„Och jo“
20. Februar 2021 von Thomas Hartung
Natürlich gibt es eine Anekdote, wie er seine bekannteste Trickfilmfigur schuf, und die geht so: 1956 bekam er das Drehbuch zu einer Geschichte über die Flachsverarbeitung für Kinder, das ihm nicht gefiel. Zugleich war er stark von Disney-Filmen beeinflusst: „Niemand konnte Gefühle besser in Gesten und Bilder übersetzen. Und dabei noch lustige Geschichten erzählen. Von ihm habe ich viel gelernt“, sagte er der Süddeutschen Zeitung SüZ. Also suchte er nach einem Tier, das die Leitfigur übernehmen könnte – und stolperte beim Silvesterspaziergang über einen Maulwurfshügel. „Ich wollte eine neue Figur erschaffen, die noch kein anderer gezeichnet hatte“, erinnert er sich. „Natürlich musste ich der Natur noch ein wenig nachhelfen, damit aus einem blinden, grauen Maulwurf eine Figur wird, die Kinder mögen.“ Er habe sie ständig geändert: „Erst hatte er ein Schwänzchen – das habe ich später weggenommen. Dann habe ich die lange Schnauze, die ihn sehr alt gemacht hat, einfach verkürzt. Erst dadurch ist er ein junger, netter Bursche geworden.“
Heraus kam ein charmanter, fröhlicher, schwarzer Geselle mit roter Nase, Kulleraugen, großen Händen und genau drei Haaren namens „Krtek“ oder „Krteček“ (tschech. „Maulwürfchen“), der anfangs noch sprach, später, damit er überall auf der Welt verstanden werden konnte, nur noch seine Emotionen in kurzen Ausrufen ausdrückte. Die lieferten seine beiden Töchter, die die Filme auch zuerst zu sehen bekamen. So konnte ihr Schöpfer prüfen, ob seine Geschichten die Kinder auch begeisterten. „Wenn ich ihnen im Aufnahmestudio sagte: ‚Lacht jetzt!‘, dann haben sie gelacht. Und wie! Das kam immer von Herzen.“ Anders dagegen, als sie weinen mussten: „Da hab ich sie geschimpft.“ Das unnachahmlich-resignierte „Och jo“ vergisst man nie. Die erste, die Flachsgeschichte „Wie der Maulwurf zu seinen Hosen kam“ gewann 1957 auf Anhieb den Silbernen Löwen in Venedig.
Bis 2002 entstanden 63 Maulwurfsfilme, die in über 80 Ländern zu sehen sind. Im Fernsehen der DDR lief er, wie im tschechoslowakischen Fernsehen, in der Sendung Unser Sandmännchen. In der Bundesrepublik wurde die Serie erstmals ab dem Januar 1968 durch Das Erste ausgestrahlt. Später folgten Wiederholungen durch KiKA, WDR, ORF 1 und SRF 1. Der Trickfilmer illustrierte auch 40 Kinderbücher, die sich mehr als fünf Millionen Mal verkauften. Befragt, wie viel von ihm im Maulwurf steckt, antwortete er „100 Prozent… Ich brauchte lange, es zu begreifen, aber wenn ich den Maulwurf zeichne, dann zeichne ich mich selbst.“ Dieser Zeichner heißt Zdeněk Miler und wurde am 21. Februar vor 100 Jahren im böhmischen Kladno geboren.
„Meine Filme brachten gutes Geld“
Zeichnen war von Anbeginn seine Leidenschaft. Seine Großmutter, die mit im Elternhaus unter dem Dach wohnte, „mit Pendeluhr und Bollerofen“, habe ihn stark beeinflusst: „Bei ihr kam ich mir vor wie im Märchen. Sie hat mich immer auf den Schoss genommen und Geschichten erzählt. Eines Tages sagte sie: Heute schauen wir uns mal die Wolken an. Eine sah aus wie ein Haus. Die nächste wie ein Tier. Sie hat mir das Fenster zur Phantasie geöffnet“. Ein Lehrer in der Oberschule riet ihm zur Bewerbung an der staatlichen Graphikschule in Prag. „Aber ich besaß nicht mal einen Bleistift! Also gab er mir eine Krone, damit ich mir im Schreibwarengeschäft einen kaufen konnte. Dann bat ich meine Großmutter, mir Modell zu sitzen. Da saß sie dann drei Stunden und hat sich nicht gerührt.“
Er wurde 1936 angenommen und studierte anschließend von 1939 bis 1942 Photographie an der Kunstgewerbeschule ebenfalls in Prag. Nach der Besetzung durch Deutschland protestierte er gegen die Schließung der Hochschulen: „Einige Studenten sind hingerichtet oder nach Auschwitz deportiert worden. Ich hatte Glück, dass sie mich nicht verhafteten. Als die Nazis in unser Studentenheim kamen, war ich gerade nicht da.“ Ihm wurde 1942 eine Stelle als Zeichner im Zeichentrickstudio des Baťa-Konzerns im mährischen Zlín angeboten, wo er sein Handwerk von der Pike auf lernte und sich auf Animationsfilme spezialisierte. Das Studio wurde dann von den Deutschen übernommen: „Wir mussten fortan Märchenfilme für Deutschland produzieren, ‚Fritz und Fratz‘ zum Beispiel. Der deutsche Direktor war ein guter Mensch. Er befand, ich wäre unabkömmlich im Studio. Er und ‚Fritz und Fratz‘ haben mir vielleicht das Leben gerettet.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte er zur Prager Zeichentrickfirma Bratři v triku und arbeitete zunächst als Zeichner tschechischer Märchen, Regisseur und Autor. Später wurde er Direktor der Firma und zeichnete ab 1957 die Filme mit dem kleinen Maulwurf, die ihn international bekannt machten. „Ich bin natürlich in die kommunistische Partei eingetreten. Damals herrschte noch ein großer Idealismus unter uns jungen Leuten. Aber das ging nicht lange gut. Irgendwann haben sie mich aus der Partei geworfen, und ich war froh, dass ich draußen war. Gott sei Dank war ich mittlerweile fast unantastbar geworden, weil der Maulwurf international immer erfolgreicher wurde. Meine Filme brachten gutes Geld ins Land“, befand er in der SüZ. Eine große Rolle kam dabei dem WDR zu, der seit 1972 Filme für die „Sendung mit der Maus“ bestellte; „Pauli“ hieß hier manchmal die Figur. „Aus diesem Grund durfte ich auch hin und wieder nach Köln reisen. Es fuhr natürlich immer ein Genosse mit, um mich zu bewachen.“
Um die Hauptfigur wuchs eine ganze Familie von Freunden wie der Hase, der Igel und die Maus, die in viele gemeinsame Abenteuer schlitterten und sich gegenseitig halfen. Zoff à la „Tom und Jerry“ hatte in Milers Streifen keinen Platz. In den Filmen wird dem Leben in der Natur auch die Umwelt in der Stadt gegenübergestellt sowie dem naiv-kindlichen Leben der Tiere der Alltag der Menschen. „Ich glaube, Kinder lieben den Maulwurf, weil er eine Frohnatur ist, die nichts umwerfen kann. Er steht für die Freundschaft und die Liebe zur Natur. Er steht dem Leben positiv gegenüber, schaut immer nach vorne. Zuversicht und Vertrauen sind ein guter Leitfaden fürs Leben“, sagte er später. Die Geschichten stammten mal von Miler selbst, mal von bekannten Schriftstellern wie dem Kafka-Preisträger Ivan Klima („Liebe und Müll“), der zwischen 1969 und 1989 nur im Ausland publizieren durfte. Die Musik wurde von Miloš Vacek, ab 1974 von Vadim Petrov komponiert. Von seinem Verdienst leistete sich Miler ein kleines Häuschen in einem Prager Villenviertel.
„Es ist genug“
Zuletzt entstand 2002 ein Zeichentrickfilm in Spielfilmlänge, der eine Zusammenstellung aus den ersten zwölf Folgen des kleinen Maulwurfs ist. Dass es keine Gefährtin für Krtek gab, begründete Miler mit dem Alter seines Publikums: „Das hätte die Geschichten nur verkompliziert. Kinder wollen es nicht kompliziert.“ Nach 74 Jahren hauptberuflichen Zeichnens legte er den Stift aus der Hand. „Es ist genug. Meine älteste Tochter macht vielleicht weiter. Sie hat schon ein Maulwurf-Buch veröffentlicht, nach meinen Vorlagen. Letztens waren Japaner hier und haben mir viel Geld geboten, wenn sie eine Geschichte mit meinem Maulwurf machen dürften, womöglich computeranimiert. Ich habe abgelehnt.“ Angesichts millionenschwerer Hochglanzanimationen von „Ice Age“ bis „Findet Nemo“ wirken seine handgemalten zweidimensionalen Figuren zumeist in den kontrastreichen Grundfarben wie liebenswerte Relikte einer guten alten Zeit, die nostalgische Sehnsüchte bedient.
Am 28. Oktober 2006 wurde Miler vom Staatspräsidenten Václav Klaus die tschechische Verdienstmedaille als Ehrung für sein Lebenswerk verliehen. Er wird mit den Worten zitiert, dass ihm die Feinfühligkeit eines kleinen Maulwurfs bei weitem näher sei als die Schroffheit einer Familie Simpson. Einer seiner größten Fans war der amerikanische Astronaut Andrew Feustel, dessen Frau tschechische Vorfahren hat. Er überreichte Miler 2011 eine Plüschfigur des kleinen Maulwurfs, mit der er im Mai an Bord der Raumfähre Endeavour ins Weltall geflogen war. Der sichtlich erfreute Erfinder, übrigens ein großer Verehrer von Rene Magritte, bedankte sich mit einer gerahmten Zeichnung. „Das hätte ich mir nie vorstellen können“, sagte er. Auf der Internationalen Raumstation sei der Maulwurf die meiste Zeit umhergeschwebt, beschrieb Feustel den Flug mit der Plüschfigur. „Auf dem Rücken hatte er aber auch einen Klettverschluss, damit die Astronauten ihn, wenn nötig, an der Wand befestigen konnten“, sagte der Geophysiker, der zweimal im All war – übrigens 46 Jahre nach der Episode „Der Maulwurf und die Rakete“, in der ihn sein Schöpfer bereits einmal ins All geschickt hatte.
„Ich wollte immer Bücher und Filme für Kinder machen, dabei wusste ich erst gar nicht, wie das geht. Man muss ja jede Geschichte auf die denkbar einfachste Art erzählen. Wie der Maulwurf ankam, habe ich anfangs gar nicht wahrgenommen. Erst als ich dann im Kino miterlebt habe, wie die Kinder lachen, wie sie mitgehen, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin“, sagte er rückblickend. Die letzten Jahre lebte Miler in einem Seniorenwohnheim nahe Dobříš und starb dort am 30. November 2011. „Mit Zdenek Miler verlieren wir nicht nur den Vater des kleinen Maulwurfs, sondern auch einen ganz Großen des Europäischen Trickfilms und einen überaus warmherzigen Menschen“, teilte Monika Piel mit, die damalige WDR-Intendantin. „Seine Geschichten berühren uns heute wie damals gleichermaßen. Viele Erwachsene von heute verbinden mit ihm ein Stück Kindheit.“ Eine Kindheit, die unverlierbar ist.