„Ihr Heinz der Quermann“
9. Februar 2021 von Thomas Hartung
Seine Kultshow „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ geht auf seine Frau zurück, berichtete Tochter Petra im MDR. „Das war am ersten Weihnachtsfeiertag 1956. Meine Mutter kochte perfekt, alles duftete herrlich und mein Daddy war zuhause und wuselte in der Küche herum. Er musste ja hier und da mal was naschen. Irgendwann ist ihr dann der Kragen geplatzt und sie sagte: Mensch, mach Du doch eine Sendung, so zwischen Frühstück und Gänsebraten. Dann hast Du zu tun und ich habe meine Küche für mich. Das war es“. Die 1957 erstmals ausgestrahlte Matinee, stets angekündigt als „bunter Weihnachtsteller mit viel Musik und Humor“, war aber eigentlich eine heimelige TV-Show wie jede andere.
Die Moderatorin, Schauspielerin und Sängerin Margot Ebert war zur Premiere Anfang Dreißig, er selbst Mitte Dreißig. Beide begrüßten ihre Zuschauer noch, als sie im Rentenalter waren. In den ersten Jahren kam die Sendung live aus dem Friedrichstadt-Palast, später wurde die Weihnachtsstimmung vorab hergestellt, etwa im Dresdner Kulturpalast. Doch die harmonische Eintracht vor der Kamera war gespielt. Die Spekulation über das Verhältnis zwischen den Gastgebern war fast so beliebt wie ihre Sendung. Tatsächlich fühlte sich Margot Ebert, die nicht nur moderierte, tanzte und sang, sondern in der Show auch ihre eigenen Gedichte vortragen wollte, von ihrem dominanten Partner immer stärker unterdrückt.
Doch der Gegendruck von außen war groß: Als er in der 20. Ausgabe bekannt gab, dies sei seine letzte, klingelte noch während der Sendung das Telefon in der Fernsehzentrale Adlershof: Die SED-Parteispitze, die selbst gern eherne Traditionen zelebrierte, wünschte sich dringend eine Fortsetzung. Natürlich auch die Zuschauer. 1984 dann spielte Margot Ebert nicht mehr mit und ließ ihn vorm Tannenbaum allein. Auch diesmal beschworen viele Zuschauer die Moderatorin, so dass sie im folgenden Jahr zurückkehrte und beide noch bis 1991 das traditionelle Kommando 20 Minuten vor Show-Ende, so kurz nach halb eins, gaben: „Kartoffeln aufsetzen!“ Klöße waren auch gemeint. Und Hunderttausende Familienmütter taten wie geheißen.
Der Redakteur, Regisseur, Conférencier, kurz Entertainer hat daneben zwölf Revuen im Friedrichstadtpalast Berlin, 15 Pressefest-Tourneeprogramme, insgesamt rund 2.500 Sendungen in Rundfunk und Fernsehen der DDR sowie rund 7.500 Veranstaltungen gestaltet. „Schlaf brauchte mein Vater nur wenig. Drei bis vier Stunden reichten ihm. Dafür konnte er überall, wo er gerade war, ein Nickerchen halten, notfalls auch kurz vor der Probe schräg hinter der Bühne“, erinnert sich Petra. Ihren Vater beschreibt sie als „wahres Arbeitstier“. Der große Strippenzieher der DDR-Unterhaltungskunst landete nach der Wende als erster Ossi im Wachsfigurenkabinett des Berliner Panoptikums am Kurfürstendamm: Heinz Quermann. Am 10. Februar 1921 kam er in Hannover als Bäckersohn zur Welt.
mit Gartengeräten jonglieren
Nach dem Besuch der Volksschule begann er 1936 eine Bäckerlehre und erhielt daneben Violin- und Schauspielunterricht. 1939 legte er zusammen mit einem gewissen Theo Lingen die Schauspielprüfung ab und hatte Engagements an Theatern in Bernburg, Magdeburg und Köthen. Anfang Juli 1945 machte ihn der sowjetische Stadtkommandant zum Intendant des Theaters in Köthen. Ab 1947 war er Leiter der Abteilung Unterhaltung beim Mitteldeutschen Rundfunk Leipzig, außerdem Redakteur und Sprecher; und ab 1953 Mitarbeiter des Staatlichen Rundfunkkomitees in Berlin, Hauptabteilung Unterhaltung. Er entwickelt sich in mehreren Sendeformaten zu einem beliebten Conférencier. So war er ab 1953 Moderator der Schlagerlotterie, ab 1955 von Da lacht der Bär, die später zur ersten DDR-Fernsehshow wurde, ab 1957 des Amiga-Cocktail und ab 1958 der Schlagerrevue, der laut Guinnessbuch mit 36 ¼ Jahren und 1731 Ausgaben langlebigsten Rundfunk-Hitparade der Welt. Ab 1962 war er Arbeitsgruppenleiter beim DDR-Fernsehen.
Als sein größtes Verdienst gilt die Sendung „Herzklopfen kostenlos“, die von 1958 bis 1973 lief. Im Westfernsehen gab es allerdings bereits seit 1953 eine ähnliche Sendung: Peter Frankenfelds „Wer will, der kann. Die große Talentprobe für jedermann“, von der sich Quermann durchaus inspirieren ließ. Eigentlich hatte er mit seiner neuen Sendung nur ein paar neue Gesichter für das Fernsehpublikum entdecken wollen, doch die Parade der jungen Talente wurde schnell populärer als alle anderen Unterhaltungssendungen des DDR-Fernsehens und bekam alsbald einen der begehrten Sendeplätze am Samstagabend. Quermann, der sich in seiner Rolle als leutseliger „Talentevater des Ostens“ sehr gefiel, gab in seiner neuen Show Laienkünstlern aller Art eine Bühne – Schlagersängern, Kabarettisten, Rezitatoren, Instrumentalisten und Schauspielern. Hauptsache, sie hatten etwas Unterhaltsames zu bieten.
Und das Publikum fieberte mit, wenn zwei Schlosser waghalsige artistische Nummern boten, ein Siebenjähriger Brahms spielte, eine Kellnerin sich als Kabarettistin versuchte, Soldaten im Chor sangen und Landwirtschaftslehrlinge mit Gartengeräten jonglierten. Quermann stieg gewissermaßen zum obersten Talentförderer in Sachen Unterhaltung auf. In allen Bezirken und Kreisen der DDR suchten hauptamtliche Kulturarbeiter nach geeigneten Kandidaten für seine Sendung. In den mehr als 1.000 Kulturhäusern der Republik trafen sie gemeinsam mit Vertretern von Jugendorganisationen und der Einheitsgewerkschaft eine Vorauswahl. Quermann selbst tourte mit seinem Stab rastlos durchs Land und sichtete – nur die Besten sollten schließlich eine Chance bekommen.
Und tatsächlich entging Quermann in diesen Jahren kaum ein junges Talent. Fast alle, die in den 1970er- und 1980er-Jahren zur Prominenz der DDR-Unterhaltung gehören sollten, waren von ihm entdeckt worden: Frank Schöbel, Regina Thoss, Monika Herz, Wolfgang Ziegler oder Dagmar Frederic. Auch Veronika Fischer hatte ihren ersten Fernsehauftritt in „Herzklopfen kostenlos“. Und selbst Punklady Nina Hagen pries im Jahr 2000 den Talentvater Heinz Quermann als ihren „Entdecker“. 1973 wurde die Sendung modernisiert und hieß fortan „Heitere Premiere“. Quermann moderierte nicht mehr, hielt im Hintergrund aber bis zur letzten Sendung 1990 alle Fäden in der Hand – er schrieb die Drehbücher und bestimmte, wer auf die Bühne durfte. Karel Gott soll er mal im Scherz prognostiziert haben: „Junge, du kannst ja richtig singen. Aus dir wird nie ein Schlagersänger!“
„Tschüss und Winke Winke“
Einmal im Jahr zeichnete er auf dem Gelände des DDR-Staatszirkus in Hoppegarten die „Nacht der Prominenten“ auf – das Pendant zur westdeutschen Show „Stars in der Manege“, wo sich Promis in anderen Unterhaltungsgenres mal besser, mal schlechter beweisen sollten. Zu Quermanns großen Coups zählte, die Darsteller der im Osten sehr populären dänischen Klamaukreihe „Olsenbande“ dafür zu engagieren, allen voran Egon Olsen alias Ove Sprogoe. „Mit Geld war das natürlich nicht zu bezahlen“, blickt Petra Quermann zurück. Die Mimen wünschten sich russischen Kaviar, der auch in Dänemark unerschwinglich teuer und damals schwer zu bekommen war. Also ließ Quermann seine Kontakte zur DDR-„Delikat“-Kette spielen und lieferte die wertvolle Fracht, 40 Döschen Malossol-Kaviar, beim dänischen Künstleragenten im Ostberliner Palast-Hotel ab.
Seine Lieblingsrolle war aber eher unscheinbar: Die Darstellung der „Märchenomi“ in der Sendung „Mit Lutz und Liebe“ mit Lutz Jahoda. Die umgestrickten Märchen enthielten so manche Kritik am Ost-Alltag. Doch Quermann, in der DDR nie in der Einheitspartei SED, sondern sehr früh Mitglied der liberaldemokratischen LDPD, beherrschte den schwierigen Spagat zwischen Unterhaltungskunst und Partei-Lenkung. Andere konnten das nicht so gut und wurden knallhart fallengelassen, etwa der Conferencier O.F. Weidling. Nach dem Kunstpreis der DDR 1959 erhielt er 1977 den Nationalpreis und 1986 gar den Vaterländischen Verdienstorden.
Privat legte der Kreative Wert auf Ruhe, gefiel sich vor und nach dem Dienst dagegen als Schnellfahrer. Noch mit knapp 80 musste er seinen Führerschein abgeben, weil er auf einer 80er Strecke mit 122 km/h geblitzt wurde. Seine Ehe mit der Rundfunksprecherin Ruth Peter, mit der er Tochter Petra bekam und die bereits 1994 starb, verlief unspektakulär. Er war Ehrenmitglied der 1. Köthener Karnevalsgesellschaft. 1996 veranstalteten mehr als 40 seiner „Zöglinge“ aus der Schlager-Szene eine vierstündige Gala in der Schwarzenberger Waldbühne und sangen ein Abschiedsständchen unter dem Titel „Das gibt’s nur einmal“. Die Liste der Darsteller war ein „Who’s who“ des DDR-Schlagers.
2000 erhielt er die „Goldene Henne“ für sein Lebenswerk. Zuletzt hatte Quermann Herzprobleme und litt an Demenz. Der unbestrittene Schlagerpapst, der sich immer mit einem fröhlich-väterlichen „Tschüss und Winke Winke – Ihr Heinz der Quermann“ von seinem Publikum verabschiedete, sagte am 14. Oktober 2003 in Berlin endgültig Tschüss. Vier Jahre später erklärte Dieter Hallervorden, er habe mit Heinz Quermann häufiger Sketche und Witze ausgetauscht. Den Sketch „Flasche Pommes Frites“, auch bekannt als „Palim-Palim“, will er ihm für ungefähr 500 Westmark abgekauft haben.