ausübung des Journalistenberufs steht. Das weiß ich sehr sicher, ich kenne sie alle und habe die sächsischen selbst und an den bundesweiten als Bildungs-, Medien- und Kulturpolitiker mitgeschrieben. Nichtsdestotrotz fühlte sich der DJV-Verbandstag bereits vor 2 Jahren zu einer „Dresdner Erklärung“ veranlasst, laut der es nicht vereinbar sei, gleichzeitig Mitglied des DJV sowie einer politischen Partei zu sein, welche die Pressefreiheit und die ungehinderte Ausübung des Journalistenberufs einschränken will.
Mein Entsetzen darob wurde durch die Relativierung des DJV-Sprechers Hendrik Zörner im MDR nicht geringer: „Die Erklärung richtet sich nicht nur gegen die AfD – aber auch“; sie richte sich gegen alle extremistischen Parteien. Prompt schrieb ich einen ersten Offenen Brief und forderte „Dann schließt mich doch aus“ (https://www.dr-thomas-hartung.de/?p=3657); alle Argumente darin sind heute immer noch aktuell. Ein zweites Mal erhebe ich diese Forderung, trotz Ihrer hanebüchenen „Karlsruher Erklärung“, allerdings nicht. Im Gegenteil: Ich werde alles dafür tun, den Einfluss moralistischer Funktionäre mit Volkserzieher-Allüren zurückzudrängen.
Ich habe als „Homo sapiens ostrozonalis“ (Klaus-Rüdiger Mai in der NZZ, auf den ich mich im Folgenden gern und oft beziehe) genügend Erfahrung damit gesammelt, wenn Medien nicht mehr kritisch berichten, sondern propagieren, motivieren und erziehen wollen. Aus der Art der Darstellung vermögen wir herauszulesen, was die schon länger hier Regierenden möchten, hoffen oder befürchten: Als das DDR-Fernsehen 1989 ausführlich über die Niederschlagung der Proteste am Platz des Himmlischen Friedens in Peking berichtete, die Filmbilder wie in einer Endlosschleife gesendet wurden, erkannte jeder DDR, dass das eine Warnung an das eigene Volk und die Opposition darstellte.
Das Eigene zu erkennen, bleibt Aufgabe, solange man lebt. Das Eigene zu verachten, so wird niemand groß. Wir waren klein und werden seit 30 Jahren weiter in unserem Wachstum behindert. Für uns war die Wiedervereinigung eine Heimkehr nach Deutschland und die Rückkunft zum Herr sein über sich selbst. Diese Rückkunft wird uns gerade genommen – unter anderem von Ihnen. Wir bestehen auf der Existenz Deutschlands unabhängig von einer EU, wir empfinden uns als Deutscher wie der Franzose als Franzose, der Italiener als Italiener und der Portugiese als Portugiese: „Deutschland einig Vaterland“, hieß es in der Nationalhymne der DDR, wissen Sie das eigentlich!
Heute vor 31 Jahren fiel die Mauer. Heimat ist etwas, das man immer dann spürt, wenn es verloren zu gehen droht. Der Herbst 2015 und die Öffnung der Grenzen schuf diese Situation. Die Propagierung der Willkommenskultur, die einherging mit der Ausgrenzung und Diffamierung von deren Kritikern, und der Konformitätsdruck, der in den Medien erzeugt wurde und wird, erinnerten viele von uns an das Staatswesen, das wir überwunden meinten. Uns zeigte sich wieder das hässliche Gesicht des Klassenkampfes. Wie aus der DDR bestens bekannt, bezieht das linksliberale Neobiedermeier seine Rechtfertigung aus der vermeintlich guten Sache, aus einer höheren Moral, aus Weltoffenheit, aus Fortschrittlichkeit. Der Kritiker, der Andersdenkende war plötzlich der Klassenfeind – im eigenen Land!
Dass eine realistische Problemanalyse mit einem apodiktischen „Wir schaffen das“ obsolet gemacht wurde, dass eine Regierung angesichts der tiefgreifenden, von vielen als verfassungswidrig eingestuften Veränderung keine Antworten anbietet, kann nur zu Radikalisierung führen: Die Bürger spüren, dass sie das, was für sie Herkunft, Heimat, Identität ist, verlieren. Sie erkennen, dass Prozesse in Gang gesetzt werden, bei denen sie keiner gefragt hat, ob sie das wollen – „wir wollen das gar nicht schaffen“, dekretierte Alexander Gauland sehr richtig. Die Erinnerung an die DDR kehrt mit Macht zurück: Wir stellen mit Erschrecken fest, dass das neue Deutschland der alten DDR immer ähnlicher wird, wenn die Eliten auf obrigkeitsstaatliche Mittel und Strukturen setzen, weil sie ihrer selbstgeschaffenen Probleme nicht mehr Herr werden, weil sie die Bevölkerung in Geiselhaft für ihre eigene Unfähigkeit nehmen wollen.
Der Klassenfeind, der Rechte, der Populist ist vor allem die Gestalt des eigenen Versagens, von dem man prima ablenken kann. Die Erfahrung der Diktatur, der fehlenden Meinungsfreiheit, der fehlenden Demokratie, der Allgewalt der Propaganda, der Verteufelung und Diskriminierung des politisch Andersdenkenden wird in einer Situation aktiviert, in der die Gegenwart Züge der Vergangenheit annimmt. Diese Vergangenheit, Herr Pfalzgraf, habe ich Ihnen uneinholbar voraus. Sie leben in einer ideologisch verzerrten Parallelwelt, die sei Ihnen unbenommen. Aber unterstehen Sie sich, Ihre Mitmenschen zu zwingen, auch in dieser Parallelwelt zu leben!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Thomas Hartung
Pressesprecher
Zum Autor: Dr. Thomas Hartung (* 1962 in Erfurt) promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur. Danach arbeitete er frei-, später hauptberuflich als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen (MDR Kultur, Radio SAW, Antenne Sachsen, Sachsen Fernsehen); später als Mediendozent an vielen Hochschulen Deutschlands.
Der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die DDR-LDPD ein und 1990 aus der BRD-FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute. Hartung war Mitbegründer der AfD Sachsen, wurde zweimal zum Landesvize gewählt und war Landessprecher der „Alternativen Mitte Sachsen“. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg, hat zwei Essaybände vorgelegt, schreibt regelmäßig für zuerst und hat auf dem Tumult-Blog seine eigene Kolumne „Negerkuss und Nazistuss“.