„Prophet des Schönen“
12. Februar 2021 von Thomas Hartung
19 Ja-Stimmen bei 2 Enthaltungen – mit diesem Ergebnis hatte sich vor zwei Jahren die aus Schülern, Lehrern und Eltern bestehende Schulkonferenz des Wuppertaler Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums dafür ausgesprochen, seine Statue der griechischen Göttin Pallas Athene nicht mehr vor der Schule behalten zu wollen. Kein Wunder, ist das Gymnasium doch Bestandteil des Netzwerks „Schulen ohne Rassismus – Schulen mit Courage“. Allerdings stehen sowohl die Skulptur von 1957 als auch ihr Sockel seit 1997 unter Denkmalschutz: Nicht nur darum hatte die nichtöffentlich tagende städtische „Kommission für eine Kultur des Erinnerns“ einstimmig gegen eine Entfernung des Werkes votiert.
Bei einer Podiumsdiskussion Mitte Dezember 2019 lautete also die Frage: „Darf eine Skulptur eines von den Nationalsozialisten gefeierten Künstlers weiter im öffentlichen Raum stehen, zumal vor einer Schule, oder sollte sie entfernt werden?“ Die parteilose Kultusministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen platzte mit ihrer Empfindung heraus, wie hässlich diese Skulptur sei. Lehrer und Schüler argumentierten, sie passe schlicht nicht mehr zum neu gestalteten baulichen Ensemble: „Da wirkt diese kriegerische Figur einfach fehl am Platz.“ Sie hat nämlich einen Helm auf dem Kopf und einen Speer in der Hand, der sogar nach unten zielt, also auf diejenigen, die auf sie zugehen. Laut Schulleiterin Claudia Schweizer-Motte seit es für die Schüler und Lehrer schwierig, täglich am Werk eines NS-Künstlers vorbeigehen zu müssen.
Felix Krämer, Generaldirektor des Museums Kunstpalast in Düsseldorf, berichtet auf dem Podium, dass es interessanterweise kaum andere Athenen gebe, die in dieser kriegerischen Funktion gezeigt werden. Eine habe er aber doch ausfindig machen können, dabei handle es sich bezeichnenderweise um ein faschistisches Denkmal aus dem Jahr 1932 in Italien. Kein Wunder, ist sie doch unter anderem die Göttin des Kampfes, auch der Kriegstaktik und der Strategie; sie fungierte als Palast- und Schutzgöttin der mykenischen Herrscher sowie des Odysseus und führte Perseus bei der Enthauptung der Medusa. Einige Schüler betonten, sie sähen in der Skulptur kein heroisches, sondern vielmehr ein humanistisches Menschenbild verkörpert, sie fühlten sich eher beschützt als bedroht.
Brigitte Franzen, Vorstand der Peter-und-Irene-Ludwig-Stiftung, machte nun drei Vorschläge, wie man mit der Plastik umgehen sollte: sie mittels einer Tafel kommentieren bzw. die bereits bestehende Tafel aktualisieren, die Skulptur ins Museum bringen und dort kommentieren, oder, als letzte Möglichkeit, sie um einen künstlerischen Kommentar ergänzen. Dieser Vorschlag setzte sich schließlich durch. Wer der neue Künstler sein wird, ist noch offen. Jener der Athene dagegen, den der Mitbegründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, Ernst Fuchs, einst als „wahren Prophet des Schönen“ bezeichnete, ist weltbekannt: Arno Breker. Vor 30 Jahren, am 13. Februar 1991, starb er in Düsseldorf.
„Vorbereitung auf die monumentale Arbeit“
Seine Berufung war ihm durchaus in die Wege gelegt: Vater des am 19. Juli 1900 in Elberfeld geborenen ältesten Kindes der Familie war der Steinmetz und Grabmalkünstler Arnold Breker. Nach vier Jahren Steinbildhauerlehre und dem Besuch der Kunstgewerbeschule in Elberfeld begann er 1920 ein fünfjähriges Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Kurz vor Ende desselben reiste er erstmals nach Paris, wo er nach einer Nordafrikareise 1927, von der er seine erste Lebensgefährtin, die Griechin Demetra Messala („Mimina“) mitbringt, seinen Wohnsitz nimmt. Er freundet sich mit vielen Künstlern an, darunter Picasso, Jean Cocteau und Man Ray, und entwickelt ein Gussverfahren der „reinen Form“ ohne Oberflächenunebenheiten, das für die idealisierende Typisierung des Schaffens im Nationalsozialismus stilprägend wird.
Die Verbindung nach Deutschland riss jedoch nicht ab, etwa durch Aufträge für eine Großplastik für die Matthäikirche in Düsseldorf und für das Denkmal Röntgens in Remscheid; zudem hatte er Ausstellungen. 1932 erhielt er den Rom-Preis der Preußischen Akademie der Künste nebst einem Stipendium bis Mai 1933 in der „Villa Massimo“. Seine Zeit in Rom sah Breker selbst als „Vorbereitung auf die monumentale Arbeit großen Ausmaßes, die mich erwartete“. Es folgten weitere italienische Studienaufenthalte in Florenz und Neapel, die seine sogenannte „klassische Periode“ zur Zeit des Nationalsozialismus beeinflussen sollten.
1934 übersiedelte er nach Berlin, nimmt 1935 an der Ausstellung der „Berliner Secession“ teil und 1936 an der Olympischen Kunstausstellung, wo er beim Plastik-Wettbewerb die Silbermedaille des Internationalen Olympischen Komitees für die Statuen „Zehnkämpfer“ und „Die Siegerin“ erhält. Zuvor als „dekadenter Franzose“ kritisiert, der vor allem Porträtaufträge von Industriellen, Militärs oder auch Künstlerkollegen ausführte, erlangt er so höchste offizielle Aufmerksamkeit und darf für die Weltausstellung in Paris Skulpturen für den Deutschen Pavillon fertigen. Mit der Staatsdoktrin der stilistischen Orientierung an der Antike, an die sich Breker anlehnt, schienen den Nationalsozialisten in Brekers Figuren die ästhetischen Ideale des „gesunden, arischen Menschentyps“ verwirklicht, ja als „gestaltete Gesinnung, formgewordene Weltanschauung“, als richtungweisend für den „neuen deutschen Stil“ proklamiert.
Rückblickend bezeichnete Breker selbst das Jahr 1936 als „Wendepunkt“ seiner Existenz. In der Folgezeit wurde er von der NS-Propaganda vereinnahmt, zum „bedeutendsten deutschen Bildhauer der Gegenwart“, gar zum Vorkämpfer der nationalsozialistischen Revolution stilisiert, schienen seine monumentalen Figuren doch hervorragend geeignet, den Kampf des „Neuen Reiches“ gegen die „Verfallserscheinungen“ in Kunst und Gesellschaft insgesamt visuell fassbar zu machen. 1937 trat er der NSDAP bei, heiratete Demetra, wird Professor einer Bildhauerklasse an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin und erhält bis 1944 in Zusammenarbeit mit Albert Speer zahlreiche Staatsaufträge. Auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers, mit dem er auch in persönlichem Kontakt steht, wird er für den Ausbau Berlins als geplante Welthauptstadt „Germania“ tätig. Hierfür wird ihm ein eigenes Großraumatelier in Berlin-Dahlem errichtet, das heute das „Kunsthaus Dahlem“ beherbergt.
Die Hoheitszeichen am Berliner Finanzministerium, Steinreliefs am Gebäude der Nordstern-Lebensversicherung in Berlin-Schöneberg, der figürliche Schmuck am Hauptportal der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt Berlin-Adlershof und die Plastik „Der Flieger“ für das Hauptgebäude der Dresdner Luftkriegsschule entstanden, später die Monumentalfiguren „Partei“ und „Wehrmacht“ für den Ehrenhof der Neuen Reichskanzlei sowie viele Figuren und Reliefs für „Germania“. 1939 schlägt er ein Arbeitsangebot Stalins aus. 1940 erhielt Breker als erster bildender Künstler den Mussolini-Preis der Biennale in Venedig, ein Jahr später wurde er Vizepräsident der Reichskulturkammer der Bildenden Künste. Zu seinem 40. Geburtstag schenkte ihm Hitler das ehemalige Rittergut Jäckelsbruch in Eichwerder bei Wriezen in „dankbarer Anerkennung seiner schöpferischen Arbeit im Dienste der deutschen Kunst“.
„Harte Zeit, starke Kunst“
Hier wurden Mitte 1941 die „Steinbildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH“ mit Gleisanschluss und Kanalhafen gegründet – eine Einrichtung des Generalbauinspektors, die es Speer ermöglichte, Aufträge jedweder Größenordnung ohne Genehmigungsverfahren direkt an Breker zu vergeben. In den Werkstätten entstanden Bildhauerarbeiten für die Neugestaltung Berlins und für das Parteitagsgelände in Nürnberg. Gegen Ende des Krieges wurden bis zu 50 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter für Arbeiten an den Figuren eingesetzt, etwa bei der Vervielfältigung der „Hitler-Büste“ von 1941. Daneben hatte er viele Ausstellungen, darunter auch im Vichy-Paris, und wurde 1944 an der Preußische Akademie der Künste Vorsteher eines Meisterateliers, Mitglied des Akademiesenats und von Hitler selbst in die Sonderliste der Gottbegnadeten-Liste mit den „unersetzlichen Künstlern“ aufgenommen, was für ihn die Freistellung vom Kriegsdienst bedeutete. Zugleich drehte die Riefenstahl-Film GmbH den Dokumentarfilm „Arno Breker – Harte Zeit, starke Kunst“.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs, dem rund 90 Prozent seines Werks zum Opfer fielen, zieht Breker ins bayrische Wemding. 1948 wird er trotz seiner privilegierten Stellung bei der „Entnazifizierung“ als „Mitläufer“ eingestuft, da er sich mehrmals und nachweislich für Verfolgte des Regimes wie Pablo Picasso eingesetzt hat, den er vor dem KZ bewahrte. Peter Suhrkamp verdankt ihm gar sein Leben, da er unter dem dringenden Verdacht des Widerstandes gegen Adolf Hitler inhaftiert worden war. Breker hatte Suhrkamp im Gefängnis besucht und sich bei Albert Speer und Hitler erfolgreich für die Entlassung des Verlegers eingesetzt.
1950 kehrt er nach Düsseldorf zurück, beteiligt sich als Architekt am Wiederaufbau und bezieht das frühere Atelier des Tierbildhauers Josef Pallenberg. 1956 starb seine Frau, zwei Jahre später heiratete er die 26 Jahre jüngere Charlotte Kluge, mit der er dann zwei Kinder hatte. Er erhielt zwar kaum noch öffentliche, jedoch zahlreiche private Aufträge, für die er angeblich Gagen von bis zu 150.000 Mark bezog. Er porträtierte Rudolf-August Oetker und Gustav Schickedanz, Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, Salvador Dalí und Ernst Jünger und viele andere. Dali sagte über seinen Freund: „Gott ist die Schönheit und er sein Prophet.“ Über die Freundschaft beider mit Ernst Fuchs, genannt „Goldenes Dreieck“, sagte Dalí: „Breker-Dalí-Fuchs. Man kann uns wenden wie man will, wir sind immer oben.“ Daneben arbeitete Breker als Architekt, darunter bei der Gestaltung der Gerling-Konzernzentrale in Köln, die wegen ihres monumentalen Charakters von der Bevölkerung schon bald „Kleine Reichskanzlei“ genannt wurde, und errichtet 1960 erneut ein Atelier in Paris.
Breker behielt seine Vorliebe für Porträtbüsten und athletische, meist männliche Körper, wobei der das Element der vollendeten Form wieder aufnahm. Bis in die 1980er Jahre arbeitete er, der nach eigenen Angaben „von Muskeln nie genug kriegen“ konnte, nach Sportlermodellen wie der Hochspringerin Ulrike Nasse-Meyfarth und dem Zehnkämpfer Jürgen Hingsen, der als „griechischer Apoll“ verewigt wurde. 1981 beteiligt sich Breker mit einem Entwurf an der Ausstellung „Paris 1937-47“, den er aufgrund massiver Proteste zurückziehen muss, woraufhin er sich deutlich vom Nationalsozialismus distanziert. Dennoch blieb ihm der Vorwurf fehlender Reue anhaften. 1985 eröffnete die Familie von Brekers Kunsthändler Joe F. Bodenstein in Schloss Nörvenich bei Köln das „Museum Arno Breker – Sammlung Europäische Kunst“. Bereits 12 Jahre vor seinem Tod gründete sich in Deutschland die Arno Breker Gesellschaft, acht Jahre vor seinem Tod zog die USA mit der Arno Breker Society International nach.
Auch nach seinem Tod wurde er als „Lieblingsbildhauer Hitlers“ gleichermaßen verehrt wie gescholten; sein Kölner Grab war im Oktober 2018 geschändet worden. Breker fühlte er sich als ein Bewahrer der christlich-abendländischen Kultur hellenistischer Prägung. Dieser Mission widmete er sein gesamtes meisterliches Schaffen. Er verstand sich selbst als „Bildhauer des Dreiklangs der Schönheit von Körper, Geist und Seele“ (1932), pathetisch könnte man auch die Verherrlichung des Menschen in der bildenden Kunst nach dem – vollkommenen – Ideal der Schöpfung unterstellen. Obwohl er zeitlebens hochumstritten war, konnte ihm niemand seine künstlerisch-ästhetische Begabung absprechen: Für Aristide Maillol ist er der „Michelangelo des 20. Jahrhunderts“.