„ornament ist vergeudete arbeitskraft“
9. Dezember 2020 von Thomas Hartung
Sein bekanntestes Bauwerk ist das Looshaus am Wiener Michaelerplatz für das Bekleidungsunternehmen Goldman & Salatsch, das 1910 zu einer auch im Ausland viel beachteten öffentlichen Auseinandersetzung über die ornamentlose Fassade führte. Es steht gegenüber der Hofburg und wird aufgrund seiner fehlenden Fenstergesimse auch „Haus ohne Augenbrauen“ genannt. „Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede zum Kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat. … Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen. Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“ heißt es dazu etwa in seinem 1910 veröffentlichten Essay „Architektur“. Kaiser Franz Joseph gefiel es schon mal nicht – angeblich weigerte er sich den Rest seines Lebens, von der Hofburg zum Michaelerplatz zu sehen, und ließ alle Fenster seines Palastes in diese Richtung zunageln.
Sein bekanntester Text ist das Manifest „Ornament und Verbrechen“ (1908), in dem er in durchgängiger Kleinschreibung argumentiert, dass Funktionalität ein Zeichen hoher Kulturentwicklung sei und der moderne Mensch wirkliche Kunst allein im Sinne der Bildenden Kunst erschaffen könne. Ornamentale Verzierungen oder andere besondere künstlerische Gestaltungsversuche an einem Gebrauchsgegenstand seien eine ebenso unangemessene wie überflüssige Arbeit: „gewiss, die kultivierten erzeugnisse unserer zeit haben mit kunst keinen zusammenhang. die barbarischen zeiten, in denen kunstwerke mit gebrauchsgegenständen verquickt wurden, sind endgültig vorbei … ornament ist vergeudete arbeitskraft und dadurch vergeudete gesundheit … heute bedeutet es auch vergeudetes material, und beides bedeutet vergeudetes kapital … der moderne mensch, der mensch mit den modernen nerven, braucht das ornament nicht, er verabscheut es.“
Aus diesem Grund hasst er auch Tätowierungen: „der moderne mensch, der sich tätowiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter. es gibt gefängnisse, in denen achtzig prozent der häftlinge tätowierungen aufweisen. die tätowierten, die nicht in haft sind, sind latente verbrecher oder degenerierte aristokraten. wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben.“ Sein Rationalismus war manchmal schneidend einseitig: „Alles, was einem Zweck dient, ist aus dem Reiche der Kunst auszuschließen!“ Der solche starken Worte nutzte, hatte niemals Spiel-, Trink- oder Wettschulden, wohl aber Schulden beim Schneider: Adolf Loos. Der Architekt, Architekturkritiker und Kulturpublizist wurde am 10. Dezember 1870 in Brünn geboren.
Kritiker der angewandten Kunst
Von seinem Vater, einem Bildhauer, erbte er nicht nur seine künstlerische Begabung, sondern auch seine Schwerhörigkeit. Nach seinem frühen Tod führte die Mutter den Steinmetz-Betrieb in der Friedhofgasse in Brünn weiter. Ab 1880 wechselte Adolf Loos mit schlechten Sittennoten von Gymnasium zu Gymnasium. Am Stiftsgymnasium Melk etwa blieb er nur ein Jahr – aufgrund schlechtester Noten in Zeichnen und Betragen weigerte man sich dort, ihn erneut aufzunehmen. 1889 schloss er die k.k. deutsche Staatsgewerbeschule in Brünn mit der Matura ab und studierte nach einem Intermezzo an der Akademie für angewandte Kunst Wien, vom Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger unterbrochen, bis 1893 an der Hochbauabteilung der Technischen Hochschule in Dresden. Während seines Studiums wurde er 1891 Mitglied der Burschenschaft Cheruscia Dresden, aus der er 1892 jedoch wieder austrat.
Nur mit einem Schiffsbillet und 50 Dollar in der Tasche reiste Loos 1893 in die USA, wo ein Bruder seines Vaters lebte. Bis 1896 schlug er sich mit verschiedenen, vorwiegend handwerklichen Berufen durch, als Hilfsarbeiter, Tellerwäscher, Musikkritiker und erst im letzten Jahr als Möbelzeichner und Architekt. Die „organische Architektur“ von Frank Lloyd Wright inspirierte ihn. Nach seiner Rückkehr ließ er sich endgültig in Wien nieder und begann als Journalist und Architekt zu arbeiten. Seit 1898 publizierte der laut Le Corbusier „wohl größte Literat unter den modernen Architekten“ seine Auffassungen in diversen Zeitungen und Verlagen und gibt später sein eigenes Periodikum „Das Andere“ heraus, dessen Untertitel lautet: „Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“.
Parallel dazu machte er sich als Innenarchitekt einen Namen, etwa beim Café Museum am Karlsplatz (1899), das dann wegen der Kargheit der Einrichtung von Zeitgenossen „Café Nihilismus“ genannt wurde, oder bei der auch überregional bekannten „American Bar“ in einer Seitengasse der Kärntner Straße, die auch als Loos-Bar bezeichnet wird und bis heute existiert. 1902 heiratete er die Schriftstellerin und Schauspielerin Lina Obertimpfler, von der er sich 1905 schon wieder trennte. Um sich leichter von ihr scheiden zu lassen, bemühte er sich vergeblich, die ungarische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Nach seiner Scheidung verband ihn eine langjährige Beziehung mit der englischen Tänzerin Bessie Bruce. Noch zwei Ehen werden folgen.
Loos galt von Anbeginn als energischer Gegner des Jugendstils und scharfer Kritiker der angewandten Kunst und aller zeitgenössischen Ideen, die Kunst in Gestalt des Kunstgewerbes mit dem Alltag zu versöhnen, also Gebrauchsgegenstände in besonderer Weise künstlerisch zu gestalten. Er grenzte sich damit insbesondere von den Künstlern der Wiener Werkstätte ab, die seit 1903 eine Verbindung von Alltag und Kunst umzusetzen versuchten. 1904 besuchte er erstmals die Insel Skyros und wurde mit der kubischen Architektur der griechischen Inselwelt konfrontiert. Als Architekt privater Villen, erstmals bei der Villa Karma in Clarens bei Montreux, entwickelt er prompt das Konzept des „Raumplans“, der Größe und Anordnung von der Funktion der Räume abhängig machte, sie dazu mehrgeschossig mit unterschiedlichen Zimmerhöhen teilweise ineinander schachtelt und äußerlich zunehmend der Kubusform annähert.
„Los von Loos“
Ab 1909 entwirft er auch Geschäftslokale wie den Herrenmodesalon Kniže & Comp. Am Graben in Wien, der seit den 1920er Jahren als erste Herrenmodemarke der Welt galt und auch die erste Herrenduftserie „Knize Ten“ kreierte. 1910 kamen dann Wohnbauten hinzu, darunter die Wiener Siedlungen Hirschstetten und Friedensstadt, aber auch zwei Einfamilien-Doppelhäuser für die Werkbundsiedlung. Nach dem Zerfall Österreich-Ungarns 1918 wurde er tschechoslowakischer Staatsbürger, 1921 Chefarchitekt des Wiener Siedlungsamtes. 1922 entstand sein bekannter Wettbewerbsentwurf für das Redaktionsgebäude der Chicago Tribune: Eine „überdimensionierte dorische Säule, die in ihrer selbstreferentiellen Überhöhung die gesamte Postmoderne vorwegzunehmen scheint“, schrieb Robert Kaltenbrunner auf telepolis. 1924 trat er von seiner Stelle im Siedlungsamt zurück, lässt sich für vier Jahre in Paris nieder und pflegte dort zahlreiche Kontakte zur Künstleravantgarde. Er baute unter anderem ein Haus für Tristan Tzara, dem Mitbegründer des Dadaismus, und entwarf auch eine Villa für die Tänzerin Josephine Baker mit einer ganz in horizontalen schwarzen und weißen Streifen gehaltenen Fassade. Der Wegzug nach Frankreich hatte auch das Ende seiner privaten Bauschule mit ca. acht Schülern bedeutet, darunter Paul Engelmann, der für den Cousin Stefan Zweigs, Max, in Israel ein Haus baute.
Von 1918 bis 1926 war er mit der Tänzerin Elsie Altmann, von 1929 bis 1931 mit der Fotografin Claire Beck verheiratet. Der Charismatiker war, was man heute „Salonlöwe“ nennen sollte, gehörte zur Wiener Boheme, war eng mit Künstlern wie Arnold Schönberg und Oskar Kokoschka befreundet, aber auch mit Karl Kraus und Peter Altenberg, für die er sogar als Taufpate fungierte. Daneben spielte er begeistert Schach. Ende der 20er Jahre begann er sich mit dem Werkstoff Glas auseinanderzusetzen. Ein 12-teiliges Barset mit Karaffe für die Wiener Firma J. & L. Lobmeyr wurde 2010 noch hergestellt und verkauft. Ein Becherservice für die American Bar in Wien, ebenfalls von J. & L. Lobmeyr geschaffen, wurde sogar noch 2017 produziert und vertrieben. Auch diverse Beleuchtungskörper, Kleiderständer sowie eine Kaminuhr werden von der Wiener Firma WOKA heute noch in Handarbeit hergestellt und verkauft.
Im Spätsommer 1928 zeichnete er an fünf Tagen privat drei acht- bis zehnjährige Mädchen nackt. Aufgrund der Anzeige einer bis heute anonym gebliebenen Frau wurden Ermittlungen gegen ihn eingeleitet und in seiner Wohnung eine Sammlung von über 300 pornografischen Fotografien gefunden, deren Besitz damals allerdings nicht strafbar war. Verurteilt wurde er schon im Dezember „des Verbrechens der Verführung zur Unzucht“, begangen dadurch, dass er „die ihm zur Aufsicht anvertrauten Mädchen zur Begehung und Duldung unzüchtiger Handlungen verleitete, indem er sie veranlasste, als Modelle unzüchtige Stellungen einzunehmen und sich in diesen zeichnen zu lassen“. Die Strafe belief sich auf vier Monate Arrest, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die Strafakte dazu wurde später gestohlen und tauchte erst Jahrzehnte später in Privatbesitz wieder auf. Das Wiener Stadt- und Landesarchiv hat sie 2015 zurückerhalten und im Wiener Archivinformationssystem komplett veröffentlicht.
Der Skandal hielt sich in Grenzen, zumal Loos inzwischen vollständig ertaubt war und kurz danach die Vorbereitungen zu seinem 60. Geburtstag begannen – der vor allem in Prag gefeiert werden sollte. Hier kam es zu einer einmaligen Allianz zwischen James Joyce, Karl Kraus, Valéry Larbaud, Heinrich Mann und Arnold Schönberg, die einen Aufruf zur Gründung einer „Adolf-Loos-Schule“ in Wien veröffentlichten: „Adolf Loos, den einmal kommende Geschlechter den großen Wohltäter der Menschheit seiner Zeit nennen werden, da er diese von der Sklaverei überflüssiger Arbeit befreite, wird im Dezember 60 Jahre alt. Die Ornamentiker, deren Überflüssigkeit und Schädlichkeit Loos sein ganzes Leben hindurch nachgewiesen hat, wollten sich dieses unbequemen Mannes durch Totschweigen entledigen … Ihm, dem geborenen Lehrer, wurde kein Lehramt zuteil … Wir wissen, dass wir ihm die größte Freude bereiten würden, wieder seine Lehre verkünden zu können.“ Angefragt waren auch Albert Einstein und Thomas Mann, die winkten ab.
Ornamentlosigkeit als „Schandtat“
Aus dem Unternehmen wurde nichts mehr. Der extrovertierte Gesellschaftsmensch vereinsamte, als ihn ein Nervenleiden in den Rollstuhl zwang. Loos starb am 23. August 1933 umnachtet im Sanatorium Kalksburg bei Wien. Er ruht auf dem Wiener Zentralfriedhof in einem Grab, dessen schlichten Grabstein er selbst entworfen hat; er steht noch heute da. Friedensreich Hundertwasser veröffentlichte 1968 eine polemische Generalabrechnung unter dem Titel „Los von Loos“, in der er ihm vorwirft, die Ornamentlosigkeit als „Schandtat in die Welt gesetzt“ zu haben. „Sicher hat er es gut gemeint. Auch Hitler hat es gut gemeint. Aber Adolf Loos war unfähig, fünfzig Jahre vorauszudenken. Der Teufel, den er rief, den wird die Welt nun nicht mehr los.“
„Man darf nur dann etwas Neues machen, wenn man etwas besser machen kann“, lautete ein Lebensmotto des Meisters. Die Wirkung vieler seiner Bauten ergäbe sich aus „dem Spannungsfeld zwischen der oft provozierenden Kargheit der Fassade und dem taktil-sensualistischen Reichtum des Interieurs“, befand Kaltenbrunner. Neben Straßen wurde auch ein Asteroid nach ihm benannt. Seit 1992 wird von einer Jury der von der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien gestiftete Adolf-Loos-Architekturpreis vergeben. In Tschechien gibt es mehr als 30 Gebäude und Wohnungen, an deren Gestaltung er beteiligt war. Zu seinen bekanntesten Werken gehört eine Prager Villa, die er 1930 für den Bauunternehmer František Müller bauen ließ und in der aus Anlass seines Jubiläums im Januar 2020 ein tschechisches Adolf-Loos-Jahr eröffnet wurde, an dem sich auch Museen in Pilsen und Brünn beteiligten.