„destruktive Megalomanie“
4. Dezember 2020 von Thomas Hartung
Sobald Hitler einen Narren an einem Film, Schauspieler oder Regisseur gefressen hatte, war der erste Antisemit im Staate ideologisch erstaunlich flexibel: Obwohl Halbjude, trug er dem Meisterregisseur 1933 via Goebbels die Leitung des deutschen Filmwesens an, ließ sich von „Metropolis“ zu Begeisterungsstürmen hinreißen und soll nach Angaben seines Leibfotografs Heinrich Hoffmann den „Siegfried“-Film mindestens 20-mal gesehen haben. Das laut Branchenportal Filmdienst „monumentale Rührstück von unerfüllter Liebe und grenzenloser Rache, von schwülstiger Poesie und destruktiver Megalomanie, von selbstverleugnender Aufopferung und schließlich der berühmten Nibelungentreue, die aus Kriemhild ein gewissenloses Monster macht, das die Burgunder und die Hunnen mit sich in den Abgrund reißt“, sei exakt nach seinem Geschmack gewesen. Der Macher dieses „Rührstücks“, Friedrich Christian Anton „Fritz“ Lang, wurde am 5. Dezember 1890 in Wien geboren.
Der Sohn des Architekten und Stadtbaumeisters Anton Lang und dessen jüdischer Frau Pauline begann nach dem Abschluss der Realschule 1907 auf Wunsch seines Vaters ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Wien, wechselte jedoch ein Jahr später an die Wiener Akademie der bildenden Künste, um dort Malerei zu studieren. Außerdem war er an der Staatlichen Gewerbeschule in München eingeschrieben und trat während des Studiums nebenbei als Kabarettist auf. Von 1910 an unternahm er wie ein unsteter Bohème Reisen in die Mittelmeerländer und nach Afrika, ging 1911 erneut nach München, um diesmal an der Kunstgewerbeschule zu studieren, und begann wieder zu reisen. 1913/14 setzte er seine Ausbildung in Paris beim Maler Maurice Denis fort und entdeckte dort für sich den Film.
Er meldete sich 1914 als Kriegsfreiwilliger und wohnte 1915 während der Einjährig-Freiwilligen-Schule in der Steiermark im Hause des intellektuellen Anwalts Karl Grossmann, der selbst künstlerisch arbeitete. Angeregt durch örtliche, traditionelle Töpfereien, stellte er zwei (Selbstporträt?-)Büsten und zwei Gartenvasen aus Terrakotta her, die von Grossmanns Familie bewahrt werden – wahrscheinlich Langs einzige erhaltene Werke der bildenden Kunst. Nach zwei Verwundungen für kriegsuntauglich erklärt, war der Artillerie-Offizier im Rahmen der Truppenbetreuung bei einer Theatergruppe des „feldgrauen Spiels“ zum ersten Mal als Regisseur tätig und knüpfte Kontakte zu Filmleuten wie Joe May (Julius Otto Mandl), für den er ab 1917 als Drehbuchschreiber zu arbeiten begann, so für „Die Hochzeit in Exzentricclub“ und „Hilde Warren und der Tod“. Dabei lernte er die Autorin Thea von Harbou kennen und bald auch lieben, mit der er später gemeinsam die Drehbücher für Mays „Die Herrin der Welt“ und „Das indische Grabmal“ schreiben wird.
„Dem deutschen Volke zu eigen“
1919 realisierte er für die Decla seine ersten eigenen Streifen, darunter die fernöstlichen Romanze „Harakiri“ mit der jungen Lil Dagover und „Halbblut“, für die er auch das Drehbuch schrieb. Er lebt inzwischen in Berlin und heiratet die Schauspielerin Elisabeth Rosenthal. Schon im folgenden Jahr, am 25. September 1920 fand sie den Tod durch einen Schuss aus Langs Browning-Pistole. Es wird heute davon ausgegangen, dass sie sich spontan das Leben nahm, nachdem sie Zeugin der Affäre ihres Mannes mit Thea von Harbou geworden war. Die genauen Umstände bleiben jedoch zeitlebens im Dunkeln, als Todesursache wurde „Unglücksfall“ statt „Selbsttötung“ angegeben. Lang hielt diese erste Ehe sein weiteres Leben lang geheim, doch hat deren Ende mutmaßlich seine künftigen Filmthemen von Schuld, Verstrickung, Tod und Suizid stark beeinflusst.
Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Lang und von Harbou – beide heirateten im August 1922 und galten als Glamourpaar –, nahm mit dem Melodram „Das wandernde Bild“ (1920) ihren Anfang und sollte bis 1933 währen. Sie brachte eine ganze Reihe von Filmen hervor, die heute als Klassiker des deutschen Stummfilms gelten. In „Der müde Tod“ (1921) wird eine dreifach variierte Geschichte über Liebe und Tod erzählt. Der Zweiteiler „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922) nach einem Kolportage-Roman führte die Hauptfigur als vom „Caligarismus“ geprägtes Verbrechergenie vor, das seine Opfer durch Hypnose beherrscht und am Ende dem Wahnsinn verfällt.
Bei den Dreharbeiten verlor er sein linkes Auge und kaschierte das durch ein Monokel. Die Streifen bescherten ihm schließlich auch auf internationaler Ebene den künstlerischen und kommerziellen Durchbruch. Zwei Jahre später feierte er mit dem Nibelungen-Epos einen weiteren großen Publikumserfolg. Die Widmung „Dem deutschen Volke zu eigen“ sollte einige nationalistische Spekulationen auslösen. Das Ornamentale, etwa in Bildaufbau und Massenregie – Siegfried Kracauer sah die „Massenornamente“ der Nürnberger Reichsparteitage vorgebildet – wurde in diesem Film für Lang zum Kompositionsprinzip.
Ein Prinzip, das er in seinem nächsten Film, dem monumentalen „Metropolis“ (1926), noch perfektionieren sollte. Die visuell eindrucksvolle, ideologisch jedoch oft als fragwürdig kritisierte Technikutopie, die er im Anschluss an eine Kreativpause drehte, die ihn zwischen Oktober und Dezember 1924 nach New York, wo ihn die Wolkenkratzer gewiss inspirierten, und Hollywood geführt hatte, sprengte vom Aufwand her jedes Maß, fiel aber bei Kritikern durch und hatte auch beim Publikum keinen Erfolg. Im August 1927 lief eine auf knapp zwei Stunden verkürzte Version in Deutschland neu an; etwa ein Viertel des Originals wurde vernichtet. Seit 1961 wurden mehrfach Versuche unternommen, die Originalfassung wiederherzustellen. In der Rekonstruktion von 2001 wurde der Film als erster überhaupt ins Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen. Die restaurierte Fassung der Murnau-Stiftung, die mit einer 2008 in Buenos Aires gefundenen Kopie hergestellt wurde, feierte 2010 Premiere bei der Berlinale.
Sie führte aber zum Bruch zwischen der Direktion der finanziell angeschlagenen Ufa und Lang, der sich mit der Fritz Lang-Film GmbH selbständig machte ließ seine Filme von der Ufa künftig nur noch verleihen ließ. Nach einer Rückkehr ins Milieu der Superverbrecher mit „Spione“ (1927) nahm er die Technikaffinität seiner Zeit zum Anlass, um mit „Frau im Mond“ (1929) einen filmischen Flug zum Mond zu inszenieren. Kolportiert wird, dass der eine wahre Raketenbegeisterung in Deutschland auslöste, zu der auch Langs technische Berater, die Raketenpioniere Hermann Oberth und Willy Ley, beitrugen. „Frau im Mond“ markierte zugleich das Ende von Langs Stummfilmzeit und seine Hinwendung zum Tonfilm.
Zwischen Tonfilm und Exil
„M“ (1931), Langs erster Tonfilm, nutzte geschickt die Möglichkeiten der neuen Technik: Geräusche und ein von Lang persönlich gepfiffenes Grieg-Motiv („In der Halle des Bergkönigs“) untermalen die Geschichte eines psychopathischen Kindermörders (Peter Lorre), der eine Stadt in Angst und Schrecken versetzt, woraufhin sich die Unterwelt seiner annimmt. Der Film, der damalige Zuschauer an die reale Hysterie um den Massenmörder Peter Kürten erinnerte, wurde von der linksliberalen Presse als Plädoyer für die Todesstrafe missverstanden, während Lang in Wirklichkeit die verminderte Schuldfähigkeit eines Zwanghaften hervorzuheben versuchte.
Mit dem Kriminalfilm „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1933) kehrte er zu seiner Figur des manipulierenden Machtmenschen zurück und schuf eine kunstvolle Parabel auf Machtmissbrauch und Herrschaftswahn: Die Titelfigur schreibt, während sie in einer Zelle in der Psychiatrie einsitzt, ein Handbuch für Verbrecher. Kracauer sah darin eine deutliche Anspielung auf Hitlers „Mein Kampf“, was Lang später bestritt. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten verhinderte die Uraufführung: Der Film wurde am 29. März 1933 von der Filmprüfstelle verboten. Beide Streifen gelten nicht zuletzt wegen ihrer kunstvollen Montage als handwerkliche Höhepunkte in Langs filmischem Schaffen.
Lang, der den Nazis lange Zeit indifferent gegenüberstand und noch am 27. März 1933 zusammen mit Carl Boese, Victor Janson und Luis Trenker die Regie-Gruppe der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation (NSBO) gegründet hatte, entschied sich nach einem Treffen mit Goebbels Anfang April dafür, Deutschland zu verlassen, und ging über Österreich und Belgien nach Paris ins Exil. Parallel dazu war am 20. April 1933 seine Ehe mit Thea von Harbou geschieden worden – das Paar lebte da allerdings nach einer Affäre Langs mit der Schauspielerin Gerda Maurus schon eine Weile nicht mehr zusammen. Nach der sowohl in einer französisch- als auch deutschsprachigen Version gedrehten Sozialschmonzette „Liliom“ kam Lang in London mit dem US-Filmproduzenten David O. Selznik zusammen und unterzeichnete einen Vertrag über einen Film für MGM. Er reiste in die USA, wobei ihn seine neue Lebensgefährtin Lily Latté an Bord der Île de France begleitete, wurde 1939 US-amerikanischer Staatsbürger und sollte erst 22 Jahre später wieder einen Fuß auf deutschen Boden setzen.
In der Zwischenzeit drehte er nach anfänglichen Startschwierigkeiten in Hollywood zahlreiche Filme. Sein Debüt war „Fury“ (1936), eine Variante von „M“ mit Spencer Tracy in der Hauptrolle. Es folgten unter anderem „You and Me“ (1938), zu dem Kurt Weill einige Songs verfasste, die Farbwestern „The Return of Frank James“ (1940) mit Henry Fonda und „Western Union“ (1940) mit Robert Young und Randolph Scott sowie die reißerische Agentengeschichte „Man Hunt“ (1941), in der auch die gegenwärtige Lage in Nazi-Deutschland thematisiert wurde.
Während der Arbeiten an „Hangmen Also Die“ über den Anschlag auf Heydrich zerstritt sich Lang 1942 mit Co-Drehbuchautor Bertolt Brecht. Doch die Bekanntschaft mit diesem und Hanns Eisler sowie der auf einem Graham-Greene-Roman basierende Anti-Nazi-Film „The Ministry of Fear“ (1944) brachte ihn später ins Visier des Komitees gegen unamerikanische Aktivitäten. Für seine mit Partnern gegründete Firma „Diana Productions“ dreht er dann düstere Thriller wie „Secret Beyond the Door“ (1947) sowie films noirs wie „The Big Heat“ (1953), die heute als späte Höhepunkte der „klassischen Ära“ gelten. Dazwischen inszenierte er den Western „Rancho Notorious“ (1952) mit Marlene Dietrich.
„definitiv die Idee aufgegeben“
1956 kehrte Lang nach Deutschland zurück, dem er vier Jahre später enttäuscht und entnervt endgültig den Rücken kehrte. Zunächst musste er erleben, wie einige seiner Projekte, etwa über die Ereignisse des 20. Juli oder den Seeräuber Störtebeker, nicht zur Herstellungsreife gelangten: „Die Leute, mit denen man da arbeiten muss, sind wirklich unerträglich. Nicht nur, dass sie keine Versprechen halten, schriftlich oder nicht, es ist auch noch so, dass die Filmindustrie, wenn es überhaupt noch möglich ist, den kümmerlichen Rest dessen, was das Land einmal in seiner Filmproduktion weltberühmt gemacht hat, so zu nennen, heute geleitet wird von ehemaligen Rechtsanwälten, SS-Männern oder Exporteuren von Gott weiß was. Ihre Hauptarbeit besteht darin, Koproduktionen unter solchen Bedingungen zustande zu bringen, dass ihre Kassenbücher bereits Überschüsse aufweisen, bevor man den Film überhaupt angefangen hat.“
Für den Produzenten Artur Brauner dreht er dann doch zwei Filme, seine letzten. Dem Zweiteiler „Der Tiger von Eschnapur / Das indische Grabmal“ (1959), der auf einem stark abgewandelten Lang-Drehbuch von 1921 basierte, folgte mit „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ (1960) ein weiterer Mabuse-Film. Darin zeichnete Lang ein Sittenbild der frühen Bundesrepublik: Große, scheinbar tote, vergessene Verbrecher, die im Hintergrund weiter wirken; ein Hotel als Beobachtungsapparat und Metapher für Totalitarismus; willige Handlanger und Vollstrecker; ein scheinbarer Frieden, der nur mühsam schwelende Konflikte verdeckt; eine Atmosphäre der Künstlichkeit und großspurig gespielten Lockerheit. Alle drei erwiesen sich vor allem als kommerzielle, jedoch nicht als künstlerische Erfolge. „Ich habe diese Filme nicht gemacht, weil ich sie für wichtig hielt, sondern weil ich hoffte, dass ich, wenn ich jemandem einen großen finanziellen Erfolg machen würde, wieder die Chance haben würde, so wie bei ‚M‘, ohne irgendwelche Einschränkungen zu arbeiten. Ein Fehler. Nach 14monatiger Arbeit dort habe ich schließlich definitiv die Idee aufgegeben, noch einmal einen Film in Deutschland zu machen.“
Seine Gesundheit verschlechtert sich, zuletzt ist er fast blind. 1963 trat er in Jean-Luc Godards „Le Mépris“ als alternder Filmregisseur, der sich wegen einer Verfilmung von Homers „Odyssee“ mit seinem Produzenten überwirft, noch einmal selbst vor die Kamera. Daneben reiste er, gab Interviews und besuchte Filmfestivals. 1971 heiratete er in Amerika seine langjährige Lebensgefährtin Lily Latté, starb am 2. August 1976 in Beverly Hills und wurde auf dem Forest-Lawn-Friedhof in Hollywood beigesetzt. Im September 2010 gehörte Lang zu den ersten vierzig Großen des deutschen Bewegtbilds, die in Berlin mit einem Stern auf dem unweit des Potsdamer Platzes neu installierten „Boulevard der Stars“ geehrt wurden, einem wachsenden Denkmal nach dem Vorbild des „Walk of Fame“ in Los Angeles.
Er hat in 40 Jahren 40 Filme gedreht, von denen viele als Meilensteine der Filmgeschichte gelten, ja die zu „Sensationsfilmen“ wurden, wenn sie den Aufstand des Individuums gegen die Macht der Organisationen, den Terror des Staats, die blinde Wut der Masse darstellten. In den 20er Jahren war Regie führen „Erfinden, Ausprobieren, Zaubern; der Regisseur ein Ingenieur des Sehens, Maler, Erzähler und Architekt zugleich“, meinte Michael Althen in der Zeit. Dem selbstverständlichen Bilderfluss, oberstes Gebot in Hollywood, setzte Lang die statische Kamera und den spürbaren Schnitt entgegen: Geometrisch konturierte Szenen, in denen die Helden nur „Sklaven des Bildrahmens“ sind, wie Claude Chabrol einst kritisierte. „Träume von der Welt, die sich durch minimale Erweiterung des Blicks zu Alpträumen wandeln: Darin liegt Langs eigentliche Kunst“, befindet Althen und trifft damit ins Schwarze.